Donnerstag, 9. März 2017

Ausgewählte Rechtsprechung des VwGH zur UVP 2016

Widerstreit zwischen einem UVP-pflichtigen und einem wasserrechtlich zu bewilligenden Vorhaben; Weiterführung des UVP-Verfahrens
über das "unterlegene Projekt"

VwGH 31. 3. 2016, Ra 2015/07/0071

Ein Widerstreit zwischen einem UVP-pflichtigen und einem wasserrechtlich zu bewilligenden Vorhaben ist nach den Regeln des Widerstreitverfahrens im WRG durchzuführen, einer Widerstreitentscheidung in einer solchen Konstellation kommen auch die dortigen Rechtswirkungen zu (vgl VfGH 4. 10. 2012, B 563/11; VwGH 18. 12. 2014, Ro 2014/07/0033).
Da nach der Rsp des VwGH zum WRG einem konkurrierenden Bewilligungswerber das Recht zur Bekämpfung der Bewilligung des Projektes des Gegners zukommt und dies ebenfalls in der Sachverhaltskonstellation gilt, in der es um ein UVP-pflichtiges und ein wasserrechtlich bewilligungspflichtiges Projekt geht, beeinträchtigt die Erteilung einer Bewilligung des unterlegenen Projekts (nach dem UVP-G) Rechte der Antragsteller des obsiegenden Projekts. Eine solche, wenn auch rechtswidrige Bewilligung für das unterlegene Projekt gestaltet die Rechtslage und steht gegebenenfalls einer Bewilligung für das obsiegende Projekt im Wege.
Der Umstand allein, dass – im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses – über den Antrag auf Genehmigung des unterlegenen Projektes im UVP-Verfahren noch nicht entschieden worden und das UVP-Verfahren weiterhin anhängig war, verletzt aber noch keine Rechte der gegnerischen Parteien, steht er doch einem zügigen Weiterführen und einem Abschluss des Verfahrens über das obsiegende Projekt nicht entgegen.


Aufhebung von Enteignungsbescheiden aufgrund von "Karoline Gruber"

VwGH 14. 4. 2016, 2015/06/0001 (Umfahrung Schützen)

Grundeigentümer, deren Grundstücke durch die geplante Straße in Anspruch genommen werden, zählen zur "betroffenen Öffentlichkeit" im Sinne des Art 1 Abs 2 der UVP-RL.
Den Grundeigentümern, deren Grundstücke durch eine geplante Straße in Anspruch genommen werden, und die kein Rechtsmittel gegen die UVP-Negativfeststellung in einem Einzelfallprüfungsverfahren nach § 3 Abs 4 und 7 UVP-G hatten, kann im Enteignungsverfahren nach dem Bgld LStG 2005 weder die Negativfeststellung der UVP-Pflicht noch die erlassene Trassenverordnung entgegengehalten werden. 
Hat sich die Enteignungsbehörde tragend auf die Bindungswirkung des Feststellungsbescheids gestützt und sich damit inhaltlich für unzuständig erachtet, über die UVP-Pflicht abzusprechen, so verletzt dies die Bf in ihrem Recht auf Sachentscheidung über die Notwendigkeit der UVP, weil es auch kein anderes gesetzlich vorgesehenes Verfahren gibt, in dem sie die Frage der UVP-Pflicht relevieren können. 
Da diese Grundeigentümer im Verfahren zur Erlassung der Trassenverordnung die Frage der UVP-Pflicht im Sinne des Art 10a [nunmehr Art 11] der UVP-RL 1985 relevieren konnten, ist die Trassenverordnung ihnen gegenüber im vorliegenden Enteignungsverfahren jedenfalls insoweit nicht anwendbar, als es um die Frage der UVP-Pflicht geht (vgl VwGH 5.11.2015, Ro 2014/06/0078, mwN).


Gleichzeitige Anhängigkeit von materienrechtlichem Beschwerdeverfahren
und UVP-Feststellungsverfahren

VwGH 20. 4. 2016, Ra 2016/04/0008

Wenn in einem materienrechtlichen Verfahren (nach dem Ktn ElektrizitätsG) die Frage der UVP-Pflicht des Vorhabens nach einer Aufhebung des UVP-Feststellungsbescheides offen und somit auch die Behördenzuständigkeit ungeklärt ist, sind aus diesem Grund dann keine Ermittlungen der Kärntner Landesregierung als Behörde im elektrizitätsrechtlichen Bewilligungsverfahren notwendig, wenn die Frage der UVP-Pflicht als Hauptfrage in einem anhängigen UVP-Feststellungsverfahren gemäß § 3 Abs 7 UVP-G zu beantworten ist. 
In diesem Fall liegen die Voraussetzungen für eine Aufhebung und Zurückverweisung an die LReg nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG nicht vor, weil die Zurückverweisungsmöglichkeit nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG voraussetzt, dass die Behörde "notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat. 


Zum Vorhabensbegriff nach dem UVP-G

VwGH 28. 4. 2016, Ra 2015/07/0175
(Nassbaggerung mit späterer Verhinderung zweier Abbaufelder)

Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung ist die Prüfung der Umweltverträglichkeit des zur Bewilligung eingereichten Vorhabens. Zum "Vorhaben" iSd § 2 Abs 2 UVP-G hat der VwGH bereits festgehalten, dass der Begriff des Vorhabens weit zu verstehen ist (vgl VwGH 31. 7. 2007, 2006/05/0221; 23. 6. 2010, 2007/03/0160).
Hinter dem Begriff des Vorhabens nach § 2 Abs 2 UVP-G und seinem in der Rsp geprägten Verständnis steht das Ziel, die Umgehung der UVP durch Aufteilung eines Gesamtvorhabens auf einzelne Teile zu verhindern. Unsachliche Dispositionen auf Projektwerberseite sollen nicht eine Flucht aus der UVP ermöglichen. Auf eine Personenidentität der Projektwerber kommt es bei einem Vorhaben iSd § 2 Abs 2 UVP-G nicht an (vgl VwGH 18. 10. 2001, 2001/07/0047).
Aus der im § 2 Abs 2 letzter Satz UVP-G enthaltenen Begriffsbestimmung "Vorhaben" ergibt sich, dass ein solches auch mehrere Anlagen oder Eingriffe umfassen kann, wenn diese als räumlich zusammenhängende Projekte in einem engen funktionellen Zusammenhang stehen. Die Frage, ob der von § 2 Abs 2 UVP-G geforderte sachliche Zusammenhang vorliegt, kann nicht allgemein, sondern nur individuell von Fall zu Fall beurteilt werden, weswegen auch stets auf die Umstände des Einzelfalls Bedacht zu nehmen ist.
Das Vorliegen mehrerer selbstständiger Anträge steht der Annahme eines einheitlichen Vorhabens nicht hindernd entgegen.
Löst eine Anlage die UVP-Pflicht nach Anhang 1 aus, so gehören zum UVP-pflichtigen Vorhaben alle damit in einem räumlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden Anlagen und Eingriffe, auch wenn nur ein Teil des Vorhabens die UVP-Pflicht nach Anhang I auslöst.


