Mittwoch, 21. Mai 2025

Grenzen und (Fehl)Interpretationen bei der Kumulation

Die Ausführungen des VwGH zur Baurestmassendeponie Fisching (VwGH 29.08.2024, Ra 2022/07/0025) und die darin zitierte Vorjudikatur (insb VwGH 17.12.2009, Ro 2018/04/0012) haben zahlreiche und mittlerweile vieldiskutierte Verunsicherungen im Zusammenhang mit UVP-Kumulationsprüfungen nach sich gezogen – einem Thema von hoher Praxisrelevanz, dem generell schon eine gewisse Komplexität innewohnt und bei dem seit jeher Vieles vermischt wird. Was hat es nun also mit den neuen Entwicklungen auf sich und was sind die Konsequenzen, die sich daraus für Sie als Projektwerber ergeben?

Von Mario Laimgruber und Maurizio-Damiano Stoisser
(Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH)

Sofern Sie mit Ihrem Vorhaben sowieso UVP-pflichtig sind (weil Sie den einschlägigen Schwellenwert erreichen), ändert sich nichts: Aus Perspektive Ihres Vorhabens sind im Hinblick auf § 6 Abs 1 Z 4 lit d UVP-G 2000 (Beschreibung der voraussichtlichen erheblichen Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt, infolge des Zusammenwirkens der Auswirkungen mit anderen bestehenden oder genehmigten Vorhaben in Ihrer UVE) sämtliche bestehende und prognostizierten Belastungen als Nullplanfall iS einer Vorbelastung zu berücksichtigen. Die Ausführungen im Erkenntnis zur Baurestmassendeponie Fisching haben darauf keine Auswirkung.

Eine potenzielle Relevanz des Erkenntnisses VwGH 29.08.2024, Ra 2022/07/0025, könnte sich bei einem Vorhaben dann ergeben, wenn dieses für sich nicht UVP-pflichtig sein sollte, aber im Zusammenhang mit anderen Vorhaben sein könnte. Der VwGH führt für diese Fälle im genannten Erkenntnis aus, dass bei einer Kumulationsbetrachtung gemäß § 3 Abs 2 UVP-G 2000 sowohl bei der Frage der Kumulierung von Schwellenwerten, als auch bei einer etwaigen nachgelagerten Frage der Kumulierung von Umweltauswirkungen im Einzelfall (der sogenannten Einzelfallprüfung) Vorhaben zu berücksichtigen sind, die insofern schutzgutbezogen in einem räumlichen Zusammenhang mit dem zukünftigen Vorhaben stehen, als Wechselwirkungen ihrer Auswirkungen mit den Auswirkungen des zukünftigen Vorhabens auf einzelne Schutzgüter im für die Umwelt erheblichen Ausmaß nicht von vornherein ausgeschlossen werden können. Unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des EuGH wird dazu zudem konkretisierend ausgeführt, dass es dabei um Umweltauswirkungen geht, die wegen der Auswirkungen anderer Projekte größeres Gewicht haben. Konkret betrifft dies nach den Ausführungen des VwGH zur Baurestmassendeponie Fisching "alle potentiziell UVP-relevanten Vorhaben, bei denen unter Ermittlung eines zusätzlichen Faktors (wie beispielsweis der Dichte) ein Wert berechnet werden kann, der sich in weiterer Folge aufgrund der gleichen Maßeinheit des Schwellenwertes des zukünftigen Vorhabens nach Anh. 1 UVP-G zur Kumulation eignet, oder Vorhaben, bei denen die Möglichkeit einer - direkten - Umrechnung der Maßeinheiten des Schwellenwertes besteht".

Über das Ziel hinaus schießt dahingehend jedenfalls das neue ministeriale Rundschreiben zum UVP-G 2000 (dieses soll den vollziehenden Organen des UVP-G 2000 als unverbindliche Richtschnur Hilfestellung bei der Handhabung dieses Gesetzes bieten; das Rundschreiben ist über Anfrage beim Bundesministerium erhältlich [Abteilung V/11; E-Mail: v11@bmk.gv.at], um das Rundschreiben per E-Mail zu erhalten). Auf Seite 43 wird dort als weiterführende Überlegung zum VwGH-Erkenntnis zur Baurestmassendeponie Fisching ausgeführt:

"Immer möglich ist die Umrechnung der in Anh. 1 verwendeten Maßeinheiten in die Prozent des Schwellenwertes als zusammenrechenbare Maßeinheit, wie in Anh. 1 Z 43 bei der Intensivtierhaltung."

