Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH betreffend Beschwerderecht und Bindungswirkung von Feststellungsbescheiden nach § 3 Abs 7 UVP-G
Eine Nachbarin bekämpft die erteilte Generalgenehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines Fachmarktzentrums mit einer Gesamtnutzfläche von rund 11.500 m². Ihrer Ansicht nach wäre für dieses Projekt nicht ein Verfahren nach der Gewerbeordnung, sondern eine UVP erforderlich gewesen.
Die Behörde verwies in
dem vor dem VwGH bekämpften Genehmigungsbescheid auf den rechtskräftigen UVP‑Feststellungsbescheid der Kärntner Landesregierung. Dort wurde verbindlich
festgestellt, dass bezüglich des Vorhabens “Errichtung von zwei
Fachmarktzentren Merkur und IC” keine
UVP nach dem UVP-G 2000 durchzuführen sei.
Nach § 3 Abs. 7 dieses
Gesetzes haben in diesem Feststellungsverfahren die Nachbarn keine
Parteistellung. In den dem UVP‑Feststellungsbescheid nachfolgenden
Genehmigungsverfahren (wie hier nach der Gewerbeordnung) besteht nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des
Verwaltungsgerichtshofes Bindungswirkung hinsichtlich eines die UVP‑Pflicht verneinenden, rechtskräftigen Feststellungsbescheides dahingehend,
dass keine UVP durchzuführen ist. Dies hat der VwGH auch aus der Sicht des Unionsrechtes nicht für bedenklich
erachtet, weil die Nachbarn ihre Nachbarrechte in den einzelnen nachfolgenden
(Materien‑)Verfahren geltend machen können; sie können vorbringen, dass durch die
Auswirkungen des Vorhabens ihr Leben,
ihre Gesundheit oder ihr Eigentum gefährdet werde oder sie durch Geruch, Lärm,
Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise unzumutbar belästigt würden.
Nunmehr hat der
Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in seinem Urteil vom 30. April 2009
(“Mellor”), festgehalten, “dass Dritte, sich vergewissern können müssen, dass
die zuständige Behörde nach den im nationalen Recht vorgesehenen Bestimmungen
geprüft hat, ob eine UVP erforderlich ist. Betroffene Einzelpersonen müssen in
der Lage sein, die Einhaltung dieser Prüfungspflicht, gegebenenfalls
gerichtlich nachprüfen zu lassen. Diese Auffasung hat der EuGH im Urteil vom
16. Februar 2012 (“Solvay”) bestätigt. In einem weiteren Urteil vom 11. April
2013 “Edwards und Pallikaropoulos” verwies der EuGH auf das in Art. 10a Abs. 3
der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten
öffentlichen und privaten Projekten (jetzt Art. 11 der Richtlinie 2011/92) vom
Unionsgesetzgeber verfolgte Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit “einen weiten
Zugang zu den Gerichten” zu gewähren.
Der Standpunkt der
einschlägigen österreichischen Rechtsliteratur dazu ist kontroversiell:
Einerseits wird die Auffassung vertreten, eine Bindungswirkung von UVP‑Feststellungsbescheiden entspreche nicht (mehr) den Anforderungen der Richtlinie 85/337/EWG, da jene Parteien, die
im Feststellungsverfahren keine Parteistellung haben, nicht in der Lage seien,
eine rechtswidrige Unterlassung einer UVP zu bekämpfen. Für die Vereinbarkeit
der Bindungswirkung wurde andererseits vorgebracht, dass die betroffenen
Nachbarn bei einem negativen UVP‑Feststellungsbescheid die Möglichkeit haben, im
Rahmen der ihnen in den nachfolgenden Genehmigungsverfahren eingeräumten
Parteirechte Einwendungen zu erheben und insoweit eine “de facto‑UVP” zu erreichen.
Um die richtige Anwendung
des Unionsrechts zu gewährleisten, richtet der VwGH an den EuGH die Frage, ob
das Unionsrecht einer nationalen Rechtslage entgegen steht, nach der ein
Bescheid, mit dem festgestellt wird, dass bei einem bestimmten Projekt keine
UVP durchzuführen ist, Bindungswirkung auch für Nachbarn, denen im
vorangegangenen Feststellungsverfahren keine Parteistellung zukam, entfaltet,
auch wenn die Nachbarn die Möglichkeit haben, ihre Einwendungen gegen das
Vorhaben in diesen Genehmigungsverfahren zu erheben.