Parteistellung von Nachbarn nach Karoline Gruber;
kein Kostenersatz an Standortgemeinde im Feststellungsverfahren

VwGH 18. 5. 2016, Ro 2015/04/0026 (Biomasse HKW Klagenfurt)

Nachbarn müssen nach der Rechtsprechung des EuGH im Urteil vom 16. 4. 2015, C-570/13 (Karoline Gruber) die Möglichkeit haben, die Entscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, "im Rahmen eines gegen sie oder gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfs anzufechten". Nachdem die betroffene Nachbarin im Fall "Gruber" nach der nationalen Rechtslage des § 3 Abs 7 UVP-G keine Parteistellung im UVP-Feststellungsverfahren hatte, kam dem UVP-Feststellungsbescheid ihr gegenüber keine Bindungswirkung zu (vgl VwGH 22. 6. 2015, 2015/04/0002).
Wie die Anfechtungsmöglichkeit ausgestaltet sein muss, lässt der EuGH im Urteil "Gruber" offen. Um der UVP-RL zu entsprechen, ist es für ihn ausreichend, wenn ein zur betroffenen Öffentlichkeit im Sinne dieser Richtlinie gehörender Einzelner, der die Kriterien des nationalen Rechts in Bezug auf "ausreichendes Interesse" oder gegebenenfalls eine "Rechtsverletzung" erfüllt, die Möglichkeit hat, die Entscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, "im Rahmen eines gegen sie oder gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfs anzufechten". Die Mitgliedstaaten können daher direkten Rechtsschutz ermöglichen oder den Rechtsschutz auf die Möglichkeit einer inzidenten Rüge in Zusammenhang mit einem Rechtsbehelf gegen eine Genehmigung beschränken.
Nach der Rechtsprechung des EuGH obliegt es den nationalen Gerichten, den Rechtsschutz sicherzustellen, der sich für den Einzelnen aus den unionsrechtlichen Bestimmungen ergibt, und deren volle Wirkung zu gewährleisten (vgl das U vom 19. 1. 2010, C-555/07 (Kücükdeveci). Lässt eine Problemstellung mehrere unterschiedliche Varianten unionskonformer Lösungen zu, so darf aus innerstaatlicher Sicht im Wege der Verdrängung nur jene zur Anwendung gelangen, mit welcher die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers so weit wie möglich erhalten bleibt (vgl VwGH 17. 4. 2008, 2008/15/0064).
Der Standortgemeinde kommt im Verfahren betreffend die Frage der Parteistellung und der Beschwerdelegitimation des Nachbarn (im UVP-Feststellungsverfahren) gemäß § 21 Abs 1 Z 4 VwGG nicht die Stellung als mitbeteiligte Partei zu. Die Standortgemeinde hat für die Einbringung der Revisionsbeantwortung daher keinen Anspruch auf Kostenersatz.


Zur Abgrenzung des Untersuchungsraumes für eine Umweltverträglichkeitsprüfung

VwGH 24. 5. 2016, 2013/07/0147 (Mistelbach ABA II) 

In einem Verfahren nach dem UVP-G ist die voraussichtlich beeinträchtigte Umwelt durch eine Erhebung und Darstellung der derzeitigen Umweltsituation jeweils im Untersuchungsraum geordnet nach Schutzgütern darzustellen und es sind die zu erwartenden wesentlichen positiven und negativen Auswirkungen des Vorhabens auf die Umweltsituation und die Maßnahmen zu beschreiben, mit denen wesentliche nachteilige Auswirkungen eingeschränkt oder ausgeglichen werden könnten. Der Untersuchungsraum ist dabei nach fachspezifischen Erfordernissen so abzugrenzen, dass diese Erhebungen, Darstellungen und Beschreibungen umfassend darin durchgeführt werden können (vgl VwGH 24. 8. 2011, 2010/06/0002). Die Abgrenzung eines Untersuchungsraumes im Hinblick auf den durch das Vorhaben induzierten Verkehr kann nur soweit erfolgen, wie Immissionen dem Vorhaben noch zuordenbar sind.


Beurteilung und Bewilligung von Ausgleichsmaßnahmen;
Umfang der Berücksichtigung anderer Projekte bei der Einzelfallprüfung

VwGH 30. 6. 2016, Ra 2016/07/0034 (Feststellungsverfahren "Ökostromkraftwerk D")

Vorhaben iS des § 2 Abs 2 erster Satz UVP-G ist die Errichtung einer Anlage oder ein sonstiger Eingriff in Natur und Landschaft unter Einschluss sämtlicher damit in einem räumlichen und sachlichen Zusammenhang stehender Maßnahmen. Bereits daraus ergibt sich ein weiter Vorhabensbegriff.
Der Umfang des Vorhabens wird grundsätzlich durch den Antragsteller im Genehmigungsantrag definiert. Ist eine Ausgleichsmaßnahme Teil des zur Bewilligung eingereichten Projektes, dann steht sie mit diesem in einem unmittelbaren sachlichen Zusammenhang; sie ist daher auch Teil des Vorhabens. Daraus folgt, dass auch auf diesen Projektsbestandteil und die damit verbundenen Effekte bei der Prüfung der UVP-Pflicht Rücksicht zu nehmen ist. Die angenommene Verwirklichung der Ausgleichsmaßnahmen ist daher bei der fachlichen Bewertung der Projektauswirkungen im Rahmen der Einzelfallprüfung mit zu berücksichtigen.
Eine allfällige Bewilligung des Projektes umfasst auch die im eingereichten Projekt enthaltenen Ausgleichsmaßnahmen; diese werden nicht gesondert vorgeschrieben oder aufgetragen. Ausgleichsmaßnahmen, die Projektgegenstand sind oder die während des Verfahrens im Zuge eines Abänderungsantrages zu einem Teil des Projektes werden, sind bei der Prüfung der umweltrelevanten Auswirkungen des Vorhabens zu berücksichtigen.
Bei der Beurteilung umweltrelevanter Auswirkungen bei einer Einzelfallprüfung sind nicht nur bestehende, sondern auch geplante Projekte (inklusive geplanter Ausgleichsmaßnahmen) zu berücksichtigen. Auf beabsichtigte Vorhaben kommt es nur dann nicht an, wenn und solange noch kein konkretes Projekt vorliegt (vgl VwGH 10. 12. 2009, 2006/04/0142, ua).


Zur Zuständigkeit für Säumnisbeschwerden im UVP-Verfahren 

VwGH 2. 8. 2016, Ro 2015/05/0008

Da nach dem Wortlaut des § 40 UVP-G 2000 idF der Nov BGBl I 2013/95 das BVwG über Beschwerden gegen "Entscheidungen" nach dem UVP-G 2000 entscheidet und die Verletzung einer Entscheidungspflicht seitens einer Verwaltungsbehörde schon dem Wortlaut und der Systematik des Art 130 Abs 1 B-VG folgend das Gegenteil einer "Entscheidung" darstellt, kommt dem BVwG keine Zuständigkeit zur Entscheidung über Beschwerden wegen Verletzungen der Entscheidungspflicht durch die Verwaltungsbehörde zu.
Dies folgt auch aus den Anforderungen an eine präzise Regelung der Zuständigkeiten und deren genaue Befolgung durch die Vollziehung sowie daraus, dass § 40 Abs 1 UVP-G eine (restriktiv zu interpretierende) Ausnahmebestimmung zur allgemeinen Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte gem Art 131 Abs 1 B-VG darstellt. Eine analoge Heranziehung des § 40 Abs 1 UVP-G 2000 für Säumnisbeschwerden scheidet daher aus, sodass eine Säumnisbeschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einem UVP-Feststellungsverfahren an das Landesverwaltungsgericht zu richten ist.


Keine Parteistellung von Nachbarn im Verfahren betreffend Abnahmeprüfung

VwGH 2. 11. 2016, Ra 2016/06/0088

Nachbarn haben im Verfahren betreffend die Abnahmeprüfung keine Parteistellung (§ 20 Abs 2 letzter Satz UVP-G 2000). Ein dazu ergangenes Vorbringen der Nachbarn geht schon aus diesem Grund ins Leere.


