Am 13. November hat die Generalanwältin Juliane Kokott ihre Schlussanträge in dem vom österreichischen VwGH eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahren C-570/13 (EU 2013/0006) zur Frage der Bindungswirkung von Einzelfallprüfungs- und Feststellungsbescheiden nach § 3 Abs 7 UVP-G erstattet. Sollte der EuGH den Schlussanträgen folgen, so erscheint eine Sanierung der Unionsrechtswidrigkeit der bisher fehlenden Überprüfungsmöglichkeit von Feststellungsbescheiden durch Nachbarn sowohl in den Verwaltungsverfahren als auch bei den Verwaltungsgerichten oder dem VwGH möglich.
Die Generalanwältin Juliane Kokott (Bild) führt in ihren Schlussanträgen aus, dass betroffene Einzelpersonen in der Lage sein müssen, gegebenenfalls eine gerichtliche Nachprüfung der Entscheidung, dass ein Projekt keiner UVP bedürfe, zu erreichen. Es würde Art 47 der Grundrechtecharta und Art 2 Abs 1 und Art 4 Abs 2 und 3 der UVP-RL widersprechen, wenn Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit die Bindungswirkung einer negativen Vorprüfungsentscheidung entgegengehalten werden könnte, wenn sie diese Entscheidung zuvor nicht anfechten konnten.
Die genannten Bestimmungen der UVP-RL sind laut der Generalanwältin insofern auch unmittelbar anwendbar, als den Betroffenen im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung einer Projektgenehmigung die Bindungswirkung des UVP-Feststellungsbescheids nicht entgegengehalten werden könne, wenn ihnen keine andere Möglichkeit offenstand, sich gegen diese Vorprüfungsentscheidung zu wenden.
Dieses Ergebnis in den Schlussanträgen überrascht nicht - eher schon der Umstand, dass die Generalanwältin nicht Art 11 der Richtlinie, der eigentlich die Überprüfung von UVP-Entscheidungen regelt, zur Begründung heranzieht. Sie bemüht stattdessen Art 47 der GRC, weil Art 11 erst anwendbar sei, wenn tatsächlich eine UVP durchgeführt wird (Rn 46). Dieser Auffassung ist zuzustimmen, weil sich - wie ich schon in meinem Aufsatz "UVP-Feststellungsverfahren und Rechtsmittelbefugnis: Revolution durch 'Mellor'? RdU-U&T 2009/25, 67" ausgeführt habe - aus dem Wortlaut von Art 11 ergibt, dass dieser erst greift, wenn ein UVP-Verfahren im Sinne der UVP-RL durchgeführt wird.
Die Ausführungen der Generalanwältin führen zu keinem vollständigen Umsturz im bisher gelebten österreichischen UVP-System, weil sie mit ihrer Argumentation in den Schlussanträgen möglicherweise sogar den Weg zu einer "de facto-UVP" eröffnet (vgl Rn 59), jedenfalls aber die Möglichkeit schafft - falls der EuGH sich der Argumentation der Generalanwältin anschließt - das bisherige Fehlen des Nachprüfungsrechtes auf Seiten der Nachbarn in den nach einer UVP-Negativfeststellung durchgeführten Materienverfahren zu sanieren.
Die Generalanwältin führt nämlich aus, dass bei der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, der betroffenen Öffentlichkeit (Nachbarn) Rechtsschutz gegen eine Negativfeststellung zu gewähren, die verfahrensrechtliche Autonomie der Mitgliedstaaten durchschlage. Unzulässig wäre es, dem Nachbarn jede Möglichkeit zu verwehren, sich vor Gericht gegen eine "Vorprüfungsentscheidung" (einen UVP-Feststellungsbescheid) zu wenden; wie man ihm die Nachprüfungsmöglichkeit schaffe, liege aber im Gestaltungsermessen des innerstaatlichen Gesetzgebers, der dabei das Effektivitäts- und das Äquivalenzprinzip zu beachten habe (vgl Rn 62-67). Es sei durchaus auch zulässig, "den Rechtsschutz auf die Möglichkeit einer inzidenten Rüge im Zusammenhang mit der Klage gegen eine Genehmigung zu beschränken".
Das stimmt mit der Auffassung überein, die ich in dem (von der Generalanwältin in ihren Schlussanträgen auch zitierten) Aufsatz zur Mellor-Entscheidung des EuGH vertreten habe (Berger, UVP-Feststellungsverfahren und Rechtsmittelbefugnis: Revolution durch "Mellor'" RdU-U&T 2009/25, 70 ff).
Daraus folgt: der Nachbar kann im materienrechtlichen Genehmigungsverfahren einwenden, dass zu Unrecht keine UVP durchgeführt worden sei. Die Genehmigungsbehörde darf ihm nicht bloß den rechtskräftigen UVP-Feststellungsbescheid entgegenhalten und auf dessen Bindungswirkung (im Sinne der bisherigen Judikatur des VwGH) verweisen. Sie muss sich mit den gegen diesen Bescheid vorgebrachten Gründen auseinander setzen und - unter gerichtlicher Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte und den VwGH - quasi als Vorfrage für ihre Zuständigkeit entscheiden, ob sie dem Ergebnis des UVP-Feststellungs- oder Einzelfallprüfungsverfahrens folgt. Dabei kann sie durchaus die Gutachten und sonstigen Verfahrensunterlagen des Feststellungsverfahrens heranziehen, hätte dem Nachbarn aber Gelegenheit zur Stellungnahme dazu zu geben (vgl zur Zulässigkeit der Heranziehung und Verwertung von in einem anderen Verfahren aufgenommener Beweisen: VwGH 27.8.2014, Ro 2014/05/0057 mwN).
Für jene Verfahren, in denen der Nachbar die UVP-Pflicht des Projektes trotz Vorliegen eines negativen Feststellungsbescheides eingewendet hat, würde dies daher (auf Grundlage der Schlussanträge) bedeuten, dass die Genehmigungsbehörde den Nachbarn auffordert, sich zum Feststellungsbescheid und den diesem zugrunde liegenden Beweisen zu äußern, und dann darüber entscheidet, ob sie dem Ergebnis des UVP-Feststellungsverfahrens folgt.
Ist das verwaltungsbehördliche Genehmigungsverfahren schon abgeschlossen und gegen die Genehmigung eine Beschwerde bzw Revision bereits beim Verwaltungsgericht oder VwGH anhängig, könnte diese Äußerungsmöglichkeit und die Überprüfung der UVP-Feststellung auch noch dort nachgeholt werden. Da Art 47 GRC ohnehin einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem Gericht verlangt, spricht nichts dagegen, dass die Überprüfung (erst) durch das Gericht - und nicht schon zuvor bei der Verwaltungsbehörde - erfolgt. Gegen deren Entscheidung müsste ja ohnehin wieder ein gerichtlicher Rechtsbehelf zur Verfügung stehen!
Es bleibt natürlich abzuwarten, ob der EuGH ebenso entscheiden wird, wie die Generalanwältin in ihren Schlussanträgen argumentiert. Da die Schlussanträge wohlbegründet sind - und auch eine praktikable Lösung für die österreichischen Verfahren ermöglichen - wäre dagegen aus meiner Sicht nichts einzuwenden. Wie der Gesetzgeber pro futuro reagieren wird, wird freilich noch diskutiert werden müssen.
Donnerstag, 13. November 2014
Mittwoch, 14. Mai 2014
Aktuelle Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen Verwaltungsgerichtshofs zur UVP
VwGH 16. Oktober 2013 (EU 2013/0006; 2012/04/0040)
EuGH C-570/13
Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH betreffend Beschwerderecht und Bindungswirkung von Feststellungsbescheiden nach § 3 Abs 7 UVP-G
Eine Nachbarin bekämpft die erteilte Generalgenehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines Fachmarktzentrums mit einer Gesamtnutzfläche von rund 11.500 m². Ihrer Ansicht nach wäre für dieses Projekt nicht ein Verfahren nach der Gewerbeordnung, sondern eine UVP erforderlich gewesen.
1. Steht das Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 26 vom 28.1.2012, S. 1‑12 (Richtlinie 2011/92), insbesondere deren Art. 11 einer nationalen Rechtslage entgegen, nach der ein Bescheid, mit dem festgestellt wird, dass bei einem bestimmten Projekt keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, Bindungswirkung auch für Nachbarn, denen im vorangegangenen Feststellungsverfahren keine Parteistellung zukam, entfaltet, und diesen in nachfolgenden Genehmigungsverfahren entgegengehalten werden kann, auch wenn diese die Möglichkeit haben ihre Einwendungen gegen das Vorhaben in diesen Genehmigungsverfahren zu erheben (das heißt im Ausgangsverfahren dahingehend, dass durch die Auswirkungen des Vorhabens ihr Leben, ihre Gesundheit oder ihr Eigentum gefährdet werden oder sie durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise unzumutbar belästigt werden)?
1. Handelt es sich bei einer zeitlich und mengenmäßig begrenzten Testförderung von Erdgas, die im Rahmen einer Aufschlussbohrung zur Erforschung der Wirtschaftlichkeit einer dauerhaften Gewinnung von Erdgas durchgeführt wird, um eine „Gewinnung von … Erdgas zu gewerblichen Zwecken“ nach Anhang I Nr 14 der RL 85/337/EWG des Rates vom 27. 6. 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten idF der RL 2009/31/EG (RL 85/337/EWG)?
Für den Fall, dass die erste Vorlagefrage bejaht wird, werden folgende weitere Fragen gestellt:
2. Steht Anhang I Nr 14 der RL 85/337/EWG einer Regelung des nationalen Rechts entgegen, welche bei der Gewinnung von Erdgas die in Anhang I Nr 14 der RL 85/337/EWG genannten Schwellenwerte nicht an die Gewinnung an sich, sondern an die „Förderung pro Sonde“ knüpft?
3. Ist die RL 85/337/EWG dahin auszulegen, dass die Behörde in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der die Genehmigung einer Testförderung von Erdgas im Rahmen einer Aufschlussbohrung beantragt wird, zur Feststellung, ob eine Verpflichtung zur Umweltverträglichkeitsprüfung besteht, nur alle gleichartigen Projekte, konkret alle im Gemeindegebiet aufgeschlossenen Bohrungen, auf ihre kumulative Wirkung zu prüfen hat?
Im Ausgangsverfahren ist noch die RL 85/337/EWG idF der RL 2009/31/EG anzuwenden. Die nunmehr geltende RL 2011/92/EU ist im Beschwerdefall nicht maßgeblich, weil diese nach Erlassung des angefochtenen Bescheides in Kraft getreten ist. Der VwGH weist aber darauf hin, dass die entscheidenden Bestimmungen durch die neue UVP-RL nicht geändert worden seien.
Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH betreffend Beschwerderecht und Bindungswirkung von Feststellungsbescheiden nach § 3 Abs 7 UVP-G
Eine Nachbarin bekämpft die erteilte Generalgenehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines Fachmarktzentrums mit einer Gesamtnutzfläche von rund 11.500 m². Ihrer Ansicht nach wäre für dieses Projekt nicht ein Verfahren nach der Gewerbeordnung, sondern eine UVP erforderlich gewesen.
Die Behörde verwies in
dem vor dem VwGH bekämpften Genehmigungsbescheid auf den rechtskräftigen UVP‑Feststellungsbescheid der Kärntner Landesregierung. Dort wurde verbindlich
festgestellt, dass bezüglich des Vorhabens “Errichtung von zwei
Fachmarktzentren Merkur und IC” keine
UVP nach dem UVP-G 2000 durchzuführen sei.
