Inhalt
und Umfang der Umweltverträglichkeitserklärung (UVE); Bestätigung der
„Kühtai-Rsp“
VwGH 25.01.2021, Ra 2018/04/0179 8 ("Windpark
Ebreichsdorf")
Es ist unzulässig, die inhaltliche
Gestaltung eines entscheidungswesentlichen Teils eines Bewilligungsbescheides
(artenschutzrechtliche Maßnahmen) in ein abgesondertes behördliches Verfahren
ohne erkennbare Mitwirkung von Verfahrensparteien zu verlagern, welches dem
UVP-Verfahren nachgelagert und nur zwischen dem Konsenswerber und der Behörde
zu führen ist. Konkrete artenschutzrechtlich erforderliche Maßnahmen sind nach
ausreichender Erhebung des Ist-Zustandes im Bewilligungsbescheid vorzuschreiben;
nur so steht den anderen Verfahrensparteien auch die Möglichkeit zur Mitsprache
und allenfalls zur Erhebung von Rechtsmitteln einerseits sowie zur Überprüfung
der Einhaltung des Konsenses andererseits offen (vgl. VwGH 22.11.2018, Ro
2017/07/0033 bis 0036, Wasserkraftwerk „Kühtai“, Rn. 171 - Rn 173, mwN,
betreffend eine Auflage, vor Beginn von Bauarbeiten für ein Speicherkraftwerk
der UVP-Behörde für den Verlust von Feuchtlebensräumen ein inhaltlich näher
definiertes Maßnahmenkonzept für Ersatzmaßnahmen zwecks behördlicher Freigabe
des Konzepts vorzulegen). Mit der Auflage zur Vornahme ergänzender
Untersuchungen und Vorlage eines Berichts darüber an die Behörde würde dieser
Teil des Ermittlungsverfahrens, dessen positives Ergebnis erst Voraussetzung
für die Erteilung der Bewilligung selbst ist, unzulässiger Weise in ein
gesondertes Verfahren verlagert.
In einem Verfahren nach dem UVP-G 2000
(ua.) ist die voraussichtlich beeinträchtigte Umwelt durch eine Erhebung und
Darstellung der derzeitigen Umweltsituation jeweils im Untersuchungsraum
geordnet nach Schutzgütern darzustellen (siehe VwGH 24.5.2016, 2013/07/0147,
Rn. 37, mwN). Als Grundlage für die Beurteilung der Auswirkungen eines
Vorhabens ist somit der Ist-Zustand darzustellen. Aus dem UVP-G 2000 bzw. der
dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergeben sich keine
konkreten Vorgaben hinsichtlich des Umfangs der in räumlicher Hinsicht
durchzuführenden Erhebungen - etwa dahingehend, dass eine Darstellung des
Ist-Zustandes bzw. eine dafür erstellte Kartierung eine vollständige Erhebung
in allen betroffenen Teilgebieten voraussetzt.
Sofern dies erforderlich ist, ist es
zulässig, die Angaben in der UVE während des UVP-Verfahrens zu ergänzen (vgl.
VwGH 15.10.2020, Ro 2019/04/0021, u.a., Rn. 388, mwN).
Die in der UVE enthaltenen Daten,
allenfalls ergänzt durch erforderliche zusätzliche Erhebungen während des
UVP-Verfahrens, sind grundsätzlich dann ausreichend, wenn eine Beurteilung des
Projekts auf seine Umweltverträglichkeit möglich ist (vgl. VwGH 15.10.2020, Ro
2019/04/0021, Rn. 389).
Ermessensspielraum
des Gesetzgebers bei Festlegung der UVP-Pflicht; Definition eines „Siedlungsgebietes“
iS der Kategorie E des Anhangs 2 des UVP-G
VwGH 29.03.2021, Ro 2020/03/0023 (Hubschrauberlandeplatz
in Oö)
Der Bau von Flugplätzen mit - wie hier -
einer Start- und Landebahngrundlänge von weniger als 2100 m ist als Projekt des
Anhangs II (Z 10 lit. d) zur UVP-RL zu qualifizieren. Gemäß Art. 4 Abs. 2
UVP-RL bestimmen bei Projekten des Anhangs II die Mitgliedstaaten, ob das
Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss. Die
Mitgliedstaaten treffen diese Entscheidung anhand einer Einzelfalluntersuchung
und/oder der von den Mitgliedstaaten festgelegten Schwellenwerte bzw. Kriterien.
Mit dieser Bestimmung wird den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum
eingeräumt (vgl. VwGH 11.12.2019, Ra 2019/05/0013, mwN; EuGH 14.1.2016, Rs
C-141/14, Kommission/Bulgarien, Rz. 92). Dieser Spielraum wird jedoch durch die
in Art. 2 Abs. 1 der UVP-RL festgelegte Pflicht begrenzt, die Projekte, bei
denen u.a. aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen
Auswirkungen zu rechnen ist, einer Untersuchung ihrer Auswirkungen auf die
Umwelt zu unterziehen (vgl. EuGH 21.3.2013, Rs C-244/12, Salzburger Flughafen
GmbH, Rz. 29). Die Mitgliedstaaten haben gemäß Art. 4 Abs. 3 UVP-RL bei der
Einzelfalluntersuchung oder der Festlegung von Schwellenwerten bzw. Kriterien
die relevanten Auswahlkriterien des Anhangs III zur UVP-RL zu berücksichtigen.
Zudem würde ein Mitgliedstaat, der diese Schwellenwerte bzw. Kriterien so
festlegte, dass in der Praxis alle Projekte einer bestimmten Art von vornherein
von der Pflicht zur Untersuchung ihrer Auswirkungen ausgenommen wären, seinen
Wertungsspielraum überschreiten, es sei denn, aufgrund einer Gesamtbeurteilung
aller ausgenommenen Projekte wäre davon auszugehen, dass bei ihnen nicht mit
erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist (vgl. etwa EuGH
28.2.2018, Rs C-117/17, Comune di Castelbellino, Rz. 38f, mwN).
Mit der in Anhang 2 zum UVPG 2000 genannten
Kategorie E ("Siedlungsgebiet") sollte dem in Anhang III zur UVP-RL
normierten Auswahlkriterium "Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte"
Rechnung getragen werden (IA 168/A 21. GP, S. 31f). Der EuGH wies in Bezug auf
dieses Kriterium darauf hin, dass Städte wegen der Bevölkerungsdichte und
bestehender Umweltbelastungen, aber auch hinsichtlich etwaiger Stätten von
historischer, kultureller oder archäologischer Bedeutung insoweit besonders
sensibel sind (vgl. EuGH 25.7.2008, Rs C-142/07, Ecologistas en Acción-CODA,
Rz. 43). Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH sind gesetzliche Bestimmungen,
die in Umsetzung einer unionsrechtlichen Richtlinie erlassen wurden, so weit
wie möglich im Lichte des Wortlauts und des Zweckes dieser Richtlinie
auszulegen und anzuwenden, um das mit ihr angestrebte Ziel zu erreichen (vgl.
VwGH 19.6.2018, Ra 2017/03/0104, mwN). Gegebenenfalls - etwa bei einer mit den
Anforderungen der UVP-RL unvereinbaren Festlegung nationaler Schwellenwerte
bzw. Kriterien - wäre zudem aufgrund unmittelbarer Wirkung von Bestimmungen der
UVP-RL die erforderliche Einzelfallprüfung auch unabhängig von den Regelungen
des nationalen Rechts vorzunehmen (vgl. EuGH 21.3.2013, Rs C-244/12, Salzburger
Flughafen GmbH, Rz 48). Der Revision ist daher insofern zuzustimmen, als der
Begriff "Siedlungsgebiet" iSv Anhang 2 Kategorie E UVPG 2000
richtlinienkonform auszulegen ist (vgl. in diesem Sinn auch VwGH 11.12.2019, Ra
2019/05/0013, mwN).