Keine Parteistellung von Nachbarn im UVP-Feststellungsverfahren

VwGH 29. 11. 2016, Ro 2016/06/0013

Weder aus § 3 Abs 7 und 7a UVP-G 2000 idF BGBl I 2013/95, noch aus der inzwischen geänderten Fassung BGBl I 2016/4, mit dem den Nachbarn nunmehr das Recht eingeräumt wird, gegen einen negativen UVP-Feststellungsbescheid Beschwerde an das BVwG zu erheben ergibt sich, ein Antragsrecht oder Parteistellung von Nachbarn im UVP-Feststellungsverfahren (vgl VwGH 12.9.2016, Ra 2016/04/0066). 
Die Möglichkeit, die UVP-Feststellungsentscheidung im Rahmen eines gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfs anzufechten , stellt einen ungleich geringeren Eingriff in die innerstaatliche Rechtsordnung dar (vgl VwGH 5. 11. 2015, Ro 2014/06/0078,; 18. 5. 2016, Ro 2015/04/0026; 4. 7. 2016, Ro 2016/04/0004). Angemerkt wird, dass auch gemäß § 3 Abs 7a UVP-G 2000 in der, den Nachbarn ein Antragsrecht auf Durchführung eines UVP-Feststellungsverfahrens nicht zuerkannt wurde (Hinweis B vom 12. 9. 2016, Ra 2016/04/0066).


Berücksichtigung  projektierter, aber noch nicht bestehender Anlagen
bei der Einzelfallprüfung

VwGH 29.11.2016, Ra 2016/06/0068 (Umfahrung M-M)

Im Zusammenhang mit der Betrachtung einer behaupteten kumulativen Wirkung von Projekten ist allein das in den Einreichplänen und sonstigen Unterlagen dargestellte Projekt entscheidend, auf eventuell sonst noch beabsichtigte Vorhaben kommt es, so lange noch kein konkretes Projekt vorliegt, nicht an. Im Zusammenhang mit der so genannten Stückelungsproblematik bei einem Straßenbauvorhaben ist bei der Beurteilung, ob ein Teil eines größeren Vorhabens für sich allein als Vorhaben im Sinne des § 3 Abs 1 UVP-G 2000 zu beurteilen ist, die Sachlichkeit der Abgrenzung maßgeblich (vgl VwGH 20. 7. 2004, 2004/05/0100, 20. 12. 2005, 2004/05/0317).
Aus § 3 Abs 2 UVP-G 2000 ergibt sich, dass bei der Beurteilung umweltrelevanter Auswirkungen bei einer Einzelfallprüfung nicht nur bestehende, sondern auch geplante Projekte (inklusive geplanter Ausgleichsmaßnahmen) berücksichtigt werden müssen. Das Hauptziel dieser Bestimmung lag und liegt darin, mehrere projektierte, unter dem Schwellenwert liegende Vorhaben gemeinsam bewerten zu können und so eine Umgehung der UVP-Pflicht zu verhindern. Dies setzt aber notwendigerweise eine Beurteilung nicht nur bereits bestehender Anlagen, sondern auch solcher Anlagen voraus, die zwar noch nicht errichtet sind, aber bei denen zumindest ein Projekt vorliegt. Auf beabsichtigte Vorhaben kommt es daher dann nicht an, wenn und solange noch gar kein konkretes Projekt vorliegt.


Inhalt der UVE; Rechte einer BI im vereinfachten Verfahren; SchIV als "besondere Immissionsschutzvorschrift; Grenzwerte der SchIV als "Mindeststandard";
Bestimmtheit von Auflagen

VwGH 20.12.2016, Ro 2014/03/0035 (Westbahnausbau Linz – Marchtrenk)