Nach § 3 Abs. 7 dieses
Gesetzes haben in diesem Feststellungsverfahren die Nachbarn keine
Parteistellung. In den dem UVP‑Feststellungsbescheid nachfolgenden
Genehmigungsverfahren (wie hier nach der Gewerbeordnung) besteht nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des
Verwaltungsgerichtshofes Bindungswirkung hinsichtlich eines die UVP‑Pflicht verneinenden, rechtskräftigen Feststellungsbescheides dahingehend,
dass keine UVP durchzuführen ist. Dies hat der VwGH auch aus der Sicht des Unionsrechtes nicht für bedenklich
erachtet, weil die Nachbarn ihre Nachbarrechte in den einzelnen nachfolgenden
(Materien‑)Verfahren geltend machen können; sie können vorbringen, dass durch die
Auswirkungen des Vorhabens ihr Leben,
ihre Gesundheit oder ihr Eigentum gefährdet werde oder sie durch Geruch, Lärm,
Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise unzumutbar belästigt würden.
Nunmehr hat der
Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in seinem Urteil vom 30. April 2009
(“Mellor”), festgehalten, “dass Dritte, sich vergewissern können müssen, dass
die zuständige Behörde nach den im nationalen Recht vorgesehenen Bestimmungen
geprüft hat, ob eine UVP erforderlich ist. Betroffene Einzelpersonen müssen in
der Lage sein, die Einhaltung dieser Prüfungspflicht, gegebenenfalls
gerichtlich nachprüfen zu lassen. Diese Auffasung hat der EuGH im Urteil vom
16. Februar 2012 (“Solvay”) bestätigt. In einem weiteren Urteil vom 11. April
2013 “Edwards und Pallikaropoulos” verwies der EuGH auf das in Art. 10a Abs. 3
der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten
öffentlichen und privaten Projekten (jetzt Art. 11 der Richtlinie 2011/92) vom
Unionsgesetzgeber verfolgte Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit “einen weiten
Zugang zu den Gerichten” zu gewähren.
Der Standpunkt der
einschlägigen österreichischen Rechtsliteratur dazu ist kontroversiell:
Einerseits wird die Auffassung vertreten, eine Bindungswirkung von UVP‑Feststellungsbescheiden entspreche nicht (mehr) den Anforderungen der Richtlinie 85/337/EWG, da jene Parteien, die
im Feststellungsverfahren keine Parteistellung haben, nicht in der Lage seien,
eine rechtswidrige Unterlassung einer UVP zu bekämpfen. Für die Vereinbarkeit
der Bindungswirkung wurde andererseits vorgebracht, dass die betroffenen
Nachbarn bei einem negativen UVP‑Feststellungsbescheid die Möglichkeit haben, im
Rahmen der ihnen in den nachfolgenden Genehmigungsverfahren eingeräumten
Parteirechte Einwendungen zu erheben und insoweit eine “de facto‑UVP” zu erreichen.
Um die richtige Anwendung
des Unionsrechts zu gewährleisten, richtet der VwGH an den EuGH die Frage, ob
das Unionsrecht einer nationalen Rechtslage entgegen steht, nach der ein
Bescheid, mit dem festgestellt wird, dass bei einem bestimmten Projekt keine
UVP durchzuführen ist, Bindungswirkung auch für Nachbarn, denen im
vorangegangenen Feststellungsverfahren keine Parteistellung zukam, entfaltet,
auch wenn die Nachbarn die Möglichkeit haben, ihre Einwendungen gegen das
Vorhaben in diesen Genehmigungsverfahren zu erheben.
Sollte der EuGH bejahen,
dass diese Bindungswirkung nicht in Einklang zum Unionsrecht steht, wird
ergänzend nach den Auswirkungen auf das gegenständlich Verfahren gefragt.
Allenfalls wäre nämlich die Gewerbebehörde verpflichtet, zur Beurteilung ihrer
eigenen Zuständigkeit auf die Einwendungen der Nachbarin gegen den UVP‑Feststellungsbescheid einzugehen und aus eigenem zu beurteilen, ob das
vorliegende Projekt einer UVP zu unterziehen wäre (Text: Pressemitteilung des
VwGH).
Die Vorlagefragen:1. Steht das Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 26 vom 28.1.2012, S. 1‑12 (Richtlinie 2011/92), insbesondere deren Art. 11 einer nationalen Rechtslage entgegen, nach der ein Bescheid, mit dem festgestellt wird, dass bei einem bestimmten Projekt keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, Bindungswirkung auch für Nachbarn, denen im vorangegangenen Feststellungsverfahren keine Parteistellung zukam, entfaltet, und diesen in nachfolgenden Genehmigungsverfahren entgegengehalten werden kann, auch wenn diese die Möglichkeit haben ihre Einwendungen gegen das Vorhaben in diesen Genehmigungsverfahren zu erheben (das heißt im Ausgangsverfahren dahingehend, dass durch die Auswirkungen des Vorhabens ihr Leben, ihre Gesundheit oder ihr Eigentum gefährdet werden oder sie durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise unzumutbar belästigt werden)?
Bei Bejahung der Frage 1:
2. Verlangt es das
Unionsrecht, insbesondere die Richtlinie 2011/92 im Wege ihrer unmittelbaren
Anwendung, die in der Frage 1 dargestellte Bindungswirkung zu verneinen?
VwGH 11. 9.
2013, 2011/04/0178 (EU 2013/0003)
Vorabentscheidungsersuchen zur UVP-Pflicht der
Testförderung von Erdgas
Der VwGH stellte in einem Verfahren betreffend
die Genehmigung einer Testförderung von Erdgas (§ 119 MinroG) im Rahmen einer
Aufschlussbohrung ein Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung der UVP-RL
85/337/EWG an den EuGH:
1. Handelt es sich bei einer zeitlich und mengenmäßig begrenzten Testförderung von Erdgas, die im Rahmen einer Aufschlussbohrung zur Erforschung der Wirtschaftlichkeit einer dauerhaften Gewinnung von Erdgas durchgeführt wird, um eine „Gewinnung von … Erdgas zu gewerblichen Zwecken“ nach Anhang I Nr 14 der RL 85/337/EWG des Rates vom 27. 6. 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten idF der RL 2009/31/EG (RL 85/337/EWG)?
Für den Fall, dass die erste Vorlagefrage bejaht wird, werden folgende weitere Fragen gestellt:
2. Steht Anhang I Nr 14 der RL 85/337/EWG einer Regelung des nationalen Rechts entgegen, welche bei der Gewinnung von Erdgas die in Anhang I Nr 14 der RL 85/337/EWG genannten Schwellenwerte nicht an die Gewinnung an sich, sondern an die „Förderung pro Sonde“ knüpft?
3. Ist die RL 85/337/EWG dahin auszulegen, dass die Behörde in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der die Genehmigung einer Testförderung von Erdgas im Rahmen einer Aufschlussbohrung beantragt wird, zur Feststellung, ob eine Verpflichtung zur Umweltverträglichkeitsprüfung besteht, nur alle gleichartigen Projekte, konkret alle im Gemeindegebiet aufgeschlossenen Bohrungen, auf ihre kumulative Wirkung zu prüfen hat?
Im Ausgangsverfahren ist noch die RL 85/337/EWG idF der RL 2009/31/EG anzuwenden. Die nunmehr geltende RL 2011/92/EU ist im Beschwerdefall nicht maßgeblich, weil diese nach Erlassung des angefochtenen Bescheides in Kraft getreten ist. Der VwGH weist aber darauf hin, dass die entscheidenden Bestimmungen durch die neue UVP-RL nicht geändert worden seien.
Neuere EuGH-Rechtsprechung zur UVP
Mit Spannung wird das Ergebnis des Vorabentscheidungsverfahrens zur Bindungswirkung von und zum Beschwerderecht gegen UVP-Feststellungsentscheidungen erwartet. Über dieses aktuelle Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes wird an anderer Stelle berichtet. Aus den in den vergangenen Jahren ergangenen EuGH - Entscheidungen sind in diesem Zusammenhang vor allem folgende Aussagen wesentlich:
An weiterer EuGH - Rechtsprechung zur UVP in jüngerer Zeit ist zu nennen:
Im Vorabentscheidungsersuchen betreffend die ÖB-RL (RL 2003/35/EG, ABl L 156, S. 17) sowie des Art 10a der UVP-RL (RL 85/337/EWG, ABl. L 175, S. 40) nunmehr Art 11 UVP-RL (idF RL 2011/92/EU) sowie Art 9 der Aarhus-Konvention hatte sich der Gerichthof mit der zeitlichen Geltung der RL, den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage, mit der Art des Verfahrensfehlers, der geltend gemacht werden kann und den Umfang der Nachprüfung auseinanderzusetzen und kam zu folgendem Schluss:
„1. Die in der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, mit der Art. 10a in die Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten eingefügt wurde, vorgesehene Umsetzungsfrist bis zum 25. Juni 2005 ist dahin auszulegen, dass die zur Umsetzung des genannten Artikels ergangenen Vorschriften des nationalen Rechts auch für behördliche Genehmigungsverfahren gelten müssen, die vor dem 25. Juni 2005 eingeleitet worden waren, in denen aber erst nach diesem Zeitpunkt eine Genehmigung erteilt wurde.
SCHLUSSANTRÄGE des Generalanwalts vom 27.02. 2014 betreffend NATURA 2000 / Beurteilung von Ausgleichsmaßnahmen
Rechtssache C‑521/12 T. C. Briels u. a. gegen Minister van Infrastructuur en Milieu
1. Wird ein vorhandenes Areal eines geschützten natürlichen Lebensraumtyps in einem Natura-2000-Gebiet durch ein Projekt beeinträchtigt, das die Schaffung einer neuen (gleich großen oder größeren) Fläche dieses Lebensraumtyps an einer anderen Stelle in dem Gebiet vorsieht, ist davon auszugehen, dass das Gebiet als solches im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen beeinträchtigt ist. Folglich darf das Projekt nicht nach Maßgabe dieser Bestimmung genehmigt werden.
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 30.
April 2009 (“Mellor”), festgehalten, “dass Dritte, sich vergewissern können
müssen, dass die zuständige Behörde nach den im nationalen Recht vorgesehenen
Bestimmungen geprüft hat, ob eine UVP erforderlich ist. Betroffene
Einzelpersonen müssen in der Lage sein, die Einhaltung dieser Prüfungspflicht,
gegebenenfalls gerichtlich nachprüfen zu lassen. Diese Auffassung hat der EuGH
im Urteil vom 16. Februar 2012 (“Solvay”)
bestätigt. In einem weiteren Urteil vom 11.
April 2013 “Edwards und Pallikaropoulos” verwies der EuGH auf das in Art.
10a Abs. 3 der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei
bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (jetzt Art. 11 der Richtlinie
2011/92) vom Unionsgesetzgeber verfolgte Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit
“einen weiten Zugang zu den Gerichten” zu gewähren.
