Das ÖKOBÜRO hat im April 2015 ein Papier mit Lösungsvorschlägen zur Umsetzung von Artikel 9 Abs 3 der Aarhus Konvention veröffentlicht (RECHTSSCHUTZ IM UMWELTRECHT - Rechtsbehelfe zur Umsetzung von Art 9 Abs 3 der Aarhus Konvention).
Art 9 Aarhus Konvention regelt den Zugang zu Gerichten für Umweltorganisationen und Einzelpersonen im Umweltbereich. Während die Umsetzung in Hinblick auf UVP- und IPPC-Verfahren in Österreich konventionskonform erfolgt ist, wobei auch keine grundsätzlichen Einwände gegen das System des subjektiven Rechts erhoben wurden, ist Österreich wegen fehlender Rechte von Umweltorganisationen und betroffenen Einzelpersonen außerhalb der zuvor genannten Bereiche vom Aarhus Convention Compliance Committee (ACCC) gerügt worden (ECE/MP.PP/2014/2/Add.1 Decision V/9b on compliance by Austria with its obligations under the Convention 2014).
Das ÖKOBÜRO geht bei seinen Vorschlägen auch schon auf die Vorabentscheidung des EuGH im Fall "Karoline Gruber" ein (EuGH 16.4.2015, Rs C 570/13; dazu in diesem Blog -> hier) und fordert im wesentlichen eine Beteiligung mit Parteistellung in umweltrelevanten Verfahren mit Einschluss des Zuganges zu den Höchstgerichten.
Wesentlich für den effektiven und gleichwertigen Rechtsschutz im Sinne von Artikel 9 Abs 4 der Aarhus Konvention und des europarechtlichen Äquivalenzgrundsatzes sei auch der Zugang zu den Höchstgerichten, wie das explizit in § 19 Abs 10 des UVP-G vorgesehen ist, so das ÖKOBÜRO. Eine Regelung, welche die Umweltorganisationen im Gegensatz zu anderen Verfahrensparteien von den Höchstgerichten ausschließe, würde den oben genannten Regelungen widersprechen.
Die Umsetzung kann aus Sicht von ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung entweder zentral in einem NGO-Gesetz, oder aber aufgeteilt auf die einzelnen Materiengesetze wie der GewO, dem WRG, dem IG-L oder den Naturschutzgesetzen etc. erfolgen und müsste den NGOs die Stellung einer Legalpartei in den Verfahren einräumen.
Allerdings sieht die Aarhus Konvention ebenso wenig wie Art 11 UVP-RL einen Instanzenzug verpflichtend vor. Ob eine echte Parteistellung in allen Umweltverfahren notwendig ist oder ein Überprüfungsrecht ausreicht, wie es derzeit § 3 Abs 7a UVP-G im Feststellungsverfahren nach dem UVP-Gesetz vorsieht, ist vom Wortlaut der Konvention eigentlich entschieden: Art 9 Abs 2 spricht nämlich von einem
- Zugang zu einem Überprüfungsverfahren und Art 9 Abs 3 vom Recht,
- Handlungen und Unterlassungen anzufechten.
Beide Formulierungen verlangen demnach nicht, eine Parteistellung schon in den verwaltungsbehördlichen Genehmigungsverfahren einzuräumen. Im Hinblick darauf, dass vor den Verwaltungsgerichten kein Neuerungsverbot besteht und diese grundsätzlich in der Sache zu entscheiden haben (vgl §§ 9, 10 und 28 Abs 2 VwGVG), kann ein effektiver Rechtsschutz für Umweltorganisationen wohl auch dann gegeben sein, wenn diese nicht schon vor der Verwaltungsbehörde als Parteien beteiligt waren.
Es ist keinesfalls so, dass ohne Einräumung von Parteistellung die Ausübung der durch die Konvention oder die ÖffentlichkeitsbeteiligungsRL verliehenen Rechte praktisch unmöglich wären oder übermäßig erschwert würden. Auch ein Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, müssen doch Nachbarn und Umweltorganisationen nicht notwendigerweise gleich behandelt werden; ebensowenig wie ihnen in allen umweltrelevanten Verfahren exakt dieselben Rechte eingeräumt werden müssen wie in UVP- und IPPC-Genehmigungsverfahren.
Das Papier des ÖKOBÜROs stellt eine interessante Grundlage für die nicht zuletzt nach dem EuGH-Urteil "Karoline Gruber" notwendigen gesetzlichen Regelungen zur Umsetzung der Rechte von Umweltorganisationen dar und wird die Diskussion sicherlich weiterbringen. Was dabei schlussendlich herauskommt, ist eine der aktuell spannendsten Fragen des Umweltrechts!
Montag, 4. Mai 2015
Samstag, 2. Mai 2015
Zeitliche Grenze bei der Kumulation - ja oder nein?
Im Vorjahr sprach der VwGH aus, dass der Kumulationstatbestand, der gebietet, die Kapazitäten von in einem räumlichen Zusammenhang stehenden Vorhaben zusammenzurechnen und eine UVP-Einzelfallprüfung vorzunehmen, restriktiv auszulegen sei (VwGH 2011/07/0214 vom 24.7.2014; siehe dazu auch schon in diesem Blog). Und besonders einschränkend legte im Frühjahr 2014 ein Senat des Bundesverwaltungsgerichtes die Kumulationsbestimmung aus: in der Entscheidung vom 27.3.2014 (W143 2000181-1/8E, Windpark Koralpe) schob man der Kumulation einen zeitlichen Riegel vor und argumentierte, dass die 5-Jahres-Zusammenrechnungsregel des § 3a Abs 5 UVP-G (gilt für Erweiterungen desselben Vorhabens) analog auf die Kumulation mit anderen Vorhaben anzuwenden sei. Nun rudert aber ein anderer Senat des BVwG zurück: Die Kumulationsbestimmung des § 3 Abs 2 und § 3a Abs 6 UVP-G stelle nicht auf die "5-Jahres-Regel" ab, heißt es im neuesten Erkenntnis des BVwG vom 20.4.2015, "Hatric IV".
In diesem steiermärkischen Fall, bei dem es um die Errichtung eines Fachmarktzentrums in räumlicher Nähe zu bestehenden Einkaufszentren ging, hatte die Behörde aufgrund zweier Feststellungsanträge - des Projektwerbers und der Umweltanwältin - über die UVP-Pflicht zu entscheiden. Sie legte bei ihrer Entscheidung, ob eine Kumulation mit den benachbarten Einkaufszentren zu erfolgen habe, die Rechtsprechung des BVwG im Fall "Windpark Koralpe" zugrunde und bezog nur Projekte in die Kumulationsprüfung ein, die in den letzten fünf Jahren genehmigt worden waren. Da damit nur mehr ein Bruchteil der bestehenden Vorhaben zu kumulieren war, wurde auf dieser Basis eine UVP-Pflicht verneint.
Die Berufung der Umweltanwältin stellte die einschränkende Sichtweise des BVwG im "Koralpe"-Fall in Frage und der in diesem Fall zuständige UVP-Senat des BVwG sagte nun, es könne diese Rechtsauffassung nicht aufrecht erhalten werden. Bei der Prüfung der kumulativen Effekte sei die bestehende Bebauung unabhängig von einer zeitlichen Komponente zu berücksichtigen (BVwG 20.4.2015, W104 2101995-1/11E). Die Begründung dieses Erkenntnisses schließt sich damit der bisherigen Rsp des Umweltsenates an.
Aufgehoben wurde der angefochtene Bescheid vom BVwG allerdings deswegen, weil der Projektwerber erklärte, dass das Vorhaben nicht mehr in der dem Feststellungsverfahren zugrunde liegenden Form verwirklicht werde. Aufgrund dieser Abstandnahme vom gegenständlichen Projekt war dem Verfahren die Grundlage entzogen und über die Beschwerde der Umweltanwaltschaft nicht mehr zu entscheiden.
Die sich in der Begründung findende Aussage, dass das BVwG nun die "Koralpe"-Entscheidung zur Kumulationspflicht nicht mehr aufrecht erhalten wolle, ist daher derzeit noch ein "obiter dictum".
In diesem steiermärkischen Fall, bei dem es um die Errichtung eines Fachmarktzentrums in räumlicher Nähe zu bestehenden Einkaufszentren ging, hatte die Behörde aufgrund zweier Feststellungsanträge - des Projektwerbers und der Umweltanwältin - über die UVP-Pflicht zu entscheiden. Sie legte bei ihrer Entscheidung, ob eine Kumulation mit den benachbarten Einkaufszentren zu erfolgen habe, die Rechtsprechung des BVwG im Fall "Windpark Koralpe" zugrunde und bezog nur Projekte in die Kumulationsprüfung ein, die in den letzten fünf Jahren genehmigt worden waren. Da damit nur mehr ein Bruchteil der bestehenden Vorhaben zu kumulieren war, wurde auf dieser Basis eine UVP-Pflicht verneint.
Die Berufung der Umweltanwältin stellte die einschränkende Sichtweise des BVwG im "Koralpe"-Fall in Frage und der in diesem Fall zuständige UVP-Senat des BVwG sagte nun, es könne diese Rechtsauffassung nicht aufrecht erhalten werden. Bei der Prüfung der kumulativen Effekte sei die bestehende Bebauung unabhängig von einer zeitlichen Komponente zu berücksichtigen (BVwG 20.4.2015, W104 2101995-1/11E). Die Begründung dieses Erkenntnisses schließt sich damit der bisherigen Rsp des Umweltsenates an.
Aufgehoben wurde der angefochtene Bescheid vom BVwG allerdings deswegen, weil der Projektwerber erklärte, dass das Vorhaben nicht mehr in der dem Feststellungsverfahren zugrunde liegenden Form verwirklicht werde. Aufgrund dieser Abstandnahme vom gegenständlichen Projekt war dem Verfahren die Grundlage entzogen und über die Beschwerde der Umweltanwaltschaft nicht mehr zu entscheiden.
Die sich in der Begründung findende Aussage, dass das BVwG nun die "Koralpe"-Entscheidung zur Kumulationspflicht nicht mehr aufrecht erhalten wolle, ist daher derzeit noch ein "obiter dictum".