Es ist nicht ersichtlich, dass mit der vom
nationalen Gesetzgeber vorgenommenen Festlegung des schützenswerten Gebietes
"Siedlungsgebiet" in Anhang 2 zum UVPG 2000, wonach als Grünland
ausgewiesene Flächen bei der Beurteilung des Vorliegens eines Siedlungsgebietes
außer Betracht zu bleiben haben, der unionsrechtlich eingeräumte
Ermessensspielraum überschritten wurde. Bei Wohnbauten im Grünland handelt es
sich weder um „Siedlungsgebiet“ iS der Kategorie E des Anhangs 2 zum UVP-G noch
um „Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte". Der nationale Gesetzgeber hat
durch die Festlegung ökologisch besonders sensibler Gebiete in Anhang 2 zum
UVPG 2000 dem Erfordernis entsprochen, auf die Belastbarkeit der Natur
Rücksicht zu nehmen (vgl. VwGH 9.10.2014, 2013/05/0078). Bei der Umsetzung der
Anforderung, "Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte" iSv Anhang III Z
2 lit. c sublit. vii UVP-RL besonders zu berücksichtigen, hat er sich - mit der
Einführung der Kategorie E in Anhang 2 ("Siedlungsgebiet") - dafür
entschieden, als Kriterium für das Erfordernis einer Einzelfallprüfung darauf
abzustellen, ob das Vorhaben - hier: der Neubau eines Flugplatzes für
Hubschrauber - in einem Siedlungsgebiet oder im Nahebereich eines solchen
erfolgen soll. Wenn der Bundesgesetzgeber nun zur Definition dieses Begriffes
darauf abstellt, ob die in einem bestimmten Umkreis um das Vorhaben gelegenen
Grundstücke nach den jeweils geltenden Raumordnungsgesetzen der Länder als
Bauland, in dem Wohnbauten errichtet werden dürfen, ausgenommen reine Gewerbe-,
Betriebs- oder Industriegebiete, Einzelgehöfte oder Einzelbauten (Z 1), oder
als Sondergebiete für spezielle schützenswerte Einrichtungen (Z 2) gewidmet
sind, ist nicht ersichtlich, dass Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte in
Verfahren nach dem UVPG 2000 nicht hinreichend Berücksichtigung finden.
In Abweichung von § 82 Abs. 1 Z 1 MinroG
1999 sind Einzelbauten und Einzelgehöfte von der Definition des
"Siedlungsgebietes" in Anh 2 Kategorie E des UVP-G ausgenommen. Daher
sind Einzelbauten oder Einzelgehöfte, auch wenn sie im Bauland liegen, keine „Siedlungsgebiete“.
Festzuhalten ist aber, dass die Materialien zur Novelle BGBl. I Nr. 89/2000,
mit der die Lage "in oder nahe Siedlungsgebieten" als relevantes
Kriterium für eine UVP-Pflicht nach Spalte 3 des Anhangs 2 - samt Definition
des Nahebereichs mit Anknüpfung an die Widmung und der in Rede stehenden
Ausnahme für "Einzelgehöfte oder Einzelbauten" - festgelegt wurde,
mehrfach auf das Erfordernis einer Umsetzung der UVP-RL verweisen. Der
Gesetzgeber macht also deutlich, dass auch diese Festlegung in Umsetzung der in
Anhang III zur UVP-RL normierten Kriterien (konkret: der Berücksichtigung von
Gebieten mit hoher Bevölkerungsdichte) erfolgte. Es ist daher davon auszugehen,
dass der Bundesgesetzgeber mit der die erwähnte Ausnahme beinhaltenden
Definition den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechen wollte, wonach von den
Mitgliedstaaten Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte besonders zu
berücksichtigen sind. Dieser Umstand (Wille zur Umsetzung der UVP-RL) ist daher
entscheidender Parameter bei der Auslegung des Begriffs
"Siedlungsgebiets" wie auch der damit einhergehenden Ausnahmeregelung
für "Einzelgehöfte oder Einzelbauten", nicht aber ein
"enzyklopädisches Verständnis" oder gar ein lokaler Sprachgebrauch.
Die Ausnahme von „Einzelgehöften oder Einzelbauten“ vom „Siedlungsgebiet“ ist
daher nicht unionsrechtswidrig.
Als Nahebereich eines Siedlungsgebietes
gilt nach der Legaldefinition des Anhang 2 Kategorie E Z 1 UVPG 2000
grundsätzlich (ausgenommen reine Gewerbe-, Betriebs- und Industriegebiete,
Einzelgehöfte oder Einzelbauten) ein Umkreis von 300 m um das Vorhaben, in dem
Grundstücke als "Bauland, in dem Wohnbauten errichtet werden dürfen",
"festgelegt oder ausgewiesen" sind.
Vorhabensbegriff
bei Stellplätzen eines Wohn- und Bürohauses, wenn diese in einer gemeinsamen
Tiefgarage mit einem Einkaufszentrum liegen; keine Bagatellgrenze bei
Umgehungsprojekten; keine unionsrechtlichen Bedenken gegen Bagatellschwelle von
25 %
VwGH 28.04.2021, Ra 2019/04/0027 (EKZ in Wien)
Für die Kumulierung der Auswirkungen nach §
3 Abs. 2 UVP-G 2000 zu berücksichtigen sind andere gleichartige und in einem
räumlichen Zusammenhang stehende Vorhaben, die bestehen oder genehmigt sind,
oder Vorhaben, die mit vollständigem Antrag auf Genehmigung bei einer Behörde
früher eingereicht oder nach §§ 4 oder 5 früher beantragt wurden. Wenn das
Vorhaben eine Kapazität von weniger als 25 % des Schwellenwertes aufweist, ist
eine Einzelfallprüfung nicht durchzuführen (vgl. VwGH 17.12.2019, Ro 2018/04/0012,
Rn. 30). Dabei handelt es sich um eine Mindestschwelle für Kleinvorhaben, unter
der keine Kumulierung mit anderen Vorhaben iSd § 3 Abs. 2 erster Satz UVP-G
2000 und keine Einzelfallprüfung durchzuführen sind (vgl. VwGH 31.7.2007,
2006/05/0221). Anderes gilt nur, wenn eine Umgehung der UVP-Pflicht, etwa durch
eine Aufsplitterung von Maßnahmen, erfolgen soll: In diesem Fall ist eine
Einzelfallprüfung durchzuführen (vgl. VwGH 29.9.2015, 2013/05/0077, mwN).
Wenn die einer Wohnhausanlage sowie
Beschäftigten eines Bürohauses ausschließlich zugeordneten Stellplätze nur von
diesen Nutzern benützt werden können, so liegt auch dann, wenn diese
Stellplätze über die gleichen Zu- und Abfahrten einer Tiefgarage erreicht
werden können, wie die zu einem geplanten Einkaufszentrum gehörigen
Stellplätze, sonst jedoch insbesondere durch die projektgemäße Schrankenanlage
baulich und räumlich getrennt sind und auch nicht einem einheitlichen
Betriebszweck dienen, so sind diese räumlich und baulich getrennten Stellplätze
nicht dem Vorhaben des Einkaufszentrums zuzuordnen.
Wird die 25 % Grenze des gemäß Anhang 1 Z
21 lit b UVP-G für öffentlich zugängliche Stellplätze maßgeblichen Schwellenwerts
von 750 Stellplätzen (188 Stellplätze) nicht erreicht, ist gemäß § 3 Abs. 2
dritter Satz UVP-G 2000 keine Kumulierung mit anderen Vorhaben und keine Einzelfallprüfung
durchzuführen. Gegen die Bagatellgrenze von 25 % bestehen keine
unionsrechtlichen Bedenken, zumal bei Umgehungsprojekten die 25 % Grenze nicht
gilt (vgl. wiederum VwGH 2013/05/0077).
Unterschreitung
der Grenzwerte der Schienenverkehrslärm-Immissionsschutzverordnung (SchIV);
kein generelles Minimierungsgebot und keine Bedarfsprüfung im UVP-Verfahren; Befangenheit nur bei sachlichen Bedenken gegen Ergebnis der Entscheidung aufzugreifen
VwGH 06.05.2021, Ra 2019/03/0040 („Nahverkehrsgerechter Ausbau und Attraktivierung des Streckenabschnitts Lustenau-Lauterach“)
Bei den Grenzwerten der SchIV 1993 handelt
es sich auf dem Boden der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen
Rechts um Mindeststandards, deren Unterschreitung im Einzelfall geboten sein
kann. Die Unterschreitung der in der SchIV 1993 normierten Grenzwerte setzt
voraus, dass im Rahmen des dem angefochtenen Bescheid vorangegangenen
Verwaltungsverfahrens Anhaltspunkte hervorkommen, die eine derartige
Unterschreitung der Grenzwerte indizieren und rechtfertigen, wobei davon
insbesondere dann auszugehen ist, wenn die im Verwaltungsverfahren beigezogenen
UVP-Sachverständigen eine derartige Unterschreitung für zwingend notwendig
erachten. In einem derartigen Fall kann den Ergebnissen der UVP nicht durch
einen bloßen Hinweis auf die Grenzwerte der SchIV 1993 begegnet werden, würde
dadurch das vorangegangene UVP-Verfahren doch seinen Zweck verfehlen (Hinweis E
vom 22. Oktober 2012, 2010/03/0014, und E vom 28. November 2013, 2012/03/0045).