Diese Sichtweise ist rechtlich nicht vertretbar: Zum einen wären die Aussagen des VwGH zur Baurestmassendeponie Fisching wenn dem so wäre gänzlich sinnentleert (wenn jedes Vorhaben potenziell mit jedem anderen über einen Prozentualvergleich kumuliert werden könnte, würde es keiner Ausführung der im Erkenntnis genannten und zuvor ausgeführten Kriterien bedürfen). Zum anderen fände diese Interpretation keine Deckung mit der UVP-RL. Zu dieser zweifelsfrei überschießenden Interpretation ist außerdem festzuhalten, dass auch die Referenz auf den Intensivtierhaltungs-Tatbestand hinkt, weil dort eine eigene Rechtsgrundlage hinsichtlich gemischter Bestände existiert, die es im Hinblick auf die bestehende allgemeine Kumulationsbestimmung nicht gibt.

Zudem ist hervorzuheben, dass in der angestoßenen Diskussion und auch im genannten UVP-Rundschreiben die in der Rechtsprechung des VwGH ausdrücklich angeführte Einschränkung, nämlich, dass andere Vorhaben für die Frage der Kumulierung von Schwellenwerten und bei einer etwaigen nachgelagerten Einzelfallprüfung nur „insofern“ zu berücksichtigen sind, als Wechselwirkungen nicht von vornherein ausgeschlossen werden können, nicht ausreichend Beachtung findet. Eine reine „Addition“ von Umweltauswirkungen ist demnach aber für eine Berücksichtigung – sowohl in Bezug auf die Kumulierung von Schwellenwerten als auch im Rahmen der Einzelfallprüfung – zu wenig.

Im aktuellen Regierungsprogramm wird auf Seite 52 eine „praxisgerechte und EU-konforme Vereinfachung der Kumulierungsregelungen“ versprochen. Bis eine solche implementiert wird, werden Projektwerber in den relevanten Fällen sowohl fachlich als auch rechtlich argumentativ vorbauen müssen, um – zB in einem aus Rechtssicherheitsgründen anzuratenden UVP-Feststellungsverfahren – darlegen zu können, warum aus den Vorgaben des Erkenntnisses VwGH 29.08.2024, Ra 2022/07/0025, keine Relevanz für das eigene Vorhaben ableitbar ist.

Was sicher nicht die Lösung sein kann, ist, dass Projektwerber in Zukunft angehalten werden, ihre Vorhaben über Gebühr zu redimensionieren und etwa so auszugestalten, dass geplante Vorhaben eine Kapazität von weniger als 25 % des für sie relevanten Schwellenwertes aufweisen, weil dann gemäß § 3 Abs 2 UVP-G 2000 jedenfalls keine Einzelfallprüfung durchzuführen ist – das UVP-Genehmigungsverfahren ist ein Projektgenehmigungsverfahren, in welchem der Projektwerber den Verfahrensgegenstand durch seinen Antrag, unabhängig von etwaigen Interventionen, vorgibt. Genauso wenig zielführend wäre ein Ansatz, in dem Behörden aufgrund der anscheinend bestehenden Unsicherheiten „standardmäßig“ und prophylaktisch – dh also auch bei Vorhaben, bei denen relevante kumulative Effekte von vorneherein ausgeschlossen werden, in die Kumulationsprüfung nach § 3 Abs 2 UVP-G 2000 einsteigen. Ein solches Vorgehen stünde jedenfalls im Widerspruch zu Art 18 B-VG und dem verfahrensökonomischen Grundsatz der gebotenen Rücksichtnahme auf die möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis der Verwaltung.

Bei sämtlichen Umweltverfahren und unabhängig davon, wie sich die Gegebenheiten zum hier dargelegten Thema weiterentwickeln werden, stehen Ihnen die Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen von Haslinger/Nagele bei der Wahrung Ihrer Interessen gerne zur Seite und freuen sich auf Ihre Kontaktaufnahme.