EuGH 11.04.2013, Rs C-260/11, Edwards und Pallikaropoulos
Begriff
der ‚nicht übermäßig teuren‘ gerichtlichen Verfahren nach UVP-RL
Anlässlich eines vom englischen Supreme Court
eingereichten Vorabentscheidungsersuchen gem Art. 267 AEUV hatte sich der
Gerichtshof mit der Frage der Auslegung des Begriffs der „nicht übermäßig
teuren“ gerichtlichen Verfahren auseinanderzusetzen und kam zu folgenden
Ergebnissen:
1. „Das
in Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni
1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und
privaten Projekten und in Art. 15a Abs. 5 der Richtlinie 96/61/EG des
Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung
der Umweltverschmutzung in der jeweils durch die Richtlinie 2003/35/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 geänderten Fassung
vorgesehene Erfordernis, wonach das gerichtliche Verfahren nicht übermäßig
teuer sein darf, verlangt, dass die in diesen Bestimmungen genannten
Personen nicht aufgrund der daraus möglicherweise resultierenden
finanziellen Belastung daran gehindert werden, einen gerichtlichen
Rechtsbehelf, der in den Anwendungsbereich dieser Artikel fällt, einzulegen
oder weiterzuverfolgen. Hat ein nationales Gericht über die Verurteilung eines
Einzelnen zur Tragung der Kosten zu befinden, der als Kläger in einem
Rechtsstreit in einer Umweltangelegenheit unterlegen ist, oder hat es, wie dies
bei den Gerichten des Vereinigten Königreichs der Fall sein kann, allgemein in
einem früheren Abschnitt des Verfahrens zu einer möglichen Begrenzung der
Kosten, zu denen die unterlegene Partei verurteilt werden kann, Stellung zu
nehmen, so muss es dafür Sorge tragen, dass dieses Erfordernis eingehalten
wird, wobei es sowohl das Interesse der Person, die ihre Rechte verteidigen
möchte, berücksichtigen muss als auch das mit dem Umweltschutz verbundene
Allgemeininteresse.
2.) Im
Rahmen dieser Beurteilung darf sich der nationale Richter nicht allein auf die
wirtschaftliche Lage des Betroffenen stützen, sondern muss auch eine objektive
Analyse der Höhe der Kosten vornehmen. Darüber hinaus kann er die Lage der
betroffenen Parteien, die begründeten Erfolgsaussichten des Klägers, die
Bedeutung des Rechtsstreits für diesen sowie für den Umweltschutz, die
Komplexität des geltenden Rechts und des anwendbaren Verfahrens, den
möglicherweise mutwilligen Charakter des Rechtsbehelfs in seinen verschiedenen
Verfahrensabschnitten sowie das Vorhandensein eines nationalen Prozesskostenhilfesystems
oder einer Kostenschutzregelung berücksichtigen.
3.)
Dagegen reicht der Umstand, dass der Betroffene sich tatsächlich nicht von
seiner Klage hat abschrecken lassen, für sich allein nicht für die Annahme aus,
dass das Verfahren für ihn nicht übermäßig teuer ist.
4.) Schließlich darf diese Beurteilung nicht in
Abhängigkeit davon, ob sie im Anschluss an ein erstinstanzliches Verfahren, an
eine Rechtsmittelinstanz oder an eine weitere Rechtsmittelinstanz erfolgt, nach
unterschiedlichen Kriterien vorgenommen werden.“
EuGH 07.11.2013, C-72/12 (Gemeinde Altrip ua)
Wesentlichkeitsprüfung bei UVP-VerfahrensmängelnIm Vorabentscheidungsersuchen betreffend die ÖB-RL (RL 2003/35/EG, ABl L 156, S. 17) sowie des Art 10a der UVP-RL (RL 85/337/EWG, ABl. L 175, S. 40) nunmehr Art 11 UVP-RL (idF RL 2011/92/EU) sowie Art 9 der Aarhus-Konvention hatte sich der Gerichthof mit der zeitlichen Geltung der RL, den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage, mit der Art des Verfahrensfehlers, der geltend gemacht werden kann und den Umfang der Nachprüfung auseinanderzusetzen und kam zu folgendem Schluss:
„1. Die in der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, mit der Art. 10a in die Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten eingefügt wurde, vorgesehene Umsetzungsfrist bis zum 25. Juni 2005 ist dahin auszulegen, dass die zur Umsetzung des genannten Artikels ergangenen Vorschriften des nationalen Rechts auch für behördliche Genehmigungsverfahren gelten müssen, die vor dem 25. Juni 2005 eingeleitet worden waren, in denen aber erst nach diesem Zeitpunkt eine Genehmigung erteilt wurde.
2. Art. 10a der Richtlinie 85/337 in der
durch die Richtlinie 2003/35 geänderten Fassung (nunmehr Art 11 RL 2011/92/EU)
ist dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten daran hindert, die
Anwendbarkeit der zur Umsetzung dieses Artikels ergangenen Vorschriften auf den
Fall zu beschränken, dass die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung aufgrund des
Unterbleibens einer Umweltverträglichkeitsprüfung angefochten wird, und nicht
auf den Fall zu erstrecken, dass eine solche Prüfung zwar durchgeführt wurde,
aber fehlerhaft war.
3. Art. 10a Buchst. b der
Richtlinie 85/337 in der durch die Richtlinie 2003/35 geänderten Fassung ist
dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsprechung nicht entgegensteht,
nach der keine Rechtsverletzung im Sinne dieses Artikels vorliegt, wenn nach
den Umständen des konkreten Falls nachweislich die Möglichkeit besteht, dass
die angegriffene Entscheidung ohne den vom Rechtsbehelfsführer geltend
gemachten Verfahrensfehler nicht anders ausgefallen wäre. Dies ist jedoch nur
dann der Fall, wenn das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht oder die mit ihm
befasste Stelle dem Rechtsbehelfsführer insoweit in keiner Form die Beweislast
aufbürdet und gegebenenfalls anhand der vom Bauherrn oder von den zuständigen
Behörden vorgelegten Beweise und allgemeiner der gesamten dem Gericht oder der
Stelle vorliegenden Akte entscheidet. Dabei ist u. a. der Schweregrad des
geltend gemachten Fehlers zu berücksichtigen und insbesondere zu prüfen, ob
dieser Fehler der betroffenen Öffentlichkeit eine der Garantien genommen hat,
die geschaffen wurden, um ihr im Einklang mit den Zielen der Richtlinie 85/337
Zugang zu Informationen und die Beteiligung am Entscheidungsprozess zu
ermöglichen.“SCHLUSSANTRÄGE des Generalanwalts vom 27.02. 2014 betreffend NATURA 2000 / Beurteilung von Ausgleichsmaßnahmen
Rechtssache C‑521/12 T. C. Briels u. a. gegen Minister van Infrastructuur en Milieu
1. Wird ein vorhandenes Areal eines geschützten natürlichen Lebensraumtyps in einem Natura-2000-Gebiet durch ein Projekt beeinträchtigt, das die Schaffung einer neuen (gleich großen oder größeren) Fläche dieses Lebensraumtyps an einer anderen Stelle in dem Gebiet vorsieht, ist davon auszugehen, dass das Gebiet als solches im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen beeinträchtigt ist. Folglich darf das Projekt nicht nach Maßgabe dieser Bestimmung genehmigt werden.
2. Unter diesen
Umständen kann die Schaffung der neuen Fläche als Ausgleichsmaßnahme im Sinne
von Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie angesehen werden, sofern sie in
spezifischem Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Projekt steht und sonst
nicht im Rahmen der üblichen nach Art. 6 Abs. 1 oder 2
vorgeschriebenen Bewirtschaftung des Gebiets durchgeführt worden wäre. In diesem
Fall darf das Projekt durchgeführt werden, sofern alle Voraussetzungen und
Erfordernisse des Art. 6 Abs. 4 erfüllt sind.
EuGH 27. 03. 2014, C-300/13
(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Superior de Justicia de la Comunidad
Valenciana - Spanien) – Ayuntamiento de Benferri / Consejería de Infraestructuras
y Transporte, Iberdrola Distribución Eléctrica SAU
Erweiterung einer Umspannanlage ist
nicht UVP-pflichtig
Diee Bestimmungen von Anhang I Nr. 20 und Anhang II Nr. 3 Buchst. b der
Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung
bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der durch die Richtlinie
97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 geänderten Fassung sind dahin auszulegen,
dass ein Vorhaben wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, das nur die Erweiterung einer Umspannanlage
betrifft, nicht als solches unter die von diesen Bestimmungen erfassten
Vorhaben fällt, sofern diese Erweiterung nicht in Zusammenhang mit der
Errichtung von Freileitungen zur Übertragung elektrischer Energie steht, was
das vorlegende Gericht zu prüfen hat.
EuGH
3. 4. 2014, C-301/12
betreffend
ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di
Stato (Italien) mit Entscheidung vom 29. Mai 2012, beim Gerichtshof eingegangen
am 20. Juni 2012, in dem Verfahren
Cascina
Tre Pini Ss (NATURA 2000) / Anflutung
eines Europaschutzgebietes
1. Art. 4 Abs. 1, Art. 9 und Art.
11 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der
natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen sind dahin
auszulegen, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten verpflichtet
sind, der Europäischen Kommission die Aufhebung der Klassifizierung eines in
die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommenen Gebiets
vorzuschlagen, wenn sie mit einem Antrag des Eigentümers eines in diesem Gebiet
gelegenen Grundstücks befasst worden sind, mit dem die ökologische Schädigung
des Gebiets geltend gemacht wird, sofern dieser Antrag damit begründet wird,
dass das genannte Gebiet trotz der Beachtung von Art. 6 Abs. 2 bis 4 der
Richtlinie endgültig nicht mehr zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie
der wildlebenden Tiere und Pflanzen oder zur Errichtung des Netzes Natura 2000
beitragen kann.
2. Art. 4 Abs. 1, Art. 9 und Art.
11 der Richtlinie 92/43/EWG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen
Regelung nicht entgegenstehen, die die Befugnis, die Anpassung der Liste der
Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung vorzuschlagen, allein den
Gebietskörperschaften überträgt und nicht – zumindest ersatzweise im Fall ihrer
Untätigkeit – dem Staat, soweit diese Zuständigkeitsverteilung die
ordnungsgemäße Anwendung der Vorschriften der Richtlinie gewährleistet.
Montag, 12. Mai 2014
Rechtliche Beurteilung von Schienenlärm
Die Angerschluchtbrücke in Bad Hofgastein im Tauerntal hat die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts (VwGH, VfGH) mehrfach beschäftigt. Die Bahn soll statt über die alte eingleisige Bahnbrücke über eine neue, breitere Brücke fahren - die bereits errichtete Brücke ist breit genug, um einen zweigleisigen Ausbau der Bahn-Hochleistungsstrecke "Tauernachse" in diesem Bereich durchführen zu können. Dagegen wehrt sich seit vielen Jahren eine Bürgerinitiative, die durch diese Ausbaumaßnahmen eine Zunahme der schon jetzt sehr hohen Lärmbelastung im Gasteiner Tal befürchtet. Auch die Salzburger Landes-Umweltanwaltschaft (LUA) steht dem Projekt kritisch gegenüber. Die Rechtsprechung zum "Fall Angerschluchtbrücke" hat sowohl für das UVP-Verfahren als auch für die rechtliche Beurteilung von Schienenlärm interessante Erkenntnisse gebracht. Die Diskussion um Lärmschutz bei Infrastrukturvorhaben hält an.
Zunächst bewilligte das Verkehrsministerium die Angerschluchtbrücke samt einem teilweise zweigleisigen Ausbau der bestehenden Strecke ohne Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Die dagegen von der Salzburger LUA eingebrachten Anträge auf Feststellung einer UVP-Pflicht waren schließlich beim VwGH in zwei Anläufen erfolgreich.
Zunächst stellte der VwGH im Erkenntnis v 12.9.2006, 2005/03/0131, eine UVP-Pflicht eines zweigleisigen Ausbaus einer bestehenden Eisenbahn-Fernverkehrsstrecke in richtlinienkonformer Auslegung des österreichischen UVP-Gesetzes fest. Er verwies auf ein Urteil des EuGH vom 16. September 2004, Rs C- 227/01 (Kommission/Spanien), wo ausgesprochen worden war, dass Anhang I Nummer 7 der UVP-RL so zu verstehen ist, dass er sich auch auf den zweigleisigen Ausbau einer bereits vorhandenen Eisenbahn-Fernverkehrsstrecke bezieht (RN 48-50); dabei komme es auch nicht darauf an, ob für den zweigleisigen Ausbau eine neue Trasse erforderlich ist.