Freitag, 17. April 2015
EuGH-Vorabentscheidung "Karoline Gruber" ist da - die Bindungswirkung ist weg!
Jüngst hat der EuGH das mit Spannung erwartete Urteil zur Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden gefällt (Urteil vom 16.04.2014, C-570/13). Das Ergebnis ist nicht überraschend: Der EuGH verneint die Bindungswirkung von Feststellungsbescheiden gegenüber der betroffenen Öffentlichkeit, die am Feststellungsverfahren nicht beteiligt war. Außerdem hält der EuGH fest, dass ein gewerbebehördliches Betriebsanlagenverfahren den Anforderungen der UVP-RL nicht entpreche. Auch das ist (wenn man ein "gewöhnliches Betriebsanlagenverfahren" mit einer "richtigen UVP" vergleicht) wenig sensationell. Spannend wird aber nun sein, welche Konsequenzen die Rechtsprechung und Verwaltungspraxis in anhängigen Verfahren aus dem Judikat zieht und wie der Gesetzgeber reagieren wird.
Die Vorlagefragen beantwortet der EuGH wie folgt:
51 Nach alledem sind die Vorlagefragen dahin zu beantworten, dass Art. 11 der Richtlinie 2011/92 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen – wonach eine Verwaltungsentscheidung, mit der festgestellt wird, dass für ein Projekt keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, Bindungswirkung für Nachbarn hat, die vom Recht auf Erhebung einer Beschwerde gegen diese Entscheidung ausgeschlossen sind – entgegensteht, sofern diese Nachbarn, die zur „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie gehören, die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf das „ausreichende Interesse“ oder die „Rechtsverletzung“ erfüllen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzung in der bei ihm anhängigen Rechtssache erfüllt ist. Ist dies der Fall, muss das vorlegende Gericht feststellen, dass eine Verwaltungsentscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, gegenüber diesen Nachbarn keine Bindungswirkung hat.“
42 Angesichts des Wortlauts dieser Bestimmung ist ersichtlich, dass die Personen, die unter den Begriff „Nachbar“ fallen, zur „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/92 gehören können. Diese „Nachbarn“ sind jedoch nur zur Erhebung einer Beschwerde gegen die Genehmigung zur Errichtung oder zum Betrieb einer Anlage berechtigt. Da sie im Verfahren zur Feststellung der Erforderlichkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht Partei sind, können sie den UVP-Feststellungsbescheid auch nicht im Rahmen einer etwaigen Beschwerde gegen den Genehmigungsbescheid anfechten. Indem das UVP-G 2000 das Beschwerderecht gegen die Entscheidungen, mit denen festgestellt wird, ob die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für ein Projekt erforderlich ist, auf die Projektwerber/Projektwerberinnen, die mitwirkenden Behörden, den Umweltanwalt und die Standortgemeinde beschränkt, nimmt es einer Vielzahl von Privatpersonen, insbesondere auch den „Nachbarn“, die möglicherweise die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2011/92 erfüllen, dieses Recht.
44 Folglich darf eine auf der Grundlage einer solchen nationalen Regelung getroffene Verwaltungsentscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, einen zur „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne der Richtlinie 2011/92 gehörenden Einzelnen, der die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf ein „ausreichendes Interesse“ oder gegebenenfalls eine „Rechtsverletzung“ erfüllt, nicht daran hindern, diese Entscheidung im Rahmen eines gegen sie oder gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfs anzufechten.
[...]
47 Trotz des Wertungsspielraums, über den ein Mitgliedstaat gemäß Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2011/92 verfügt, wonach die Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen der bestehenden Verfahren zur Genehmigung der Projekte oder, falls solche nicht bestehen, im Rahmen anderer den Zielen dieser Richtlinie entsprechender Verfahren durchgeführt werden kann, kann ein Verfahren wie das u. a. durch die §§74 Abs. 2 und 77 Abs. 1 der Gewerbeordnung geregelte nicht den Erfordernissen der Unionsregelung über die Umweltverträglichkeitsprüfung entsprechen.
48 Die Bestimmungen der Gewerbeordnung sehen offenkundig zugunsten der Nachbarn die Möglichkeit vor, im Verfahren zur Genehmigung der Errichtung einer gewerblichen Betriebsanlage Einwendungen zu erheben, wenn durch die Verwirklichung der Anlage ihr Leben, ihre Gesundheit oder ihr Eigentum gefährdet würde oder sie belästigt würden.
Ist das verwaltungsbehördliche Genehmigungsverfahren schon abgeschlossen und gegen die Genehmigung eine Beschwerde bzw Revision bereits beim Verwaltungsgericht oder VwGH anhängig, könnte diese Äußerungsmöglichkeit und die Überprüfung der UVP-Feststellung auch noch dort nachgeholt werden. Da Art 47 GRC ohnehin einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem Gericht verlangt, spricht nichts dagegen, dass die Überprüfung (erst) durch das Gericht - und nicht schon zuvor bei der Verwaltungsbehörde - erfolgt. Gegen deren Entscheidung müsste ja ohnehin wieder ein gerichtlicher Rechtsbehelf zur Verfügung stehen!
Die Vorlagefragen beantwortet der EuGH wie folgt:
51 Nach alledem sind die Vorlagefragen dahin zu beantworten, dass Art. 11 der Richtlinie 2011/92 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen – wonach eine Verwaltungsentscheidung, mit der festgestellt wird, dass für ein Projekt keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, Bindungswirkung für Nachbarn hat, die vom Recht auf Erhebung einer Beschwerde gegen diese Entscheidung ausgeschlossen sind – entgegensteht, sofern diese Nachbarn, die zur „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie gehören, die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf das „ausreichende Interesse“ oder die „Rechtsverletzung“ erfüllen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzung in der bei ihm anhängigen Rechtssache erfüllt ist. Ist dies der Fall, muss das vorlegende Gericht feststellen, dass eine Verwaltungsentscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, gegenüber diesen Nachbarn keine Bindungswirkung hat.“
Interessant sind in der Begründung vor allem folgende Randnummern:
42 Angesichts des Wortlauts dieser Bestimmung ist ersichtlich, dass die Personen, die unter den Begriff „Nachbar“ fallen, zur „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2011/92 gehören können. Diese „Nachbarn“ sind jedoch nur zur Erhebung einer Beschwerde gegen die Genehmigung zur Errichtung oder zum Betrieb einer Anlage berechtigt. Da sie im Verfahren zur Feststellung der Erforderlichkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht Partei sind, können sie den UVP-Feststellungsbescheid auch nicht im Rahmen einer etwaigen Beschwerde gegen den Genehmigungsbescheid anfechten. Indem das UVP-G 2000 das Beschwerderecht gegen die Entscheidungen, mit denen festgestellt wird, ob die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für ein Projekt erforderlich ist, auf die Projektwerber/Projektwerberinnen, die mitwirkenden Behörden, den Umweltanwalt und die Standortgemeinde beschränkt, nimmt es einer Vielzahl von Privatpersonen, insbesondere auch den „Nachbarn“, die möglicherweise die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2011/92 erfüllen, dieses Recht.
43 Dieser nahezu vollständige Ausschluss beschränkt die Tragweite des Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2011/92 und ist daher nicht mit der Richtlinie vereinbar.
44 Folglich darf eine auf der Grundlage einer solchen nationalen Regelung getroffene Verwaltungsentscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, einen zur „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinne der Richtlinie 2011/92 gehörenden Einzelnen, der die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf ein „ausreichendes Interesse“ oder gegebenenfalls eine „Rechtsverletzung“ erfüllt, nicht daran hindern, diese Entscheidung im Rahmen eines gegen sie oder gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfs anzufechten.
47 Trotz des Wertungsspielraums, über den ein Mitgliedstaat gemäß Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2011/92 verfügt, wonach die Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen der bestehenden Verfahren zur Genehmigung der Projekte oder, falls solche nicht bestehen, im Rahmen anderer den Zielen dieser Richtlinie entsprechender Verfahren durchgeführt werden kann, kann ein Verfahren wie das u. a. durch die §§74 Abs. 2 und 77 Abs. 1 der Gewerbeordnung geregelte nicht den Erfordernissen der Unionsregelung über die Umweltverträglichkeitsprüfung entsprechen.
48 Die Bestimmungen der Gewerbeordnung sehen offenkundig zugunsten der Nachbarn die Möglichkeit vor, im Verfahren zur Genehmigung der Errichtung einer gewerblichen Betriebsanlage Einwendungen zu erheben, wenn durch die Verwirklichung der Anlage ihr Leben, ihre Gesundheit oder ihr Eigentum gefährdet würde oder sie belästigt würden.
49 Ein
solches Verfahren dient jedoch in erster Linie dem Schutz des privaten
Interesses des Einzelnen und verfolgt keine spezifischen Umweltziele im
Interesse der Gesellschaft.
50 Zwar
kann die Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen eines anderen
Verwaltungsverfahrens durchgeführt werden, doch müssen, wie die Generalanwältin
in den Nrn. 57 und 58 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, in diesem
Verfahren alle Anforderungen der Art. 5 bis 10 der Richtlinie 2011/92
erfüllt werden, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat. Jedenfalls müssen die
Mitglieder der „betroffenen Öffentlichkeit“, die die Kriterien des nationalen
Rechts in Bezug auf das „ausreichende Interesse“ oder gegebenenfalls die
„Rechtsverletzung“ erfüllen, die Möglichkeit haben, einen Rechtsbehelf gegen
die Entscheidung einzulegen, keine Umweltverträglichkeitsprüfung im Rahmen
eines solchen Verfahrens durchzuführen.
Die Konsequenz aus dieser Vorabentscheidung des EuGH für den Ausgangsfall, einen beim VwGH anhängigen betriebsanlagenrechtlichen Klagenfurter Anlagengenehmigungsfall (Revisionswerberin war eine Nachbarin: Karoline Gruber), wird wohl sein, dass der VwGH die angefochtene Genehmigung der Gewerbebehörde aufhebt.