Die vom Projektwerber beizubringende Umweltverträglichkeitserklärung ist neben dem Umweltverträglichkeitsgutachten nach § 12 UVP-G eine der beiden Säulen der UVP. Der Inhalt dieser – auf entsprechendem fachlichen Niveau anlässlich der Antragstellung abzugebenden – Erklärung orientiert sich an Art 5 und Anhang IV der UVP-RL 2011/92 und enthält einige Ergänzungen im Hinblick auf die Anforderungen des Umweltverträglichkeitsgutachtens (vgl ErläutRV 269 BlgNR 18. GP, 20; VwGH 27. 9. 2013, 2010/05/0202). Bei der Beschreibung der voraussichtlich vom Vorhaben erheblich beeinträchtigten Umwelt nach § 6 Abs 1 Z 3 UVP-G 2000 ist von den tatsächlich bestehenden Immissionswerten auszugehen, auch wenn der Projektwerber nach Maßgabe der Rechtsordnung zum Zeitpunkt der Abgabe seiner UVE zur Herstellung einer niedrigeren Immissionssituation verpflichtet gewesen wäre.
Die Bestimmung des § 6 Abs 1 Z 3 UVPG 2000 bezieht sich auf die Darstellung des Ist-Zustands ohne die Verwirklichung des Vorhabens. Bei der Auslegung dieser Norm ist zu berücksichtigen, dass die Aufgabe der Umweltverträglichkeitsprüfung nach § 1 Abs 1 Z 1 UVP-G 2000 ua darin besteht, unter Beteiligung der Öffentlichkeit auf fachlicher Grundlage die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen festzustellen, zu beschreiben und zu bewerten, die ein Vorhaben auf Menschen, Tiere, Pflanzen und deren Lebensräume, auf Boden, Wasser, Luft und Klima, auf die Landschaft sowie auf Sach- und Kulturgüter hat oder haben kann, wobei Wechselwirkungen mehrerer Auswirkungen untereinander miteinzubeziehen sind. Eine solche Feststellung, Beschreibung und Bewertung der Auswirkungen eines Vorhabens besäße wenig Aussagekraft, wenn sie sich bezüglich der als Basis ihrer Prüfung heranzuziehenden Ausgangswerte nicht auf das Ausmaß der tatsächlich bestehenden Immissionen, sondern auf rechtlich vorgeschriebene, praktisch aber nicht verwirklichte Werte stützte. Die Behörde hat bei der Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens von der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihrer Entscheidung auszugehen und hat dabei nicht konkret absehbare Entwicklungen außer Betracht zu lassen. Nur wenn bereits konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es in absehbarer Zeit zu einer Änderung des Sachverhalts kommen wird, und die Behörde in der Lage ist, sich über die Auswirkungen dieser Änderung ein hinlängliches Bild zu machen, dann ist auf derartige Entwicklungen bei der Entscheidung über die Genehmigung des Vorhabens Bedacht zu nehmen (VwGH vom 27. Mai 1997, 97/04/0026).
Mit der UVP-G-Nov BGBl I 2012/77 wurde die Anwendbarkeit besonderer Immissionsschutz-vorschriften (hier: SchlV) auch auf die Beurteilung der Gefährdung des Lebens und der Gesundheit von Menschen sowie der Gefährdung des Eigentums und sonstiger dinglicher Rechte von Nachbarn nach § 24f Abs 1 Z 2 lit a UVP-G erweitert. Diese Erweiterung ändert nichts daran, dass die von den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts zu § 24f Abs 2 zweiter Satz UVP-G 2000 idF BGBl I 87/2009 entwickelte Rsp auch auf die neue Rechtslage anzuwenden ist (siehe bereits VwGH 9. 9. 2015, 2013/03/0120). 
Die Grenzwerte der SchIV stellen bei der Beurteilung der Gefährdung des Lebens und der Gesundheit von Menschen nur Mindeststandards dar, deren Unterschreitung im Einzelfall geboten sein kann, weshalb ein Hinweis der Behörde auf die Einhaltung der Grenzwerte der SchIV eine Auseinandersetzung mit Einwendungen über die Lärmbelastung und deren Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit nicht entbehrlich macht (vgl VwGH 26. 2. 2016, Ro 2014/03/0004). Dementsprechend ist die Auffassung nicht rechtskonform, dass nach § 24f Abs 2 zweiter Satz UVP-G kein Abweichen von der SchIV im Fall der Gesundheitsgefährdung möglich wäre.
Die SchIV gilt nicht für Bauärm. Die Zumutbarkeit von Baulärmimmissionen ist im UVP-Verfahren nach § 77 Abs 2 iVm § 74 Abs 2 Z 2 GewO zu beurteilen.
Jene Personen, die im ordentlichen Verfahren Parteistellung haben, im vereinfachten Verfahren hingegen nicht, können im vereinfachten Verfahren geltend machen, dass die Voraussetzungen für das vereinfachte Genehmigungsverfahren nicht gegeben sind und haben insoweit auch im vereinfachten Verfahren Parteistellung. Da diese Rsp (VwGH 23. 2. 2012, 2008/07/0012) auf das UVP-G 2000 übertragen werden kann, besteht bei der Durchführung eines vereinfachten Verfahrens nach dem UVP-G 2000 keine Rechtsschutzlücke dahingehend, dass etwa die Rechtsstellung einer ordnungsgemäß konstituierten Bürgerinitiative infolge der Durchführung eines vereinfachten Verfahrens zu Unrecht eingeschränkt wird. Es steht einer solchen BI nämlich frei, auch im vereinfachten Verfahren geltend zu machen, dass die Voraussetzungen zur Durchführung eines vereinfachten Verfahrens nicht gegeben sind und ein ordentliches Genehmigungsverfahren durchzuführen ist. Folglich kann die Stückelung eines Infrastrukturvorhabens nicht den Zweck verfolgen, ein ordentliches UVP-Verfahren zu vermeiden.
Ob eine einem Bescheid beigefügte Auflage im Sinne des § 59 Abs 1 AVG ausreichend bestimmt ist, bemisst sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Anforderungen an die Umschreibung von Auflagen dürfen nicht überspannt werden. Eine Auflage ist nicht schon dann zu unbestimmt, wenn ihr Inhalt nicht für jedermann unmittelbar eindeutig erkennbar ist. Ausreichende Bestimmtheit einer Auflage ist dann anzunehmen, wenn ihr Inhalt für den Bescheidadressaten objektiv eindeutig erkennbar ist. Gleiches gilt, wenn die Umsetzung des Bescheides durch den Bescheidadressaten unter Heranziehung von Fachleuten zu erfolgen hat, und für diese Fachleute der Inhalt der Auflage objektiv eindeutig erkennbar ist. Dies gilt nicht bloß für den durch die Auflage belasteten Konsensträger, sondern auch für die Partei, deren Rechte durch die Auflage geschützt werden sollen. Auch hinsichtlich einer solchen Partei widerspricht die Formulierung einer Auflage dem zuvor umschriebenen Bestimmtheitsgebot nur dann, wenn ihr Inhalt auch unter Beiziehung eines Fachkundigen nicht verlässlich ermittelt werden kann (VwGH vom 20. November 2014, 2011/07/0244).
Die Bestellung einer Ansprechperson, Kontakt- oder Beschwerdestelle und deren Einbeziehung in die Bauaufsicht dient ua dazu, während der Bauphase die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte schnellstmöglich wieder sicherzustellen und Belastungen der Nachbarn hintanzuhalten, wenn während der Bauphase Grenzwerte überschritten werden, deren Umfang und Ausmaß zum Zeitpunkt der Genehmigung noch nicht absehbar sind. In diesen Fällen steht es der Behörde frei, die nähere Konkretisierung von Maßnahmen nicht schon im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung als Auflage vorzuschreiben, sondern im Rahmen ihrer Koordinationsbefugnis ergänzend zu bestimmten Grenzwerten eine Anordnung zur Sicherstellung eines möglichst umfangreichen Schutzes der Nachbarn und zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus in den Bescheid aufzunehmen und den Projektwerber zu verpflichten, die erforderlichen Maßnahmen unter Einbeziehung der Ansprechperson, Kontakt- oder Beschwerdestelle zu treffen (VwGH vom 19. Dezember 2013, 2011/03/0160).
Es ist nicht Aufgabe der Behörde im UVP-Verfahren, bei der Aufnahme von Auflagen in den Genehmigungsbescheid einem sachkundigen Projektwerber alle technischen Maßnahmen im Detail vorzuschreiben. Wenn aber aufgrund von Gefahren für die Gesundheit von Menschen oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn, drohenden Belastungen für die Umwelt durch nachhaltige Einwirkungen oder unzumutbaren Belästigungen der Nachbarn im Sinne des § 77 Abs 2 GewO 1994 besondere Maßnahmen erforderlich sind, dann ist sicherzustellen, dass der Projektwerber ohne neuerliche eigene Nachforschungen in der Lage ist, die bestehenden Gefahren, Belastungen und Belästigungen und die zu deren Abwendung nach dem Ergebnis des UVP-Verfahrens erforderlichen Maßnahmen zu erkennen (vgl zu Bauvorhaben in diesem Sinne etwa VwGH vom 25. Jänner 2000, 99/05/0154, VwGH vom 15. Mai 2014, 2012/05/0148). Dies kann aber nur durch die Aufnahme entsprechend präziser Auflagen bzw Bedingungen in den Genehmigungsbescheid sichergestellt werden. Diese Auflagen müssen insoweit ausreichend bestimmt sein, dass sie gegebenenfalls auch vollstreckt werden können. Nach der Rechtsprechung kann zwar die Formulierung, dass ein bestimmtes Ergebnis durch "geeignete Maßnahmen" sicherzustellen sei, für sich genommen ebenso wenig als ausreichend präzise erkannt werden wie etwa eine Auflage, wonach "sachgemäß und fachgemäß" zu arbeiten sei (vgl nochmals zu Bauvorhaben VwGH vom 25. Jänner 2000, 99/05/0154). Allerdings entspricht es der für eine fachkundige Person erforderlichen Präzisierung, wenn die Behörde dem Projektwerber vorgeschrieben hat, "dem Stand der Technik entsprechende" geeignete Maßnahmen zur Vermeidung der Staubentwicklung" zu treffen, wobei ohnehin Kehrmaschinen als Maßnahmenbeispiel genannt werden.


Zur Parteistellung eingetragener Umweltorganisationen;
Prüfungsumfang bei Einzelprüfungen

VwGH 21.12.2016, Ra 2016/04/0117

Nach Absicht des Gesetzgebers der UVP-G 2000-Novelle 2012 (RV 1809 BlgNR 24. GP) sollte durch Einführung des § 3 Abs 7a UVP-G 2000 die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens und die anschließende Verurteilung Österreichs durch den EuGH dadurch vermieden werden, dass eine unionsrechtskonforme Lösung für den Rechtsschutz von Umweltorganisationen im Feststellungverfahren durch die Schaffung einer nachgeschalteten Überprüfungsmöglichkeit implementiert wurde.
Das UVP-G 2000 sieht zwei Arten von Parteien vor, und zwar einerseits solche Parteien, die sie betreffende subjektive Rechte im Verfahren geltend machen können, und andererseits solche Parteien, die öffentliche Interessen (Einhaltung von Umweltschutzvorschriften) als subjektive Rechte im Verfahren geltend machen können. Nach der Rsp des EuGH muss es einer eingetragenen Umweltorganisation in einem Verfahren wie dem gegenständlichen, das dem Anwendungsbereich der UVP-Richtlinie unterliegt, möglich sein, dieselben Rechte geltend zu machen wie ein Einzelner. Daher kommt einer eingetragenen Umweltorganisation nach § 24f Abs 8 UVP-G 2000 auch das Recht zu, die Einhaltung solcher Umweltschutzvorschriften geltend zu machen, die nicht nur Interessen der Allgemeinheit, sondern auch Rechtsgüter des Einzelnen schützen, und deren Schutz vor Beeinträchtigung etwa auch durch den einzelnen Nachbarn als subjektiv-öffentliches Recht im Verfahren geltend gemacht werden kann (Hinweis E vom 17. 11. 2015, Ra 2015/03/0058, mit Verweis auf die Urteile des EuGH vom 12. 5. 2011, Rs C-115/09, Rz 46, sowie vom 15. 10. 2015, Rs C-137/14, Rz. 90 ff). Dem zuletzt zitierten Erkenntnis lag ein Verfahren nach dem 3. Abschnitt des UVP-G 2000 zugrunde. Die dort getroffenen Aussagen können jedoch auch auf das Feststellungsverfahren nach § 3 Abs 7 UVP-G 2000 übertragen werden.
Die Behörde hat im Fall einer Einzelfallprüfung nach § 3 Abs 2 UVP-G 2000 nur zu klären, ob mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist. Wie derartige Auswirkungen zu beurteilen sind und ihnen entgegenzutreten ist, ist dem späteren Bewilligungsverfahren vorbehalten. Insofern stellt die Einzelfallprüfung also nur eine Grobbeurteilung eines Vorhabens dar (vgl E vom 21. 12. 2011, 2006/04/0144; 21. 12. 2011, 2007/04/0112). Dies entspricht auch den Vorgaben des § 3 Abs 7 UVP-G 2000, wonach sich die Behörde, dann, wenn sie eine Einzelfallprüfung durchzuführen hat, hinsichtlich Prüftiefe und Prüfumfang auf eine Grobprüfung zu beschränken hat.
Nach den Erläuterungen zum UVP-G 2000 (IA 168/A GP XXI) ermöglicht § 3 Abs 2 UVP-G 2000 den Behörden unter anderem die kumulative Wirkung gleichartiger Vorhaben zu erfassen. Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob einzelne Vorhaben in einem räumlichen Zusammenhang stehen, ist nach der hg Judikatur, ob es durch die verschiedenen Eingriffe gleichartiger Vorhaben zu einer Überlagerung der Wirkungsebenen dieser Eingriffe im Sinn kumulativer und additiver Effekte kommen kann. Entscheidend ist jener Bereich, in dem sich die maßgeblichen Umweltauswirkungen der zu kumulierenden Vorhaben erwartungsgemäß überlagern werden, wobei der räumliche Zusammenhang schutzgutbezogen zu beurteilen ist (Hinweis E vom 24. 7. 2014, 2011/07/0214, mwN).