Demnach legte der VwGH die im UVP-G enthaltene Formulierung der UVP-Pflicht ("Vorhaben, die nicht bloß in Ausbaumaßnahmen auf bestehenden Eisenbahnen bestehen", § 23b Abs 1 UVP-G) nicht schematisch unter Rückgriff auf eine Formulierung im § 3 Abs 1 HochleistungsstreckenG aus, wonach solche Ausbaumaßnahmen keiner eigenen Trassengenehmigung bedurften, sondern führte aus:
Der VwGH folgte der Argumentation der Behörde nicht. Im Erkenntnis vom 3.9.2008, 2007/03/0068, führte er aus, dass das Vorhaben außerhalb der Brücke sehr wohl teilweise einen zweigleisigen Ausbau vorsehe, und außerdem war für den VwGH
Dagegen erhoben Bürgerinitiative und LUA erneut Beschwerde an den VwGH, die dieser - für alle überraschend - inhaltlich nicht prüfte, sondern zurückwies.
Der Verwaltungsgerichtshof meinte in seinen Beschlüssen vom 30.9.2010, dass ihm punkto Sachverhaltsprüfung nicht jene Möglichkeiten zur umfassenden Sachverhaltskontrolle offenstünden, die nach EU-Recht in Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung geboten seien (Art 10a - nunmehr Art 11 - der UVP-Richtlinie): der 3. Senat des VwGH vertrat in den damals sensationellen Beschlüssen vom 30.9.2011, Zlen 2010/03/0051, 0055 („Angerschluchtbrücke”) und 2009/03/0067, 0072 („Brenner Basistunnel”) die Rechtsauffassung, dass der VwGH kein mit voller Kognitionsbefugnis ausgestattetes Gericht und nicht befugt sei, Entscheidungen in UVP-Genehmigungsverfahrens nach dem dritten Abschnitt des UVP-G umfassend nachzuprüfen. Daher entspreche die innerstaatliche Rechtslage, wonach bei Angelegenheiten nach dem dritten Abschnitt (Bundesstraßen und Eisenbahn-Hochleistungsstrecken) eine Verwaltungsbehörde (BMVIT) in erster und letzter Instanz entscheide und dann nur mehr der VwGH angerufen werden kann, während der – als Tribunal und damit gerichtsgleich eingerichtete – Umweltsenat als Berufungsbehörde in Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung nur für die Vorhaben nach dem zweiten Abschnitt des UVP-Gesetzes zuständig ist, nicht den Anforderungen des Art 10a (nunmehr Art 11) der UVP-RL.
In einem derartigen Fall erachtete sich der Verwaltungsgerichthof auf der Grundlage des Unionsrechts als verpflichtet, zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts die damit unvereinbare nationale Bestimmung, welche die Zuständigkeit des Umweltsenates in der dargelegten Weise einschränkt, unangewendet zu lassen. Der VwGH wendete daher die Bestimmungen, welche die Zuständigkeit des Umweltsenates auf Angelegenheiten des 1. und 2. Abschnitts des UVP-G einschränken, nicht an. Also müsse zuerst der Umweltsenat als Berufungsinstanz befasst werden, obwohl dieser laut UVP-G für Eisenbahnhochleistungsstrecken (und Autobahnen, Schnellstraßen) gar nicht zuständig ist, sondern nur für alle anderen UVP-pflichtigen Vorhaben.
Der Gerichtshof wies die Beschwerde "Angerschluchtbrücke" und die gleichgelagerte Beschwerde betreffend den "Brenner Basistunnel" daher mangels Ausschöpfung des Instanzenzuges zurück und merkte an, dass die Partei zuerst Berufung samt einem Wiedereinsetzungsantrag (gegen die Versäumung der Berufungsfrist) einbringen müsse.
Zunächst bewilligte das Verkehrsministerium die Angerschluchtbrücke samt einem teilweise zweigleisigen Ausbau der bestehenden Strecke ohne Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Die dagegen von der Salzburger LUA eingebrachten Anträge auf Feststellung einer UVP-Pflicht waren schließlich beim VwGH in zwei Anläufen erfolgreich.
Zunächst stellte der VwGH im Erkenntnis v 12.9.2006, 2005/03/0131, eine UVP-Pflicht eines zweigleisigen Ausbaus einer bestehenden Eisenbahn-Fernverkehrsstrecke in richtlinienkonformer Auslegung des österreichischen UVP-Gesetzes fest. Er verwies auf ein Urteil des EuGH vom 16. September 2004, Rs C- 227/01 (Kommission/Spanien), wo ausgesprochen worden war, dass Anhang I Nummer 7 der UVP-RL so zu verstehen ist, dass er sich auch auf den zweigleisigen Ausbau einer bereits vorhandenen Eisenbahn-Fernverkehrsstrecke bezieht (RN 48-50); dabei komme es auch nicht darauf an, ob für den zweigleisigen Ausbau eine neue Trasse erforderlich ist.
Demnach legte der VwGH die im UVP-G enthaltene Formulierung der UVP-Pflicht ("Vorhaben, die nicht bloß in Ausbaumaßnahmen auf bestehenden Eisenbahnen bestehen", § 23b Abs 1 UVP-G) nicht schematisch unter Rückgriff auf eine Formulierung im § 3 Abs 1 HochleistungsstreckenG aus, wonach solche Ausbaumaßnahmen keiner eigenen Trassengenehmigung bedurften, sondern führte aus:
"Es ist in richtlinienkonformer Auslegung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH der Ausnahmetatbestand der "Ausbaumaßnahmen" enger zu verstehen, sodass jedenfalls die Zulegung eines weiteren Gleises, auch wenn diese nach § 3 Abs 1 HlG als Ausbaumaßnahme nach diesem Gesetz anzusehen wäre und keiner Trassengenehmigung bedürfte, dennoch einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 23b Abs 1 Z 1 UVP-G 2000 unterliegt, sofern es sich um eine Fernverkehrsstrecke handelt.In dem aufgrund dieses Erkenntnisses des VwGH ergangenen Ersatzbescheid stellte das Verkehrsministerium (BMVIT) allerdings neuerlich fest, dass das - geänderte - Vorhaben "Angerschluchtbrücke" der ÖBB keiner UVP bedürfe. Begründung: das nunmehrige Projekt beinhalte zwar den Bau der Brücke wie bisher, sehe aber auf dieser keine Zulegung eines zweiten Streckengleises mehr vor.
Dieses im Lichte der Rechtsprechung des EuGH gebotene Auslegungsergebnis findet auch im Wortlaut des § 23b Abs 1 UVP-G 2000 Deckung, da diese Bestimmung weder eine Legaldefinition der "Ausbaumaßnahmen" enthält, noch ausdrücklich auf die Definition in § 3 Abs 1 HlG verweist.Da es sich somit beim zweigleisigen Ausbau einer Fernverkehrsstrecke, wie er dem verfahrensgegenständlichen Verfahren zu Grunde liegt, nicht um eine bloße Ausbaumaßnahme - im Sinne des nach der UVP-RL gebotenen Begriffsverständnisses einer Änderung oder Erweiterung eines bereits genehmigten, durchgeführten oder in der Durchführungsphase befindlichen Projektes, welche im Sinne des Anhangs II Z 13 UVP-RL nur nach Maßgabe des Art 4 Abs 2 UVP-RL einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen wäre - handelt, wäre das verfahrensgegenständliche Vorhaben daher gemäß § 23b Abs 1 Z 1 UVP-G 2000 idF BGBl I 89/2000 einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen gewesen."
Der VwGH folgte der Argumentation der Behörde nicht. Im Erkenntnis vom 3.9.2008, 2007/03/0068, führte er aus, dass das Vorhaben außerhalb der Brücke sehr wohl teilweise einen zweigleisigen Ausbau vorsehe, und außerdem war für den VwGH
"im Hinblick auf die auch nach dem geänderten Einreichplan ausdrücklich vorgesehene Dimensionierung insbesondere des Brückenbauwerks für die Zulegung eines zweiten Gleises [...] nicht zweifelhaft [...], dass das von der belangten Behörde zu beurteilende Vorhaben das - allenfalls auch erst stufenweise zu verwirklichende - gesamte Projekt des zweigleisigen Ausbaus des verfahrensgegenständlichen Streckenabschnitts umfasst. Daran ändert es auch nichts, wenn die Errichtung des zweiten Gleises auf der Brücke noch nicht Gegenstand des Antrags auf Erteilung der eisenbahnrechtlichen Baugenehmigung war, da die Einreichplanung auf die nach den Projektsunterlagen auch vorgesehene spätere Zulegung des zweiten Gleises abgestellt ist (vgl zur Beurteilung eines Gesamtkonzepts aufgrund aktenkundiger Projektsgrundlagen das hg Erkenntnis vom 7. September 2004, Zl 2003/05/0218; zur "Stückelung" zur Vermeidung eines Verfahrens nach dem UVP-G vgl das hg Erkenntnis vom 20. März 2002, Zl 2000/03/0004)."Nolens volens musste nun von den ÖBB um Erteilung einer Genehmigung nach dem UVP-G angesucht werden, die vom BMVIT schließlich auch für die - längst errichtete, aber noch nicht mit Gleisen belegte - Angerschluchtbrücke erteilt wurde.
Dagegen erhoben Bürgerinitiative und LUA erneut Beschwerde an den VwGH, die dieser - für alle überraschend - inhaltlich nicht prüfte, sondern zurückwies.
Der Verwaltungsgerichtshof meinte in seinen Beschlüssen vom 30.9.2010, dass ihm punkto Sachverhaltsprüfung nicht jene Möglichkeiten zur umfassenden Sachverhaltskontrolle offenstünden, die nach EU-Recht in Verfahren zur Umweltverträglichkeitsprüfung geboten seien (Art 10a - nunmehr Art 11 - der UVP-Richtlinie): der 3. Senat des VwGH vertrat in den damals sensationellen Beschlüssen vom 30.9.2011, Zlen 2010/03/0051, 0055 („Angerschluchtbrücke”) und 2009/03/0067, 0072 („Brenner Basistunnel”) die Rechtsauffassung, dass der VwGH kein mit voller Kognitionsbefugnis ausgestattetes Gericht und nicht befugt sei, Entscheidungen in UVP-Genehmigungsverfahrens nach dem dritten Abschnitt des UVP-G umfassend nachzuprüfen. Daher entspreche die innerstaatliche Rechtslage, wonach bei Angelegenheiten nach dem dritten Abschnitt (Bundesstraßen und Eisenbahn-Hochleistungsstrecken) eine Verwaltungsbehörde (BMVIT) in erster und letzter Instanz entscheide und dann nur mehr der VwGH angerufen werden kann, während der – als Tribunal und damit gerichtsgleich eingerichtete – Umweltsenat als Berufungsbehörde in Angelegenheiten der Umweltverträglichkeitsprüfung nur für die Vorhaben nach dem zweiten Abschnitt des UVP-Gesetzes zuständig ist, nicht den Anforderungen des Art 10a (nunmehr Art 11) der UVP-RL.
In einem derartigen Fall erachtete sich der Verwaltungsgerichthof auf der Grundlage des Unionsrechts als verpflichtet, zur Gewährleistung der vollen Wirksamkeit des Unionsrechts die damit unvereinbare nationale Bestimmung, welche die Zuständigkeit des Umweltsenates in der dargelegten Weise einschränkt, unangewendet zu lassen. Der VwGH wendete daher die Bestimmungen, welche die Zuständigkeit des Umweltsenates auf Angelegenheiten des 1. und 2. Abschnitts des UVP-G einschränken, nicht an. Also müsse zuerst der Umweltsenat als Berufungsinstanz befasst werden, obwohl dieser laut UVP-G für Eisenbahnhochleistungsstrecken (und Autobahnen, Schnellstraßen) gar nicht zuständig ist, sondern nur für alle anderen UVP-pflichtigen Vorhaben.