Interessant wird aber sein, welchen von zumindest zwei möglichen weiteren Wegen für die Prüfung der Argumente der Nachbarin der VwGH aufzeigen wird:
a) es könnte der belangten Behörde (bzw nunmehr dem zuständigen Verwaltungsgericht [Kärnten]) die Prüfung der UVP-Pflicht - ohne Bindung an den vorliegenden Feststellungsbescheid der LReg - aufgetragen werden;
b) man könnte aber auch argumentieren, dass die Gewerbebehörde zur Prüfung der UVP-Pflicht gar nicht zuständig ist, weil diese Kompetenz nur der UVP-Behörde zukommt. Dann müsste zunächst eine Anfechtung des (für die Nachbarin nun nicht mehr bindenden) UVP-Feststellungsbescheids der Kärntner Landesregierung erfolgen. Karoline Gruber könnte diesen Bescheid - wie eine übergangene Partei ohne Rücksicht auf die schon abgelaufene Beschwerdefrist - nach § 3 Abs 7 und Abs 7a UVP-G beim Bundesverwaltungsgericht bekämpfen. Ergibt die Prüfung schlussendlich eine UVP-Pflicht, wäre die von der Gewerbebehörde erteilte Genehmigung für nichtig zu erklären (§ 3 Abs 6 UVP-G; Sperrwirkung; Frist: 3 Jahre).
b) man könnte aber auch argumentieren, dass die Gewerbebehörde zur Prüfung der UVP-Pflicht gar nicht zuständig ist, weil diese Kompetenz nur der UVP-Behörde zukommt. Dann müsste zunächst eine Anfechtung des (für die Nachbarin nun nicht mehr bindenden) UVP-Feststellungsbescheids der Kärntner Landesregierung erfolgen. Karoline Gruber könnte diesen Bescheid - wie eine übergangene Partei ohne Rücksicht auf die schon abgelaufene Beschwerdefrist - nach § 3 Abs 7 und Abs 7a UVP-G beim Bundesverwaltungsgericht bekämpfen. Ergibt die Prüfung schlussendlich eine UVP-Pflicht, wäre die von der Gewerbebehörde erteilte Genehmigung für nichtig zu erklären (§ 3 Abs 6 UVP-G; Sperrwirkung; Frist: 3 Jahre).
Meine Sympathie gilt Variante a). Dem steht die Aussage des EuGH, dass ein Verfahren wie das u. a. durch die §§ 74 Abs. 2 und 77 Abs. 1 der Gewerbeordnung geregelte nicht den Erfordernissen der Unionsregelung über die Umweltverträglichkeitsprüfung entspreche, nicht entgegen. Denn dass das gewerbebehördliche Verfahren, das bisher in dieser Sache durchgeführt wurde, kein UVP-Verfahren war, wie der EuGH ausführt, hat ja auch niemand behauptet.
Im Begründungsduktus des EuGH folgt diese Aussage auf jene über den Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Ausgestaltung der Rechte der betroffenen Öffentlichkeit. In welchem Verfahren die Prüfung, ob ein Projekt UVP-pflichtig ist, zu erfolgen hat, wird vom EuGH nicht vorgegeben. Er führt ja aus, dass die UVP-Feststellungsentscheidung im Rahmen eines gegen sie oder gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfs anfechtbar sein muss.
Im Begründungsduktus des EuGH folgt diese Aussage auf jene über den Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Ausgestaltung der Rechte der betroffenen Öffentlichkeit. In welchem Verfahren die Prüfung, ob ein Projekt UVP-pflichtig ist, zu erfolgen hat, wird vom EuGH nicht vorgegeben. Er führt ja aus, dass die UVP-Feststellungsentscheidung im Rahmen eines gegen sie oder gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfs anfechtbar sein muss.
Jedenfalls kann also nun der Nachbar im materienrechtlichen Genehmigungsverfahren einwenden, dass zu Unrecht keine UVP durchgeführt worden sei. Die Genehmigungsbehörde darf ihm nicht bloß den rechtskräftigen UVP-Feststellungsbescheid entgegenhalten und auf dessen Bindungswirkung (im Sinne der früheren Judikatur des VwGH) verweisen. Sie muss sich mit den gegen diesen Bescheid vorgebrachten Gründen auseinander setzen und - unter gerichtlicher Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte und den VwGH - quasi als Vorfrage für ihre Zuständigkeit entscheiden, ob sie dem Ergebnis des UVP-Feststellungs- oder Einzelfallprüfungsverfahrens folgt. Dabei kann sie durchaus die Gutachten und sonstigen Verfahrensunterlagen des Feststellungsverfahrens heranziehen, hätte dem Nachbarn aber Gelegenheit zur Stellungnahme dazu zu geben (vgl zur Zulässigkeit der Heranziehung und Verwertung von in einem anderen Verfahren aufgenommenen Beweisen: VwGH 27.8.2014, Ro 2014/05/0057 mwN).
Für jene Verfahren, in denen der Nachbar die UVP-Pflicht des Projektes trotz Vorliegen eines negativen Feststellungsbescheides eingewendet hat, würde dies daher bedeuten, dass die Genehmigungsbehörde den Nachbarn auffordert, sich zum Feststellungsbescheid und den diesem zugrunde liegenden Beweisen zu äußern, und dann darüber - nötigenfalls nach Ergänzung der schon vorliegenden Gutachten - entscheidet, ob sie dem Ergebnis des UVP-Feststellungsverfahrens folgt.
Ist das verwaltungsbehördliche Genehmigungsverfahren schon abgeschlossen und gegen die Genehmigung eine Beschwerde bzw Revision bereits beim Verwaltungsgericht oder VwGH anhängig, könnte diese Äußerungsmöglichkeit und die Überprüfung der UVP-Feststellung auch noch dort nachgeholt werden. Da Art 47 GRC ohnehin einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem Gericht verlangt, spricht nichts dagegen, dass die Überprüfung (erst) durch das Gericht - und nicht schon zuvor bei der Verwaltungsbehörde - erfolgt. Gegen deren Entscheidung müsste ja ohnehin wieder ein gerichtlicher Rechtsbehelf zur Verfügung stehen!
Insgesamt wäre das wohl eine praktikable Lösung für die österreichischen Verfahren, solange es noch keine Neuregelung durch den Gesetzgeber gibt.
Dieser wird aber wohl nun eher den Nachbarn jene Beschwerdemöglichkeit gegen den UVP-Feststellungsbescheid an das BVwG einräumen, die die Umweltorganisationen schon haben. Womit gegen die Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden dann nichts mehr eingewendet werden könnte, der Weg zur Anlagengenehmigung sich aber weiter verzögern kann.
Dienstag, 14. April 2015
Lehrveranstaltung UMWELTVERTRÄGLICHKEITSPRÜFUNG an der Uni Wien
Im Rahmen des Wahlfachkorbes "Umweltrecht" findet im Sommersemester die Blocklehrveranstaltung von RA Dr. Wolfgang Berger, 030 107 KU Umweltverträglichkeitsprüfung, ab dem 29.04.2015 an folgenden Terminen statt:
(ACHTUNG: Terminverschiebungen !!!)
Termine:
MI 15.04.2015, entfällt
MI 29.04.2015, 17.15-19.15, SEM 31
MI 13.05.2015, entfällt
MI 20.05.2015, 17.15-19.15, SEM 61
MI 27.05.2015, 17.15-19.15, SEM 61
MI 03.06.2015, 17.15-19.15, SEM 61
Inhalte: Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung nach Unions- sowie
österreichischem Recht
Teilnehmeranzahl: max. 35
Downloads (LV-Unterlagen): Universität Wien, Institut für Staats- und Verwaltungsrecht. Abteilung Wirtschaftsrecht
(ACHTUNG: Terminverschiebungen !!!)
Termine:
MI 29.04.2015, 17.15-19.15, SEM 31
MI 20.05.2015, 17.15-19.15, SEM 61
MI 27.05.2015, 17.15-19.15, SEM 61
MI 03.06.2015, 17.15-19.15, SEM 61
Inhalte: Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung nach Unions- sowie
österreichischem Recht
Methoden: Vortrag, Diskussion
Leistungskontrolle: Klausur nach der letzten Stunde;
Klausur-Termin: 17.06.2015, 17:15-18:45
Anrechenbarkeit: Wahlfachkorb Umweltrecht, Wahlbereich Klausur-Termin: 17.06.2015, 17:15-18:45
Teilnehmeranzahl: max. 35
Downloads (LV-Unterlagen): Universität Wien, Institut für Staats- und Verwaltungsrecht. Abteilung Wirtschaftsrecht
Wie wird das Match um die Parteistellung in Feststellungsverfahren ausgehen?
Und was das mit dem Slowakischen Braunbären zu tun haben könnte
Dem am UVP-Recht Interessierten ist ein regelmäßiger Blick auf die Amtstafel des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) zu empfehlen. Dort werden nämlich alle in Erfüllung der gesetzlichen Veröffentlichungspflicht nach dem UVP-G kundzumachenden Entscheidungen des BVwG veröffentlicht.
Zuletzt hatte sich das BVwG wieder vermehrt mit der Frage der Antrags- und Rechtsmittelbefugnis in UVP-Feststellungsverfahren zu beschäftigen. Aktuell findet man auf der Amtstafel drei Entscheidungen zu diesem Thema:
In den beiden zuerst genannten Fällen ging es u.a. um die Frage, ob Nachbarn im UVP-Feststellungsverfahren nach der nationalen Rechtslage Parteistellung haben oder sogar antragslegitimiert sind. Hier bleibt das BVwG auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung, dass dies auf Grund des eindeutigen Gesetzeswortlautes des § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 und der (bisherigen) ständigen Judikatur des VwGH zu verneinen ist (VwGH 28.06.2005, 2004/05/0032; VwGH 27.09.2007, 2006/07/0066; VwGH 22.04.2009, 2009/04/0019).
Allerdings lässt das BVwG die Revision gegen seine Entscheidungen zu und begründet dies damit, dass in Zweifel gezogen werden könnte, ob der VwGH seine bisherige Rsp fortführen wird.