Montag, 17. März 2025

030776 KU Umweltverträglichkeitsprüfung (Sommersemester 2025)

 2.00 ECTS (1.00 SWS), SPL 3 - Rechtswissenschaften

Prüfungsimmanente Lehrveranstaltung

An/Abmeldung

Hinweis: Ihr Anmeldezeitpunkt innerhalb der Frist hat keine Auswirkungen auf die Platzvergabe (kein "first come, first served").
  • Anmeldung noch in der ersten Stunde am 19.03.2025 möglich

Details

max. 40 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

Termine 

  • Mittwoch26.03.16:45 - 19:15Seminarraum SEM42 Schottenbastei 10-16, Juridicum, 4.OG
  • Mittwoch09.04.16:45 - 19:15Seminarraum SEM42 Schottenbastei 10-16, Juridicum, 4.OG
  • Dienstag13.05.16:00 - 18:30Seminarraum SEM51 Schottenbastei 10-16, Juridicum, 5.OG
  • Mittwoch21.05.16:45 - 19:15Seminarraum SEM61 Schottenbastei 10-16, Juridicum, 6.OG

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Ziel der Lehrveranstaltung ist das Erlernen der wesentlichen rechtlichen Aspekte sowohl des Unionsrechtes als auch des österreichischen Rechts für die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren.
Viele Infrastrukturvorhaben, größere Bauvorhaben, Energieerzeugungs- und Betriebsanlagen sowie Bergbau- und Abfallbehandlungsanlagen sind UVP-pflichtig. Die EU-Verordnung für den beschleunigten Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien und die UVP-Novelle 2023 führten zu wichtigen Änderungen im UVP-Recht.
Neben dem Unionsrecht und dem österreichischen UVP-G samt dazugehörigem Verfahrensrecht wird auch die Aarhus Konvention und deren Bedeutung für das UVP-Verfahren behandelt.
Anhand der Lernunterlage des Vortragenden und den maßgeblichen Gesetzestexten werden die Rechtsvorschriften und die Rechtsprechung zum UVP-Verfahren dargestellt und mit den Studierenden erörtert.
In einer schriftlichen Klausur sollen die Studierenden das erlernte Wissen und Können wiedergeben.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

eine schriftliche Klausur
Hilfsmittel: unkommentierte Gesetzesausgaben (ohne Anmerkungen oder Verweisen)

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

positive Beurteilung der Klausur; in Zweifelsfällen kann auch die mündliche Mitarbeit (ausschließlich im positiven Sinne) herangezogen werden (Diskussion während des Vortrags)

Judikatur des VwGH zur UVP im Jahr 2024

Zuständigkeit des BVwG zur Entscheidung über Säumnisbeschwerde im UVP-Verfahren

Mit der aktuellen Fassung des § 40 Abs 1 UVP-G, die dieser mit dem Verwaltungsreformgesetz BMLFUW, BGBl I 2017/58, erhielt. sollte nach den Materialien (ErläutRV 1456 BlgNR 25. GP 6) „nunmehr auch legistisch eine Klarstellung der umfassenden Zuständigkeit in § 40, insbesondere auch bei Devolutionsverfahren, für das BVwG normiert“ werden. Anders als nach der Vorgängerfassung (BGBl I 2013/95: "Beschwerden gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz", vgl dazu VwGH 2. 8. 2016, Ro 2015/05/0008, 0013, 0014) umfasst die Zuständigkeit des BVwG daher nunmehr auch die Entscheidung über Säumnisbeschwerden in Angelegenheiten nach dem UVP-G.

Für die Entscheidung über eine Säumnisbeschwerde, in der ausdrücklich die Säumnis der UVP-Behörde geltend gemacht wird, weil diese im Rahmen des Genehmigungsverfahrens für ein Wasserkraftwerk mit der Entscheidung über einen (nur) im UVP-Verfahren gestellten „Antrag auf Entschädigung für die Beeinträchtigung unseres Fischereirechtes als Folge der Bewilligung“ säumig sei, ist das Bundesverwaltungsgericht und nicht das LVwG zuständig. 

Bei einer allenfalls nicht (mehr) gegebenen Zuständigkeit der UVP-Behörde, über den offenen Antrag zu entscheiden, wäre die Säumnisbeschwerde zwar mangels Säumnis der UVP-Behörde vom BVwG zurückzuweisen gewesen. Von einer solchen Zurückweisung ist aber eine – zu Unrecht erfolgte – Zurückweisung aus dem Grund der Unzuständigkeit des BVwG zu unterscheiden.

