Die Angerschluchtbrücke in Bad Hofgastein im Tauerntal hat die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (VwGH, VfGH) mehrfach beschäftigt. Die Bahn soll statt über die alte eingleisige Bahnbrücke über eine neue, breitere Brücke fahren - die bereits errichtete Brücke ist breit genug, um einen zweigleisigen Ausbau der Bahn-Hochleistungsstrecke "Tauernachse" in diesem Bereich durchführen zu können. Dagegen wehrt sich seit vielen Jahren eine Bürgerinitiative, die durch diese Ausbaumaßnahmen eine Zunahme der schon jetzt sehr hohen Lärmbelastung im Gasteiner Tal befürchtet.
Auch die Salzburger Landes-Umweltanwaltschaft (LUA) steht dem Projekt kritisch gegenüber. Die Rechtsprechung zum "Fall Angerschluchtbrücke" hat sowohl für das UVP-Verfahren als auch für die rechtliche Beurteilung von Schienenlärm interessante Erkenntnisse gebracht. Die Diskussion um Lärmschutz bei Infrastrukturvorhaben hält an.
Zunächst bewilligte das Verkehrsministerium die Angerschluchtbrücke samt einem teilweise zweigleisigen Ausbau der bestehenden Strecke ohne Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Die dagegen von der Salzburger LUA eingebrachten
Anträge auf Feststellung einer UVP-Pflicht waren schließlich beim VwGH in zwei Anläufen erfolgreich.
Zunächst stellte der VwGH im Erkenntnis v
12.9.2006, 2005/03/0131, eine UVP-Pflicht eines zweigleisigen Ausbaus einer bestehenden Eisenbahn-Fernverkehrsstrecke in
richtlinienkonformer Auslegung des österreichischen UVP-Gesetzes fest. Er verwies auf ein Urteil des EuGH vom
16. September 2004, Rs C- 227/01 (Kommission/Spanien), wo ausgesprochen worden war, dass
Anhang I Nummer 7 der
UVP-RL so zu verstehen ist, dass er sich auch
auf den zweigleisigen Ausbau einer bereits vorhandenen Eisenbahn-Fernverkehrsstrecke bezieht
(RN 48-50); dabei komme es
auch nicht darauf an, ob für den zweigleisigen Ausbau eine neue Trasse
erforderlich ist.
Demnach legte der VwGH die im UVP-G enthaltene Formulierung der UVP-Pflicht ("Vorhaben, die nicht
bloß in Ausbaumaßnahmen auf bestehenden Eisenbahnen bestehen", § 23b Abs 1
UVP-G) nicht schematisch unter Rückgriff auf eine Formulierung im § 3 Abs 1 HochleistungsstreckenG aus, wonach solche Ausbaumaßnahmen keiner eigenen Trassengenehmigung bedurften, sondern führte aus:
"Es ist in
richtlinienkonformer Auslegung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des
EuGH der Ausnahmetatbestand der "Ausbaumaßnahmen" enger zu verstehen, sodass
jedenfalls die Zulegung eines weiteren Gleises, auch wenn diese nach § 3 Abs 1
HlG als Ausbaumaßnahme nach diesem Gesetz anzusehen wäre und keiner
Trassengenehmigung bedürfte, dennoch einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach
§ 23b Abs 1 Z 1 UVP-G 2000 unterliegt, sofern es sich um eine
Fernverkehrsstrecke handelt.
Dieses im Lichte der Rechtsprechung des EuGH
gebotene Auslegungsergebnis findet auch im Wortlaut des § 23b Abs 1 UVP-G 2000 Deckung, da diese Bestimmung weder
eine Legaldefinition der "Ausbaumaßnahmen" enthält, noch ausdrücklich auf die
Definition in § 3 Abs 1 HlG verweist.
Da es sich somit beim zweigleisigen Ausbau einer
Fernverkehrsstrecke, wie er dem verfahrensgegenständlichen Verfahren zu Grunde
liegt, nicht um eine bloße Ausbaumaßnahme - im Sinne des nach der UVP-RL gebotenen Begriffsverständnisses einer
Änderung oder Erweiterung eines bereits genehmigten, durchgeführten oder in der
Durchführungsphase befindlichen Projektes, welche im Sinne des Anhangs II Z 13
UVP-RL nur nach Maßgabe des Art 4 Abs 2 UVP-RL einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu
unterziehen wäre - handelt, wäre das verfahrensgegenständliche Vorhaben daher
gemäß § 23b Abs 1 Z 1 UVP-G 2000 idF BGBl I 89/2000 einer
Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen gewesen."