Begründend wird auf den Beschluss des VwGH vom 16.10.2013, Zl. 2012/04/0040, verwiesen, mit dem der VwGH dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, ob ein negativer UVP-Feststellungsbescheid gegenüber Nachbarn Bindungswirkung hat, sowie weiters auf den Beschluss des VwGH vom 30.01.2014, Zl. 2010/05/0173, betreffend die Aussetzung eines Verfahrens über einen negativen UVP-Feststellungsbescheid bis zur Entscheidung des EuGH. Somit könne vom Vorliegen einer eindeutigen Rechtsprechung angesichts dieser Entwicklung nicht mehr ausgegangen werden, weshalb die Revision zuzulassen gewesen sei.
Im Fall Biomasse-HKW Klagenfurt ging es nicht um einen Nachbarantrag, sondern um den Antrag einer Umweltorganisation, die bei der Kärntner Landesregierung als UVP-Behörde die Feststellung der UVP-Pflicht eines ohne vorangegangenes Feststellungsverfahren gewerbebehördlich verhandelten und genehmigten Heizkraftwerkes beantragt hatte.
Die Landesregierung hatte der Umweltorganisation in Beantwortung ihres auf § 3 Abs 7 UVP-G gestützten Antrages die "Rechtsauskunft" erteilt, dass ihr kein Antragsrecht auf Einleitung eines Feststellungsverfahrens zukomme. Das ÖKOBÜRO als Antragsteller wartete daraufhin ab, bis mehr als sechs Monate vergangen waren, und wandte sich mit einer Säumnisbeschwerde gemäß § 8 VwGVG an das Bundesverwaltungsgericht.
Dieses traf eine überraschende Entscheidung zugunsten des ÖKOBÜROs:
Aufgrund der gegen diese Entscheidung vom BVwG zugelassenen Revision haben mittlerweile sowohl der Projektwerber des HKW als auch die Standortgemeinde und die Kärntner Landesregierung Revision beim VwGH erhoben (die noch offen ist).
Das BVwG sah in seiner Entscheidungsbegründung eine Regelungslücke im UVP-G, weil dieses den Umweltorganisationen (UO) zwar die Bekämpfung negativer Feststellungsbescheide ermöglicht, aber kein Recht einräumt, ihrerseits ein Feststellungsverfahren zu initiieren. Unterbleibt die Durchführung eines solchen UVP-Prüfverfahrens, sei das Beschwerderecht der UO gegen (negative) Feststellungsbescheide nach § 3 Abs 7a UVP-G ein "nudum ius".
Die Revisionswerber führen dagegen ins Treffen, dass es sich um eine "bewusste Lücke" handle, weil der Gesetzgeber die UO gerade nicht am verwaltungsbehördlichen Feststellungsverfahren beteiligen wollte und ihnen bewusst nur das unionsrechtlich gebotene (Art 11 UVP-RL) Beschwerderecht gegen negative UVP-Feststellungen eingeräumt hat.
Auch durch die UVP-Richtlinie sei ein Antragsrecht an die UVP-Behörde nicht notwendigerweise geboten, wie sich auch aus den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott im Vorabentscheidungsverfahren Karoline Gruber ableiten lasse (vgl dazu meinen Artikel Schlussanträge-im-Fall-Karoline-Gruber).
Die Umweltorganisationen könnten ihre Argumente für eine UVP-Pflicht daher in einer Beschwerde gegen die gewerbebehördliche Genehmigung vorbringen. Dieses Recht sei ihnen - auch wenn es sich nicht um ein IPPC-Betriebsanlagenverfahren handelt, in dem UO aufgrund der Aarhus Konvention Parteistellung haben - einzuräumen, ähnlich wie die Nachbarn in einem vereinfachten Genehmigungsverfahren nach der GewO ebenfalls einwenden können, dass die Voraussetzungen des vereinfachten Verfahrens nicht gegeben wären. Stichwort: "potentielle Parteien".
Dass eine solche Auslegung geboten ist, kann vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH vom 8.3.2011 in der Rs C-240/09 Slowakischer Braunbär, die eine rechtsschutzfreundliche Auslegung des nationalen Verfahrensrechts fordert, kaum bezweifelt werden. Auch wenn das nationale Verfahrensrecht eine Klagebefugnis von Umweltorganisationen gegen gewerbebehördliche Genehmigungen mit möglichem UVP-Bezug nicht ausdrücklich vorsieht, muss man ihnen eine solche wohl zugestehen, um den Anforderungen des Art 9 Abs 3 der Aarhus Konvention Genüge zu tun (vgl ähnlich das deutsche BVerwG 7 C 21.12 vom 05.09.2013).
Die sogenannte dritte Säule der Konvention sieht nämlich vor, dass
Wo die Grenze liegt, ist offen - dass aber jedenfalls ein Recht von UO bestehen muss, die Unterlassung einer möglicherweise notwendigen UVP einzuwenden, ist meines Erachtens nicht mehr zweifelhaft.
Dass dies allerdings nur durch Ermöglichung eines eigenen Feststellungsantrages an die UVP-Behörde geschehen könnte, wie es das BVwG gesehen hat, trifft jedoch nicht zu!
Bei Wahrung des Grundsatzes der innerstaatlichen Verfahrensautonomie muss es ausreichen, die durch die Gewerbebehörde inzident verneinte UVP-Pflicht mit Beschwerde bekämpfen zu können; die Einführung eines eigenen Feststellungsantrags-Rechtes an UO ist nicht erforderlich.
-> Aarhus Konvention
Dem am UVP-Recht Interessierten ist ein regelmäßiger Blick auf die Amtstafel des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) zu empfehlen. Dort werden nämlich alle in Erfüllung der gesetzlichen Veröffentlichungspflicht nach dem UVP-G kundzumachenden Entscheidungen des BVwG veröffentlicht.
Zuletzt hatte sich das BVwG wieder vermehrt mit der Frage der Antrags- und Rechtsmittelbefugnis in UVP-Feststellungsverfahren zu beschäftigen. Aktuell findet man auf der Amtstafel drei Entscheidungen zu diesem Thema:
Verfahren zum Antrag des Kurt RADAKOWITSCH auf UVP-Feststellung
Zucht- und Mastschweineanlage Oberschwarza, Feststellungsverfahren zur UVP-Pflicht
Biomasse-Heizkraftwerk Klagenfurt, Feststellung der UVP-Pflicht, Säumnisbeschwerde
Erkenntnis vom 11.02.2015, GZ: W104 2016940-1/3EIn den beiden zuerst genannten Fällen ging es u.a. um die Frage, ob Nachbarn im UVP-Feststellungsverfahren nach der nationalen Rechtslage Parteistellung haben oder sogar antragslegitimiert sind. Hier bleibt das BVwG auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung, dass dies auf Grund des eindeutigen Gesetzeswortlautes des § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 und der (bisherigen) ständigen Judikatur des VwGH zu verneinen ist (VwGH 28.06.2005, 2004/05/0032; VwGH 27.09.2007, 2006/07/0066; VwGH 22.04.2009, 2009/04/0019).
Allerdings lässt das BVwG die Revision gegen seine Entscheidungen zu und begründet dies damit, dass in Zweifel gezogen werden könnte, ob der VwGH seine bisherige Rsp fortführen wird.
Begründend wird auf den Beschluss des VwGH vom 16.10.2013, Zl. 2012/04/0040, verwiesen, mit dem der VwGH dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, ob ein negativer UVP-Feststellungsbescheid gegenüber Nachbarn Bindungswirkung hat, sowie weiters auf den Beschluss des VwGH vom 30.01.2014, Zl. 2010/05/0173, betreffend die Aussetzung eines Verfahrens über einen negativen UVP-Feststellungsbescheid bis zur Entscheidung des EuGH. Somit könne vom Vorliegen einer eindeutigen Rechtsprechung angesichts dieser Entwicklung nicht mehr ausgegangen werden, weshalb die Revision zuzulassen gewesen sei.
Im Fall Biomasse-HKW Klagenfurt ging es nicht um einen Nachbarantrag, sondern um den Antrag einer Umweltorganisation, die bei der Kärntner Landesregierung als UVP-Behörde die Feststellung der UVP-Pflicht eines ohne vorangegangenes Feststellungsverfahren gewerbebehördlich verhandelten und genehmigten Heizkraftwerkes beantragt hatte.
Die Landesregierung hatte der Umweltorganisation in Beantwortung ihres auf § 3 Abs 7 UVP-G gestützten Antrages die "Rechtsauskunft" erteilt, dass ihr kein Antragsrecht auf Einleitung eines Feststellungsverfahrens zukomme. Das ÖKOBÜRO als Antragsteller wartete daraufhin ab, bis mehr als sechs Monate vergangen waren, und wandte sich mit einer Säumnisbeschwerde gemäß § 8 VwGVG an das Bundesverwaltungsgericht.
Dieses traf eine überraschende Entscheidung zugunsten des ÖKOBÜROs:
"Die beschwerdeführende Partei ist zur Geltendmachung der Entscheidungspflicht berechtigt. Die Behörde hat gemäß § 28 Abs. 7 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwGVG) i.V.m. § 3 Abs. 7 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP-G 2000) binnen sechs Wochen einen Bescheid darüber zu erlassen, ob für das Vorhaben der Errichtung und des Betriebes eines biomassebefeuerten Heizkraftwerks für die Erzeugung von Fernwärme und elektrischem Strom am Standort 9020 Klagenfurt, Gst. Nr. 1559/9 KG Hörtendorf, durch die Bioenergiezentrum GmbH eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem UVP-G 2000 durchzuführen ist. Sie ist dabei an die in diesem Erkenntnisses festgelegte Rechtsanschauung gebunden."
Das BVwG sah in seiner Entscheidungsbegründung eine Regelungslücke im UVP-G, weil dieses den Umweltorganisationen (UO) zwar die Bekämpfung negativer Feststellungsbescheide ermöglicht, aber kein Recht einräumt, ihrerseits ein Feststellungsverfahren zu initiieren. Unterbleibt die Durchführung eines solchen UVP-Prüfverfahrens, sei das Beschwerderecht der UO gegen (negative) Feststellungsbescheide nach § 3 Abs 7a UVP-G ein "nudum ius".