VwGH 31. 1. 2024, Ko 2023/03/0004


Verletzung der Verhandlungspflicht bei Einwand der UVP-Pflicht im Materienverfahren

Die in Art 47 GRC festgelegten Garantien, die inhaltlich jenen des Art 6 EMRK entsprechen, kommen zum Tragen, wenn in einem Genehmigungsverfahren nach dem MinroG und dem WRG von einem Einwender (Bf) geltend gemacht wird, dass die Projektwerberin die Projektfläche unsachlich aufgesplittet habe, um einer UVP zu entgehen (vgl dazu VwGH 29. 3. 2006, 2004/04/0129, mwN). In diesem Fall ist auch das in Umsetzung der RL 2011/92/EU eingeführte UVP-G in den Blick zu nehmen, welches Angelegenheiten der „Durchführung des Rechts der Union“ iSd Art 51 Abs 1 GRC (vgl zur Bindung an die GRC bei der Auslegung von in nationales Recht umgesetzten RL etwa EuGH 29. 1. 2008, C-275/06, Promusicae, Rn 68) betrifft.

Wurde das Ausmaß der projektgegenständlichen Fläche in der Beschwerde bestritten und sah sich das VwG veranlasst, sich mit diesem Vorbringen beweiswürdigend auseinanderzusetzen, so durfte sich dieses nicht auf den Standpunkt zurückziehen, dass der Sachverhalt geklärt gewesen sei, sofern es sich nicht um ein unsubstantiierten Bestreiten handelte, welches außer Betracht bleiben hätte können (vgl etwa VwGH 21. 8. 2023, Ra 2022/07/0166). Bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen – wie hier – ist jedenfalls eine mündliche Verhandlung durchzuführen Eine Missachtung der Verhandlungspflicht führt im Anwendungsbereich des Art 6 EMRK und des Art 47 GRC zur Aufhebung wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, ohne dass die Relevanz dieses Verfahrensmangels geprüft werden müsste (vgl VwGH 20. 2. 2023, Ra 2021/07/0062, mwN).

Die Einräumung eines Zwangsrechtes nach § 63 lit b WRG setzt ein Projekt voraus, dessen Umsetzung es dient; ohne eine vorangegangene, die davon betroffenen Grundstücke oder Grundstücksteile zweifelsfrei bezeichnende wasserrechtliche Bewilligung eines Projektes dürfen dafür erforderliche Zwangsrechte nicht begründet werden (vgl. VwGH 18.2.2021, Ra 2018/07/0347, mwN).

VwGH 19. 3. 2024, Ra 2022/07/0075


Rechte einer Umweltorganisation nach § 19 Abs 10 UVP-G

Für Verfahren nach dem UVP-G 2000 bestimmt § 19 Abs. 10 UVP-G 2000, dass eine anerkannte Umweltorganisation unter bestimmten Voraussetzungen Parteistellung hat und berechtigt ist, die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften im Verfahren geltend zu machen. Die Rsp zum Begriff der "Umweltschutzvorschrift" im Sinne dieser Bestimmung ist auf § 42 Abs. 1 Z 13 AWG 2002 übertragbar. Nach dieser Rsp ist der Begriff der "Umweltschutzvorschrift" iSd § 19 Abs. 4 und 10 UVP-G 2000 weit zu verstehen und nicht auf Normenbereiche eingeschränkt, die in unmittelbarem Bezug zum Schutz der Umwelt stehen. Der Begriff der "Umweltschutzvorschrift" umfasst vielmehr Rechtsvorschriften, die direkt oder indirekt dem Schutz des Menschen und der Umwelt vor schädlichen Aus- oder Einwirkungen dienen. Es fallen aber nicht ganze Rechtsbereiche (wie z.B. das Wasserrecht oder das Naturschutzrecht) unter die "Umweltschutzvorschriften". Vielmehr ist die Qualifikation der einzelnen Rechtsnormen je für sich vorzunehmen. Eine Rechtsnorm wird man demnach als "Umweltschutzvorschrift" qualifizieren können, wenn ihre Zielrichtung (zumindest auch) in einem Schutz der Umwelt - im Sinne einer Hintanhaltung von Gefahren für die menschliche Gesundheit oder die Natur - besteht (VwGH 28.5.2020, Ra 2019/07/0081 bis 0083, 0130; VwGH 15.6.2023, Ra 2023/06/0029, 0030). Daraus ergibt sich, dass nicht das gesamte Verfahrensrecht "im Zusammenhang mit Umweltverfahren" zu den Umweltschutzvorschriften zählt, deren Einhaltung die Partei verfolgen kann (VwGH 12.6.2023, Ra 2023/06/0074).