In dem aufgrund dieses Erkenntnisses des VwGH ergangenen
Ersatzbescheid stellte das Verkehrsministerium (BMVIT) allerdings neuerlich fest, dass das - geänderte - Vorhaben "Angerschluchtbrücke" der ÖBB keiner UVP bedürfe. Begründung: das nunmehrige Projekt beinhalte zwar den Bau der Brücke wie bisher, sehe aber auf dieser
keine Zulegung eines zweiten Streckengleises mehr vor.
Der VwGH folgte der Argumentation der Behörde nicht. Im Erkenntnis vom
3.9.2008, 2007/03/0068, führte er aus, dass das Vorhaben außerhalb der Brücke sehr wohl teilweise einen zweigleisigen Ausbau vorsehe, und außerdem war für den VwGH
"im Hinblick auf die auch nach dem geänderten Einreichplan ausdrücklich
vorgesehene Dimensionierung insbesondere des Brückenbauwerks für die Zulegung
eines zweiten Gleises [...] nicht zweifelhaft [...], dass das von der belangten
Behörde zu beurteilende Vorhaben das - allenfalls auch erst stufenweise zu
verwirklichende - gesamte Projekt des zweigleisigen Ausbaus des
verfahrensgegenständlichen Streckenabschnitts umfasst. Daran ändert es auch
nichts, wenn die Errichtung des zweiten Gleises auf der Brücke noch nicht
Gegenstand des Antrags auf Erteilung der eisenbahnrechtlichen Baugenehmigung
war, da die Einreichplanung auf die nach den Projektsunterlagen auch vorgesehene
spätere Zulegung des zweiten Gleises abgestellt ist (vgl zur Beurteilung eines
Gesamtkonzepts aufgrund aktenkundiger Projektsgrundlagen das hg Erkenntnis
vom 7. September 2004, Zl 2003/05/0218; zur "Stückelung" zur Vermeidung eines
Verfahrens nach dem UVP-G vgl das
hg Erkenntnis vom 20. März 2002, Zl 2000/03/0004)."
Nolens volens musste nun von den ÖBB um Erteilung einer
Genehmigung nach dem UVP-G angesucht werden, die vom BMVIT schließlich auch für die - längst errichtete, aber noch nicht mit Gleisen belegte - Angerschluchtbrücke erteilt wurde.
Dagegen erhoben Bürgerinitiative und LUA erneut Beschwerde an den VwGH, die dieser - für alle überraschend - inhaltlich nicht prüfte, sondern
zurückwies.
Der Verwaltungsgerichtshof meinte in seinen
Beschlüssen vom 30.9.2010, dass ihm punkto Sachverhaltsprüfung
nicht jene Möglichkeiten zur umfassenden Sachverhaltskontrolle offenstünden, die nach EU-Recht in Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung geboten seien (Art 10a - nunmehr Art 11 - der UVP-Richtlinie): der 3. Senat des VwGH vertrat in den damals sensationellen Beschlüssen vom
30.9.2011, Zlen 2010/03/0051, 0055 („Angerschluchtbrücke”) und
2009/03/0067, 0072 („Brenner Basistunnel”) die Rechtsauffassung, dass der
VwGH kein
mit voller Kognitionsbefugnis ausgestattetes Gericht und nicht befugt sei,
Entscheidungen in UVP-Genehmigungsverfahrens nach dem dritten Abschnitt
des UVP-G umfassend nachzuprüfen. Daher entspreche die innerstaatliche Rechtslage, wonach bei Angelegenheiten nach dem dritten Abschnitt (Bundesstraßen und Eisenbahn-Hochleistungsstrecken) eine Verwaltungsbehörde (BMVIT) in erster und letzter Instanz entscheide und dann nur mehr der VwGH angerufen werden kann, während der – als Tribunal und damit gerichtsgleich eingerichtete – Umweltsenat als Berufungsbehörde in Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung nur für die Vorhaben nach dem zweiten Abschnitt des UVP-Gesetzes zuständig ist, nicht den Anforderungen des Art 10a (nunmehr Art 11) der UVP-RL.