Die Revisionswerber führen dagegen ins Treffen, dass es sich um eine "bewusste Lücke" handle, weil der Gesetzgeber die UO gerade nicht am verwaltungsbehördlichen Feststellungsverfahren beteiligen wollte und ihnen bewusst nur das unionsrechtlich gebotene (Art 11 UVP-RL) Beschwerderecht gegen negative UVP-Feststellungen eingeräumt hat.
Auch durch die UVP-Richtlinie sei ein Antragsrecht an die UVP-Behörde nicht notwendigerweise geboten, wie sich auch aus den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott im Vorabentscheidungsverfahren Karoline Gruber ableiten lasse (vgl dazu meinen Artikel Schlussanträge-im-Fall-Karoline-Gruber).
Die Umweltorganisationen könnten ihre Argumente für eine UVP-Pflicht daher in einer Beschwerde gegen die gewerbebehördliche Genehmigung vorbringen. Dieses Recht sei ihnen - auch wenn es sich nicht um ein IPPC-Betriebsanlagenverfahren handelt, in dem UO aufgrund der Aarhus Konvention Parteistellung haben - einzuräumen, ähnlich wie die Nachbarn in einem vereinfachten Genehmigungsverfahren nach der GewO ebenfalls einwenden können, dass die Voraussetzungen des vereinfachten Verfahrens nicht gegeben wären. Stichwort: "potentielle Parteien".
Dass eine solche Auslegung geboten ist, kann vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH vom 8.3.2011 in der Rs C-240/09 Slowakischer Braunbär, die eine rechtsschutzfreundliche Auslegung des nationalen Verfahrensrechts fordert, kaum bezweifelt werden. Auch wenn das nationale Verfahrensrecht eine Klagebefugnis von Umweltorganisationen gegen gewerbebehördliche Genehmigungen mit möglichem UVP-Bezug nicht ausdrücklich vorsieht, muss man ihnen eine solche wohl zugestehen, um den Anforderungen des Art 9 Abs 3 der Aarhus Konvention Genüge zu tun (vgl ähnlich das deutsche BVerwG 7 C 21.12 vom 05.09.2013).
Die sogenannte dritte Säule der Konvention sieht nämlich vor, dass
"Mitglieder der Öffentlichkeit, sofern sie etwaige in ihrem innerstaatlichen Recht festgelegte Kriterien erfüllen, Zugang zu verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahren haben, um die von Privatpersonen und Behörden vorgenommenen Handlungen und begangenen Unterlassungen anzufechten, die gegen umweltbezogene Bestimmungen ihres innerstaatlichen Rechts verstoßen."Diese Bestimmung bezieht sich - anders als Art 9 Abs 2 der Aarhus Konvention - nicht nur auf die im Art 6 der Konvention genannten Verfahren, die "Entscheidungen über bestimmte Tätigkeiten" betreffen (nämlich - kurz gesagt - UVP- und IPPC-pflichtige Vorhaben), sondern erfasst offenbar viel mehr.
Wo die Grenze liegt, ist offen - dass aber jedenfalls ein Recht von UO bestehen muss, die Unterlassung einer möglicherweise notwendigen UVP einzuwenden, ist meines Erachtens nicht mehr zweifelhaft.
Dass dies allerdings nur durch Ermöglichung eines eigenen Feststellungsantrages an die UVP-Behörde geschehen könnte, wie es das BVwG gesehen hat, trifft jedoch nicht zu!
Bei Wahrung des Grundsatzes der innerstaatlichen Verfahrensautonomie muss es ausreichen, die durch die Gewerbebehörde inzident verneinte UVP-Pflicht mit Beschwerde bekämpfen zu können; die Einführung eines eigenen Feststellungsantrags-Rechtes an UO ist nicht erforderlich.
EuGH zur Kumulationsprüfung bei der UVP
Seit dem letzten Bericht über aktuelle EuGH-Judikatur hat sich relativ wenig getan beim Europäischen Gerichtshof in Bezug auf die UVP-Richtlinie. Eigentlich verdient nur eine Entscheidung in einem österreichischen Vorabentscheidungsverfahren größere Aufmerksamkeit - jene zur Testförderung von Erdgas (Urteil C-531/13 vom 11.2.2015 Marktgemeinde Straßwalchen). Die könnte allerdings neues Ungemach bei der ohnehin seit jeher unangenehmen Kumulationsprüfung bedeuten.
In der Rs Marktgemeinde Straßwalchen, C-531/13, hatte der österreichische VwGH mit Beschluss Zl. 2011/04/0178 vom 11.9.2013 dem EuGH die Frage vorgelegt, ob Aufschlussbohrungen und eine zeitlich und mengenmäßig begrenzte Testförderung von Erdgas bereits als "Gewinnung von Erdöl und Erdgas zu gewerblichen Zwecken" anzusehen seien und damit gemäß Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337 UVP-pflichtig wären.
Für den Fall der Bejahung dieser Frage stellte der VwGH noch zwei weitere Fragen, nämlich:
Der EuGH verneinte die angefragte Anwendbarkeit des Tatbestandes Nr. 14 des Anhanges 1, weil sich aus dem Zusammenhang und dem Ziel von Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337 ergebe, "dass sich der Anwendungsbereich dieser Bestimmung nicht auf Aufschlussbohrungen erstreckt":
Zu diesen Projekten zählen die in Nr. 2 Buchst. d dieses Anhangs aufgeführten Tiefbohrungen, die "insbesondere Bohrungen zur Gewinnung von Erdwärme, Bohrungen im Zusammenhang mit der Lagerung von Kernabfällen und Bohrungen im Zusammenhang mit der Wasserversorgung" umfassen, "ausgenommen Bohrungen zur Untersuchung der Bodenfestigkeit".
Da diese Aufzählung nur demonstrativ ist ("insbesondere"), unterwarf der EuGH auch die in Rede stehenden Aufschlussbohrungen für Erdgas, "soweit sie Tiefbohrungen sind", dieser Richtlinienbestimmung.
Angesichts der Antwort auf die erste Frage des VwGH, mit der die Anwendung des im ersten Anhang zur UVP-RL enthaltenen Tatbestandes der Nr. 14 verneint worden war, erübrigte sich für den EuGH die Beantwortung der zweiten Frage.
Wörtlich führt der EuGH aus:
Dass die Kumulationsprüfung an Gemeindegrenzen nicht halt macht, leuchtet ein, das Fehlen einer Einschränkung auf "gleichartige Projekte" ist aber kritisch zu sehen.
Während sich auf der einen Seite das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 27.3.2014 (W143 2000181-1/8E, Windpark Koralpe) darum bemühte, der uferlosen Kumulation mit allen bestehenden Anlagen, die in einem räumlichen Zusammenhang stehen, einen zeitlichen Riegel vorzuschieben, indem es die 5-Jahres-Zusammenrechnungsregel für Änderungsvorhaben in § 3a Abs. 5 UVP-G analog auf die Kumulation angewendet hat, wird vom EuGH nun möglicherweise die bisher in Österreich unstrittige Einschränkung der Kumulation auf Projekte, deren Schwellenwerte in der gleichen Einheit gemessen werden (und daher zusammengerechnet werden können), in Frage gestellt.
Der EuGH verweist dazu in seinem Urteil nur auf die Ausführungen der Generalanwältin in Nr. 71 ihrer Schlussanträge. Es sei in die UVP-Kumulations-Vorprüfung einzubeziehen, ob die Umweltauswirkungen der Aufschlussbohrungen "wegen der Auswirkungen anderer Projekte" größeres Gewicht haben können als bei deren Fehlen. Welche "anderen Projekte" in diese Prüfung einzubeziehen sind, muss daher den Ausführungen der Generalanwältin in ihrer "opinion" entnommen werden. Diese lautet wie folgt:
Wenn man in den Schlussanträgen aber früher zu lesen beginnt (ab Rn 68) und bis Rn 72 weiterliest, dann kann man zumindest folgende Einschränkungen der "uferlosen" Kumulationsprüfung konstatieren (vgl Bergthaler, Neuer Kummer mit der Kumulation, RdU-U&T 2015/1):
Der VwGH hat nämlich in einer jüngst zu einem Wasserkraftwerk ergangenen Entscheidung ausgeführt, dass es bei der Kumulation nur um die "Überlagerung der Wirkungsebenen" der verschiedenen Eingriffe gleichartiger Vorhaben "im Sinne kumulativer und additiver Effekte" geht (VwGH 2011/07/0214 vom 24.7.2014):
In der Rs Marktgemeinde Straßwalchen, C-531/13, hatte der österreichische VwGH mit Beschluss Zl. 2011/04/0178 vom 11.9.2013 dem EuGH die Frage vorgelegt, ob Aufschlussbohrungen und eine zeitlich und mengenmäßig begrenzte Testförderung von Erdgas bereits als "Gewinnung von Erdöl und Erdgas zu gewerblichen Zwecken" anzusehen seien und damit gemäß Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337 UVP-pflichtig wären.
Für den Fall der Bejahung dieser Frage stellte der VwGH noch zwei weitere Fragen, nämlich:
"2. Steht Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337 einer Regelung des nationalen Rechts entgegen, welche bei der Gewinnung von Erdgas die in Anhang I Nr. 14 der Richtlinie 85/337 genannten Schwellenwerte nicht an die Gewinnung an sich, sondern an die „Förderung pro Sonde“ knüpft?
3. Ist die Richtlinie 85/337 dahin auszulegen, dass die Behörde in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der die Genehmigung einer Testförderung von Erdgas im Rahmen einer Aufschlussbohrung beantragt wird, zur Feststellung, ob eine Verpflichtung zur Umweltverträglichkeitsprüfung besteht, nur alle gleichartigen Projekte, konkret alle im Gemeindegebiet aufgeschlossenen Bohrungen, auf ihre kumulative Wirkung zu prüfen hat?"