§ 24f Abs 1 Z 2 UVP-G 2000 und § 17 Abs 2 Z
2 UVP-G 2000 enthalten kein generelles, absolutes Schadstoffminimierungsgebot,
sondern ein Gebot, die Immissionsbelastung zu schützender Güter möglichst
gering zu halten. Ein absolutes Gebot enthält diese Bestimmung nur hinsichtlich
der Vermeidung der in lit a bis c genannten Immissionen. Werden aber keine
Schutzgüter beeinträchtigt und entspricht das Vorhaben dem Stand der Technik,
so kann mit der bloßen Behauptung, es hätten noch strengere Grenzwerte
vorgeschrieben werden können, keine Rechtswidrigkeit eines Bescheides iSd § 17
UVP-G 2000 dargetan werden (Hinweis E vom 6. Juli 2010, 2008/05/0115 (VwSlg
17.939 A/2010); E vom 24. Juni 2009, 2007/05/0096; E vom 31. März 2005,
2004/07/0199,0202 (VwSlg 16.588 A/2005)).
In einem Verfahren nach dem dritten
Abschnitt des UVP-G 2000 geht es nicht darum, die Notwendigkeit der Errichtung
eines Vorhabens zu prüfen, wobei dies sowohl für die nach den Regelungen des
dritten Abschnittes zu bewilligenden Bundesstraßen als auch für
Hochleistungsstrecken gilt (VwGH 17.11.2015, Ra 2015/03/0058; VwGH 19.12.2013,
2011/03/0160). Die Darlegung der Vor- und Nachteile des Unterbleibens des
Vorhabens bei der Prüfung der Nullvariante dient nicht der Prüfung der
Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit des Vorhabens, sondern es stellt sich die
Frage, ob auf ein Projekt gänzlich verzichtet werden muss, vielmehr im Rahmen
einer nach den anzuwendenden materiengesetzlichen Bestimmungen vorgesehenen
Interessenabwägung (vgl. idS VwGH 28.11.2013, 2011/03/0219). Die Vorschrift des
§ 17 Abs. 2 Z 2 lit. b UVP-G 2000 sieht hingegen eine Interessenabwägung dieser
Art nicht vor. Auch die Prüfung der Wirtschaftlichkeit oder des Bedarfes ist
nach dieser Bestimmung kein Kriterium (vgl. VwGH 22.11.2018, Ro 2017/07/0033).
Das Einschreiten eines befangenen
Amtsorganes oder Sachverständigen begründet nicht schlechthin die
Rechtsungültigkeit oder Nichtigkeit der Amtshandlung, sondern stellt eine
Verletzung von Verfahrensvorschriften dar, die nach der Bestimmung des § 43
Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses
durch den VwGH führt, wenn nicht auszuschließen ist, dass im Einzelfall bei
Vermeidung dieses Verfahrensmangels das VwG zu einem anderen Bescheid hätte
kommen können, wenn sich also sachliche Bedenken gegen den Bescheid ergeben
(vgl. VwGH 27.4.2015, Ra 2015/11/0011; VwGH 18.2.2015, 2013/10/0113; VwGH
20.10.1994, 93/06/0115). Der Revisionswerber hat daher die Relevanz des Mangels
durch ein konkretes tatsächliches Vorbringen aufzuzeigen (vgl. beispielsweise
VwGH 21.6.2019, Ra 2019/02/0119, mwN)
Projektänderungen
im UVP-Verfahren und im Beschwerdeverfahren beim BVwG
VwGH 26.05.2021, Ra
2019/04/0071 ("Windpark Gnadendorf - Stronsdorf")
Es ist nach § 13 Abs. 8
AVG zulässig, dass ein verfahrenseinleitender Antrag in jedem Stadium des
Verfahrens geändert werden kann, sofern diese Änderung nicht wesentlich ist.
Liegt hingegen eine wesentliche Änderung vor, ist dies als Zurückziehung des
ursprünglichen Anbringens und Stellung eines neuen Anbringens zu qualifizieren.
Wo die Grenze zwischen wesentlichen und unwesentlichen Änderungen verläuft, ist
letztlich eine Wertungsfrage; abgesehen von dem im Gesetz ausdrücklich genannten
Fall einer dadurch bewirkten Änderung der Zuständigkeiten stellt die hg.
Rechtsprechung darauf ab, dass dadurch das Vorhaben in einer für andere
Beteiligte nachteiligen Weise oder so geändert wird, dass zusätzliche und neue
Gefährdungen entstehen (Hinweis Erkenntnisse vom 9. Dezember 2010,
2007/09/0122, und vom 16. September 2015, Ro 2015/22/0026, und Beschluss vom
14. Oktober 2015, Ra 2015/04/0055).
Projektsänderungen sind
grundsätzlich auch im Berufungsverfahren zulässig (Hinweis Erkenntnisse vom 29.
April 2015, 2013/05/0004, und vom 5. März 2014, 2011/05/0135). In Hinblick auf
§ 17 VwGVG 2014 in Verbindung mit § 13 Abs. 8 AVG und die vergleichbare
Funktion der Bescheidbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG gilt dies auch
für Änderungen während des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht (vgl. das hg.
Erkenntnis vom 27. August 2014, Ro 2014/05/0062). Modifikationen des Projektes
sind allerdings nur so weit möglich, als nicht der Prozessgegenstand, der den
Inhalt des Spruches des verwaltungsbehördlichen Bescheids dargestellt hat,
ausgewechselt wird. Das Verwaltungsgericht hat also über die Angelegenheit
abzusprechen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war.
Änderungen des Projektes
im Zuge des Genehmigungsverfahrens, die nicht geeignet sind, gegenüber dem
ursprünglichen Projekt neue oder größere Gefährdungen, Belästigungen usw. im
Sinn des § 74 Abs. 2 GewO 1994 herbeizuführen, sind als gemäß § 13 Abs. 8 AVG
nicht wesentliche Antragsänderung zulässig (Hinweis zu - im Gegensatz dazu -
unzulässigen Änderungen des Projektes auf die bei Grabler/Stolzlechner/Wendl,
Gewerbeordnung2 (2003), 557 wiedergegebene hg. Rechtsprechung).
Im Mehrparteienverfahren
darf die Änderung keine zusätzlichen subjektiven Rechte mitbeteiligter Parteien
berühren und darüber hinaus auch bisher geltend gemachte Rechte nicht anders
tangieren (vgl. VwGH 18.8.2017, Ro 2015/04/0006, Rn. 14, mwN).
Änderungen des Antrages
im Rahmen des § 13 Abs. 8 AVG sind grundsätzlich auch im Verfahren vor dem VwG
zulässig (vgl. etwa VwGH 16.2.2017, Ra 2016/05/0026, mwN). Soweit sich eine
Änderung des Antrags im Rahmen des § 13 Abs. 8 AVG hält (also das Wesen der
Sache nicht verändert wird) und zudem die Grenze des Beschwerdegegenstandes
nicht überschritten ist, hat das VwG über den geänderten Antrag in der Sache zu
entscheiden (vgl. dazu auch Köhler, § 28 VwGVG, in: Köhler/Brandtner/Schmelz
[Hrsg.], VwGVG Kommentar [2021] Rz. 41). Seit der Novellierung des § 13 Abs. 8
AVG durch BGBl. I Nr. 57/2018 kommt hinzu, dass der verfahrenseinleitende
Antrag nur mehr "bis zu einer allfälligen Schließung des
Ermittlungsverfahrens" geändert werden darf. Bis zu dieser Novellierung
blieb der Schluss des Ermittlungsverfahrens ohne Auswirkungen auf die in § 13
Abs. 8 AVG vorgesehene Möglichkeit der Änderung des verfahrenseinleitenden
Antrages (vgl. dazu weiterführend Leeb, Schluss des Ermittlungsverfahrens neu,
ZVG 2019, 106 [116] sowie kritisch zu dieser Änderung des § 13 Abs. 8 AVG
Niederhuber, "Stiefkind" AVG? Reformbedarf im Verfahrensrecht, in:
Furherr [Hrsg.], Umweltverfahren und Standortpolitik [2020] 103 [112] mwN).