In einem derartigen Fall erachtete sich der Verwaltungsgerichthof auf der Grundlage des Unionsrechts als verpflichtet, zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts die damit unvereinbare
nationale Bestimmung, welche die Zuständigkeit des Umweltsenates in der dargelegten Weise einschränkt,
unangewendet zu lassen. Der VwGH wendete daher die Bestimmungen, welche die Zuständigkeit des Umweltsenates auf Angelegenheiten des 1. und 2. Abschnitts des UVP-G einschränken, nicht an. Also müsse zuerst der Umweltsenat als Berufungsinstanz befasst werden, obwohl dieser laut UVP-G für Eisenbahnhochleistungsstrecken (und Autobahnen, Schnellstraßen) gar nicht zuständig ist, sondern nur für alle anderen UVP-pflichtigen Vorhaben.
Der Gerichtshof wies die Beschwerde "Angerschluchtbrücke" und die gleichgelagerte Beschwerde betreffend den "Brenner Basistunnel" daher mangels Ausschöpfung des Instanzenzuges zurück und merkte an, dass die Partei zuerst Berufung samt einem Wiedereinsetzungsantrag (gegen die Versäumung der Berufungsfrist) einbringen müsse.
Die
Wiedereinsetzung wurde vom BMVIT in Bindung an diesen Beschluss des VwGH bewilligt, von den ÖBB aber beim Verfassungsgerichtshof bekämpft.
Mit Erkenntnis vom
28.6.2011, B 254/11, entschied der
Verfassungsgerichtshof – in Abkehr von der Rechtsauffassung des VwGH - dass die unionsrechtlichen Vorgaben der Grundrechte-Charta (Art 47 Abs 2 GRC) und der UVP-RL erfüllt seien; ein
Instanzenzug an den Umweltsenat sei nicht geboten und es komme insoweit auch keine unmittelbare Anwendbarkeit des Art 10a (Art 11) UVP-RL in Betracht.
Der Verfassungsgerichtshof hob daher die vom BMVIT in Anwendung der Rechtsauffassung des VwGH bewilligte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (gegen die Versäumung der Berufungsfrist) mit dem Erkenntnis vom 28.6.2011 auf, und damit war auch das Schicksal der mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundenen Berufung an den Umweltsenat besiegelt:
Der Umweltsenat wies die bei ihm anhängige Berufung gegen den Genehmigungsbescheid des BMVIT mit Bescheid vom 20.7.2011, US 3A/2011/1A-5, „Brenner Basistunnel II”, als unzulässig zurück.
Da nun weder der Verwaltungsgerichtshof noch der Umweltsenat eine inhaltliche Entscheidung über die Beschwerde bzw. Berufung getroffen und sich beide für unzuständig erklärt hatten, lag ein negativer
Kompetenzkonflikt nach Art 138 Abs 1 Z 1 B-VG vor. Das führte zur neuerlichen Anrufung des VfGH durch die BI und die LUA, und zur Feststellung durch den VfGH (
5.3.2012, KI-5/11), dass der Verwaltungsgerichtshof zur Behandlung der Beschwerde gegen die UVP-Genehmigung zuständig ist.
Der nun erneut zuständig gewordene VwGH hatte der nun wieder von ihm zu erledigenden Beschwerde gegen die Genehmigung der Angerschluchtbrücke die
aufschiebende Wirkung nach § 30 Abs 2 VwGG zuerkannt. Er begründete dies im Beschluss vom
25.6.2010, AW 2010/03/0022, mit den nicht auszuschließenden Gefahren für die menschliche Gesundheit durch Zunahme des Schienenlärms:
Die beschwerdeführenden Parteien hatten vorgebracht, dass bereits
derzeit die Lärmbelastung im Projektgebiet über den relevanten Grenzwerten
liege. Mit dem Vorhaben gehe eine zusätzliche Lärmbelastung einher.
Gesundheitsauswirkungen könnten schon derzeit nicht ausgeschlossen werden und
jede weitere Belastung sei daher potentiell gesundheitsschädigend. Zwingende
öffentliche Interessen stünden der Aufschiebung nicht entgegen, zumal der
Bahnverkehr weiter über die alte Brücke abgewickelt werde und die mitbeteiligte
Partei bereits Vorsorge durch die neue Brücke getroffen habe. Die Behörde
meinte, unverhältnismäßige Nachteile würden damit nicht konkretisiert. Die
relevanten Lärmgrenzwerte würden eingehalten. Der VwGH führte aus, dass ohne Vorgriff auf die Ergebnisse des Beschwerdeverfahrens
nicht ausgeschlossen sei,
"dass es mit der Verwirklichung des Vorhabens der
mitbeteiligten Partei zu nicht mehr leicht zu beseitigenden gravierenden
Eingriffen (gesundheitsgefährdenden Lärmbelastungen) kommt". Dem Aufschiebungsantrag war daher stattzugeben.