"Die Bestimmung knüpft die Pflicht zur Vornahme einer Umweltverträglichkeitsprüfung nämlich an die geplanten Fördermengen an Erdöl und Erdgas. Hierzu sieht sie Schwellenwerte vor, die pro Tag überschritten werden müssen, was darauf hindeutet, dass sie auf Projekte von gewisser Dauer abzielt, die die fortgesetzte Förderung relativ bedeutender Mengen an Kohlenwasserstoffen ermöglichen."Damit war die Prüfung des EuGH jedoch nicht beendet, denn der Gerichtshof fand im Anhang II Nr. 2 Buchst. d einen anderen UVP-Tatbestand, dem auch Aufschlussbohrungen unterliegen können. Bei den im Anhang II genannten Projekten haben die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 85/337 entweder anhand einer Einzelfalluntersuchung oder anhand der von ihnen festgelegten Schwellenwerte bzw. Kriterien zu bestimmen, ob sie einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden müssen.
Zu diesen Projekten zählen die in Nr. 2 Buchst. d dieses Anhangs aufgeführten Tiefbohrungen, die "insbesondere Bohrungen zur Gewinnung von Erdwärme, Bohrungen im Zusammenhang mit der Lagerung von Kernabfällen und Bohrungen im Zusammenhang mit der Wasserversorgung" umfassen, "ausgenommen Bohrungen zur Untersuchung der Bodenfestigkeit".
Da diese Aufzählung nur demonstrativ ist ("insbesondere"), unterwarf der EuGH auch die in Rede stehenden Aufschlussbohrungen für Erdgas, "soweit sie Tiefbohrungen sind", dieser Richtlinienbestimmung.
Angesichts der Antwort auf die erste Frage des VwGH, mit der die Anwendung des im ersten Anhang zur UVP-RL enthaltenen Tatbestandes der Nr. 14 verneint worden war, erübrigte sich für den EuGH die Beantwortung der zweiten Frage.
Zur dritten Frage aber hat der Gerichtshof in Rn 34 ff durchaus Spannendes zu sagen. Da sticht er nämlich direkt hinein in das "Wespennest" der Kumulationsbestimmungen, die der Praxis seit jeher Schwierigkeiten bereiten:
"33 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Richtlinie 85/337 dahin auszulegen ist, dass die zuständige Behörde zur Feststellung, ob eine Aufschlussbohrung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende der Pflicht zur Prüfung der Umweltverträglichkeit unterliegt, nur die kumulativen Auswirkungen der gleichartigen Projekte – im vorliegenden Fall nach Angaben des vorlegenden Gerichts alle im Gemeindegebiet aufgeschlossenen Bohrungen – zu berücksichtigen hat."Um eine Antwort geben zu können, muss der EuGH die Frage des VwGH zunächst so umformulieren, dass er "dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort ... geben" kann, denn der österreichische VwGH hatte angenommen, dass sich eine UVP-Pflicht des in Rede stehenden Projektes nur auf Grundlage des Art 4 Abs 1 UVP-RL ergeben konnte, während der EuGH ja einen dem Art 4 Abs 2 unterliegenden Tatbestand als anwendbar ausgemacht hat. Daher wurde die dritte Frage vom EuGH im Licht der Verpflichtungen beantwortet, die sich aus Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 85/337 in Verbindung mit Anhang II Nr. 2 Buchst. d der Richtlinie ergeben können.
Wörtlich führt der EuGH aus:
39 In Rn. 27 des vorliegenden Urteils ist darauf hingewiesen worden, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 85/337 anhand einer Einzelfalluntersuchung oder anhand der von ihnen festgelegten Schwellenwerte bzw. Kriterien zu bestimmen haben, ob die unter Anhang II der Richtlinie fallenden Projekte einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden müssen.
40 Hinsichtlich der Festlegung dieser Schwellenwerte oder Kriterien räumt Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 85/337 den Mitgliedstaaten insoweit zwar einen Wertungsspielraum ein. Dieser Spielraum wird jedoch durch die in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie festgelegte Pflicht begrenzt, die Projekte, bei denen u. a. aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen zu rechnen ist, einer Untersuchung ihrer Auswirkungen auf die Umwelt zu unterziehen (Urteil Salzburger Flughafen, C‑244/12, EU:C:2013:203, Rn. 29).
41 Demgemäß wird mit den in Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 85/337 erwähnten Kriterien und Schwellenwerten das Ziel verfolgt, die Beurteilung der konkreten Merkmale eines Projekts zu erleichtern, damit bestimmt werden kann, ob es der Pflicht zur Prüfung der Umweltverträglichkeit unterliegt (Urteil Salzburger Flughafen, EU:C:2013:203, Rn. 30).
42 Daraus folgt, dass die zuständigen nationalen Behörden, die mit einem Antrag auf Genehmigung eines Projekts von Anhang II dieser Richtlinie befasst sind, eine besondere Prüfung der Frage vorzunehmen haben, ob unter Berücksichtigung der Kriterien in Anhang III der Richtlinie eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Mellor, C‑75/08, EU:C:2009:279, Rn. 51).
43 Insoweit ergibt sich aus Anhang III Nr. 1 der Richtlinie 85/337, dass die Merkmale eines Projekts insbesondere hinsichtlich der kumulativen Auswirkungen mit anderen Projekten zu beurteilen sind. Die Nichtberücksichtigung der kumulativen Auswirkung eines Projekts mit anderen Projekten kann nämlich zur Folge haben, dass es der Verpflichtung zur Verträglichkeitsprüfung entzogen wird, obwohl es zusammengenommen mit anderen Projekten erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Brussels Hoofdstedelijk Gewest u. a., EU:C:2011:154, Rn. 36).
44 Dieses Erfordernis muss im Licht von Anhang III Nr. 3 der Richtlinie 85/337 gelesen werden, wonach die potenziellen erheblichen Auswirkungen der Projekte anhand der unter Anhang III Nrn. 1 und 2 der Richtlinie aufgeführten Kriterien zu beurteilen sind und insbesondere der Wahrscheinlichkeit, dem Ausmaß, der Schwere, der Dauer und der Reversibilität der Auswirkungen des Projekts Rechnung zu tragen ist.
45 Daraus folgt, dass es einer nationalen Behörde bei der Überprüfung, ob ein Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss, obliegt, die Auswirkungen zu prüfen, die das Projekt zusammen mit anderen haben könnte. Mangels einer Präzisierung ist diese Pflicht im Übrigen nicht allein auf gleichartige Projekte beschränkt. Wie die Generalanwältin in Nr. 71 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, ist in diese Vorprüfung einzubeziehen, ob die Umweltauswirkungen der Aufschlussbohrungen wegen der Auswirkungen anderer Projekte größeres Gewicht haben können als bei deren Fehlen.
46 Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 85/337 in der Tat ernsthaft in Frage gestellt wäre, wenn die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats bei der Entscheidung über die Frage, ob ein Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss, den in einem anderen Mitgliedstaat durchzuführenden Teil des Projekts außer Acht lassen dürften (Urteil Umweltanwalt von Kärnten, EU:C:2009:767, Rn. 55). Aus denselben Gründen kann die Beurteilung der Auswirkungen anderer Projekte nicht von den Gemeindegrenzen abhängen.
47 Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 85/337 in Verbindung mit deren Anhang II Nr. 2 Buchst. d dahin auszulegen ist, dass sich bei einer Tiefbohrung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Aufschlussbohrung aus dieser Vorschrift die Pflicht zur Vornahme einer Umweltverträglichkeitsprüfung ergeben kann. Die zuständigen nationalen Behörden müssen daher eine besondere Prüfung der Frage vornehmen, ob unter Berücksichtigung der Kriterien in Anhang III der Richtlinie eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorzunehmen ist. In diesem Rahmen ist u. a. zu prüfen, ob die Umweltauswirkungen der Aufschlussbohrungen wegen der Auswirkungen anderer Projekte größeres Gewicht haben können als bei deren Fehlen. Diese Beurteilung kann nicht von den Gemeindegrenzen abhängen."Die vom EuGH hier verlangte Kumulationsprüfung ist eine recht weite: Es obliegt der Behörde, die Auswirkungen zu prüfen, die das Projekt zusammen mit anderen Vorhaben "haben könnte", wobei die Prüfung weder von Gemeindegrenzen abhängt noch - wie der EugH ausführt - auf "gleichartige Projekte" beschränkt ist!
Dass die Kumulationsprüfung an Gemeindegrenzen nicht halt macht, leuchtet ein, das Fehlen einer Einschränkung auf "gleichartige Projekte" ist aber kritisch zu sehen.
Während sich auf der einen Seite das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 27.3.2014 (W143 2000181-1/8E, Windpark Koralpe) darum bemühte, der uferlosen Kumulation mit allen bestehenden Anlagen, die in einem räumlichen Zusammenhang stehen, einen zeitlichen Riegel vorzuschieben, indem es die 5-Jahres-Zusammenrechnungsregel für Änderungsvorhaben in § 3a Abs. 5 UVP-G analog auf die Kumulation angewendet hat, wird vom EuGH nun möglicherweise die bisher in Österreich unstrittige Einschränkung der Kumulation auf Projekte, deren Schwellenwerte in der gleichen Einheit gemessen werden (und daher zusammengerechnet werden können), in Frage gestellt.
Der EuGH verweist dazu in seinem Urteil nur auf die Ausführungen der Generalanwältin in Nr. 71 ihrer Schlussanträge. Es sei in die UVP-Kumulations-Vorprüfung einzubeziehen, ob die Umweltauswirkungen der Aufschlussbohrungen "wegen der Auswirkungen anderer Projekte" größeres Gewicht haben können als bei deren Fehlen. Welche "anderen Projekte" in diese Prüfung einzubeziehen sind, muss daher den Ausführungen der Generalanwältin in ihrer "opinion" entnommen werden. Diese lautet wie folgt:
"71 The preliminary assessment must also consider whether, on account of the effects of other projects at the site or in the surrounding area, such as natural gas pipelines and storage facilities, the environmental effects of the exploratory drillings may be greater than they would be in the absence of such other Projects."Eine Beschränkung auf andere Tiefenbohrungen allein ist das nicht. Und wie soll bei einem solchen Verständnis von Kumulation eigentlich konkret vorgegangen werden? Unmöglich ist es jedenfalls, die im österreichischen System der Kumulierung vorgesehene Zusammenrechnung der Kapazitäten der zu kumulierenden Projekte vorzunehmen (vgl § 3 Abs 2 UVP-G 2000: zu kumulieren sind Vorhaben, die "mit anderen Vorhaben in einem räumlichen Zusammenhang stehen und mit diesen gemeinsam den jeweiligen Schwellenwert erreichen oder das Kriterium erfüllen".) Wie soll man "Erdgasleitungen und Erdgasspeicher" mit Tiefenbohrungen auf einen Nenner bringen?