Der Gerichtshof wies die Beschwerde "Angerschluchtbrücke" und die gleichgelagerte Beschwerde betreffend den "Brenner Basistunnel" daher mangels Ausschöpfung des Instanzenzuges zurück und merkte an, dass die Partei zuerst Berufung samt einem Wiedereinsetzungsantrag (gegen die Versäumung der Berufungsfrist) einbringen müsse.
Die Wiedereinsetzung wurde vom BMVIT in Bindung an diesen Beschluss des VwGH bewilligt, von den ÖBB aber beim Verfassungsgerichtshof bekämpft.
Mit Erkenntnis vom 28.6.2011, B 254/11, entschied der Verfassungsgerichtshof – in Abkehr von der Rechtsauffassung des VwGH - dass die unionsrechtlichen Vorgaben der Grundrechte-Charta (Art 47 Abs 2 GRC) und der UVP-RL erfüllt seien; ein Instanzenzug an den Umweltsenat sei nicht geboten und es komme insoweit auch keine unmittelbare Anwendbarkeit des Art 10a (Art 11) UVP-RL in Betracht.
Der Verfassungsgerichtshof hob daher die vom BMVIT in Anwendung der Rechtsauffassung des VwGH bewilligte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (gegen die Versäumung der Berufungsfrist) mit dem Erkenntnis vom 28.6.2011 auf, und damit war auch das Schicksal der mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundenen Berufung an den Umweltsenat besiegelt:
Der Umweltsenat wies die bei ihm anhängige Berufung gegen den Genehmigungsbescheid des BMVIT mit Bescheid vom 20.7.2011, US 3A/2011/1A-5, „Brenner Basistunnel II”, als unzulässig zurück.
Da nun weder der Verwaltungsgerichtshof noch der Umweltsenat eine inhaltliche Entscheidung über die Beschwerde bzw. Berufung getroffen und sich beide für unzuständig erklärt hatten, lag ein negativer Kompetenzkonflikt nach Art 138 Abs 1 Z 1 B-VG vor. Das führte zur neuerlichen Anrufung des VfGH durch die BI und die LUA, und zur Feststellung durch den VfGH (5.3.2012, KI-5/11), dass der Verwaltungsgerichtshof zur Behandlung der Beschwerde gegen die UVP-Genehmigung zuständig ist.
Der nun erneut zuständig gewordene VwGH hatte der nun wieder von ihm zu erledigenden Beschwerde gegen die Genehmigung der Angerschluchtbrücke die aufschiebende Wirkung nach § 30 Abs 2 VwGG zuerkannt. Er begründete dies im Beschluss vom 25.6.2010, AW 2010/03/0022, mit den nicht auszuschließenden Gefahren für die menschliche Gesundheit durch Zunahme des Schienenlärms:
Die beschwerdeführenden Parteien hatten vorgebracht, dass bereits derzeit die Lärmbelastung im Projektgebiet über den relevanten Grenzwerten liege. Mit dem Vorhaben gehe eine zusätzliche Lärmbelastung einher. Gesundheitsauswirkungen könnten schon derzeit nicht ausgeschlossen werden und jede weitere Belastung sei daher potentiell gesundheitsschädigend. Zwingende öffentliche Interessen stünden der Aufschiebung nicht entgegen, zumal der Bahnverkehr weiter über die alte Brücke abgewickelt werde und die mitbeteiligte Partei bereits Vorsorge durch die neue Brücke getroffen habe. Die Behörde meinte, unverhältnismäßige Nachteile würden damit nicht konkretisiert. Die relevanten Lärmgrenzwerte würden eingehalten. Der VwGH führte aus, dass ohne Vorgriff auf die Ergebnisse des Beschwerdeverfahrens nicht ausgeschlossen sei,
Die Aufhebung des Bescheides begründete der VwGH in seinem Erkenntnis 2012/03/0043, 0044 mit einer rechtlich falschen Beurteilung des Schienenlärmes durch das BMVIT als UVP-Behörde:
Kurz zusammengefasst, geht es beim "Schienenbonus" um Folgendes:
Nach der SchIV, welche nach § 24f Abs 2 UVP-G als "besondere Immissionsschutzvorschrift" für den Lärmschutz bei Eisenbahnvorhaben auch im Bereich der UVP maßgeblich ist, gelten für Lärmschutzmaßnahmen spezielle Bestimmungen, die u.a. einen um 5 dB verminderten Beurteilungspegel und Kostenbeschränkungen für Lärmschutzmaßnahmen ("wirtschaftlich vertretbarer Aufwand"), verbunden mit einer Interessenabwägung, vorsehen.
Der VwGH sieht die SchIV aber im UVP-Verfahren nur als "Mindeststandard" an, unter den je nach Sachverständigengutachten im UVP-Verfahren auch heruntergegangen werden muss, insbesondere dann, wenn es zum Schutz der menschlichen Gesundheit notwendig ist. Der Hinweis des BMVIT im angefochtenen Bescheid, die Grenzwerte der SchIV würden eingehalten,
Nicht in diesem Erkenntnis, wohl aber in einem Beschluss vom 2.10.2013, B 327, 373/2012, hielt der VfGH ausdrücklich fest, dass es (durch die Anwendung des § 24f Abs 2 UVP-G und die SchIV) "zu einer Gesundheitsgefährdung in keinem Fall kommen" darf. Zwar hat der VfGH mit dem zuvor genannten Erkenntnis V 30, 31/2013 die SchIV nur in kleinen Teilen wegen der Verbindlicherklärung überholter Normen für gesetzwidrig erklärt und die für den Schienenlärm günstigere Schallprüfung durch den "Schienenbonus" im zitierten Beschluss vom selben Tag für sachlich gerechtfertigt erkannt. In der Begründung dieses Beschlusses führte er aber aus, dass
Die SchIV mit ihren speziellen Grenzwerten und dem Schienenbonus - der in Deutschland mittlerweile abgeschafft wurde - darf daher in Genehmigungsverfahren keinesfalls so angewandt werden, dass es zu einer gesundheitsgefährdenden Lärmimmission kommt. Jenseits dieser Grenze ist in der Frage welchen Bahnlärm Nachbarn hinnehmen müssen, von der Genehmigungsbehörde eine nachvollziehbare Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Ergebnisse der UVP und der Kostenangemessenheit von Lärmschutzmaßnahmen vorzunehmen. Dabei kann je nach den Ergebnissen des Lärmgutachtens auch eine Unterschreitung der Grenzwerte der SchIV und ein Außerachtlassen des Schienenbonus aus Gründen des Gesundheitsschutzes, zB aufgrund besonderer Tonhaltigkeit des Lärms und hoher Spitzenpegel, der prognostizierten Aufwachereignisse in der Nachtzeit, der Topographie des Gebietes oder einer besonders ruhigen Ausgangssituation oder des Vorliegens eines Kurgebietes, erforderlich sein.
Für Baulärm bei der Errichtung einer Eisenbahnstrecke ist der Schienenbonus übrigens jedenfalls irrelevant, wie der VwGH anlässlich der Aufhebung der Genehmigung des "Semmering Basistunnels" entschieden hat. In diesem Erkenntnis vom 19.12.2013, 2011/03/0160, hat der VwGH ausgeführt:
Ein Workshop wird sich mit diesem Thema bei den 19. Österreichischen Umweltrechtstagen am 10./11. September 2014 in Linz beschäftigen. RA Dr. Wolfgang Berger und RA Dr. Christian Schmelz sowie ein Schalltechniker und ein medizinischer Gutachter (Univ.-Prof. Dr. Marth) werden den Workshop bestreiten.
Literaturhinweis: Altenburger/Berger/Meister, Schienenbonus und besondere Immissionsschutzvorschriften vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung, RdU-UT 2014/12
Mit Erkenntnis vom 28.6.2011, B 254/11, entschied der Verfassungsgerichtshof – in Abkehr von der Rechtsauffassung des VwGH - dass die unionsrechtlichen Vorgaben der Grundrechte-Charta (Art 47 Abs 2 GRC) und der UVP-RL erfüllt seien; ein Instanzenzug an den Umweltsenat sei nicht geboten und es komme insoweit auch keine unmittelbare Anwendbarkeit des Art 10a (Art 11) UVP-RL in Betracht.
Der Verfassungsgerichtshof hob daher die vom BMVIT in Anwendung der Rechtsauffassung des VwGH bewilligte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (gegen die Versäumung der Berufungsfrist) mit dem Erkenntnis vom 28.6.2011 auf, und damit war auch das Schicksal der mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundenen Berufung an den Umweltsenat besiegelt:
Der Umweltsenat wies die bei ihm anhängige Berufung gegen den Genehmigungsbescheid des BMVIT mit Bescheid vom 20.7.2011, US 3A/2011/1A-5, „Brenner Basistunnel II”, als unzulässig zurück.
Da nun weder der Verwaltungsgerichtshof noch der Umweltsenat eine inhaltliche Entscheidung über die Beschwerde bzw. Berufung getroffen und sich beide für unzuständig erklärt hatten, lag ein negativer Kompetenzkonflikt nach Art 138 Abs 1 Z 1 B-VG vor. Das führte zur neuerlichen Anrufung des VfGH durch die BI und die LUA, und zur Feststellung durch den VfGH (5.3.2012, KI-5/11), dass der Verwaltungsgerichtshof zur Behandlung der Beschwerde gegen die UVP-Genehmigung zuständig ist.
Der nun erneut zuständig gewordene VwGH hatte der nun wieder von ihm zu erledigenden Beschwerde gegen die Genehmigung der Angerschluchtbrücke die aufschiebende Wirkung nach § 30 Abs 2 VwGG zuerkannt. Er begründete dies im Beschluss vom 25.6.2010, AW 2010/03/0022, mit den nicht auszuschließenden Gefahren für die menschliche Gesundheit durch Zunahme des Schienenlärms:
Die beschwerdeführenden Parteien hatten vorgebracht, dass bereits derzeit die Lärmbelastung im Projektgebiet über den relevanten Grenzwerten liege. Mit dem Vorhaben gehe eine zusätzliche Lärmbelastung einher. Gesundheitsauswirkungen könnten schon derzeit nicht ausgeschlossen werden und jede weitere Belastung sei daher potentiell gesundheitsschädigend. Zwingende öffentliche Interessen stünden der Aufschiebung nicht entgegen, zumal der Bahnverkehr weiter über die alte Brücke abgewickelt werde und die mitbeteiligte Partei bereits Vorsorge durch die neue Brücke getroffen habe. Die Behörde meinte, unverhältnismäßige Nachteile würden damit nicht konkretisiert. Die relevanten Lärmgrenzwerte würden eingehalten. Der VwGH führte aus, dass ohne Vorgriff auf die Ergebnisse des Beschwerdeverfahrens nicht ausgeschlossen sei,
"dass es mit der Verwirklichung des Vorhabens der mitbeteiligten Partei zu nicht mehr leicht zu beseitigenden gravierenden Eingriffen (gesundheitsgefährdenden Lärmbelastungen) kommt". Dem Aufschiebungsantrag war daher stattzugeben.Am 28.11.2013 hob der VwGH schließlich die erteilte UVP-Genehmigung für die Angerschluchtbrücke auf und schickte den Akt zum BMVIT zurück, von wo er so schnell nicht mehr den erneuten Weg zum VwGH finden wird. Abgesehen von den notwendigen Verfahrensergänzungen ist nämlich seit dem 1.1.2014 für Beschwerden gegen UVP-Genehmigungen auch bei Eisenbahn-Hochleistungsstrecken und Bundesstraßen zunächst das neu geschaffene Bundesverwaltungsgericht zuständig. Erst gegen dessen Entscheidung kann der VwGH mit Revision angerufen werden, wenn eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.