Sollte der EuGH bejahen,
dass diese Bindungswirkung nicht in Einklang zum Unionsrecht steht, wird
ergänzend nach den Auswirkungen auf das gegenständlich Verfahren gefragt.
Allenfalls wäre nämlich die Gewerbebehörde verpflichtet, zur Beurteilung ihrer
eigenen Zuständigkeit auf die Einwendungen der Nachbarin gegen den UVP‑Feststellungsbescheid einzugehen und aus eigenem zu beurteilen, ob das
vorliegende Projekt einer UVP zu unterziehen wäre (Text: Pressemitteilung des
VwGH).
Die Vorlagefragen:1. Steht das Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 26 vom 28.1.2012, S. 1‑12 (Richtlinie 2011/92), insbesondere deren Art. 11 einer nationalen Rechtslage entgegen, nach der ein Bescheid, mit dem festgestellt wird, dass bei einem bestimmten Projekt keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, Bindungswirkung auch für Nachbarn, denen im vorangegangenen Feststellungsverfahren keine Parteistellung zukam, entfaltet, und diesen in nachfolgenden Genehmigungsverfahren entgegengehalten werden kann, auch wenn diese die Möglichkeit haben ihre Einwendungen gegen das Vorhaben in diesen Genehmigungsverfahren zu erheben (das heißt im Ausgangsverfahren dahingehend, dass durch die Auswirkungen des Vorhabens ihr Leben, ihre Gesundheit oder ihr Eigentum gefährdet werden oder sie durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise unzumutbar belästigt werden)?
Bei Bejahung der Frage 1:
2. Verlangt es das
Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie 2011/92 im Wege ihrer unmittelbaren
Anwendung, die in der Frage 1 dargestellte Bindungswirkung zu verneinen?
VwGH 11. 9.
2013, 2011/04/0178 (EU 2013/0003)
Vorabentscheidungsersuchen zur UVP-Pflicht der
Testförderung von Erdgas
Der VwGH stellte in einem Verfahren betreffend
die Genehmigung einer Testförderung von Erdgas (§ 119 MinroG) im Rahmen einer
Aufschlussbohrung ein Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung der UVP-RL
85/337/EWG an den EuGH:
1. Handelt es sich bei einer zeitlich und mengenmäßig begrenzten Testförderung von Erdgas, die im Rahmen einer Aufschlussbohrung zur Erforschung der Wirtschaftlichkeit einer dauerhaften Gewinnung von Erdgas durchgeführt wird, um eine „Gewinnung von … Erdgas zu gewerblichen Zwecken“ nach Anhang I Nr 14 der RL 85/337/EWG des Rates vom 27. 6. 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten idF der RL 2009/31/EG (RL 85/337/EWG)?
Für den Fall, dass die erste Vorlagefrage bejaht wird, werden folgende weitere Fragen gestellt:
2. Steht Anhang I Nr 14 der RL 85/337/EWG einer Regelung des nationalen Rechts entgegen, welche bei der Gewinnung von Erdgas die in Anhang I Nr 14 der RL 85/337/EWG genannten Schwellenwerte nicht an die Gewinnung an sich, sondern an die „Förderung pro Sonde“ knüpft?
3. Ist die RL 85/337/EWG dahin auszulegen, dass die Behörde in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der die Genehmigung einer Testförderung von Erdgas im Rahmen einer Aufschlussbohrung beantragt wird, zur Feststellung, ob eine Verpflichtung zur Umweltverträglichkeitsprüfung besteht, nur alle gleichartigen Projekte, konkret alle im Gemeindegebiet aufgeschlossenen Bohrungen, auf ihre kumulative Wirkung zu prüfen hat?
Im Ausgangsverfahren ist noch die RL 85/337/EWG idF der RL 2009/31/EG anzuwenden. Die nunmehr geltende RL 2011/92/EU ist im Beschwerdefall nicht maßgeblich, weil diese nach Erlassung des angefochtenen Bescheides in Kraft getreten ist. Der VwGH weist aber darauf hin, dass die entscheidenden Bestimmungen durch die neue UVP-RL nicht geändert worden seien.
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