Montag, 2. Mai 2016

Ausgewählte Rechtsprechung des VwGH zur UVP 2015 und 2016

Keine Parteistellung für Umweltorganisationen im Feststellungsverfahren

VwGH 28.5.2015, 2013/07/0105

§ 3 Abs 7a UVP-G idF UVP-G-Novelle 2012 begründete - im Unterschied etwa zu § 19 Abs 10 UVP-G, worin anerkannten Umweltorganisationen in Genehmigungsverfahren das Recht zur Erhebung einer Beschwerde an den VwGH eingeräumt ist - keine Parteistellung solcher Umweltorganisationen im Verfahren gemäß § 3 Abs 7 UVP-G und auch keine Legitimation zur Beschwerdeerhebung an den VwGH. An dieser Unterscheidung zwischen dem unverändert eng gebliebenen Kreis der Parteien des Feststellungsverfahrens nach § 3 Abs 7 UVP-G und dem (bloßen) Überprüfungsrecht durch anerkannte Umweltorganisationen wurde auch in der UVP-G-Novelle 2013 festgehalten (vgl Materialien [RV 2252 der Beilagen XXIV. GP]). Die Konstruktion des § 3 Abs 7 in Vergleich mit § 3 Abs 7a UVP-G wurde so gewählt, dass der Kreis der Parteien in § 3 Abs 7 leg cit umfassend und abschließend festgeschrieben und nicht verändert (erweitert) wurde.

Bei der mit § 3 Abs 7a UVP-G geschaffenen Überprüfungsmöglichkeit handelt es sich um eine vom AVG abweichende Mitwirkungsmöglichkeit; diese Bestimmung enthält zudem weitere verfahrensrechtliche Vorschriften, die den Unterschied zu einem mit Parteien durchzuführenden Verfahren deutlich machen. Ein Recht (einer Umweltorganisation) auf Teilnahme am Feststellungsverfahren als Partei ergibt sich weder aus dem Aarhus-Übereinkommen (vgl U EuGH 15.7.2010, Rs C-240/09, Lesoochranarske zoskupenie) noch aus der UVP-RL oder der Öffentlichkeitsbeteiligungs-RL (vgl VwGH 27.4.2012, 2009/02/0239). Eine Parteistellung im Feststellungsverfahren ist unionsrechtlich nicht gefordert; es genügt die Möglichkeit, gem § 3 Abs 7a UVP-G einen nachgeschalteten Überprüfungsantrag stellen bzw nun eine Beschwerde an das VwG erheben zu können (vgl VwGH 18.11.2014, 2013/05/0022).

Aus dem U des EuGH vom 16.4.2015, C-570/13 Karoline Gruber, kann nicht zwingend die Einräumung einer Parteistellung im Feststellungsverfahren abgeleitet werden; geboten erscheint es allerdings, auch anerkannten Umweltorganisationen einen Rechtsbehelf zur Überprüfung der Feststellungsentscheidung (entweder im Zusammenhang mit dem Feststellungsverfahren oder im Genehmigungsverfahren, in dem insoweit die Bindungswirkung wegfiele) in die Hand zu geben. Das in § 3 Abs 7a UVP-G vorgesehene Instrument der Überprüfung des Feststellungsbescheides (nun: der Beschwerde gegen den Feststellungsbescheid) stellt einen solchen Rechtsbehelf dar (vgl auch EuGH 15.10.2009, C-263/08).
 

Nicht als Umweltorganisationen anerkannte Vereine gehören nicht zur "betroffenen Öffentlichkeit"

VwGH 17.2.2016, 2016/04/0001
 
Art 1 Abs 2 lit e UVP-RL spricht zwar ausdrücklich Umweltorganisationen als Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit an, jedoch mit der Vorgabe, dass diese "alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllen". Wie der EuGH bereits klargestellt hat, dürfen diese Voraussetzungen die Beteiligungsmöglichkeiten und den Zugang der Umweltorganisationen zu Gerichten nicht über Gebühr beschränken. Die nationalen Rechtsvorschriften müssen zum einen "einen weiten Zugang zu Gerichten" sicherstellen und zum anderen die praktische Wirksamkeit derjenigen Bestimmungen der UVP-RL gewährleisten, die die gerichtliche Anfechtung betreffen (vgl EuGH 15.10.2009, C-263/08 Djurgarden, Rn 45; 12.5.2011, C-115/09 Trianel, Rn 44). Dass die in § 19 Abs 6 bis 8 UVP-G vorgesehenen materiellen und formellen Voraussetzungen, die Umweltorganisationen für ihre Anerkennung erfüllen müssen, diesen unionsrechtlichen Vorgaben nicht entsprechen würden, ist nicht ersichtlich.

Auch aus dem U vom 16.04.2015, C-570/13 Gruber lässt sich für Vereine, die keine UO iSd § 19 UVP-G sind, nicht ableiten, dass diese Bestandteil der "betroffenen Öffentlichkeit" wären.`
 
 

Kein Antragsrecht der Standortgemeinde im Feststellungsverfahren

VwGH 27.1.2016, Ra 2015/05/0083 

Die Bestimmung des § 3 Abs 7 UVP-G trifft nach ihrem eindeutigen Wortlaut eine umfassende und abschließende Regelung über den Kreis der Verfahrensparteien (VwGH 30.6.2004, 2004/04/0076; 28.5.2015, 2013/07/0105). Hierbei unterscheidet sie (ua) zwischen den Begriffen "mitwirkende Behörde" und "Standortgemeinde". Während nach dieser Gesetzesbestimmung der Standortgemeinde in einem Feststellungsverfahren Parteistellung und das Recht eingeräumt sind, Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (sowie gegen dessen Entscheidung Revision an den VwGH) zu erheben, kommt das Recht, einen Antrag auf Feststellung zu stellen, neben dem Projektwerber und dem Umweltanwalt nur einer mitwirkenden Behörde iS des § 2 Abs 1 leg cit zu.
 