Unter "Rechtsmittel" im Sinn des § 42 Abs. 1 Z 13 AWG 2002 ist auch die Revision an den VwGH zu verstehen; dies ergibt sich bereits aus der Textierung des § 42 Abs. 1 Z 8 AWG 2002 betreffend die Parteistellung des Umweltanwaltes, welchem "das Recht eingeräumt [wird], Rechtsmittel zu ergreifen, einschließlich Beschwerde an das Verwaltungsgericht sowie Revision an den Verwaltungsgerichtshof". Anerkannten Umweltorganisationen ist damit im Sinne des Art. 133 Abs. 8 B-VG das Recht eingeräumt, in den in § 42 Abs. 1 Z 13 AWG 2002 genannten Verfahren und unter den dort angeführten Voraussetzungen gegen das Erkenntnis oder den Beschluss eines VwG Revision an den VwGH wegen Rechtswidrigkeit zu erheben, jedoch eingeschränkt auf eine aus der Nichteinhaltung von Umweltschutzvorschriften resultierende Rechtswidrigkeit.

VwGH 6. 5. 2024, Ra 2024/07/0024


Prüfung einer Umgehungsabsicht bei Unterschreitung der „Bagatellschwelle“

Die Beurteilung der Frage, ob ein Umgehungsprojekt vorliegt, durch das die UVP-Pflicht umgangen werden soll, obliegt der Beweiswürdigung durch die Beh bzw das VwG (vgl VwGH 29. 9. 2015, 2013/05/0077, mwN). Im Falle einer unschlüssigen Beweiswürdigung bei der für die Zuständigkeit wesentlichen Feststellung einer Umgehungsabsicht belastet das LVwG, das für die Genehmigung des Vorhabens nach dem MinroG im Bescheidbeschwerdeverfahren zuständig ist, sein Erk mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Beim Bagatellschwellenwert von 25% des gem Anh 1 Z 25 lit a UVP-G maßgeblichen Schwellenwerts von 20 ha – somit 5 ha – handelt es sich um eine Mindestschwelle für Kleinvorhaben. Bei deren Unterschreitung ist keine Kumulierung des Abbauvorhabens mit anderen Vorhaben iSd § 3 Abs 2 S 1 UVP-G und gem § 3 Abs 2 S 3 UVP-G keine Einzelfallprüfung durchzuführen.

Anderes gilt nur, wenn eine Umgehung der UVP-Pflicht, etwa durch Aufsplittung von Maßnahmen, erfolgen soll: In diesem Fall ist eine Einzelfallprüfung durchzuführen (vgl VwGH 28. 4. 2021, Ra 2019/04/0027 bis 0034, Rn 22, mwN). Von einem Vorhaben iSd § 3 Abs 2 S 3 UVP-G, das eine Kapazität von weniger als 25% des Schwellenwerts aufweist, ist bei Vorliegen einer Umgehungsabsicht nicht auszugehen.

Der weite Vorhabensbegriff des § 2 Abs 2 UVP-G ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Verkleinerung eines UVP-pflichtigen Vorhabens mit dem Ziel, mit dem Vorhaben in einem sachlichen und räumlichen Zusammenhang stehende Vorhabensteile vorweg realisieren zu können, verhindert werden soll. In gleicher Weise sollen Vorhabensteile nicht durch Einschränkung des Antrags der UVP entzogen werden, um sie später ohne Anwendung des UVP-Regimes umsetzen zu können. Eine kumulative Wirkung mehrerer Vorhaben iSe Überlagerung der Auswirkungen auf einzelne Schutzgüter vermittelt nicht schon einen sachlichen Zusammenhang.