In jenen Fällen, in denen
die Verwaltungsbehörde oder das VwG das Ermittlungsverfahren gemäß § 39 Abs. 3
AVG geschlossen hat, kann keine Antragsänderung mehr im jeweiligen Verfahren
erfolgen (vgl. Köhler, Änderungen des Verfahrensrechts durch die AVG-Novelle
BGBl I 57/2018, in: Baumgartner [Hrsg.], Jahrbuch Öffentliches Recht 2019
[2019] 133 [162]). Auch die Gesetzesmaterialien zur AVG-Novelle BGBl. I Nr.
57/2018 verweisen darauf, dass die neuen Regelungen in § 39 Abs. 3 bis 5 AVG
und in § 13 Abs. 8 AVG (gemäß § 17 VwGVG 2014) auch "im Verfahren der VwG
sinngemäß anzuwenden" sind (vgl. RV 193 BlgNR 26. GP 4). Damit ist aber
lediglich klargestellt, dass erstens auch VwG das von ihnen durchzuführende
Ermittlungsverfahren schließen können und zweitens in diesen Fällen danach
keine Antragsänderungen mehr erfolgen dürfen. Für die Frage, ob eine auf
Behördenebene erfolgte Schließung des Ermittlungsverfahrens und damit die in §
13 Abs. 8 AVG normierte Begrenzung der Möglichkeit, den Antrag zu ändern, auf
das verwaltungsgerichtliche Verfahren "fortwirkt", lässt sich daraus
hingegen nichts gewinnen. Während gegen ein solches "Fortwirken" in
Zusammenhang mit der Zulässigkeit weiterer Vorbringen im Schrifttum vor allem
das fehlende Neuerungsverbot und die besondere Bedeutung der mündlichen
Verhandlung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowie die umfassende
Kognitionsbefugnis der VwG ins Treffen geführt werden (vgl. Köhler in
Baumgartner, aaO, 162 f; gegen eine Auswirkung auf das Neuerungsverbot
insbesondere auch Leeb, ZVG 2019, 115, und Kolonovits/Muzak/Stöger,
Verwaltungsverfahrensrecht11 [2019] Rz. 833), sind es in Bezug auf die Frage
der Zulässigkeit einer Antragsänderung im Sinn des § 13 Abs. 8 AVG in erster
Linie gewichtige teleologische Erwägungen, die gegen ein derartiges
"Fortwirken" über das verwaltungsbehördliche Verfahren hinaus
sprechen. nsoweit ist auch kein Grund ersichtlich, warum die Schließung des
Ermittlungsverfahrens (um ihr Ziel zu erreichen) über die jeweilige
Verfahrensebene hinauswirken sollte. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die
Schließung des Ermittlungsverfahrens über die jeweilige Verfahrensebene
hinauswirken sollte.
Zur Formulierung des Revisionspunktes und der
Zulässigkeitsbegründung bei Bekämpfung einer UVP-Genehmigung
VwGH
01.06.2021, Ro 2020/06/0011 („Stadtstraße Aspern“ und „Anschlussstelle Seestadt Ost“)
Die Parteien können als
Nachbarn/Nachbarinnen gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 als
subjektiv-öffentliches Recht eine Gefährdung ihrer Gesundheit oder eine Belästigung
sowie eine Gefährdung ihrer dinglichen Rechte im In- oder Ausland durch den
Betrieb oder den Bestand des Vorhabens geltend machen. Mit der behaupteten
Verletzung im "Recht auf Versagung der Genehmigung aufgrund der
vorliegenden Voraussetzungen hierfür" legen die Parteien nicht dar, in
welchem konkreten subjektiv-öffentlichen Recht gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000
sie sich als verletzt erachten (vgl. in diesem Sinn VwGH 12.8.2020, Ra
2020/05/0084, mwN; 29.5.2020, Ra 2020/05/0047, Rn. 6, mwN; betreffend den
Umfang der Parteienrechte gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 etwa VwGH 27.9.2018,
Ro 2018/06/0006, Rn. 7 f; 19.12.2013, 2011/03/0160, Pkt. 2.2.).
Die Abgrenzung eines Vorhabens im Sinne des
§ 2 UVP-G 2000 ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen. Die Zulässigkeit der
Revision könnte sich daher diesbezüglich nur ergeben, wenn in der
Zulässigkeitsbegründung substantiiert aufgezeigt wird, dass die Beurteilung des
BVwG grob fehlerhaft erfolgt wäre oder zu einem die Rechtssicherheit
beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis führen würde (vgl. VwGH 25.9.2019,
Ra 2019/05/0117, Rn. 9, mwN, zur Auslegung des Tatbestandes des
Städtebauvorhabens gemäß Anhang 1 Z 18 lit. b UVP-G 2000). (ebenso VwGH
15.11.2021, Ra 2021/06/0122)
Zurückziehung
eines UVP-Feststellungsantrages – Unzulässigkeit der amtswegigen Einleitung
eines Feststellungsverfahrens (erst) durch das BVwG („Heumarkt“)
VwGH 25.06.2021, Ro 2019/05/0018
Das Feststellungsverfahren nach § 3 Abs. 7
UVPG 2000 ist fakultativ. Eine Verpflichtung der UVP-Behörde auf Einleitung
eines amtswegigen Feststellungsverfahrens besteht dem eindeutigen Wortlaut der
genannten Bestimmung nach nicht ("Diese Feststellung kann auch von Amts
wegen erfolgen."). Die Einleitung eines amtswegigen Verfahrens setzt jedenfalls
einen entsprechenden Willensakt der UVP-Behörde voraus, welcher dieser
zuzurechnen ist und seinem Inhalt nach - objektiv betrachtet - darauf abzielt,
den Sachverhalt bezüglich der Voraussetzungen für den beabsichtigten
Verwaltungsakt zu klären (vgl. etwa VwGH 26.6.2019, Ro 2019/21/0006, oder auch
bereits 21.6.2007, 2006/07/0096, jeweils mwN).
Dass das Feststellungsverfahren nach § 3
Abs. 7 UVPG 2000 auch von Amts wegen - durch die zuständige Behörde - hätte
geführt werden können, ist in einer Sachverhaltskonstellation wie der
vorliegenden, in der der verfahrenseinleitende Antrag durch die Antragstellerin
zurückgezogen wurde und der Bescheid der Verwaltungsbehörde daher ersatzlos zu
beheben ist, für die weitere Zuständigkeit des BVwG zur Entscheidung über die
Beschwerden in der Sache nicht ausreichend. Schon angesichts der strikt
einzuhaltenden gesetzlichen Zuständigkeitsbestimmungen geht die Begründung des
BVwG unter Hinweis auf die Verfahrensökonomie fehl, die Behörde hätte im Fall
der Aufhebung des Bescheides durch das BVwG "u.U. auch die
Verpflichtung", einen neuen Feststellungsbescheid von Amts wegen zu
erlassen, zumal das Feststellungsverfahren auch von Amts wegen nach § 3 Abs. 7
UVP-G 2000 nicht zwingend ist.
Zuständige UVP-Behörde ist gemäß § 39 Abs.
1 UVPG 2000 die Landesregierung. Dieser, und nur dieser, steht gemäß § 3 Abs. 7
UVPG 2000 die Möglichkeit der amtswegigen Einleitung eines
Feststellungsverfahrens nach der genannten Gesetzesbestimmung offen; dem BVwG
kommt hingegen eine Behördenzuständigkeit zur amtswegigen Einleitung eines
Feststellungsverfahrens nach § 3 Abs. 7 UVPG 2000 weder auf Grund der für das
BVwG maßgebenden Zuständigkeitsbestimmungen noch nach seiner Stellung im
Rechtsschutzgefüge zu. Während die Verwaltungsbehörde in jenen Fällen, in denen
auch eine amtswegige Verfahrensführung in Frage kommt, im Fall der
Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrages vor Erlassung des Bescheides
allenfalls auf ein amtswegiges Verfahren "umsteigen" könnte, ist dies
dem VwG, das (soweit vorliegend relevant) zur Entscheidung über Beschwerden
(Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG), sohin zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit der
Verwaltung, nicht aber zur Führung der Verwaltung, zuständig ist, jedenfalls
verwehrt (vgl. die Gesetzesmaterialien zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle
2012, EBRV 1618 BlgNR XXIV. GP S. 4 und 12f; AB 1771 BlgNR XXIV. GP, S. 2; vgl.
auch VwGH 22.6.2016, Ra 2016/03/0027, jeweils mwN).
Gemäß § 13 Abs. 7 AVG können Anbringen in
jeder Lage des Verfahrens zurückgezogen werden. Darunter sind gemäß § 13 Abs. 1
AVG alle Arten von Verfahrenshandlungen zu verstehen, mit denen Beteiligte an
eine Behörde herantreten können (vgl. etwa VwGH 6.7.2016, Ra 2016/08/0041);
dies gilt also auch für den Antrag auf Erlassung eines Feststellungsbescheides
gemäß § 3 Abs. 7 UVPG 2000.