Am 28.11.2013
hob der VwGH schließlich die erteilte UVP-Genehmigung für die Angerschluchtbrücke auf und schickte den Akt zum BMVIT zurück, von wo er so schnell nicht mehr den erneuten Weg zum VwGH finden wird. Abgesehen von den notwendigen Verfahrensergänzungen ist nämlich seit dem 1.1.2014 für Beschwerden gegen UVP-Genehmigungen auch bei Eisenbahn-Hochleistungsstrecken und Bundesstraßen zunächst das neu geschaffene
Bundesverwaltungsgericht zuständig. Erst gegen dessen Entscheidung kann der VwGH mit Revision angerufen werden, wenn eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.
Die Aufhebung des Bescheides begründete der VwGH in seinem Erkenntnis
2012/03/0043, 0044 mit einer rechtlich falschen Beurteilung des Schienenlärmes durch das BMVIT als UVP-Behörde:
Aufgrund des "Einwands, es sei eine Unterschreitung der Mindeststandards der
Schienenverkehrslärm-Immissionsschutzverordnung (SchIV) geboten", sei eine nähere Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des Schienenverkehrslärms geboten.
Näher ausgeführt wird das im Erkenntnis des VwGH vom selben Tag,
2012/03/0045 "Pottendorfer Linie", das seinerseits wieder auf eine frühere Entscheidung des VwGH zum "Koralm-Tunnel" vom 22.10.2012, 2010/03/0014 ("Mittlern-Althofen") verweist.
Kurz zusammengefasst, geht es beim "
Schienenbonus" um Folgendes:
Nach der SchIV, welche nach § 24f Abs 2 UVP-G als "besondere Immissionsschutzvorschrift" für den Lärmschutz bei Eisenbahnvorhaben auch im Bereich der UVP maßgeblich ist, gelten für Lärmschutzmaßnahmen spezielle Bestimmungen, die u.a. einen
um 5 dB verminderten Beurteilungspegel und Kostenbeschränkungen für Lärmschutzmaßnahmen ("
wirtschaftlich vertretbarer Aufwand"), verbunden mit einer
Interessenabwägung, vorsehen.
Der VwGH sieht die SchIV aber im UVP-Verfahren nur als "
Mindeststandard" an, unter den je nach
Sachverständigengutachten im UVP-Verfahren auch heruntergegangen werden muss, insbesondere dann, wenn es zum
Schutz der menschlichen Gesundheit notwendig ist. Der Hinweis des BMVIT im angefochtenen Bescheid, die Grenzwerte der SchIV würden eingehalten,
"macht daher eine Auseinandersetzung mit dem von der Beschwerdeführerin
aufgeworfenen Thema des Einflusses von Schallpegelspitzen auf die menschliche
Gesundheit und der Notwendigkeit ihrer Begrenzung nicht entbehrlich."
Die Genehmigungsvorschrift des § 24f Abs 1 UVP-G, zu dem allerdings § 24f Abs 2 hinsichtlich der Berücksichtigung der "besonderen Immissionsschutzvorschriften" eine Ausnahme statuiert, enthält zwar kein unbedingtes Immissionsminderungsgebot, doch dürfen die Vorschläge des Gutachters zum Gesundheitsschutz und in bestimmten Fällen - zB in sehr ruhigen Gebieten, wie etwa Kurgebieten - zum Schutz vor unzumutbaren Belästigungen nicht ignoriert werden. Das würde auch dem Art 8 UVP-RL ("Berücksichtigungsgebot" der Ergebnisse der UVP) widersprechen.
Neben dem Hinweis auf die Forderungen der Sachverständigen verweist der VwGH auch auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom
2. 10. 2013, V 30/2013, V 31/2013, mit dem
Teile des § 2 Abs 1 sowie § 2 Abs 2 der SchIV aufgehoben wurden.