VwGH 17. 5. 2024, Ra 2022/04/0014


Begriff des "Vorhabens" nach § 2 Abs 2 UVP-G

Ob der von § 2 Abs. 2 UVPG 2000 geforderte sachliche (funktionelle) Zusammenhang vorliegt, kann nicht allgemein, sondern nur individuell von Fall zu Fall beurteilt werden, weswegen auch stets auf die Umstände des Einzelfalles Bedacht zu nehmen ist (vgl. VwGH 28.4.2016, Ra 2015/07/0175). Bei den dabei anzustellenden Sachlichkeitsüberlegungen gilt es darauf Bedacht zu nehmen, ob das Vorhaben in technischer und betrieblicher Hinsicht für sich bestehen kann bzw. ob das Vorhaben für sich allein "verkehrswirksam" ist (vgl. etwa in Zusammenhang mit der Stückelung eines Straßenbauvorhabens VwGH 25.11.2008, 2008/06/0026, oder eines Eisenbahnprojektes VwGH 25.8.2010, 2007/03/0027). Ein funktioneller Zusammenhang zwischen den betroffenen Vorhaben wird etwa dann angenommen, wenn ein einheitlicher Betriebszweck vorliegt oder die Verwirklichung des einen Vorhabensteils die Verwirklichung des anderen erfordert (vgl. dazu die in VwGH 8.10.2020, Ra 2018/07/0447, genannten Beispiele). Hingegen bildet ein für sich nicht UVP-pflichtiges Vorhaben dann keine Einheit mit einem anderen Projekt, wenn es (auch) einen mit jenem nicht zusammenhängenden Zweck verfolgt und keinen engeren Zusammenhang mit jenem aufweist, als er bei bloßen, nicht UVP-pflichtigen Vorarbeiten zu sehen ist (vgl. nochmals VwGH Ra 2018/07/0447, mwN).

VwGH 11. 6. 2024, Ra 2024/04/0328


Verpflichtung zur Darlegung der "Nullvariante"

Seit der Änderung des UVP-G 2000, BGBl I Nr 80/2018, ist das Erfordernis, als Genehmigungswerber eine "Nullvariante" darzulegen, in § 6 Abs. 1 Z 2 UVP-G 2000 explizit konkretisiert. Nach der Judikatur des VwGH legt die "Nullvariante" das Unterbleiben des Vorhabens dar (vgl. VwGH 6.5.2021, Ra 2019/03/0040, Rn. 41; vgl. sinngemäß bereits VwGH 20.11.2014, 2011/07/0244, Pkt. 6.1.).

Soweit die Zulässigkeitsbegründung der Revisionswerber dahingehend verstanden werden könnte, dass das angefochtene Erkenntnis der - auch vom Verwaltungsgericht zitierten - Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Dezember 2016, Ro 2014/03/0035, zur herangezogenen Nullvariante widerspreche, genügt es festzuhalten, dass dort die Frage zu beurteilen war, ob bei der Beurteilung der Nullvariante auf das Ausmaß der tatsächlich bestehenden Immissionen oder auf rechtlich vorgeschriebene, praktisch aber nicht verwirklichte Werte abzustellen ist (vgl. VwGH 20.12.2016, Ro 2014/03/0035, Rn. 68 f).  

Die Revisionswerber entfernen sich im Übrigen mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen, der angefochtenen Entscheidung sei eine Nullvariante zu Grunde gelegt worden, die lediglich auf der prinzipiellen Möglichkeit einer Wiederinbetriebnahme beruhe, begründungslos vom festgestellten Sachverhalt und legen damit keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dar. Ausgangspunkt der Prüfung, ob eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliegt, ist der festgestellte Sachverhalt (vgl. etwa VwGH 15.4.2024, Ra 2024/05/0023, mwN). Dass die Feststellung auf einer unvertretbaren Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes beruhen würde, wird nicht vorgebracht.

VwGH 9. 7. 2024, Ra 2024/05/0029 (kritisch zur vom VwGH in diesem Beschluss geprüften Entscheidung des BVwG vom 30.1.2024, W104 2265480-1: R. Christian/Kerschner, RdU 2025/23, 35


Kumulationsprüfung nicht auf gleichartige Vorhaben eingeschränkt

Erreicht ein Vorhaben des Anhangs 1 UVP-G 2000 mit anderen in einem räumlichen Zusammenhang stehenden Vorhaben den Schwellenwert, bewirkt noch nicht, dass gemäß § 3 Abs. 2 leg. cit. eine UVP durchzuführen ist. Die Behörde hat in diesem Fall nach der genannten Norm eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, wobei die Pflicht zur Prüfung der Auswirkungen, die ein Projekt zusammen mit anderen haben könnte, nicht alleine auf gleichartige Projekte beschränkt ist (EuGH 11.2.2015, Marktgemeinde Straßwalchen u.a., C-531/13). Diese Beschränkung gilt auch nicht bei der Prüfung des Erreichens der Schwellenwerte.