Die Zurückziehung eines Antrages ist so
lange zulässig, als dieser noch unerledigt ist und daher noch zurückgezogen
werden kann (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das hg. Erkenntnis vom
25. Juli 2013, Zl. 2013/07/0099). Dies bedeutet für jene Fälle, in denen der
verfahrenseinleitende Antrag auf die Einleitung eines mit Bescheid
abzuschließenden Verfahrens gerichtet ist, dass eine Antragszurückziehung bis
zur Bescheiderlassung, im Fall einer Berufung auch bis zur Erlassung des
Berufungsbescheides, möglich ist. Eine ausdrückliche Zurückziehung eines
Antrages wird als prozessuale Willenserklärung mit dem Einlangen bei der
zuständigen Behörde wirksam und damit unwiderruflich.
Die Zurückziehung des ursprünglichen
verfahrenseinleitenden Antrages während des anhängigen Beschwerdeverfahrens
bewirkt den Wegfall der Zuständigkeit der Behörde zur Erlassung des Bescheides
und damit nachträglich die Rechtswidrigkeit des Bescheides. Das VwG hat in
einem solchen Fall den erstinstanzlichen Bescheid ersatzlos zu beheben; tut es
dies nicht, belastet es seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit (vgl. etwa VwGH
26.2.2020, Ra 2019/05/0065, 27.1.2020, Ra 2019/04/0005, 0006, 17.6.2019, Ra
2019/22/0021, 0022, 25.9.2018, Ra 2017/01/0210, 25.10.2017, Ra 2017/07/0073,
21.12.2016, Ra 2016/04/0127, 5.3.2015, Ra 2014/02/0159, oder auch 19.11.2014,
Ra 2014/22/0016, jeweils mwN); eine inhaltliche Erledigung des
verfahrenseinleitenden Antrages ist mit dessen rechtzeitiger und zulässiger
Zurückziehung ausgeschlossen.
Eine Rechtsgrundlage für eine
Verpflichtung, bei Zurückziehung des Feststellungsantrages gemäß § 3 Abs. 7
UVPG 2000 zu deren Wirksamkeit auch den Nachweis der Zurückziehung allfälliger
materienrechtlicher Genehmigungsanträge bzw. entsprechende eidesstattliche
Erklärungen vorzulegen, ist nicht ersichtlich; dass weiters bei Zurückziehung
eines nach § 3 Abs. 7 UVPG 2000 gestellten Feststellungsantrages § 13 Abs. 7
AVG und das damit verbundene Recht des Antragstellers, in jeder Lage des
Verfahrens über seinen Antrag zu disponieren, nicht oder nur unter Bedingungen
anwendbar sein sollte, lässt sich dem UVPG 2000 weder entnehmen, noch wäre eine
solche Bestimmung ohne Darstellung, dass sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich
ist, mit Art. 11 Abs. 2 B-VG vereinbar.
Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, ein
Projekt vor der Materienbehörde derart abzuändern (vgl. § 13 Abs. 8 AVG und für
viele etwa VwGH 29.3.2007, 2006/07/0108), dass es hinsichtlich der für die
Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung maßgeblichen Punkte
nicht mehr mit dem ursprünglichen Vorhaben übereinstimmt (vgl. dazu sinngemäß
etwa VwGH 24.9.2014, 2012/03/0165). Auch bei Nichtzurückziehung des
materienrechtlichen Genehmigungsantrages (hier: des Baubewilligungsantrages)
nach Zurückziehung eines Feststellungsantrages nach § 3 Abs. 7 UVPG 2000 muss
daher nicht zwingend vom Weiterbestehen des Verwirklichungswillens hinsichtlich
des der UVP-Behörde zum Zeitpunkt der Antragstellung bei ihr vorliegenden
Projektes in seiner konkreten, eventuell UVP-pflichtigen Ausgestaltung
ausgegangen werden.
Mit der Möglichkeit eines Mitgliedes der
betroffenen Öffentlichkeit im Sinne des Art. 1 Abs. 2 UVP-Richtlinie, gemäß den
Bestimmungen dieser UVP-Richtlinie in einem über das konkrete Vorhaben nach
einem Materiengesetz abzuführenden Verfahren vorbringen zu können, dass das
gegenständliche Vorhaben einer UVP zu unterziehen wäre, ist den Anforderungen
des EuGH in Auslegung der UVP-Richtlinie, dass nämlich die betroffene
Öffentlichkeit eine auf der Grundlage einer nationalen Regelung getroffene
Verwaltungsentscheidung, keine UVP durchzuführen, im Rahmen eines gegen diese
Entscheidung oder gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten
Rechtsbehelfes anfechten können muss (vgl. Rz 44 des Urteil des EuGH in der
Rechtssache C-570/13, Karoline Gruber), Genüge getan.
Anmerkung: Im Baubewilligungsverfahren hat das VwG Wien mit Beschluss vom
14.09.2021, VGW-111/055/4533/2021-14, dem EuGH folgende Fragen im
Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art 267 AEUV vorgelegt:
I. Steht die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei
bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 26/2012, S. 1, in der
durch die Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom
16. April 2014, ABl. L 124/2014, S. 1, geänderten Fassung (im Folgenden:
Richtlinie 2011/92/EU) einer nationalen Regelung entgegen, welche die
Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für „Städtebauvorhaben“ sowohl
von der Erreichung von Schwellenwerten im Ausmaß einer Flächeninanspruchnahme
von mindestens 15 ha sowie einer Bruttogeschoßfläche von mehr als 150.000 m2 als
auch davon abhängig macht, dass es sich um ein Erschließungsvorhaben zur
gesamthaften multifunktionalen Bebauung, jedenfalls mit Wohn- und
Geschäftsbauten einschließlich der hierfür vorgesehenen Erschließungsstraßen und
Versorgungseinrichtungen mit einem über das Gebiet des Vorhabens hinaus
reichenden Einzugsbereich, handelt? Spielt es dabei eine Rolle, dass im
nationalen Recht besondere Tatbestände für
- - Freizeit- oder Vergnügungsparks,
Sportstadien oder Golfplätze (ab einer gewissen Flächeninanspruchnahme bzw. ab
einer gewissen Anzahl von Stellplätzen),
- - Industrie- oder Gewerbeparks (ab einer
gewissen Flächeninanspruchnahme),
- - Einkaufszentren (ab einer gewissen
Flächeninanspruchnahme bzw. ab einer gewissen Anzahl von Stellplätzen),
- - Beherbergungsbetriebe, wie Hotels oder
Feriendörfer, samt Nebeneinrichtungen (ab einer gewissen Bettenanzahl bzw. ab
einer gewissen Flächeninanspruchnahme, beschränkt auf den Bereich außerhalb
geschlossener Siedlungsgebiete) und
- - öffentlich zugängliche Parkplätze oder
Parkgaragen (ab einer gewissen Anzahl von Stellplätzen)
festgelegt sind?
II. Verlangt die Richtlinie 2011/92/EU – insbesondere unter
Beachtung der Anordnung in Anhang III Z 2 lit. c sublit. viii, wonach bei der
Entscheidung, ob für die in Anhang II angeführten Projekte eine
Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden soll, auch „historisch,
kulturell oder archäologisch bedeutende Landschaften und Stätten“ zu
berücksichtigen sind –, für Gebiete von besonderer historischer, kultureller,
stadtgestalterischer oder architektonischer Bedeutung, wie zum Beispiel
UNESCO-Welterbestätten, niedrigere Schwellenwerte oder niederschwelligere
Kriterien (als in der ersten Frage genannt) festzulegen?
III. Steht die Richtlinie 2011/92/EU einer nationalen Regelung
entgegen, welche bei Beurteilung eines „Städtebauvorhabens“ im Sinn der ersten
Frage die Zusammenrechnung (Kumulierung) mit anderen gleichartigen und in einem
räumlichen Zusammenhang stehenden Vorhaben darauf beschränkt, dass hierbei
lediglich die Summe der Kapazitäten, die innerhalb der letzten fünf Jahre
genehmigt wurden, einschließlich der beantragten Kapazität bzw.
Kapazitätsausweitung heranzuziehen ist, wobei Städtebauvorhaben bzw. deren Teile
nach ihrer Ausführung begrifflich nicht mehr als Städtebauvorhaben anzusehen
sind und die im Einzelfall vorzunehmende Feststellung, ob auf Grund einer
Kumulierung der Auswirkungen mit erheblichen schädlichen, belästigenden oder
belastenden Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen und daher eine
Umweltverträglichkeitsprüfung für das geplante Vorhaben durchzuführen ist,
unterleibt, wenn das geplante Vorhaben eine Kapazität von weniger als 25
Prozent des Schwellenwertes aufweist?