Nicht in diesem Erkenntnis, wohl aber in einem Beschluss vom
2.10.2013, B 327, 373/2012, hielt der VfGH ausdrücklich fest, dass es (durch die Anwendung des § 24f Abs 2 UVP-G und die SchIV) "
zu einer Gesundheitsgefährdung in keinem Fall kommen"
darf. Zwar hat der VfGH mit dem zuvor genannten Erkenntnis V 30, 31/2013 die SchIV nur in kleinen Teilen wegen der Verbindlicherklärung überholter Normen für gesetzwidrig erklärt und die für den Schienenlärm günstigere Schallprüfung durch den "Schienenbonus" im zitierten Beschluss vom selben Tag für sachlich gerechtfertigt erkannt. In der Begründung dieses Beschlusses führte er aber aus, dass
"die Sonderregelung für Eisenbahnvorhaben nach § 24f Abs 2 UVP-G sowie die Regelung
des § 2 Abs 4 SchIV angesichts des Interesses der Öffentlichkeit an der
Verwirklichung solcher Infrastrukturvorhaben und angesichts der
unterschiedlichen Sachlage (zB größere Anzahl betroffener Personen,
unterschiedliche Art der Lärmausbreitung und geringere Störwirkung von
Schienenverkehrslärm) im rechtspolitischen Ermessen" liegt. Sie "wirft weder im Hinblick
auf den Gleichheitsgrundsatz noch im Hinblick auf andere verfassungsgesetzlich
gewährleistete Rechte (insbesondere Art 8 EMRK) verfassungsrechtliche Bedenken
auf, zumal die SchIV zahlreiche – vorrangig bahnseitige – Lärmschutzmaßnahmen
vorsieht. Ein Gebot, Eisenbahnvorhaben einerseits und andere
umweltverträglichkeitsprüfungspflichtige Vorhaben andererseits gleich zu
behandeln, ist aus dem Gleichheitsgrundsatz nicht abzuleiten. Die Sonderregelung
des § 24f Abs 2 UVP-G in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen
Bescheides geltenden Fassung (BGBl I 87/2009) greift ausschließlich dort, wo es
um die Zumutbarkeit möglicher Belästigungen der Nachbarn iSd § 24f Abs 1 Z 2 lit c
UVP-G geht; zu einer Gesundheitsgefährdung darf es nach § 24f Abs 1 Z 2 li ta UVP-G
in keinem Fall kommen".
Dass mittlerweile mit der
UVP-Novelle 2012 der
§ 24f Abs 2 UVP-G dahin geändert wurde, dass die SchIV nicht nur für die Zumutbarkeitsbeurteilung für maßgeblich erklärt wird, sondern die UVP-rechtliche Zulässigkeit von Lärm ganz allgemein nach den "besonderen Immissionsschutzvorschriften" zu beurteilen sein soll, macht den letzten Satz in der Aussage des VfGH besonders brisant. Führt die - schon aus grundrechtlichen Gesichtspunkten - unzulässige Genehmigung gesundheitsgefährdender Vorhaben doch dazu, dass die aktuelle Fassung des UVP-G für den Fall, dass die SchIV auch die Genehmigung gesundheitsschädlicher Bahnvorhaben erlaubt,
verfassungswidrig ist.
Die SchIV mit ihren speziellen Grenzwerten und dem Schienenbonus - der in Deutschland mittlerweile abgeschafft wurde - darf daher in Genehmigungsverfahren
keinesfalls so angewandt werden, dass es zu einer
gesundheitsgefährdenden Lärmimmission kommt. Jenseits dieser Grenze ist in der Frage welchen Bahnlärm Nachbarn hinnehmen müssen, von der Genehmigungsbehörde eine nachvollziehbare
Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Ergebnisse der UVP und der Kostenangemessenheit von Lärmschutzmaßnahmen vorzunehmen. Dabei kann je nach den Ergebnissen des Lärmgutachtens auch eine
Unterschreitung der Grenzwerte der SchIV und ein
Außerachtlassen des Schienenbonus aus Gründen des Gesundheitsschutzes, zB aufgrund besonderer Tonhaltigkeit des Lärms und hoher Spitzenpegel, der prognostizierten Aufwachereignisse in der Nachtzeit, der Topographie des Gebietes oder einer besonders ruhigen Ausgangssituation oder des Vorliegens eines Kurgebietes, erforderlich sein.
Für
Baulärm bei der Errichtung einer Eisenbahnstrecke ist der Schienenbonus übrigens jedenfalls irrelevant, wie der VwGH anlässlich der Aufhebung der Genehmigung des "Semmering Basistunnels" entschieden hat. In diesem Erkenntnis vom
19.12.2013, 2011/03/0160, hat der VwGH ausgeführt:
"Die im konkreten Zusammenhang zu beurteilenden, aus Baulärm zur Errichtung des Vorhabens "Semmering-Basistunnel
neu" resultierenden Lärmimmissionen unterliegen nicht dem
Anwendungsbereich der Verordnung des Bundesministers für öffentliche
Wirtschaft und Verkehr über Lärmschutzmaßnahmen bei Haupt-, Neben- und
Straßenbahnen (SchIV), BGBl Nr 415/1993, da - wie sich aus § 1 Abs 1
SchIV 1993 ergibt - die Verordnung nur hinsichtlich der
Schallimmissionen auf Grund des Schienenverkehrs (Zugverkehrs) gilt."