 

Revisionslegitimation des Umweltanwalts im Feststellungsverfahren


VwGH 28.5.2015, Ro 2014/07/0079

Die Stellung des Umweltanwaltes im Feststellungsverfahren nach § 3 Abs 7 UVP-G ist die einer Formalpartei (vgl VwGH 22.6.2011, 2009/04/0029). Als Formalpartei kommen ihm im Verfahren gemäß § 3 Abs 7 UVP-G keine materiellen subjektiven Rechte zu, er kann aber die Verletzung seiner prozessualen Rechte beim VwGH geltend machen, die für ihn subjektive Rechte darstellen. Zur Durchsetzung der aus ihrer gesetzlichen Stellung folgenden prozessualen Befugnisse kommt Formalparteien auch Revisionslegitimation iSd Art 133 Abs 6 Z 1 B-VG zu (vgl VwGH 24.3.2015, Ro 2014/09/0066).
 
 

Rechte der "betroffenen Öffentlichkeit" in einem Verfahren, in dem das Materiengesetz keine Parteistellung einräumt  - potentielle Parteistellung von Nachbarn im Veranstaltungsrecht


VwGH 5.11.2015, Ro 2014/06/0078 

Wenn die Bestimmungen des nationalen Rechts über die Festlegung, was ein "ausreichendes Interesse" oder eine "Rechtsverletzung" iS des Art 11 UVP-RL darstellt, fallbezogen so restriktiv sind, dass sie es den Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit unmöglich machen im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens nach dem Stmk VeranstaltungsG 2012 geltend zu machen, dass über das Vorhaben eine UVP durchzuführen sei, so widerspricht ein solcher Ausschluss von durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechten dem Effektivitätsgrundsatz.

Wie der EuGH in seinem U vom 19.1.2010, in der Rs C-555/07, Kücükdeveci, aussprach, obliegt es den nationalen Gerichten, den Rechtsschutz sicherzustellen, der sich für den Einzelnen aus den unionsrechtlichen Bestimmungen ergibt, und deren volle Wirkung zu gewährleisten. Er stellte dabei klar, dass die Notwendigkeit der Gewährleistung der vollen Wirksamkeit unionsrechtlicher Bestimmungen auch "bedeutet, dass das nationale Gericht eine in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallende nationale Bestimmung, die es mit (dem Unionsrecht) für unvereinbar hält und die einer unionsrechtskonformen Auslegung nicht zugänglich ist, unangewendet lassen muss, ohne dass es verpflichtet oder gehindert wäre, zuvor den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen". Dies hat zur Folge, dass auf Grund der Nichtanwendbarkeit der restriktiven Regelung der Parteistellung des § 25 Stmk VeranstaltungsG 2012 die Nachbarn, insoweit sie an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses beteiligt sind (§ 8 AVG), fallbezogen gemäß den Bestimmungen der UVP-RL Parteistellung im Verfahren nach dem Stmk VeranstaltungsG 2012 haben müssen, um dort vorbringen zu können, dass das gegenständliche Vorhaben einer UVP zu unterziehen wäre.

Die Nachbarn können einen Antrag auf Zustellung des Bescheides, mit dem die BH eine Erhöhung der Besucherzahl genehmigte, stellen und im Rahmen einer Beschwerde ihre Argumente betreffend die Verpflichtung zur Durchführung einer UVP nach der Richtlinie vorbringen. Damit ist den Anforderungen des EuGH (U v 16.4.2015, Rs C-570/13 Karoline Gruber), dass nämlich die betroffene Öffentlichkeit eine auf der Grundlage einer nationalen Regelung getroffene Verwaltungsentscheidung, keine UVP durchzuführen, im Rahmen eines gegen diese Entscheidung oder gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfes anfechten können muss, Genüge getan.

Für die Durchführung eines Feststellungsverfahrens bleibt somit kein Raum mehr und der VwGH sieht sich nicht veranlasst, ein Gesetzesprüfungsverfahren beim VfGH oder ein Vorabentscheidungsverfahren bezüglich der Beteiligung potentieller Parteien eines UVP-Verfahrens im Genehmigungsverfahren einzuleiten.
 
 

Keine Anwendung der Bagatellgrenze von 25% bei "Umgehungsprojekten"

VwGH 29.9.2015, 2013/05/0077
 
Werden 25% des jeweiligen Schwellenwertes durch das konkrete Änderungsvorhaben nicht erreicht, ist keine Einzelfallprüfung unter Anwendung der Zusammenrechnungsregel des § 3a Abs 5 UVP-G durchzuführen (vgl VwGH 24.7.2014, 2011/07/0214, mwN). Anderes gilt nur, wenn eine Umgehung der UVP-Pflicht, etwa durch eine Aufsplitterung von Maßnahmen, erfolgen soll: In diesem Fall ist eine Einzelfallprüfung durchzuführen (vgl VwGH 29.3.2006, 2004/04/0129; 21.12.2011, 2006/04/0144; 7.9.2004, 2003/05/0218).

Der Umstand, dass bei Umgehungsprojekten die 25%-Grenze nicht gilt (wobei die Frage, ob ein Umgehungsprojekt vorliegt, durch das die UVP umgangen werden soll, der Beweiswürdigung durch die Behörde obliegt) führt auch dazu, dass die 25%-Grenze keinen unionsrechtlichen Bedenken begegnet.

 

Räumlicher Zusammenhang bei Rodungen für eine Starkstromfreileitung;
Auslegung der Begriffe "Rodung" und "Abholzung"

VwGH 29.9.2015, 2012/05/0073
 
Nach § 2 Abs 2 UVP-G beschränkt sich das zu prüfende Vorhaben nicht auf die jeweilige "technische Anlage", sondern umfasst auch alle mit dieser in einem räumlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden Maßnahmen (VwGH 20.11.2014, 2011/07/0244, 0248 bis 0251, mwN).

Für das Vorliegen eines räumlichen Zusammenhanges kommt es nicht darauf an, ob die einzelnen mit dem beabsichtigten Projekt verbundenen Maßnahmen zueinander in einem räumlichen Zusammenhang stehen; entscheidend ist nach dem Wortlaut des § 2 Abs 2 UVP-G vielmehr, ob solche Maßnahmen in einem räumlichen Zusammenhang zum beabsichtigten Projekt stehen. Allein der Umstand, dass die Errichtung einer Starkstromfreileitung für sich genommen nicht UVP-pflichtig ist, bewirkt zudem nicht, dass dieser Teil des Projektes im Rahmen des Verfahrens zur Feststellung der UVP-Pflicht des Vorhabens auszuklammern wäre und nur noch ausschließlich die Rodungen zu betrachten wären. Einer solchen Auslegung stünde auch der weite Vorhabensbegriff des § 2 Abs 2 UVP-G entgegen, der die Beurteilung eines Projektes in seiner Gesamtheit erfordert. Indem die Behörde das eingereichte Projekt auf die Rodungen eingeschränkt hat, vom Fehlen eines räumlichen Zusammenhangs ausgegangen ist und infolgedessen die Rodungen in mehrere getrennt voneinander zu beurteilende Projekte aufgesplittet hat, hat sie die Rechtslage verkannt.

Z 1 lit d des Anhanges II der UVP-RL 2011/92/EU sieht den UVP-rechtlich relevanten Tatbestand "Abholzungen zum Zweck der Umwandlung in eine andere Bodennutzungsart" vor. Der österr Gesetzgeber hat sich bei der Umsetzung des Tatbestandes der Z 1 lit d des Anh II der UVP-RL ua für die Verwendung des Begriffes "Rodungen" entschieden, der grundsätzlich iS des vom Forstrechtsgesetzgeber verwendeten Begriffes "Rodung" gemäß § 17 ForstG 1975 zu verstehen ist. Dafür spricht auch der allgemeine Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung.