Die Aufhebung des Bescheides begründete der VwGH in seinem Erkenntnis 2012/03/0043, 0044 mit einer rechtlich falschen Beurteilung des Schienenlärmes durch das BMVIT als UVP-Behörde:
Aufgrund des "Einwands, es sei eine Unterschreitung der Mindeststandards der Schienenverkehrslärm-Immissionsschutzverordnung (SchIV) geboten", sei eine nähere Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des Schienenverkehrslärms geboten.Näher ausgeführt wird das im Erkenntnis des VwGH vom selben Tag, 2012/03/0045 "Pottendorfer Linie", das seinerseits wieder auf eine frühere Entscheidung des VwGH zum "Koralm-Tunnel" vom 22.10.2012, 2010/03/0014 ("Mittlern-Althofen") verweist.
Kurz zusammengefasst, geht es beim "Schienenbonus" um Folgendes:
Nach der SchIV, welche nach § 24f Abs 2 UVP-G als "besondere Immissionsschutzvorschrift" für den Lärmschutz bei Eisenbahnvorhaben auch im Bereich der UVP maßgeblich ist, gelten für Lärmschutzmaßnahmen spezielle Bestimmungen, die u.a. einen um 5 dB verminderten Beurteilungspegel und Kostenbeschränkungen für Lärmschutzmaßnahmen ("wirtschaftlich vertretbarer Aufwand"), verbunden mit einer Interessenabwägung, vorsehen.
Der VwGH sieht die SchIV aber im UVP-Verfahren nur als "Mindeststandard" an, unter den je nach Sachverständigengutachten im UVP-Verfahren auch heruntergegangen werden muss, insbesondere dann, wenn es zum Schutz der menschlichen Gesundheit notwendig ist. Der Hinweis des BMVIT im angefochtenen Bescheid, die Grenzwerte der SchIV würden eingehalten,
"macht daher eine Auseinandersetzung mit dem von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Thema des Einflusses von Schallpegelspitzen auf die menschliche Gesundheit und der Notwendigkeit ihrer Begrenzung nicht entbehrlich."
Die Genehmigungsvorschrift des § 24f Abs 1 UVP-G, zu dem allerdings § 24f Abs 2 hinsichtlich der Berücksichtigung der "besonderen Immissionsschutzvorschriften" eine Ausnahme statuiert, enthält zwar kein unbedingtes Immissionsminderungsgebot, doch dürfen die Vorschläge des Gutachters zum Gesundheitsschutz und in bestimmten Fällen - zB in sehr ruhigen Gebieten, wie etwa Kurgebieten - zum Schutz vor unzumutbaren Belästigungen nicht ignoriert werden. Das würde auch dem Art 8 UVP-RL ("Berücksichtigungsgebot" der Ergebnisse der UVP) widersprechen.
Neben dem Hinweis auf die Forderungen der Sachverständigen verweist der VwGH auch auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 2. 10. 2013, V 30/2013, V 31/2013, mit dem Teile des § 2 Abs 1 sowie § 2 Abs 2 der SchIV aufgehoben wurden.Nicht in diesem Erkenntnis, wohl aber in einem Beschluss vom 2.10.2013, B 327, 373/2012, hielt der VfGH ausdrücklich fest, dass es (durch die Anwendung des § 24f Abs 2 UVP-G und die SchIV) "zu einer Gesundheitsgefährdung in keinem Fall kommen" darf. Zwar hat der VfGH mit dem zuvor genannten Erkenntnis V 30, 31/2013 die SchIV nur in kleinen Teilen wegen der Verbindlicherklärung überholter Normen für gesetzwidrig erklärt und die für den Schienenlärm günstigere Schallprüfung durch den "Schienenbonus" im zitierten Beschluss vom selben Tag für sachlich gerechtfertigt erkannt. In der Begründung dieses Beschlusses führte er aber aus, dass
"die Sonderregelung für Eisenbahnvorhaben nach § 24f Abs 2 UVP-G sowie die Regelung des § 2 Abs 4 SchIV angesichts des Interesses der Öffentlichkeit an der Verwirklichung solcher Infrastrukturvorhaben und angesichts der unterschiedlichen Sachlage (zB größere Anzahl betroffener Personen, unterschiedliche Art der Lärmausbreitung und geringere Störwirkung von Schienenverkehrslärm) im rechtspolitischen Ermessen" liegt. Sie "wirft weder im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz noch im Hinblick auf andere verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte (insbesondere Art 8 EMRK) verfassungsrechtliche Bedenken auf, zumal die SchIV zahlreiche – vorrangig bahnseitige – Lärmschutzmaßnahmen vorsieht. Ein Gebot, Eisenbahnvorhaben einerseits und andere umweltverträglichkeitsprüfungspflichtige Vorhaben andererseits gleich zu behandeln, ist aus dem Gleichheitsgrundsatz nicht abzuleiten. Die Sonderregelung des § 24f Abs 2 UVP-G in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Fassung (BGBl I 87/2009) greift ausschließlich dort, wo es um die Zumutbarkeit möglicher Belästigungen der Nachbarn iSd § 24f Abs 1 Z 2 lit c UVP-G geht; zu einer Gesundheitsgefährdung darf es nach § 24f Abs 1 Z 2 li ta UVP-G in keinem Fall kommen".Dass mittlerweile mit der UVP-Novelle 2012 der § 24f Abs 2 UVP-G dahin geändert wurde, dass die SchIV nicht nur für die Zumutbarkeitsbeurteilung für maßgeblich erklärt wird, sondern die UVP-rechtliche Zulässigkeit von Lärm ganz allgemein nach den "besonderen Immissionsschutzvorschriften" zu beurteilen sein soll, macht den letzten Satz in der Aussage des VfGH besonders brisant. Führt die - schon aus grundrechtlichen Gesichtspunkten - unzulässige Genehmigung gesundheitsgefährdender Vorhaben doch dazu, dass die aktuelle Fassung des UVP-G für den Fall, dass die SchIV auch die Genehmigung gesundheitsschädlicher Bahnvorhaben erlaubt, verfassungswidrig ist.
Die SchIV mit ihren speziellen Grenzwerten und dem Schienenbonus - der in Deutschland mittlerweile abgeschafft wurde - darf daher in Genehmigungsverfahren keinesfalls so angewandt werden, dass es zu einer gesundheitsgefährdenden Lärmimmission kommt. Jenseits dieser Grenze ist in der Frage welchen Bahnlärm Nachbarn hinnehmen müssen, von der Genehmigungsbehörde eine nachvollziehbare Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Ergebnisse der UVP und der Kostenangemessenheit von Lärmschutzmaßnahmen vorzunehmen. Dabei kann je nach den Ergebnissen des Lärmgutachtens auch eine Unterschreitung der Grenzwerte der SchIV und ein Außerachtlassen des Schienenbonus aus Gründen des Gesundheitsschutzes, zB aufgrund besonderer Tonhaltigkeit des Lärms und hoher Spitzenpegel, der prognostizierten Aufwachereignisse in der Nachtzeit, der Topographie des Gebietes oder einer besonders ruhigen Ausgangssituation oder des Vorliegens eines Kurgebietes, erforderlich sein.
Für Baulärm bei der Errichtung einer Eisenbahnstrecke ist der Schienenbonus übrigens jedenfalls irrelevant, wie der VwGH anlässlich der Aufhebung der Genehmigung des "Semmering Basistunnels" entschieden hat. In diesem Erkenntnis vom 19.12.2013, 2011/03/0160, hat der VwGH ausgeführt:
"Die im konkreten Zusammenhang zu beurteilenden, aus Baulärm zur Errichtung des Vorhabens "Semmering-Basistunnel neu" resultierenden Lärmimmissionen unterliegen nicht dem Anwendungsbereich der Verordnung des Bundesministers für öffentliche Wirtschaft und Verkehr über Lärmschutzmaßnahmen bei Haupt-, Neben- und Straßenbahnen (SchIV), BGBl Nr 415/1993, da - wie sich aus § 1 Abs 1 SchIV 1993 ergibt - die Verordnung nur hinsichtlich der Schallimmissionen auf Grund des Schienenverkehrs (Zugverkehrs) gilt."Und weiter hat der Gerichtshof zur Lärmbeurteilung festgehalten, dass
"Eine Auseinandersetzung mit der Einwendung [...] von spontanen Aufwachreaktionen infolge von durch Baulärm ausgelösten Schallpegelspitzen"notwendig sei und
"bei der Beurteilung der Zumutbarkeit einer Lärmbelästigung auf jenen der Lärmquelle am nächsten liegenden Teil des Nachbargrundstückes abzustellen [ist], der bei Bedachtnahme auf die im Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde geltenden Vorschriften dem regelmäßigen Aufenthalt des Nachbars dienen kann (vgl nochmals VwGH vom 29. Mai 2009, 2006/03/0156, mwH)."Damit hat der VwGH - zumindest in Bezug auf Baulärm - die Notwendigkeit von "Freiraumschutz", also nicht nur Schutz des Schläfers in seinem Schlafzimmer, sondern auch des Aufenthaltes im Freien, angesprochen. Wie der Freiraumschutz in Bezug auf Bahnlärm zu handhaben ist, ist noch nicht judiziert worden. Diese Frage wird derzeit aufgrund der - von den Höchstgerichten noch nicht überprüften - Entscheidung des Umweltsenates im Fall des Straßenprojektes "Umfahrung Wieselburg" vom 30.10.2013, US 4A/2010/14-182, diskutiert. Dort hat der mittlerweile in das BVwG übergeführte Umweltsenat entschieden, dass bei der Beurteilung einer Lärmbelästigung
"auch bei Landesstraßen grundsätzlich auf jenen der Lärmquelle am nächsten liegenden Teil des Nachbargrundstückes abzustellen [ist], der bei Bedachtnahme auf die im Zeitpunkt der Behörde insbesondere auf dem Gebiete des Baurechts geltenden Vorschriften dem regelmäßigen Aufenthalt des Nachbarn, sei es in einem Gebäude, sei es außerhalb eines Gebäudes, dienen kann (vgl. VwGH Zl. 2006/03/0156). Der Schutz der Anrainer bezieht sich sohin nicht nur auf Bereiche in Gebäuden und es besteht auch keine Verpflichtung der Anrainer, dauerhaft ihre Fenster geschlossen zu halten, um sich nicht einer Gefährdung ihrer Gesundheit auszusetzen. Die Vorschreibung von Lärmschutzfenstern als Auflage ist daher nicht geeignet, eine Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens zu erwirken. Die Grundstücke der von Lärm einer Landesstraße beeinträchtigten Anrainer können nicht enteignet werden, um so eine Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens herbeizuführen."Für weitere Spannung im Bereich des Lärmschutzes ist somit gesorgt. Bundesverwaltungsgericht und VwGH, vielleicht aber auch wieder der VfGH, werden sich mit Lärm und Schallschutz bei Infrastrukturvorhaben sicher noch häufiger auseinander zu setzen haben. Zumindest bei jenen Bahnprojekten, die vor dem 1. Jänner 2013 eingereicht wurden, soll die neue Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes als dem VwGH vorgeschaltetes Verwaltungsgericht nicht zu "einer Verzögerung wichtiger Bahnprojekte" führen. Aufgrund eines Initiativantrages wurde vom Nationalrat beschlossen, dass bei den bis Ende 2012 eingereichten Vorhaben Beschwerden an das BVwG keine aufschiebende Wirkung haben (siehe im Einzelnen -> hier).
