Im Vorjahr sprach der VwGH aus, dass der Kumulationstatbestand, der gebietet, die Kapazitäten von in einem räumlichen Zusammenhang stehenden Vorhaben zusammenzurechnen und eine UVP-Einzelfallprüfung vorzunehmen, restriktiv auszulegen sei (VwGH 2011/07/0214 vom 24.7.2014; siehe dazu auch schon in diesem Blog). Und besonders einschränkend legte im Frühjahr 2014 ein Senat des Bundesverwaltungsgerichtes die Kumulationsbestimmung aus: in der Entscheidung vom 27.3.2014 (W143 2000181-1/8E, Windpark Koralpe) schob man der Kumulation einen zeitlichen Riegel vor und argumentierte, dass die 5-Jahres-Zusammenrechnungsregel des § 3a Abs 5 UVP-G (gilt für Erweiterungen desselben Vorhabens) analog auf die Kumulation mit anderen Vorhaben anzuwenden sei. Nun rudert aber ein anderer Senat des BVwG zurück: Die Kumulationsbestimmung des § 3 Abs 2 und § 3a Abs 6 UVP-G stelle nicht auf die "5-Jahres-Regel" ab, heißt es im neuesten Erkenntnis des BVwG vom 20.4.2015, "Hatric IV".
In diesem steiermärkischen Fall, bei dem es um die Errichtung eines Fachmarktzentrums in räumlicher Nähe zu bestehenden Einkaufszentren ging, hatte die Behörde aufgrund zweier Feststellungsanträge - des Projektwerbers und der Umweltanwältin - über die UVP-Pflicht zu entscheiden. Sie legte bei ihrer Entscheidung, ob eine Kumulation mit den benachbarten Einkaufszentren zu erfolgen habe, die Rechtsprechung des BVwG im Fall "Windpark Koralpe" zugrunde und bezog nur Projekte in die Kumulationsprüfung ein, die in den letzten fünf Jahren genehmigt worden waren. Da damit nur mehr ein Bruchteil der bestehenden Vorhaben zu kumulieren war, wurde auf dieser Basis eine UVP-Pflicht verneint.
Die Berufung der Umweltanwältin stellte die einschränkende Sichtweise des BVwG im "Koralpe"-Fall in Frage und der in diesem Fall zuständige UVP-Senat des BVwG sagte nun, es könne diese Rechtsauffassung nicht aufrecht erhalten werden. Bei der Prüfung der kumulativen Effekte sei die bestehende Bebauung unabhängig von einer zeitlichen Komponente zu berücksichtigen (BVwG 20.4.2015, W104 2101995-1/11E). Die Begründung dieses Erkenntnisses schließt sich damit der bisherigen Rsp des Umweltsenates an.
Aufgehoben wurde der angefochtene Bescheid vom BVwG allerdings deswegen, weil der Projektwerber erklärte, dass das Vorhaben nicht mehr in der dem Feststellungsverfahren zugrunde liegenden Form verwirklicht werde. Aufgrund dieser Abstandnahme vom gegenständlichen Projekt war dem Verfahren die Grundlage entzogen und über die Beschwerde der Umweltanwaltschaft nicht mehr zu entscheiden.
Die sich in der Begründung findende Aussage, dass das BVwG nun die "Koralpe"-Entscheidung zur Kumulationspflicht nicht mehr aufrecht erhalten wolle, ist daher derzeit noch ein "obiter dictum".
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Rechtsprechung des VwGH zur UVP 2023
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Nun hat das BVwG in einem neuen Erkenntnis vom 29.04.2015, GZ W225 2008230-1/9E, definitiv ausgesprochen, dass der Kumulationstatbestand keine zeitliche Grenze kennt:
AntwortenLöschen"Der Kumulationstatbestand des § 3 Abs. 2 UVP-G 2000 ist nicht nur ein Tatbestand zur Verhinderung der Umgehung der UVP; eine zeitliche Komponente ist bei der Anwendung dieser Regelung daher nicht heranzuziehen. Es kann kein Zweifel bestehen, dass der Gesetzgeber nicht nur zeitnah beantragte Vorhaben, sondern auch bestehende Anlagen in die Kumulationsbetrachtung einbezogen haben will. Nur wo ausdrücklich eine abweichende Regelung getroffen wurde (vgl. Anhang 1 Z 12 UVP-G 2000 - Schigebiete) oder in Fällen, in denen aufgrund der Art des Vorhabens Auswirkungen nicht mehr spürbar sind und ein Vorhaben letztendlich nicht mehr vorliegt (z.B. ein abgeschlossener Rohstoffabbau) bzw. in jenen Fällen, in denen die Ausgangssituation gar nicht bzw. schwer feststellbar ist (z.B. im Falle von Rodungen, vgl. US 7B/2011/24-11, „Villach-Finkenstein“), ist eine zeitliche Befristung in Bezug auf die in die Kumulationsbetrachtung einzubeziehenden Vorhaben angebracht (siehe US 7B/2012/3-22, Kals/Großglockner)."