Wenn man in den Schlussanträgen aber früher zu lesen beginnt (ab Rn 68) und bis Rn 72 weiterliest, dann kann man zumindest folgende Einschränkungen der "uferlosen" Kumulationsprüfung konstatieren (vgl Bergthaler, Neuer Kummer mit der Kumulation, RdU-U&T 2015/1):
- auf artgleiche sowie technologisch oder geologisch verbundene Anlagen ("Erdgasleitungen, Erdgasspeicher und andere Anlagen", mit denen die Probebohrung "an einem Förderstandort verbunden ist oder die sonstige, früher konstruierte Infrastruktur mit ihr zusammen ein gemeinsames Projekt bildet"; Rn 72)
- auf die Frage, ob "die Umweltauswirkungen ... wegen der Auswirkungen anderer Projekte am Standort oder in der Umgebung, etwa von Erdgasleitungen und Erdgasspeichern, größeres Gewicht haben können als in deren Abwesenheit" (Rn 71)Ob man dem Kummer mit der Kumulation durch diese einschränkenden Hinweise mildern kann, bleibt fürs Erste offen (der VwGH muss sich zunächst im konkreten Fall Zl. 2011/04/0178 seinen Reim darauf machen). Doch soll dieser Artikel nicht ohne einen Hoffnungsschimmer für die über Kumulationsfragen brütenden UVP-Rechtler enden:
Der VwGH hat nämlich in einer jüngst zu einem Wasserkraftwerk ergangenen Entscheidung ausgeführt, dass es bei der Kumulation nur um die "Überlagerung der Wirkungsebenen" der verschiedenen Eingriffe gleichartiger Vorhaben "im Sinne kumulativer und additiver Effekte" geht (VwGH 2011/07/0214 vom 24.7.2014):
"Kann es zu einer derartigen Überlagerung der Wirkungsebenen dieser Eingriffe im Sinne kumulativer Effekte jedoch nicht kommen und liegt somit kein räumlicher Zusammenhang vor, so sind die Voraussetzungen für die Durchführung einer Einzelfallprüfung nicht gegeben."Eine räumliche Nähe für sich allein ist also nicht ausreichend, um die Verpflichtung zur Kumulationsprüfung auszulösen.
Montag, 13. April 2015
Höchstgerichtliche Entscheidungen zur UVP im zweiten Halbjahr 2014
VfGH E 1230/2014 vom 3.12.2014
VwGH Ra 2014/07/0002 vom 18.12.2014
Gemäß § 40 Abs 1 UVP-G 2000 iVm Art 131 Abs 4 Z 2 lit a B-VG
iVm § 40 UVP-G entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen
Entscheidungen, die nach dem UVP-G 2000 getroffen wurden. Führt ein
Landesverwaltungsgericht ab dem 1.1.2014 ein ursprünglich beim UVS anhängig
gewesenes Berufungsverfahren betreffend die Genehmigung einer Aufforstung im
Zusammenhang mit einem UVP-pflichtigen Bundesstraßenvorhaben gem § 3 Abs 7 Z 1
VwGbk-ÜG weiter und entscheidet das LVwG über die Berufung einer
Bürgerinitiative gem § 24f Abs 8 iVm § 19 Abs 4 UVP-G, so ist dies ein Verstoß
gegen das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.
VwGH Ra 2014/07/0002 vom 18.12.2014
Die durch ein anhängiges Widerstreitverfahren bewirkte (oder ermöglichte) Aussetzung aller Bewilligungsverfahren wird mit dem das Widerstreitverfahren entscheidenden Bescheid beendet; an ihre Stelle tritt in Bezug auf die nicht bevorzugten Vorhaben ein Genehmigungshindernis, an welches auch die UVP-Behörde gebunden ist (vgl VwGH 18.12.2014, Ro 2014/07/0033).
VwGH 2011/07/0244 vom 20.11.2014
Die UVP-Behörde
kann - neben den ausdrücklichen Verweisen auf § 44b Abs. 2 zweiter bis vierter
Satz AVG (in § 9 Abs 1 UVP-G 2000) und auf § 44a Abs 3 AVG (in § 9 Abs 3 UVP-G 2000)
bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen - meist parallel zur
öffentlichen Auflage - auch die Bestimmungen über das Großverfahren anwenden.
Die Anwendung der Bestimmungen der §§ 44a ff AVG über das Großverfahren stand
auch dem Umweltsenat zu. Im Anwendungsbereich des AVG ergänzt das
Berufungsverfahren das vorinstanzliche Verfahren lediglich (vgl § 66 Abs 1 AVG)
und bildet nur einen Teil des Verfahrens, das Grundlage für die Entscheidung
der Berufungsbehörde ist. Vor diesem Hintergrund war es nicht erforderlich,
dass die Beh, die im Berufungsverfahren Zustellungen nach den §§ 44a ff AVG
durchführte, eine Kundmachung durch Edikt vornahm, das sämtliche in § 44a Abs 2
AVG normierten Inhalte zu enthalten hätte. So wäre etwa in diesem
Verfahrensstadium die erneute Kundmachung des verfahrenseinleitenden Antrages
durch Edikt, obwohl dies bereits von der erstinstanzlichen Behörde vorgenommen
worden war, nicht nachvollziehbar. Aber auch ein wiederholender Hinweis, dass
auch (zukünftige) Kundmachungen und Zustellungen im Verfahren durch Edikt
vorgenommen werden können, war in einem Edikt der Berufungsbeh nicht
erforderlich. Vielmehr konnte im durchgeführten Verfahren von einer
"Fortwirkung" des Edikts zur Kundmachung des Genehmigungsantrages
auch im Berufungsverfahren ausgegangen werden. VwGH 2011/07/0244 vom 20.11.2014
VwGH 2013/05/0022 vom 18.11.2014
Aus Art 10a der Vorgängerrichtlinie 85/337/EWG (bzw.
nunmehr: Art 11 der UVP-RL, 2011/92/EU) kann eine umfassende Parteistellung
anerkannter Umweltorganisationen auch im Rahmen von Feststellungsverfahren nicht abgeleitet werden. Zunächst ist zur
Frage der Parteistellung anerkannter Umweltorganisationen in Verfahren gemäß §
3 Abs 7 UVP-G 2000 auf die bisherige Judikatur zu verweisen, wonach in diesen
Verfahren lediglich dem Projektwerber, den mitwirkenden Behörden, dem
Umweltanwalt und der Standortgemeinde - und nicht auch anerkannten
Umweltorganisationen - Parteistellung zukommt (VwGH 14.12.2004, 2004/05/0256,
mwN). Wenn sich in Bezug auf diese Norm im Hinblick auf das Urteil, C-75/08
(Mellor), unionsrechtliche Bedenken ergeben haben (vgl den B des VwGH vom 16. 10.
2013, 2012/04/0040), so können diese auf den vorliegenden Beschwerdefall schon
deshalb nicht übertragen werden, weil sie neben einer fehlenden Parteistellung
im Feststellungsverfahren gemäß § 3 Abs 7 UVP-G auch das Fehlen einer
Anfechtungsbefugnis (Antragsbefugnis) im Sinn des § 3 Abs 7a leg cit
voraussetzen. Eine solche Anfechtungsbefugnis durch Stellung eines Antrages auf
Überprüfung der Einhaltung der Vorschriften über die UVP-Pflicht hat der
Gesetzgeber jedoch mit § 3 Abs 7a leg cit anerkannten Umweltorganisationen
eingeräumt, was den Gesetzesmaterialien (RV 1809 BlgNR 24. GP 5) zufolge ua der
Abwendung einer Klage der Europäischen Kommission an den EuGH diente. Mit dem
nunmehr vorgesehenen Antragsrecht auf Überprüfung bei negativen
Feststellungsbescheiden - so die Gesetzesmaterialien - wird der Auffassung der
Europäischen Kommission Rechnung getragen, weil Umweltorganisationen durch eine
negative Feststellungsentscheidung in ihren Rechten verletzt sein können.
VwGH 2012/03/0112 vom 21.10.2014
Die gesetzliche Anordnung in § 19 Abs 3 UVP-G 2000, dass die dort genannten Formalparteien die
(von ihnen jeweils wahrzunehmenden) öffentlichen Interessen als subjektive
Rechte geltend machen, bedeutet, dass diese Formalparteien auch die für die
Geltendmachung subjektiver öffentlicher Rechte geltenden verfahrensrechtlichen
Regelungen zu beachten haben und insofern auch der in § 44b AVG normierten
Präklusionsregelung unterliegen. Auch für den Umweltanwalt gilt daher die Präklusionsregelung.
Dass der Umweltanwalt den Präklusionsfolgen des § 44b Abs 1 UVP-G 2000 unterliegt, steht im Einklang mit der aus
den Materialien zur AVG-Novelle BGBl I Nr 158/1998 (vgl AB 1167 BlgNR XX. GP,
Seite 24) ersichtlichen Zielsetzung, die hinter der Schaffung der Bestimmungen über
Großverfahren gestanden hat, wonach mit dieser Novellierung der Behörde die
Möglichkeit an die Hand gegeben werde, die Einwendungen gegen das Vorhaben
bereits im Vorfeld der mündlichen Verhandlung zu sammeln, damit sie die
Verhandlung besser vorbereiten und allfällige ergänzende
Sachverständigengutachten frühzeitig einholen könne.