Und weiter hat der Gerichtshof zur Lärmbeurteilung festgehalten, dass
"Eine Auseinandersetzung mit der Einwendung [...] von spontanen Aufwachreaktionen infolge von durch Baulärm
ausgelösten Schallpegelspitzen"
notwendig sei und
"bei der
Beurteilung der Zumutbarkeit einer Lärmbelästigung auf jenen der
Lärmquelle am nächsten liegenden Teil des Nachbargrundstückes
abzustellen [ist], der bei Bedachtnahme auf die im Zeitpunkt der Entscheidung
der Behörde geltenden Vorschriften dem regelmäßigen Aufenthalt des
Nachbars dienen kann (vgl nochmals VwGH vom 29. Mai 2009, 2006/03/0156,
mwH)."
Damit hat der VwGH - zumindest in Bezug auf Baulärm - die Notwendigkeit von "
Freiraumschutz", also nicht nur Schutz des Schläfers in seinem Schlafzimmer, sondern auch des Aufenthaltes im Freien, angesprochen. Wie der Freiraumschutz in Bezug auf Bahnlärm zu handhaben ist, ist noch nicht judiziert worden. Diese Frage wird derzeit aufgrund der - von den Höchstgerichten noch nicht überprüften - Entscheidung des Umweltsenates im Fall des Straßenprojektes "Umfahrung Wieselburg" vom
30.10.2013, US 4A/2010/14-182, diskutiert. Dort hat der mittlerweile in das BVwG übergeführte Umweltsenat entschieden, dass bei der Beurteilung einer Lärmbelästigung
"auch bei Landesstraßen
grundsätzlich auf jenen der Lärmquelle am nächsten liegenden Teil des
Nachbargrundstückes abzustellen [ist], der bei Bedachtnahme auf die im Zeitpunkt der
Behörde insbesondere auf dem Gebiete des Baurechts geltenden Vorschriften dem
regelmäßigen Aufenthalt des Nachbarn, sei es in einem Gebäude, sei es außerhalb
eines Gebäudes, dienen kann (vgl. VwGH Zl. 2006/03/0156). Der Schutz der
Anrainer bezieht sich sohin nicht nur auf Bereiche in Gebäuden und es besteht
auch keine Verpflichtung der Anrainer, dauerhaft ihre Fenster geschlossen zu
halten, um sich nicht einer Gefährdung ihrer Gesundheit auszusetzen. Die
Vorschreibung von Lärmschutzfenstern als Auflage ist daher nicht geeignet, eine
Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens zu erwirken.
Die Grundstücke der von Lärm einer
Landesstraße beeinträchtigten Anrainer können nicht enteignet werden, um so eine
Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens herbeizuführen."
Für weitere Spannung im Bereich des Lärmschutzes ist somit gesorgt. Bundesverwaltungsgericht und VwGH, vielleicht aber auch wieder der VfGH, werden sich mit Lärm und Schallschutz bei Infrastrukturvorhaben sicher noch häufiger auseinander zu setzen haben. Zumindest bei jenen Bahnprojekten, die vor dem 1. Jänner 2013 eingereicht wurden, soll die neue Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes als dem VwGH vorgeschaltetes Verwaltungsgericht nicht zu "e
iner Verzögerung wichtiger Bahnprojekte" führen. Aufgrund eines Initiativantrages wurde vom Nationalrat beschlossen, dass bei den bis Ende 2012 eingereichten Vorhaben Beschwerden an das BVwG keine aufschiebende Wirkung haben (siehe im Einzelnen -> hier).
Ein Workshop wird sich mit diesem Thema bei den 19. Österreichischen Umweltrechtstagen am 10./11. September 2014 in Linz beschäftigen. RA Dr. Wolfgang Berger und RA Dr. Christian Schmelz sowie ein Schalltechniker und ein medizinischer Gutachter (Univ.-Prof. Dr. Marth) werden den Workshop bestreiten.
Literaturhinweis: Altenburger/Berger/Meister, Schienenbonus und besondere Immissionsschutzvorschriften vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung, RdU-UT 2014/12