IV. Bei Bejahung der Fragen I und / oder II: Darf sich die im Fall
einer Überschreitung des mitgliedstaatlichen Wertungsspielraumes von den
nationalen Stellen (in Einklang mit den – in diesem Fall unmittelbar
anwendbaren – Bestimmungen in Art. 2 Abs. 1 sowie Art. 4 Abs. 2
und 3 der Richtlinie 2011/92/EU) im Einzelfall vorzunehmende Prüfung, ob das
Vorhaben möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt hat und deshalb
einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist, auf bestimmte
Schutzaspekte, wie etwa den Schutzzweck eines bestimmten Gebietes, beschränken
oder sind in diesem Fall sämtliche in Anhang III der Richtlinie 2011/92/EU
genannten Kriterien und Aspekte zu berücksichtigen?
V. Erlaubt es die Richtlinie 2011/92/EU, insbesondere unter
Beachtung der Rechtsschutzvorgaben in Art. 11, dass die in Frage IV bezeichnete
Prüfung erstmals durch das vorlegende Gericht (in einem
Baubewilligungsverfahren und im Rahmen der Prüfung der eigenen Zuständigkeit)
erfolgt, in dessen Verfahren die „Öffentlichkeit“ nach den Vorgaben des nationalen
Rechts nur in einem äußerst eingeschränkten Rahmen Parteistellung genießt und
gegen dessen Entscheidung den Mitgliedern der „betroffenen Öffentlichkeit“ im
Sinn von Art. 1 Abs. 2 lit. d und e der Richtlinie 2011/92/EU nur ein äußerst
eingeschränkter Rechtsschutz zur Verfügung steht? Spielt es für die
Beantwortung dieser Frage eine Rolle, dass nach der nationalen Rechtslage –
abseits der Möglichkeit einer amtswegigen Feststellung – nur der Projektwerber,
eine mitwirkende Behörde oder der Umweltanwalt eine gesonderte Feststellung
beantragen können, ob das Vorhaben der Verpflichtung zur Durchführung einer
Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt?
VI. Erlaubt es die Richtlinie 2011/92/EU im Fall von
„Städtebauprojekten“ gemäß Anhang II Z 10 lit. b dieser Richtlinie, vor oder
neben der Durchführung einer notwendigen Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. vor
Abschluss einer Einzelfallprüfung der Umweltauswirkungen, mit der die
Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung geklärt werden soll,
Baubewilligungen für einzelne Baumaßnahmen zu erteilen, die einen Teil des
Städtebauprojektes in seiner Gesamtheit bilden, wobei im Rahmen des
Bauverfahrens keine umfassende Beurteilung der Umweltauswirkungen im Sinn der
Richtlinie 2011/92/EU stattfindet und die Öffentlichkeit nur eine
eingeschränkte Parteistellung genießt?
Einheitlichkeit eines Vorhabens iSd § 2
Abs 2 UVP-G 2000
VwGH
08.09.2021, Ra 2018/04/0191 (Gewinnungsbetriebsplan für Abbaufelder in der
Gemeinde B, Bezirk Hartberg-Fürstenfeld)
Die Beurteilung, ob ein einheitliches
Vorhaben iSd § 2 Abs 2 UVP-G 2000 vorliegt, hat in Form einer Gesamtbetrachtung
zu erfolgen, wobei eine entsprechende Verdichtung der Indizienlage vorliegen
muss, um von einem - für die Annahme eines einheitlichen Vorhabens notwendigen
- funktionellen (sachlichen) Zusammenhang ausgehen zu können.
Der weite Vorhabensbegriff des § 2 Abs 2
UVP-G 2000 ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Verkleinerung eines
UVP-pflichtigen Vorhabens mit dem Ziel, mit dem Vorhaben in einem sachlichen
und räumlichen Zusammenhang stehende Vorhabensteile vorweg realisieren zu
können, verhindert werden soll. In gleicher Weise sollen Vorhabensteile nicht
durch Einschränkung des Antrags der UVP entzogen werden, um sie später ohne
Anwendung des UVP-Regimes umsetzen zu können. Der dafür unter anderem
notwendige funktionelle (sachliche) Zusammenhang zwischen den betroffenen
Vorhaben ist nach der Rechtsprechung des VwGH etwa bei Vorliegen eines
einheitlichen Betriebszwecks gegeben. Ein solcher wurde etwa im Fall eines
Hotels mit Wassererlebniswelt und einen Themenpark/Kinderwelt unter anderem auf
Grund von Synergieeffekten, einem wirtschaftlichen Gesamtkonzept und
einheitlicher Vermarktung angenommen (vgl VwGH 7.9.2004, 2003/05/0218 und
0219). Im Fall einer Schigebietserweiterung und der Zurechnung von Maßnahmen,
die dem Lawinenschutz dienen, wurde der funktionelle Zusammenhang nicht nur mit
dem gemeinsamen Betriebszweck begründet, sondern auch damit, dass die
Verwirklichung des einen Vorhabensteils die Verwirklichung des anderen
erfordert (vgl VwGH 17.12.2014, Ro 2014/03/0066).
Wie der VwGH bereits ausgesprochen hat,
kann die Frage, ob der von § 2 Abs 2 UVP-G 2000 geforderte sachliche
(funktionelle) Zusammenhang vorliegt, nicht allgemein, sondern nur individuell
von Fall zu Fall beurteilt werden, weswegen auch stets auf die Umstände des
Einzelfalles Bedacht zu nehmen ist (vgl VwGH Ra 2015/07/0175). Bei den dabei
anzustellenden Sachlichkeitsüberlegungen gilt es darauf Bedacht zu nehmen, ob
das Vorhaben in technischer und betrieblicher Hinsicht für sich bestehen kann
bzw. ob das Vorhaben für sich allein "verkehrswirksam" ist (vgl etwa
in Zusammenhang mit der Stückelung eines Straßenbauvorhabens VwGH 25.11.2008,
2008/06/0026, oder eines Eisenbahnprojektes VwGH 25.8.2010, 2007/03/0027). Ein
funktioneller Zusammenhang zwischen den betroffenen Vorhaben wird etwa dann
angenommen, wenn ein einheitlicher Betriebszweck vorliegt oder die
Verwirklichung des einen Vorhabensteils die Verwirklichung des anderen
erfordert (vgl dazu die in VwGH 8.10.2020, Ra 2018/07/0447, genannten
Beispiele). Hingegen bildet ein für sich nicht UVP-pflichtiges Vorhaben dann
keine Einheit mit einem anderen Projekt, wenn es (auch) einen mit jenem nicht
zusammenhängenden Zweck verfolgt und keinen engeren Zusammenhang mit jenem
aufweist, als er bei bloßen, nicht UVP-pflichtigen Vorarbeiten zu sehen ist
(vgl nochmals VwGH Ra 2018/07/0447, mwN).
Der Umfang des Vorhabens wird prinzipiell
durch den Antragsteller im Genehmigungsantrag definiert. In einem Projektgenehmigungsverfahren
ist Gegenstand des Verfahrens die Beurteilung des in den Einreichplänen und
sonstigen Projektunterlagen dargestellten Projekts (vgl zum Bauverfahren
zuletzt VwGH 15.3.2021, Ra 2020/05/0011, mwN). Allerdings steht das Vorliegen mehrerer
selbständiger Anträge der Annahme eines einheitlichen Vorhabens im Sinn des § 2
Abs 2 UVP-G 2000 nicht hindernd entgegen.
Durch die Rechtsprechung ist geklärt, dass
sich das Vorhaben nicht auf die jeweilige technische Anlage beschränkt, sondern
auch alle mit dieser in ihrem räumlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden
Maßnahmen umfasst (vgl VwGH 17.12.2019, Ro 2018/04/0012, mwN) bzw. ein Vorhaben
auch mehrere Anlagen oder Eingriffe umfassen kann, wenn diese als räumlich
zusammenhängende Projekte in einem engen funktionellen Zusammenhang stehen (vgl
VwGH 28.4.2016, Ra 2015/07/0175, mwN). Auf eine Personenidentität der
Projektwerber kommt es dabei nicht an (vgl VwGH 11.5.2017, Ra 2017/04/0006),
zumal auch Projekte verschiedener Projektwerber ein einheitliches Vorhaben
bilden können; dies vor allem in Hinblick darauf, dass Projekte verschiedener
Projektwerber bei der Beurteilung der UVP-Pflicht unter Umständen gemeinsam zu
betrachten sind, um den unionsrechtlich determinierten Zielen der UVP gerecht
zu werden. Ein zeitlicher Zusammenhang mehrerer Vorhabensteile muss zwar nicht
zwingend vorliegen, damit diese als einheitliches Gesamtprojekt anzusehen sind,
doch kann der sachliche Zusammenhang sehr wohl die zeitliche Komponente
einschließen.