Ein Workshop wird sich mit diesem Thema bei den 19. Österreichischen Umweltrechtstagen am 10./11. September 2014 in Linz beschäftigen. RA Dr. Wolfgang Berger und RA Dr. Christian Schmelz sowie ein Schalltechniker und ein medizinischer Gutachter (Univ.-Prof. Dr. Marth) werden den Workshop bestreiten.
Literaturhinweis: Altenburger/Berger/Meister, Schienenbonus und besondere Immissionsschutzvorschriften vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung, RdU-UT 2014/12
Freitag, 9. Mai 2014
Neuere Judikatur des VwGH zur Umweltverträglichkeitsprüfung
VwGH 27. 4. 2012, 2009/02/0239
Keine unmittelbare Anwendbarkeit der Aarhus-Konvention im innerstaatlichen Recht
Ein Verein beantragte die Zuerkennung der Parteistellung in einem Verfahren zur "7,5-Tonnage-Beschränkung auf der LB 320" Ennstalstraße. Er berief sich auf seine "Anerkennung als Umweltorganisation gemäß § 19 Abs. 7 UVP-G 2000". Die Parteistellung in einem Verfahren nach § 43 StVO 1960, womit eine Gewichtsbeschränkung (Tonnagen-Limit) auf der Ennstalstraße verfügt werden sollte, begründete der Beschwerdeführer mit seinen besonderen Kenntnissen in Umweltfragen, insbesondere die sensible Alpenregion des Ennstales betreffend.
Der Antrag wurde von der BH ebenso zurückgewiesen, die nachfolgende Berufung und die Beschwerde an den VwGH waren nicht erfolgreich.
Begründung des VwGH: In den Erläuterungen zur Genehmigung des Abschlusses des Übereinkommens von Aarhus durch den Nationalrat (BGBl. III Nr. 88/2005) wird angemerkt, dass das Übereinkommen einer unmittelbaren Anwendbarkeit im innerstaatlichen Rechtsbereich nicht zugänglich ist (von einem Beschluss des Nationalrates gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG wurde allerdings abgesehen, da das Übereinkommen als gemischtes Abkommen teilweise in die Zuständigkeit der Europäischen Union fällt; vgl. 654 Blg. NR XXII. GP 2). Subjektive Rechte können daher aus dem Übereinkommen von Aarhus nicht abgeleitet werden (zur fehlenden unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus im innerstaatlichen Recht vgl. den Bescheid des Umweltsenates vom 22. Juni 2011, Zl. US 3C/2011/5-8; zur fehlenden unmittelbaren Wirkung dieser Bestimmung im Unionsrecht vgl. Urteil EuGH 8. März 2011, C 240/09, Lesoochraraske zoskupenie = „Slowakischer Braunbär“).
Ein Verordnungserlassungsverfahren nach § 43 Abs. 2 StVO 1960 fällt nicht in den Anwendungsbereich der UVP-RL, sodass deren Bestimmungen auf das Verfahren nach § 43 Abs. 2 StVO 1960 nicht anzuwenden sind.
VwGH 21. 3. 2013, AW 2013/05/0011
Voraussetzungen der Zuerkennung aufschiebender Wirkung bei Bundesstraßenprojekten
Ob ein durch ein genehmigtes Bundesstraßenprojekt verursachter (behaupteter) Eingriff in die von den in § 19 Abs 4 UVP-G genannten Umweltschutzvorschriften geschützten Interessen einen „unverhältnismäßigen Nachteil“ iSd § 30 Abs 2 VwGG darstellt, ist ua daran zu beurteilen, inwieweit die Folgen des Eingriffs im Fall der Aufhebung des angefochtenen Bescheides beseitigt werden können, wobei den Antragsteller eine Konkretisierungspflicht trifft. Die Beurteilung, ob die geltend gemachten Nachteile die Schwelle der Unverhältnismäßigkeit erreichen, hängt von den im Aufschiebungsantrag vorgebrachten konkreten Angaben über die Wiederherstellung des vorigen Zustandes ab. Zur Frage, ob die Aarhus-Konvention verlange, dass aufschiebende Wirkung zuerkannt werde, siehe unten VwGH 09.10.2013, AW 2013/10/0036 .
VwGH 20. 6. 2013, Zlen. 2012/06/0092, 0093
VwGH 9. 10. 2013, AW 2013/10/0036
Beschwerde gegen naturschutzbehördliche Bewilligung muss nicht jedenfalls aufschiebende Wirkung gemäß §30 Abs 2 VwGG zuerkannt werden; kein Verstoß gegen Aarhus-Konvention
VwGH 24. 10. 2013, 2013/07/0081
Stellungnahmen Dritter im Rahmen eines UVP-Vorverfahrens sind Umweltinformationen
VwGH 5. 3. 2014, 2012/05/0105
Keine unmittelbare Anwendbarkeit der Aarhus-Konvention im innerstaatlichen Recht
Ein Verein beantragte die Zuerkennung der Parteistellung in einem Verfahren zur "7,5-Tonnage-Beschränkung auf der LB 320" Ennstalstraße. Er berief sich auf seine "Anerkennung als Umweltorganisation gemäß § 19 Abs. 7 UVP-G 2000". Die Parteistellung in einem Verfahren nach § 43 StVO 1960, womit eine Gewichtsbeschränkung (Tonnagen-Limit) auf der Ennstalstraße verfügt werden sollte, begründete der Beschwerdeführer mit seinen besonderen Kenntnissen in Umweltfragen, insbesondere die sensible Alpenregion des Ennstales betreffend.
Der Antrag wurde von der BH ebenso zurückgewiesen, die nachfolgende Berufung und die Beschwerde an den VwGH waren nicht erfolgreich.
Begründung des VwGH: In den Erläuterungen zur Genehmigung des Abschlusses des Übereinkommens von Aarhus durch den Nationalrat (BGBl. III Nr. 88/2005) wird angemerkt, dass das Übereinkommen einer unmittelbaren Anwendbarkeit im innerstaatlichen Rechtsbereich nicht zugänglich ist (von einem Beschluss des Nationalrates gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG wurde allerdings abgesehen, da das Übereinkommen als gemischtes Abkommen teilweise in die Zuständigkeit der Europäischen Union fällt; vgl. 654 Blg. NR XXII. GP 2). Subjektive Rechte können daher aus dem Übereinkommen von Aarhus nicht abgeleitet werden (zur fehlenden unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus im innerstaatlichen Recht vgl. den Bescheid des Umweltsenates vom 22. Juni 2011, Zl. US 3C/2011/5-8; zur fehlenden unmittelbaren Wirkung dieser Bestimmung im Unionsrecht vgl. Urteil EuGH 8. März 2011, C 240/09, Lesoochraraske zoskupenie = „Slowakischer Braunbär“).
Ein Verordnungserlassungsverfahren nach § 43 Abs. 2 StVO 1960 fällt nicht in den Anwendungsbereich der UVP-RL, sodass deren Bestimmungen auf das Verfahren nach § 43 Abs. 2 StVO 1960 nicht anzuwenden sind.
VwGH 21. 3. 2013, AW 2013/05/0011
Voraussetzungen der Zuerkennung aufschiebender Wirkung bei Bundesstraßenprojekten
Ob ein durch ein genehmigtes Bundesstraßenprojekt verursachter (behaupteter) Eingriff in die von den in § 19 Abs 4 UVP-G genannten Umweltschutzvorschriften geschützten Interessen einen „unverhältnismäßigen Nachteil“ iSd § 30 Abs 2 VwGG darstellt, ist ua daran zu beurteilen, inwieweit die Folgen des Eingriffs im Fall der Aufhebung des angefochtenen Bescheides beseitigt werden können, wobei den Antragsteller eine Konkretisierungspflicht trifft. Die Beurteilung, ob die geltend gemachten Nachteile die Schwelle der Unverhältnismäßigkeit erreichen, hängt von den im Aufschiebungsantrag vorgebrachten konkreten Angaben über die Wiederherstellung des vorigen Zustandes ab. Zur Frage, ob die Aarhus-Konvention verlange, dass aufschiebende Wirkung zuerkannt werde, siehe unten VwGH 09.10.2013, AW 2013/10/0036 .
VwGH 20. 6. 2013, Zlen. 2012/06/0092, 0093
Parteistellung der Nachbarn im Abnahmeverfahren
nach § 20 UVP-G
Der VwGH hob die nachträgliche Genehmigung für
eine Projektänderung des Vorhabens “Spielberg NEU” auf und
traf wichtige Aussagen zum
Anwendungsbereich des § 20 Abs 4 UVP-G (idF BGBl I 2009/87).
Das mit Bescheid der
Steiermärkischen Landesregierung vom 12. September 2007 nach dem
Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP-G 2000) genehmigte “Vorhaben
Spielberg NEU” beinhaltete auch die Errichtung des sogenannten „Partnergebäudes".
Während der Ausführung änderte die Projektwerberin ihr Vorhaben insofern, als
anstelle des ursprünglich geplanten und genehmigten Partnergebäudes mit Flügel
und Tribünen für insgesamt 6.832 Personen eine Überlastschüttung (Erdwall)
errichtet wurde, die bis zur Realisierung des ursprünglich geplanten
Partnergebäudes erhalten bleiben soll. Im Zuge eines sog. Abnahmeverfahrens
wurde die Überlastschüttung mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung
vom 25. Februar 2011 als geringfügige Abweichung genehmigt. Diesem
Abnahmeverfahren wurden zwei betroffene Nachbarn nicht beigezogen. Ihre Anträge
auf Zuerkennung ihrer Parteistellung wies die Steiermärkische Landesregierung
ab; die Berufungen an den Umweltsenat blieben erfolglos (Bescheide vom 30.
April 2012).
Dagegen wandten sich die
Nachbarn an den Verwaltungsgerichtshof, der die Frage zu prüfen hatte, ob
Nachbarn/Nachbarinnen, die grundsätzlich von den Auswirkungen des
UVP-pflichtigen Vorhabens gefährdet oder belästigt werden können, im Verfahren
zur Abnahmeprüfung gemäß § 20 UVP-G 2000 Parteistellung haben, wenn gemäß dessen
Abs. 4 im Rahmen des Abnahmebescheides Abweichungen vom ursprünglich
genehmigten Vorhaben nachträglich genehmigt werden sollen. Nach § 20 UVP-G 2000
muss die Projektwerberin vor Inbetriebnahme die Fertigstellung anzeigen, worauf
die Behörde eine Abnahmeprüfung durchführt. Entspricht die Ausführung der
Genehmigung, ergeht ein Abnahmebescheid. Werden hingegen Abweichungen von der
Genehmigung festgestellt, muss die Behörde deren Beseitigung auftragen;
allerdings besteht die Möglichkeit, dass geringfügiger Abweichungen gemäß § 20
Abs. 4 UVP-G 2000 nachträglich genehmigt werden, wenn sie den Ergebnissen der
Umweltverträglichkeitsprüfung nicht widersprechen und den betroffenen Parteien
Gelegenheit zur Wahrung ihrer Interessen gegeben wurde. Nachbarn/Nachbarinnen, die
durch Abweichungen gefährdet oder belästigt werden könnten, müssen somit im
Verfahren zur nachträglichen Genehmigung geringfügiger Abweichungen gehört
werden; ob eine Beeinträchtigung tatsächlich stattfindet, ist Gegenstand des
weiteren Verfahrens. Im vorliegenden Fall ist gerade strittig, ob die Nachbarn
durch den Erdwall anders betroffen sein können als bei Errichtung des Vorhabens
in der genehmigten Form. Es war ihnen mangels Parteistellung nicht möglich, zu
überprüfen, ob sich etwa die Schallauswirkungen bei Verwirklichung der
Überlastschüttung innerhalb des genehmigten Immissionskontingentes bewegen oder
dieses allenfalls übersteigen. Sie rügen daher zu Recht, dass es ihnen mangels
Zuerkennung der Parteistellung nicht möglich war, von den Ergebnissen des
Ermittlungsverfahrens Kenntnis zu erlangen, dazu Stellung zu nehmen und somit
ihre Interessen wahrzunehmen.