Der Begriff der Rodung im Sinn des § 17 ForstG 1975 geht weit über den der "Abholzung" in der angeführten UVP-RL hinaus und umfasst alle Verwendungen des Waldbodens zu anderen Zwecken als für solche der Waldkultur. Im Zweifel muss ein Tatbestand des Anhanges 1 zum UVP-G aber richtlinienkonform ausgelegt werden, sodass die Ausnahmeregelung in § 81 Abs 1 lit b ForstG 1975 in Verbindung mit dem in § 80 Abs 1 ForstG 1975 verankerten Verbot von Fällungen in hiebunreifen Hochwaldbeständen nicht dahingehend interpretiert werden kann, dass damit Trassenaufhiebe, die zweifellos eine (jedenfalls vorübergehende) Verwendung von Waldboden zu anderen Zwecken als solchen zur Waldkultur darstellen, nicht als Rodung iS des § 17 Abs 1 ForstG 1975 bzw der Z 46 lit a des Anhanges 1 zum UVPG 2000 qualifiziert werden könnten. Ein solcher Trassenaufhieb stellt auch ohne Zweifel eine "Abholzung" iS der Z 1 lit d des Anh II der UVP-RL dar.


Kumulationsprüfung bei mehreren (kleineren) Anlagen, die geringe Mengen an Feinstaub emittieren;
Umfang der Einzelfallprüfung im "belasteten Gebiet Luft"


 VwGH, 17.12.2015, 2012/05/0153

Nach den Erläuterungen zum UVP-G (IA 168/A GP XXI) ermöglicht § 3 Abs 2 UVP-G den Behörden unter anderem die kumulative Wirkung gleichartiger Vorhaben zu erfassen. Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob einzelne Vorhaben in einem räumlichen Zusammenhang stehen, ist nach der hg Judikatur, ob es durch die verschiedenen Eingriffe gleichartiger Vorhaben zu einer Überlagerung der Wirkungsebenen dieser Eingriffe iS kumulativer und additiver Effekte kommen kann. Entscheidend ist jener Bereich, in dem sich die maßgeblichen Umweltauswirkungen der zu kumulierenden Vorhaben erwartungsgemäß überlagern werden, wobei der räumliche Zusammenhang schutzgutbezogen zu beurteilen ist (VwGH 24.7.2014, 2011/07/0214, mwN).

Dass die zu prüfenden Vorhaben eine bestimmte Mindestgröße aufweisen müssten oder einen bestimmten Mindestbeitrag zu den zu prüfenden Umweltauswirkungen leisten müssten, um in die Einzelfallprüfung einbezogen werden zu können, lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen. Vielmehr ergibt sich aus der Rsp (VwGH 24.7.2014, 2011/07/0214), dass in diese Prüfung alle gleichartigen Vorhaben in jenem Bereich, in dem sich die von ihnen bewirkten maßgeblichen Umweltauswirkungen erwartungsgemäß überlagern werden, einzubeziehen sind, dies unabhängig von dem von ihnen jeweils verursachten Beitrag zu den betreffenden Umweltauswirkungen.

Es mag Anlagen geben, die derart geringe Mengen an PM10 emittieren, dass ein durch sie bewirkter kumulativer bzw additiver Effekt iS des § 3 Abs 2 UVP-G ausgeschlossen erscheint. In diesem Fall müsste die Behörde aber auf Basis eines schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachtens eines luftreinhaltetechnischen Sachverständigen im Einzelnen begründet darlegen, auf welche Anlagen dies aus welchem Grund zutrifft, wobei auch die Anzahl derartiger Anlagen im Untersuchungsgebiet zu berücksichtigen wäre. Allein das abstrakte Abstellen auf die Nachweisgrenze von technischen Messgeräten reicht dafür nicht aus, weil der Umstand, dass Immissionen unter der Messbarkeitsgrenze liegen, noch nichts darüber aussagt, ob diese einen relevanten Beitrag zur Immissionsbelastung leisten können, und sich die technischen Möglichkeiten der Nachweisbarkeit von Emissionen ändern können. Zudem erscheint nicht ausgeschlossen, dass das Bestehen zahlreicher Anlagen, die für sich genommen jeweils PM10- Emissionen in geringem Ausmaß verursachen, in Summe dennoch kumulative und additive Effekte bewirken kann.

Nach § 3 Abs 2 UVP-G sind die Auswirkungen der zu kumulierenden Vorhaben auf die Umwelt zu beurteilen und nicht bloß die mögliche Beeinträchtigung des Schutzzweckes, für den das schutzwürdige Gebiet festgelegt wurde (vgl dazu § 3 Abs 4 UVP-G). Bezogen auf den Beschwerdefall bedeutet dies, dass nicht nur die PM10-Immissionen der zu kumulierenden Feuerungsanlagen, sondern alle von diesen Anlagen verursachten Immissionen, die zu erheblichen negativen Umweltauswirkungen führen können, in die Einzelfallprüfung einzubeziehen sind. In diesem Zusammenhang ist es nicht erforderlich, dass sämtliche Komponenten, die zu den besagten Umweltauswirkungen führen, von den zu kumulierenden Vorhaben selbst stammen müssen, zumal in § 1 Abs 1 UVP-G ausdrücklich klargestellt wird, dass die UVP die unmittelbaren und auch die mittelbaren Auswirkungen umfasst und kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass der Gesetzgeber bei der Regelung des Verfahrens zur Feststellung, ob für ein bestimmtes Vorhaben eine UVP-Pflicht besteht, von einem anderen Begriffsverständnis ausging. Die Behörde hätte daher insbesondere auch zu prüfen gehabt, ob auf Grund der NOx-Emissionen der zu kumulierenden Feuerungsanlagen nach den Kriterien des § 3 Abs 4 Z 1 bis 3 UVP-G mit erheblichen schädlichen, belästigenden oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist.

Kein absolutes Schadstoffminimierungsgebot im UVP-Verfahren

VwGH 9.9.2015, 2013/03/0120

 
Der VwGH hat zu der § 24f Abs 1 Z 2 UVP-G identen, auf Vorhaben nach dem zweiten Abschnitt des UVP-G anzuwendenden Bestimmung des § 17 Abs 2 Z 2 UVP-G bereits klargestellt, dass diese Norm kein generelles, absolutes Schadstoffminimierungsgebot enthält, sondern ein Gebot, die Immissionsbelastung zu schützender Güter möglichst gering zu halten. Ein absolutes Gebot enthält diese Bestimmung nur hinsichtlich der Vermeidung der in lit a bis c genannten Immissionen. Werden aber keine Schutzgüter beeinträchtigt und entspricht das Vorhaben dem Stand der Technik, so kann mit der bloßen Behauptung, es hätten noch strengere Grenzwerte vorgeschrieben werden können, keine Rechtswidrigkeit eines Bescheides iSd § 17 UVP-G dargetan werden. Die Rsp zu § 17 Abs 2 Z 2 leg cit kann aufgrund des identen Wortlautes des § 24f Abs 1 Z 2 UVP-G auch auf den dritten Abschnitt des UVP-G übertragen werden.
 
 

Verhältnis der Genehmigungsbescheide im teilkonzentrierten Verfahren nach 3. Abschnitt zueinander;
Rechte von Umweltorganisationen;
Begriff der "Umweltschutzvorschrift";
keine Prüfung der Notwendigkeit der Errichtung eines Vorhabens

VwGH 17.11.2015, Ra 2015/03/0058
 
Aus der Rsp des VwGH (26.5.2013, 2013/03/0144; 26.6.2014, 2013/03/0021; 26.6.2014, 2013/03/0062; 12.8.2014, 2012/10/0088) kann nicht abgeleitet werden, dass sämtliche in einem teilkonzentrierten Verfahren nach dem 3. Abschnitt des UVP-G erlassenen Genehmigungsbescheide in einem Verhältnis zueinander stehen, dass die Aufhebung (irgendeines) in einem derartigen teilkonzentrierten Verfahren ergangenen Bescheides zwingend zur Aufhebung sämtlicher anderer (teilkonzentrierter) Bewilligungsbescheide führt. Vielmehr ist im Falle der Aufhebung eines solchen (teilkonzentrierten) Bescheides zu prüfen, ob dieser eine Grundlage für die anderen teilkonzentrierten Bescheide darstellt. Nur in einer derartigen Konstellation kann der Wegfall des Grundlagenbescheides auch zu einer Aufhebung der übrigen teilkonzentrierten Bescheide führen.