Rechtsstellung von Umweltorganisation in
wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren
VwGH
14.09.2021, Ra 2020/07/0056 (Schwarze Sulm / „Trinkwasserkraftwerk S - Kraftwerk S, Ausbaustufe Teil A“)
Im Fall der Vorschreibung von
Anpassungszielen nach § 21a WRG 1959 als erstem Schritt und einem nachfolgenden
wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren als zweitem Schritt besteht kein Grund,
Umweltorganisationen schon im Verfahren zur Erlassung eines
Projektsvorlagebescheids nach § 21a WRG 1959 Parteistellung zuzuerkennen, zumal
sie ihre Rechte im nachfolgenden wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren in gesetzmäßiger
Weise wahrnehmen können (vgl dazu VwGH 21.6.2018, Ra 2016/07/0071 bis 0072).
Dass das über die vorgelegten
Projektsunterlagen nachfolgend abgeführte Bewilligungsverfahren zwar
seinerseits einen Teil des § 21a WRG 1959-Verfahrens darstellt (vgl VwGH
26.3.2015, Ro 2014/07/0095) ändert nichts daran, dass es sich dabei um ein
wasserrechtliches Bewilligungsverfahren handelt, in dem (auch) die Frage zu
klären ist, ob durch das auf der Grundlage der Projektsunterlagen anzupassende
Vorhaben ein möglicher Verstoß gegen aus dem Unionsumweltrecht hervorgegangene
Rechtsvorschriften vorliegt (vgl VwGH 25.4.2019, Ra 2018/07/0380 bis 0382). In
diesem Umfang kommt Umweltorganisationen in einem solchen wasserrechtlichen
Bewilligungsverfahren ein Recht auf Überprüfung zu.
Umweltorganisationen sind darauf
beschränkt, im Verfahren die Beachtung der aus dem Unionsumweltrecht
hervorgegangenen Rechtsvorschriften überprüfen zu lassen (vgl EuGH 20.12.2017,
C-664/15, Rs Protect). Allerdings ist die Frage, ob durch ein Vorhaben ein
möglicher Verstoß gegen die Verpflichtung des § 104a WRG 1959 bzw negative
Auswirkungen auf den Gewässerzustand hervorgerufen werden könnten, im
Bewilligungsverfahren zu klären (so im Übrigen auch die Erläuternden
Bemerkungen RV 270 der Beilagen XXVI. GP zu § 102 Abs. 2 WRG 1959 idF BGBl I Nr
73/2018 (Aarhus-Beteiligungsgesetz 2018)). Können solche negativen Auswirkungen
durch ein Vorhaben nicht von vornherein ausgeschlossen werden, berührt dies
nicht die Parteistellung im Verfahren (vgl VwGH 24.1.2013, 2012/07/0208;
23.4.1998, 97/07/0005).
Wenn eine anerkannte Umweltorganisation
nach § 19 Abs 7 UVP-G 2000 berechtigt ist, im Verfahren die Beachtung der aus
dem Unionsumweltrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften überprüfen zu lassen,
so macht es einen ganz entscheidenden Unterschied, ob Gegenstand der Prüfung
lediglich technische Änderungen oder Anpassungen iSd § 21 Abs. 5 WRG 1959 sind
oder solche, die darüber hinausgehen. In letzterem Fall wäre ein
Neuverleihungsverfahren für die gesamte Anlage notwendig, an dessen Ende eine
Bewilligung stünde, die zur gänzlichen Derogation der ursprünglichen
Stammbewilligung führte (VwGH 24.3.2011, 2008/07/0227). Es versteht sich von
selbst, dass der Umfang der aus dem Unionsrecht abgeleiteten Partizipationsrechte
für Umweltorganisationen in einem Neuverleihungsverfahren des
Wasserbenutzungsrechts wesentlich weiter als bei einer bloßen Anlagenänderung
ist. Deshalb muss es diesen Umweltorganisationen zur effektiven Ausübung ihrer
aus dem Unionsrecht abgeleiteten Rechte auch zustehen, zur Frage, ob lediglich
eine bloße Änderung der Anlage oder bereits eine bewilligungspflichtige
Änderung der Wasserbenutzung selbst vorliege, ein vom VwG zu berücksichtigendes
Vorbringen zu erstatten.
Im Zusammenhang mit der Frage, ob anerkannte
Umweltorganisationen in einem wasserrechtlichen Verfahren die Frage des
Vorliegens eines "aliud" rechtswirksam geltend machen können, ist auf
die ständige Rechtsprechung des EuGH (vgl EuGH 6.10.2015, Orizzonte Salute,
C-61/14; EuGH 30.6.2016, Toma, C-205/15) zu verweisen, nach welcher es mangels
einer einschlägigen Unionsregelung gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie
der Mitgliedstaaten Sache der einzelnen Mitgliedstaaten ist, die Modalitäten
für das Verwaltungsverfahren und das Gerichtsverfahren zu regeln, die den
Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten
sollen. Diese Verfahrensmodalitäten dürfen jedoch nicht weniger günstig
ausgestaltet sein als jene für entsprechende innerstaatliche Rechtsbehelfe (Grundsatz
der Äquivalenz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen
Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz
der Effektivität, vgl VwGH 20.9.2018, Ra 2018/11/0107 bis 0108). Dieser
Effektivitätsgrundsatz (EuGH 14.12.1995, Peterbroeck, C-312/93; sowie für
Umweltverbände EuGH 12.5.2011, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland,
Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V., C-115/09) stellt eine ganz wesentliche
Ausformung der Grundsätze der Einheitlichkeit und größten Wirksamkeit des
Unionsrechts dar, gewährleistet er doch in entscheidender Weise, dass die
Wirkungen des Unionsrechts durch den indirekten Vollzug der Mitgliedstaaten
nicht unterlaufen werden (VwGH 5.11.2015, Ro 2014/06/0078).
Formulierung des Revisionspunktes iS des § 28 Abs. 1 Z
4 VwGG bei Beschwerden von Nachbarn gegen UVP-Genehmigungen
VwGH 30.09.2021, Ro 2021/06/0009
(„Stadtstraße Aspern“ und
„Anschlussstelle Seestadt Ost“)
Die Parteien können als
Nachbarn/Nachbarinnen gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 UVPG 2000 als
subjektiv-öffentliches Recht eine Gefährdung oder Belästigung oder eine
Gefährdung ihrer dinglichen Rechte im In- oder Ausland durch den Betrieb oder
den Bestand des Vorhabens geltend machen.
Mit der behaupteten Verletzung im „Recht
auf Versagung der Genehmigung aufgrund der vorliegenden Voraussetzungen
hierfür“ legt der Revisionswerber nicht dar, in welchem konkreten
subjektiv-öffentlichen Recht gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 er sich als verletzt
erachtet (vgl. in diesem Sinn VwGH 12.8.2020, Ra 2020/05/0084, mwN; 29.5.2020,
Ra 2020/05/0047, Rn. 6, mwN; betreffend den Umfang der Parteienrechte gemäß §
19 Abs. 1 Z 1 UVPG 2000 etwa VwGH 27.9.2018, Ro 2018/06/0006, Rn. 7 f;
19.12.2013, 2011/03/0160, Pkt. 2.2.; 1.6.2021, Ro 2020/06/0011).
Voraussetzungen
für die Zuerkennung aufschiebender Wirkung bei Revision gegen naturschutzrechtliche
Bewilligung
VwGH 15.12.2021, Ra 2021/10/0178 (Repowering Windpark im Waldviertel: Änderung des Windparks durch Änderung der Anlagentype unter Reduktion der Anlagenanzahl von vier auf drei Anlagen mit nunmehr größeren Rotoren und höherer Leistung und geringfügigen Standortverschiebungen)
Als "unverhältnismäßiger Nachteil für
den Revisionswerber" ist im vorliegenden Fall eine unverhältnismäßige
Beeinträchtigung der von den revisionswerbenden Umweltorganisationen zu
vertretenden, sich aus unionsrechtlich bedingten Umweltschutzvorschriften
ergebenden Interessen als Folge einer Umsetzung der angefochtenen Entscheidung
in die Wirklichkeit zu verstehen (vgl etwa VwGH 5.6.2020, Ra 2020/10/0035,
mwN).