Ob, wie die Behörden meinen, die Nachbarn nicht anders als bisher betroffen
bzw. teilweise sogar besser vor den Lärmimmissionen geschützt seien als bei
Errichtung des genehmigten Partnergebäudes, kann erst beurteilt werden, wenn
den Nachbarn im Rahmen des Abnahmeprüfungsverfahrens Parteiengehör eingeräumt
wurde. Da die Behörden in Verkennung der Voraussetzungen des § 20 Abs. 4
zweiter Satz UVP-G 2000 die Anträge der Nachbarn auf Zuerkennung der
Parteistellung im Abnahmeprüfungsverfahren abwies, belastete sie ihre Bescheide
mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit,
weshalb diese vom Verwaltungsgerichtshof aufgehoben wurden.
VwGH 27. 9. 2013, 2010/05/0202 (UVP-G 2000; AVG)
Präklusionsbestimmungen iSd § 44a iVm § 44b Abs 1
AVG entspricht im Rahmen des UVP-Genehmigungsverfahrens unionsrechtlichen
Anforderungen
Bürgerinitiative kann Parteistellung mangels
rechtzeitige Erhebung von Einwendungen bzw nicht rechtzeitiger Bildung einer
Bürgerinitiative im Genehmigungsverfahren nicht erlangen; der Hinweis auf die
Präklusionsfolgen war in der Projektkundmachung enthalten; Behörde muss auf die
Möglichkeit der „Quasi-Wiedereinsetzung“ nicht aufmerksam machen; die
Nichtbeachtung der im Widerspruch zur irrtümlichen Annahme der Bf stehenden
Beschreibungen im Edikt und Informationen in den Antragsunterlagen stellt ein
Verschulden der BI (ihrer Proponenten) dar, das den eines minderen Grades des
Versehens übersteigt; für die Entstehung der Parteistellung einer BI im
Genehmigungsverfahren ist die ordnungsgemäße Einbringung der Stellungnahme und
der Unterschriftenliste maßgeblich.
Im Hinblick auf die
Grenzen der verfahrensrechtlichen Gestaltungsautonomie des nationalen
Gesetzgebers bei der Umsetzung des Art 10a UVP-RL (nunmehr Art 11 der RL 2011/92/EU)
und sohin auf den unionsrechtlich vorgegebenen Effektivitätsgrundsatz hat der
EuGH in seinem Urteil vom 12. Mai 2011, in der Rechtsache C-115/09, Trianel,
dargelegt, dass die innerstaatlichen Regelungen den Umweltorganisationen nicht
die Möglichkeit nehmen dürfen, die Rolle zu spielen, die ihnen sowohl die RL
85/337 als auch das Übereinkommen von
Aarhus zuerkennen (Rn. 44). Eine
Unionswidrigkeit nationaler Präklusionsbestimmungen wurde darin aber ebenfalls
nicht ausgesprochen. Für die Anwendung des Effektivitätsgebots ist jeder Fall,
in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die
Anwendung des Gemeinschaftsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert,
unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren,
des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens zu prüfen. Dabei
sind gegebenenfalls die Grundsätze zur berücksichtigen, die dem nationalen
Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie z.B. der Schutz der Verteidigungsrechte,
der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens
(Hinweis Urteil des EuGH vom 14. Dezember 1995, C-312/93, Peterbroek, Rn. 14,
und das zur Zulässigkeit von Präklusionsfristen in einer - insofern dem
UVP-Genehmigungsverfahren vergleichbaren - vergaberechtlichen Sache ergangene
Urteil des EuGH vom 27. Februar 2003 in der Rechtssache C-327/00, Santex, Rn.
56).
VwGH 9. 10. 2013, AW 2013/10/0036
Beschwerde gegen naturschutzbehördliche Bewilligung muss nicht jedenfalls aufschiebende Wirkung gemäß §30 Abs 2 VwGG zuerkannt werden; kein Verstoß gegen Aarhus-Konvention
Art 9 Abs 4 Aarhus
Konvention kann nicht dahin gedeutet werden kann, dass im
Anwendungsbereich der Konvention der vom Verwaltungsgerichtshof gewährte
Rechtsschutz nur dann angemessen und effektiv ist, wenn einer Beschwerde
jedenfalls aufschiebende Wirkung zuerkannt werde. Wenn die innerstaatliche
Regelung betreffend die Gewährung einer aufschiebenden Wirkung im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 30 Abs. 2 VwGG einerseits auf das
Nichtvorliegen zwingender öffentlicher Interessen, die der Zuerkennung einer
aufschiebenden Wirkung entgegenstehen, bzw. auf die Vornahme einer
Interessenabwägung zwischen den in Frage kommenden öffentlichen Interessen und
der auf Seiten der Beschwerdeführer und Mitbeteiligter gegebenen Interessenlage
abstellt, steht dies mit Art 9 Abs 4 Aarhus -Konvention nicht im Widerspruch (vg.
den Beschluss des VwGH vom 08.06.2010, AW 2010/06/0001).
Stellungnahmen Dritter im Rahmen eines UVP-Vorverfahrens sind Umweltinformationen
Die Stellungnahmen der zuständigen Behörde bzw
Dritter im Rahmen eines UVP-Vorverfahrens nach § 4 UVP-G ("Scoping")
können Umweltinformation sein.
Ein Vorprüfungsverfahren
nach § 4 UVP-G 2000 befasst sich von seiner Zielsetzung her mit Informationen
über die Umwelt.VwGH 5. 3. 2014, 2012/05/0105
Umweltverträglichkeitsprüfung: Nebel als Immission
Der VwGH hat die
umstrittene Entscheidung des US im Fall GDKK Klagenfurt bestätigt. Aus dem Erkenntnis des VwGH
geht hervor, dass Nebel als “belästigende Immission” von Anrainern im
Genehmigungsverfahren geltend gemacht werden kann.
Der Ausstoß von Wasserdampf durch eine Betriebsanlage, der zu Nebelbildung
führen kann, ist als potentielle Belästigung der Nachbarn iSd § 74 Abs 2 GewO
1994 zu qualifizieren. Nur der Umstand, dass es (noch) kein wissenschaftlich
erprobtes und erwiesenes Verfahren zur näheren Berechnung der Nebelereignisse
gibt, bedeutet nicht, dass diese Nebelereignisse als irrelevant im Lichte der
hier maßgebenden Rechtslage hinzunehmen sind.
Vertragsverletzungsverfahren UVP und Wasserrahmenrichtlinie
Die Europäische Kommission hat mit Mahnschreiben vom 28.02.2012 ein
Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich betreffend die UVP-RL
eingeleitet, u.a. wegen vermeintlich eingeschränkter
Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Feststellungsbescheide nach § 3 Abs 7
UVP-G 2000 sowie den Präklusionsbestimmungen des österreichischen
Verfahrensrechts. Das Vertragsverletzungsverfahren
gegen die Republik Österreich wird unter dem Aktenzeichen 2012/2013 geführt. Eine Klage beim EuGH ist noch nicht erhoben worden.
Eine Klage beim EuGH ist dagegen bereits im Vertragsverletzungsverfahren "Schwarze Sulm" eingebracht worden, allerdings ist hier ein Wasserrechtsverfahren und kein UVP-Verfahren durchgeführt worden.
In der Presseaussendung zur Klagserhebung führte die Europäische Kommission aus, die Genehmigung eines Wasserkraftwerkes führe zu einer erheblichen Verschlechterung der Wasserqualität des in der Steiermark gelegenen Flusses, der einer der längsten naturbelassenen Flüsse in der Region ist. Es sei gegen die Wasserrahmenrichtlinie verstoßen worden, die die Mitgliedstaaten, verpflichtet, Grundwasser und Oberflächengewässer (Flüsse, Seen, Kanäle und Küstengewässer) zu schützen und zu sanieren, um bis spätestens im Dezember 2015 einen „guten“ Gewässerzustand zu erreichen. Wasserkraftwerke würden einen schlechteren Gewässerzustand, weil sie die Durchgängigkeit des Flusses beeinträchtigen, was eines der Kriterien der Wasserrahmenrichtlinie für die Einstufung des Gewässerzustands eines Flusses als „gut“ ist.
Eine Klage beim EuGH ist dagegen bereits im Vertragsverletzungsverfahren "Schwarze Sulm" eingebracht worden, allerdings ist hier ein Wasserrechtsverfahren und kein UVP-Verfahren durchgeführt worden.
In der Presseaussendung zur Klagserhebung führte die Europäische Kommission aus, die Genehmigung eines Wasserkraftwerkes führe zu einer erheblichen Verschlechterung der Wasserqualität des in der Steiermark gelegenen Flusses, der einer der längsten naturbelassenen Flüsse in der Region ist. Es sei gegen die Wasserrahmenrichtlinie verstoßen worden, die die Mitgliedstaaten, verpflichtet, Grundwasser und Oberflächengewässer (Flüsse, Seen, Kanäle und Küstengewässer) zu schützen und zu sanieren, um bis spätestens im Dezember 2015 einen „guten“ Gewässerzustand zu erreichen. Wasserkraftwerke würden einen schlechteren Gewässerzustand, weil sie die Durchgängigkeit des Flusses beeinträchtigen, was eines der Kriterien der Wasserrahmenrichtlinie für die Einstufung des Gewässerzustands eines Flusses als „gut“ ist.
UVP - Gesetzesänderungen 2013 und 2014
BGBl. I Nr. 95/2013
- BG, mit dem das UVP 2000 geändert und das BG über den Umweltsenat aufgehoben wird, da ab Anfang 2014 das BVWG den US als Rechtsmittelinstanz in allen UVP-Verfahren (nunmehr auch im dritten Abschnitten) ablässt. Weiters wird in § 3 Abs 8 UVP-G eine Ausnahme von der UVP für Maßnahmen, die Gegenstand eines verwaltungsrechtlichen Anpassungs- oder Sanierungsverfahrens sind, aufgehoben, um die EU-Konformität des UVP-Gesetzes zu sichern und eine Klage beim EuGH zu verhindern. Die Beschwerdemöglichkeit von Legalparteien (Gemeinden, Umweltanwalt, Bürgerinitiativen, Umweltorganisationen) besteht nun beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG), ebenso kann die Revision beim VwGH erhoben werden.
- Um eine Verzögerung wichtiger Bahnprojekte zu verhindern, wurde eine Novelle zum UVP-G verabschiedet (in
§ 46 Abs 24 Z 5 wird der Ausdruck „nach § 23a“ durch „nach den §§ 23a oder 23b“
ersetzt werden; vgl 111 A/25. GP NR). Beschwerden beim neuen
Bundesverwaltungsgericht gegen die Genehmigung von Hochleistungsstrecken der Bahn werden
demnach künftig – ebenso wie bereits aufgrund der vorangegangenen UVP-Novelle (BGBl. I Nr. 95/2013) bei Bundesstraßenvorhaben – keine aufschiebende Wirkung mehr haben, wenn
das UVP-Verfahren vor dem Jahr 2013 eingeleitet wurde. Kritik kommt von der
Opposition und Bürgerinitiativen. Ihrer Meinung nach werden mit den neuen Bestimmungen zuletzt
erzielte Verbesserungen im Rechtsschutz wieder ausgehebelt. Es besteht aber
analog § 30 Abs 2 VwGH die Möglichkeit, dass das BVwG einer Beschwerde aufschiebende Wirkung
zuerkennt - die Neuregelung wäre sonst wohl auch unionsrechts- und verfassungswidrig gewesen.
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