VwGH 2013/05/0078
vom 9.10.2014
Dass von Starkstromfreileitungen für eine Stromstärke von
110 kV im Allgemeinen eine geringere Umweltbelastung ausgeht als von
solchen mit einer Stromstärke von 220 kV (oder mehr) und somit die
Stromstärke einer Starkstromfreileitung ein relevantes Abgrenzungskriterium bei
der Festlegung von Schwellenwerten im Zusammenhang mit dem Bau von
Stromleitungen darstellt, hat der Richtliniengeber durch die Normierung des
Tatbestandes in Anhang I Z. 20 der UVP-RL klar zum Ausdruck gebracht.
Durch die Festlegung ökologisch besonders sensibler Gebiete im Anhang 2
des UVP-G hat der Bundesgesetzgeber auch dem Erfordernis entsprochen, auf die
Belastbarkeit der Natur Rücksicht zu nehmen. Dass vom gegenständlichen Projekt
etwa Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte betroffen wären (vgl dazu das Urteil
des EuGH 21.3.2012, C-244/12 Salzburger
Flughafen), ist nicht zu erkennen und wird von der Beschwerde auch nicht
behauptet. Der bloße Umstand, dass zur Herstellung der Hochspannungsfreileitung
in einem bewaldeten Gebiet Rodungen oder Geländeveränderungen erforderlich
sind, bewirkt für sich allein noch nicht, dass dies die Verpflichtung zur
Durchführung einer UVP bzw. einer Einzelfalluntersuchung zur Folge hätte, wäre
doch den Mitgliedstaaten ansonsten insoweit der in Art. 4 Abs. 2 der
UVP-RL eingeräumte Wertungsspielraum genommen.
VwGH 2012/03/0165
vom 24.9.2014
Es ist
nach der Rsp des VwGH (Erk 28.6.2005, 2003/05/0091; 30.6.2006, 2005/04/0195; 19.1.2010,
2008/05/0162) für die Frage der Bindungswirkung eines auf § 3 Abs 7 UVP-G 2000
beruhenden Feststellungsbescheides zu prüfen, ob jenes Vorhaben, das einem
derartigen Feststellungsverfahren unterzogen wurde, mit jenem Vorhaben, das
(bei Verneinung einer UVP-Pflicht) gemäß den entsprechenden Materiengesetzen
zur Genehmigung eingereicht wurde, hinsichtlich jener Punkte, die für die
Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung relevant sind,
ident ist. Eine derartige Identität könnte insbesondere dann verneint werden, wenn
etwa die Lage des Vorhabens so verändert wurde, dass die umweltrelevanten
Auswirkungen anders zu beurteilen wären. Die Bindungswirkung findet jedenfalls
dort ihre Grenze, wo ein Vorhaben derart modifiziert wird, dass es hinsichtlich
der für die Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung
maßgeblichen Punkte nicht mehr mit dem ursprünglichen Vorhaben übereinstimmt.
VwGH 2012/10/0088
vom 12.8.2014
Mit § 24f
Abs 3 erster Satz UVP-G 2000 wird eine Pflicht zur Berücksichtigung der
Ergebnisse der Umweltverträglichkeitsprüfung festgelegt, nicht aber eine
Bindung an diese.
VwGH 2011/07/0214 vom 24.7.2014
Voraussetzung für die Durchführung einer Einzelfallprüfung
nach § 3 Abs 2 UVP-G 2000 ist, dass das geplante Vorhaben (hier:
Wasserkraftwerk) mit anderen Kraftwerksvorhaben in einem räumlichen
Zusammenhang steht (Kumulation). Die Beurteilung, ob einzelne Vorhaben in einem räumlichen
Zusammenhang zueinander stehen, ist einzelfallbezogen durchzuführen. Maßgeblich
ist, ob es durch die verschiedenen Eingriffe gleichartiger Vorhaben zu einer
Überlagerung der Wirkungsebenen dieser Eingriffe im Sinne kumulativer und
additiver Effekte kommen kann. Entscheidend ist jener Bereich, in dem sich die
maßgeblichen Umweltauswirkungen der zu kumulierenden Vorhaben erwartungsgemäß
überlagern werden. Dabei sind nicht fixe geographische Parameter
ausschlaggebend. Der räumliche Zusammenhang ist vielmehr schutzgutbezogen zu
beurteilen; dieser wird je nach Vorhaben und Schutzgut unterschiedlich weit
sein. Kann es zu einer derartigen Überlagerung der Wirkungsebenen dieser
Eingriffe im Sinne kumulativer Effekte jedoch nicht kommen und liegt somit kein
räumlicher Zusammenhang vor, so sind die Voraussetzungen für die Durchführung
einer Einzelfallprüfung nicht gegeben.
Die abgestimmte Betriebsweise eines Kraftwerkes mit den
Oberliegerkraftwerken sagt als solche nichts darüber aus, ob ein räumlicher
Zusammenhang gegeben ist oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, ob es durch
Eingriffe dieses Kraftwerkes und der bestehenden Kraftwerke zu einer
Überlagerung der Wirkungsebenen dieser Eingriffe im Sinne kumulativer und
additiver Effekte kommen kann. Das Umsetzen einer abgestimmten Betriebsweise
hat aber gerade nichts mit einer Überlagerung von Wirkungsebenen etwaiger
Eingriffe zu tun: Es geht dabei ausschließlich darum, dass sich Kraftwerke,
welche sich in einem Fluss befinden, hinsichtlich ihrer Betriebsvorschriften
und Wehrbetriebsordnungen aufeinander abstimmen. Dies trägt für sich genommen
noch gar nichts zur Beantwortung der Frage bei, ob sich die maßgeblichen
Umweltauswirkungen der zu kumulierenden Vorhaben erwartungsgemäß überlagern
würden. Ein solches Verständnis des an sich "restriktiv"
auszulegenden Kumulierungstatbestandes des § 3 Abs 2 UVP-G (vgl die Begründung
des Initiativantrages 168 BlgNR XXI. GP, B. Besonderer Teil, zu § 3) ist dem
Gesetz nicht zu unterstellen.
Der Begriff der Kraftwerkskette hat einen durch Anhang 1 Z
30 UVP-G 2000 klar abgesteckten Bedeutungsinhalt, wonach darunter eine
Aneinanderreihung von zwei oder mehreren Stauhaltungen zur Nutzung der
Wasserkraft ohne dazwischenliegende freie Fließstrecke, berechnet auf Basis der
Ausbauwassermenge, von zumindest 2 km Länge zu verstehen ist[i].
VwGH 2013/07/0215
vom 24.7.2014 (Murkraftwerk)
Im Rahmen
der Alternativenprüfung nach § 6 Abs 1 Z 2 UVP-G 2000 sind vor allem
Standortvarianten zu untersuchen. Nicht zu prüfen sind alternative
umweltpolitische Gesamtkonzepte und gesamtstaatliche Fragen des Umweltschutzes,
wie zB die Nutzung von Wind- statt Wasserkraft zur Energiegewinnung. Ebenso ist
in diesem Rahmen nicht zu untersuchen, ob ein Vorhaben etwa bei einer
konsequenten Energiesparpolitik vermeidbar wäre.
Der VwGH
hat bei der Genehmigung unter Vorschreibung von Auflagen davon auszugehen, dass diese eingehalten
werden; Gegenstand der Prüfung ist die konsensgemäße Umsetzung der Bewilligung,
nicht die befürchtete Nichteinhaltung von Auflagen oder anderen
Nebenbestimmungen (vgl VwGH 25.3.2010, 2008/05/0113;18. 12. 2012, 2011/07/0190).
Gegenstand der Prüfung, ob die Verbotstatbestände des § 13d Abs 2 Stmk NSchG
1976 verwirklicht werden oder nicht, ist daher das vorliegende Projekt in der
Form, in der es in die Realität umgesetzt werden wird, wobei zum Antrag und den
vorgesehenen UVE-Maßnahmen die in die Bewilligung aufzunehmenden Auflagen hinzutreten,
die ihrerseits die Anlage inhaltlich mitgestalten. Das Gleiche gilt für
CEF-Maßnahmen (= vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen); auch ihre Wirkung ist in die
Beurteilung einzubeziehen.
VwGH 2013/03/0062
vom 26.6.2014
Wurde in
einem UVP-Verfahren vom BMVIT die wasserrechtliche Bewilligung zur Herstellung
der Hochwasserfreiheit eines Deponiestandortes durch Verlegung eines Baches
erteilt und wird darauf aufbauend eine Deponiegenehmigung erteilt, so baut dieser
Genehmigungsbescheid untrennbar auf dem Ministerialbescheid auf. Infolge der
Aufhebung dieses Bescheides (mit Erk 19. 12. 2013, 2011/03/0160, 0162, 0164,
0165) ist jenes Verfahren in das Stadium vor Bescheiderlassung zurückgetreten
und es ist dem im abfallrechtlichen Genehmigungsverfahren angefochtenen
Bescheid die rechtliche Grundlage entzogen.
In einem
UVP-Genehmigungsverfahren kann nicht gestützt auf § 39 Abs 1 Z 4 AWG 2002
argumentiert werden, dass die Eigentümer jener Grundstücke, auf denen eine
Deponie für Aushubmaterial eines Eisenbahntunnels errichtet werden soll, der
Errichtung der Deponie hätten zustimmen müssen. Gemäß § 24f Abs 6 UVP-G 2000 (idF
vor der Nov BGBl I 2012/77) hatte die Behörde im gegenständlichen Verfahren
grundsätzlich auch die Bestimmung des § 24f Abs 1a UVP-G 2000 zu beachten,
wonach die Zustimmung Dritter insoweit keine Genehmigungsvoraussetzung ist, als
für den betreffenden Teil des Vorhabens in einer Verwaltungsvorschrift die
Möglichkeit der Einräumung von Zwangsrechten vorgesehen ist.
[i]
Nunmehr kommt es auf den – je nach der Größe des Flusses unterschiedlich langen
– „ausreichenden Mindestabstand“ gemäß Anh 1 Z 30 FN 7 UVP-G an.
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