Die Einzelfallprüfung gemäß § 3 Abs. 2 UVP-G 2000 idF BGBl I Nr 58/2017 ist nicht auf betreffend das zu prüfende Vorhaben und nach dem maßgeblichen Tatbestand des Anhangs 1 zum UVPG 2000 gleichartige Projekte einzuschränken. Vielmehr sind grundsätzlich Vorhaben zu berücksichtigen, die insofern schutzgutbezogen im räumlichen Zusammenhang mit dem zu prüfenden Vorhaben stehen, als Wechselwirkungen ihrer Auswirkungen mit den Auswirkungen des zu prüfenden Vorhabens auf einzelne Schutzgüter im für die Umwelt erheblichen Ausmaß nicht von vornherein ausgeschlossen werden können (vgl. VwGH 17.12.2019, Ro 2018/04/0012). Diese Rechtsprechung ist auf die Einzelfallprüfung nach § 3a Abs. 6 UVPG 2000 idF BGBl I Nr 80/2018 übertragbar.

Die Angabe der Schwellenwerte der unterschiedlichen Tatbestände des Anhanges 1 UVP-G 2000 in verschiedenen Maßeinheiten (hier betreffend die Z 2 lit. a in Kubikmeter und betreffend die Z 25 lit. a in Hektar) kann kein Hindernis darstellen, das der Kumulierung entgegensteht. Denn anhand des Schwellenwertes des Tatbestandes der Z 25 lit. a des Anhanges 1 der Spalte 1 UVP-G 2000, der in dem Flächenmaß Hektar angegeben ist, kann - allenfalls unter Einbeziehung eines Sachverständigen - durch entsprechende Ermittlung der Fläche, auf der Grabungen stattfinden, und der Grabungstiefe das Volumen des Kies- und Sandaushubmaterials in Kubikmeter berechnet werden, was zur Möglichkeit der Zusammenrechenbarkeit der so erhaltenen Menge von Aushubmaterial in Kubikmetern mit dem geplanten zu deponierenden Material ebenso in Kubikmeter führt. Alternativ vorstellbar wäre eine Ermittlung des Aushubmaterials des Kies- und Sandabbaus in Tonnen und eine darauffolgende Umrechnung dieser Gewichtsmaßeinheit anhand der Dichte des Aushubmaterials in die Volumenmaßeinheit Kubikmeter.

Die Vorhaben, die bei der Einzelfallprüfung zu berücksichtigen sind, sind unter den nachfolgenden Voraussetzungen bei dem Prüfschritt des Erreichens der Schwellenwerte einzubeziehen: Dies entweder, wenn unter Ermittlung eines zusätzlichen Faktors (wie beispielsweise der Dichte) ein Wert berechnet werden kann, der sich in weiterer Folge aufgrund der gleichen Maßeinheit des Schwellenwertes des zu prüfenden Vorhabens nach Anhang 1 UVP-G 2000 zur Kumulation eignet, oder wenn die Möglichkeit der - direkten - Umrechnung der Maßeinheiten der Schwellenwerte besteht. Dafür spricht sowohl der Text als auch der Zweck der UVP-RL (2011/92/EU).

VwGH 29. 8. 2024, Ra 2022/07/0025 (Besprechung in: ecolex 12/2024, S 1074)


Einzelfallprüfung bei zu eng abgegrenzter nationaler Umsetzung der unionsrechtlichen UVP-Pflicht

Art. 4 Abs. 2 der UVP-Richtlinie sieht für die in Anhang II (dieser Richtlinie) genannten Projekte vor, dass die Mitgliedstaaten anhand einer Einzelfallentscheidung oder anhand der von dem betreffenden Mitgliedstaat festgelegten Schwellenwerte bzw. Kriterien entscheiden, ob für das Projekt eine UVP durchzuführen ist. Den Mitgliedstaaten wird mit dieser Bestimmung ein Ermessensspielraum eingeräumt (vgl. in diesem Zusammenhang zur insoweit vergleichbaren Regelung der Richtlinie 85/337/EWG etwa VwGH 19.4.2012, 2009/03/0040). 