Nichtstattgebung - Bei der Beurteilung des
Vorliegens eines unverhältnismäßigen Nachteils gemäß § 30 Abs 2 VwGG ist im
Falle der Tötung von Wildtieren, die durch die FFH-Richtlinie und die
Vogelschutz-Richtlinie bzw. durch die diese umsetzenden nationalen Bestimmungen
geschützt werden, vordergründig der Zweck der durch die nationalen
Schutzbestimmungen umgesetzten Richtlinien, nämlich der Artenschutz und die
Arterhaltung zu berücksichtigen (vgl etwa VwGH 10.8.2018, Ra 2018/03/0066 bis
0068). Davon ausgehend wird mit dem bloßen Verweis auf die "Tötung eines
Individuums und des daraus wahrscheinlich resultierenden Verlustes einer
Brut" ohne nähere Darlegungen zu den diesbezüglichen konkreten
Auswirkungen auf die lokale Population unter dem Gesichtspunkt des
Artenschutzes und der Arterhaltung ein unverhältnismäßiger Nachteil im
genannten Sinne nicht aufgezeigt.
Begriff
der „Umweltschutzvorschriften“; Formulierung des Revisionspunktes
VwGH 17.12.2021, Ra 2021/06/0101 („S1 Wiener Außenring Schnellstraße Schwechat – Süßenbrunn,1. Verwirklichungsabschnitt Groß-Enzersdorf bis Süßenbrunn“)
Umweltorganisationen und Bürgerinitiativen
sind gemäß § 19 Abs 4 bzw § 19 Abs 10 UVP-G 2000 zwar berechtigt, die
Einhaltung von Umweltschutzvorschriften (als subjektives Recht im Verfahren)
geltend zu machen. Unter den Begriff einer "Umweltschutzvorschrift"
im Sinne des § 19 Abs 4 bzw 10 UVP-G 2000 fallen jedoch nicht ganze
Rechtsbereiche, wie etwa das Naturschutzrecht, sondern die Qualifikation der
einzelnen Rechtsnormen ist jeweils für sich vorzunehmen; eine Rechtsnorm kann
dann als "Umweltschutzvorschrift" im Sinne der genannten
Gesetzesbestimmungen qualifiziert werden, wenn ihre Zielrichtung (zumindest
auch) in einem Schutz der Umwelt - im Sinne einer Hintanhaltung von Gefahren
für die menschliche Gesundheit oder die Natur - besteht (vgl etwa VwGH
28.5.2020, Ra 2019/07/0081 bis 0083, Ra 2019/07/0130, mwN).
In diesem Sinn ist
es nicht ausreichend, als Revisionspunkt pauschal das NÖ NSchG 2000 bzw das Wr
NSchG anzuführen, sondern es wäre erforderlich, zumindest thematisch jene in
den Naturschutzgesetzen enthaltenen Umweltschutzvorschriften zu benennen, die
nach Ansicht der revisionswerbenden Parteien im vorliegenden Verfahren verletzt
wurden. Darüber hinaus reicht es im Zusammenhang mit der Darlegung des
Revisionspunktes auch nicht aus, sich pauschal auf ein "Recht auf Nichterteilung"
einer bestimmten Bewilligung zu berufen (vgl etwa VwGH 26.4.2021, Ro
2021/05/0015, mwN).
Unbedingte
UVP-Pflicht bei Vorhaben des Anhangs I der UVP-RL; UVP-Feststellungsverfahren
und Verhandlungspflicht des BVwG
VwGH 20.12.2021, Ra 2021/06/0110 („A 22 Donauufer Autobahn, Fahrstreifenzulegung
im Abschnitt zwischen Ast. Stockerau Ost und Knoten Stockerau“)
Das BVwG hatte mit dem beim VwGH angefochtenen Erkenntnis den Beschwerden gegen einen UVP-Feststellungsbescheid des BMK (§ 24 Abs 5 UVP-G) stattgegeben und festgestellt: Für das Vorhaben „A 22 Donauufer Autobahn,
Fahrstreifenzulegung im Abschnitt zwischen Ast. Stockerau Ost und Knoten Stockerau“ ist
aufgrund einer unmittelbaren Anwendung von Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Anhang I Z 7 lit. b der UVP-Richtlinie 2011/92/EG eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen.
Der VwGH hob das Erkenntnis wegen Verletzung der Verhandlungspflicht des BVwG auf:
Der EGMR hielt in seiner Judikatur unter
anderem fest, dass der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung in Fällen
gerechtfertigt sein könne, in welchen lediglich Rechtsfragen beschränkter Natur
oder von keiner besonderen Komplexität aufgeworfen würden (vgl EGMR 18.12.2008,
Saccoccia/Österreich, 69917/01, Z 76, unter Hinweis auf seine frühere
Rechtsprechung; 13.3.2012, Efferl/Österreich, 13556/07; und 7.3.2017,
Tusnovics/Österreich, 24719/12, Z 21). In diesem Zusammenhang gelangte der EGMR
etwa in Bezug auf die von einem Beschwerdeführer aufgeworfene Frage, ob es sich
bei einem bestimmten Bauernhof um einen Erbhof handle, zu dem Schluss, dass
dessen Beschwerde komplexe Rechts- und Tatfragen aufwerfe, weshalb das Gericht
auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht hätte verzichten dürfen
(vgl EGMR 26.6.2003, Osinger/Österreich, 54645/00; vgl zum Ganzen auch VwGH
12.12.2017, Ra 2015/05/0063). Bei der Frage, ob Anhang I Z 7 lit b
UVP-Richtlinie (Bau von Autobahnen und Schnellstraßen) vollständig in
nationales Recht umgesetzt wurde, ob das UVP-G 2000 diesbezüglich einer
unionsrechtskonformen Auslegung zugänglich ist oder das innerstaatliche Recht
verdrängt wird und die relevanten Bestimmungen der UVP-Richtlinie unmittelbar
anzuwenden sind, handelt es sich um eine komplexe Rechtsfrage im Sinn der oben
dargestellten Judikatur des EGMR. Die Verdrängung nationalen Rechts kann nicht
als Rechtsfrage "allgemeiner Natur" oder von keiner besonderen
Komplexität angesehen werden, sodass auf eine mündliche Verhandlung beim
Verwaltungsgericht nicht verzichtet werden kann.
Inhaltlich führte der VwGH aus:
Die Zuordnung eines Vorhabens zu einem Tatbestand des Anhanges I der UVP-Richtlinie hat zur Folge, dass keine Prüfung im Sinn des Anhanges II Z 13 lit a iVm Art 4 Abs 2 UVP-Richtlinie (die im nationalen Recht durch § 3 Abs 7 bzw § 24 Abs 5 UVP-G 2000 umgesetzt wurden), sondern jedenfalls ein UVP-Genehmigungsverfahren durchzuführen ist. Wird für ein solches Vorhaben nur ein UVP-Feststellungsverfahren statt eines Genehmigungsverfahrens durchgeführt, so entspricht dies nicht "den Zielen der UVP-Richtlinie". Es mag zutreffen, dass das eine oder andere dem Anhang I UVP-Richtlinie zuzuordnende Projekt keine erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt (im Sinn des Anhanges II Z 13 lit. a UVP-Richtlinie) haben kann. Dies ändert jedoch nichts daran, dass aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Art. 4 Abs. 1 UVP-Richtlinie auch für dieses Projekt ein UVP-Genehmigungsverfahren durchzuführen ist.
Anmerkung: Mit dem nachfolgenden Erkenntnis vom 28.01.2022, W104 2240490-1/135E, wurde vom BVwG (nach mündlicher Verhandlung) neuerlich festgestellt, dass für das Vorhaben „A 22 Donauufer Autobahn,
Fahrstreifenzulegung im Abschnitt zwischen Ast. Stockerau Ost und Knoten Stockerau“ aufgrund einer unmittelbaren Anwendung von Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Anhang I Z 7 lit. b der UVP-Richtlinie 2011/92/EG eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Ein Rechtsmittelverfahren ist anhängig.
Anhand der Lernunterlage des Vortragenden und den maßgeblichen Gesetzestexten werden die Rechtsvorschriften und die Rechtsprechung zum UVP-Verfahren dargestellt und mit den Studierenden erörtert.
In einer schriftlichen Klausur sollen die Studierenden das erlernte Wissen und Können wiedergeben.