Ein Mitgliedstaat, der diese Schwellenwerte bzw. Kriterien so festlegte, dass in der Praxis alle Projekte einer bestimmten Art von vornherein von der Pflicht zur Untersuchung ihrer Auswirkungen ausgenommen wären, seinen Wertungsspielraum überschreiten, es sei denn, aufgrund einer Gesamtbeurteilung aller ausgenommenen Projekte wäre davon auszugehen, dass bei ihnen nicht mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen sei (vgl. etwa EuGH 28.2.2018, Comune di Castelbellino, C-117/17, Rn. 37, 39).

In einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat seinen Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Höhe der Schwellenwerte gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. b der UVP-Richtlinie überschritten hat, entfalten Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 dahingehend unmittelbare Wirkung, dass zunächst im Rahmen einer Einzelfalluntersuchung zu prüfen ist, ob die betreffenden Projekte möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben und, wenn ja, sodann eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist (vgl. VwGH 24.9.2014, 2012/03/0165, mit Hinweis auf EuGH 21. März 2013, Flughafen Salzburg GmbH, C-244/12, Rz 48 und Tenor). 

Die Behörde hat im Fall einer Einzelfallprüfung nach § 3 Abs. 2 UVPG 2000 nur zu klären, ob mit 
erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist (vgl. E 23. September 2009, 2007/03/0170; E 26. April 2011, 2008/03/0089; E 30. Juni 2006, 2005/04/0195). Wie derartige Auswirkungen zu beurteilen sind und ihnen entgegenzutreten ist, ist dem späteren Bewilligungsverfahren vorbehalten. Insofern stellt die Einzelfallprüfung also nur eine Grobbeurteilung eines Vorhabens dar (vgl. E 21. Dezember 2011, 2006/04/0144; E 21. Dezember 2011, 2007/04/0112). Dies entspricht auch den Vorgaben des § 3 Abs. 7 UVPG 2000, wonach sich die Behörde, dann, wenn sie eine Einzelfallprüfung durchzuführen hat, hinsichtlich Prüftiefe und Prüfumfang auf eine Grobprüfung zu beschränken hat.

Ob ein bestimmtes Vorhaben ein Städtebauvorhaben im Sinne des Anhang 1 Z 18 lit. b UVPG 2000 ist, ist eine Frage des Einzelfalles. Die Zulässigkeit der Revision könnte sich daher nur ergeben, wenn in den Revisionszulässigkeitsgründen substantiiert aufgezeigt wird, dass die diesbezügliche Beurteilung des VwG grob fehlerhaft erfolgt wäre oder zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis führen würde (vgl. VwGH 22.1.2019, Ra 2018/05/0286, sowie VwGH 26.2.2019, Ra 2019/06/0012, jeweils mwN).

VwGH 24. 10. 2004, Ra 2023/04/0218

geht nicht hervor, in welchem konkreten subjektiv-öffentlichen Recht sich der Revisionswerber als verletzt erachtet (vgl. § 19 Abs. 1 UVP-G 2000). Der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge kommt Parteien weder ein abstraktes Recht auf „Durchführung einer UVP“ (vgl. nochmals VwGH 11.7.2022, Ra 2022/07/0222 bis 0225, Rn. 8, mwN), noch ein „Recht, an derselben als Parteien teilzunehmen“ (vgl. nochmals VwGH 11.7.2022, Ra 2022/07/0222 bis 0225, Rn. 10, betreffend die „Wahrung ihrer Nachbarrechte im UVP-G 2000“) und auch - hier eine Feststellung gemäß § 24 Abs. 5 UVP-G 2000 betreffend - kein abstraktes Recht „auf Feststellung der UVP-Pflicht“ (vgl. VwGH 20.4.2022, Ra 2022/06/0037, Rn. 6, mwN) zu. 

Da die revisionswerbenden Parteien somit keinen tauglichen Revisionspunkt geltend machten, erweist sich die Revision als nicht zulässig; sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

VwGH 12. 11. 2004, Ro 2024/06/0012; ebenso VwGH 12. 11. 2024, 2024/06/0024 u.a.


Grenzen und (Fehl)Interpretationen bei der Kumulation

Die Ausführungen des VwGH zur  Baurestmassendeponie Fisching (VwGH 29.08.2024, Ra 2022/07/0025)  und die darin zitierte Vorjudikatur (insb V...