Nach § 24f Abs 8 UVP-G kommt einer eingetragenen UO auch in den Genehmigungsverfahren nach dem 3. Abschnitt Parteistellung nach § 19 leg cit mit der Maßgabe zu, die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften wahrzunehmen. Nach dem U des EuGH 12.5.2011, Rs C-115/09, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen, Rz 46, muss es einer eingetragenen Umweltorganisation in einem Verfahren, das dem Anwendungsbereich der RL 2011/92/EU unterliegt, möglich sein, dieselben Rechte geltend zu machen wie ein Einzelner (vgl dazu auch jüngst EuGH 15.10.2015, Rs C-137/14, Europäische Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland, Rz 90 ff). Daher kommt es der revisionswerbenden UO auch zu, die Einhaltung solcher Umweltschutzvorschriften - wie etwa des § 31f EisenbahnG 1957 - geltend zu machen, die nicht nur Interessen der Allgemeinheit, sondern auch Rechtsgüter des Einzelnen schützen, und deren Schutz vor Beeinträchtigung etwa auch durch den einzelnen Nachbarn als subjektiv-öffentliches Recht im Verfahren geltend gemacht werden kann.

Der Begriff der "Umweltschutzvorschrift" ist grundsätzlich weit zu verstehen und nicht auf Normbereiche einzuschränken, die in unmittelbarem Bezug zum Schutz der Umwelt stehen. Vielmehr umfasst der Begriff der "Umweltschutzvorschrift" jene Rechtsvorschriften, die direkt oder indirekt dem Schutz des Menschen und der Umwelt vor schädlichen Aus- oder Einwirkungen dienen (VwGH 3.10.2013, 2012/09/0075; 21.11.2011, 2008/04/0212; 18.10.2001, 2000/07/0229).

In einem Verfahren nach dem 3. Abschnitt des UVP-G geht es nicht darum, die Notwendigkeit der Errichtung eines Vorhabens zu prüfen, wobei dies sowohl für die nach den Regelungen des 3. Abschnittes zu bewilligenden Bundesstraßen (VwGH 24.8.2011, 2010/06/0002) als auch für Hochleistungsstrecken gilt (VwGH 19.12.2013, 2011/03/0160, 0162, 0164, 0165).

Mittwoch, 24. Februar 2016

Energie-Infrastrukturgesetz kundgemacht

Das Energie-Infrastrukturgesetz samt den Änderungen im Feststellungsverfahren des UVP-G wurde mit BGBl I Nr 4/2016 am 23. Februar 2016 kundgemacht


Mit dem "Bundesgesetz, mit dem das Energie-Infrastrukturgesetz erlassen, das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 geändert sowie das Bundesgesetz über die Frist und das Verfahren in den Fällen des Art. 12 Abs. 3 des B-VG aufgehoben werden", BGBl I Nr 4/2016, ist die TEN-E-Verordnung der EU, Nr 347/2013, in das österreichische Recht umgesetzt worden. Im UVP-G wurde ein neuer 6. Abschnitt betreffend Energieleitungsvorhaben von gemeinsamem Interesse eingefügt. Dieser Abschnitt (§§ 30 ff UVP-G) gilt für die Art 2 Z 4 der TEN-E-VO genannten "Vorhaben, [die] für die Realisierung der in Anhang I aufgeführten vorrangigen Energieinfrastrukturkorridore und -gebiete erforderlich [sind] und [die]Bestandteil der in Artikel 3 genannten Unionsliste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse [sind]".
 
Gleichzeitig hat der Gesetzgeber auf das EuGH-Urteil im Fall "Karoline Gruber" reagiert und das Feststellungsverfahren im UVP-Gesetz um ein Beschwerderecht der Nachbarn/Nachbarinnen gegen UVP-Negativ-Feststellungen erweitert. Nachbarn können nun - genauso wie Umweltorganisationen - ab dem Tag der Veröffentlichung von Feststellungsbescheiden der Landesregierung im Internet Akteneinsicht nehmen und Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erheben.
Die Beschwerdefrist beträgt vier Wochen.
 
Mit einer Übergangsvorschrift, § 46 Abs 26 erster Satz UVP-G, wird diese Beschwerdemöglichkeit gegen alle Bescheide eröffnet, bei denen der Bescheid vor Inkrafttreten der Novelle erlassen wurde, aber die Beschwerdefrist noch nicht abgelaufen ist. Man muss daher vier Wochen vom Inkrafttretensdatum, dem 24. Februar 2016, zurückrechnen: ist der Feststellungsbescheid innerhalb dieser Frist erlassen bzw veröffentlicht worden, so kann gegen ihn noch innerhalb von vier Wochen Beschwerde beim BVwG eingebracht werden. Meines Erachtens ist diese, in Anlehnung an den Übergang zur neuen Verwaltungsgerichtsbarkeit am 1. Jänner 2014 geschaffene Übergangsbestimmung in dem Sinne zu verstehen, dass die Beschwerdefrist am 24. Februar neu zu laufen beginnt. Bei künftig ergehenden Bescheiden beginnt sie mit der Veröffentlichung im Internet zu laufen.

Nicht ausdrücklich geregelt, aber im Sinne der EuGH- und VwGH-Judikatur selbstverständlich sollte mit der Einführung der Anfechtungsmöglichkeit für Nachbarn im Sinne des § 19 UVP-G nun auch die vor dem Urteil "Gruber" bestehende Bindungswirkung von Feststellungsbescheiden wieder gegeben sein.
 
Für jene Projektwerber, deren Genehmigungen mittlerweile aufgrund der EuGH-Judikatur aufgehoben wurden oder noch aufgehoben werden, besteht gemäß § 46 Abs 26 (neu) ein Fortbetriebsrecht in sinngemäßer Anwendung des Fortbetriebsrechts des § 42a UVP-G auf Grundlage der aufgehobenen materienrechtlichen Bescheide. Dieses Recht gilt für 3 Jahre, höchstens aber bis zum Ergehen eines Ersatzbescheides oder Ersatzerkenntnisses.

Donnerstag, 28. Januar 2016

Energie-Infrastrukturpaket mit UVP-Novelle ohne Verfassungsbestimmungen beschlossen

SPÖ und ÖVP bringen rechtliche Erleichterung von Infrastrukturprojekten als einfaches Gesetz durch den Nationalrat - Neuregelung zum UVP-Feststellungsverfahren

Wien (Parlamentskorrespondenz) - Ein Abänderungsantrag von SPÖ und ÖVP brachte am 27. Jänner 2016 im Nationalrat das Energie-Infrastrukturgesetz  (626 BlgNR XXV.GP) auf einfachgesetzliche Ebene. Dieses scheinbar nur formaljuristische Vorgehen barg Zündstoff: Herausgenommen wurden aus der Regierungsvorlage zur Erfüllung einer EU-Verordnung für transeuropäische Energienetze jene Bestimmungen, die Länderkompetenzen einschränken. Dadurch war die Vorlage nicht mehr in Verfassungsrang, und konnte ohne Zweidrittelmehrheit im Plenum beschlossen werden. Ausschlaggebend für diesen Schritt der Regierungsfraktionen war die Weigerung der Grünen, dem Gesetzespaket zuzustimmen, wenn darin die Mitspracherechte von NachbarInnen bei Infrastrukturprojekten nicht ausgeweitet werden. Konkret zu diesem Punkt heißt es im Abänderungsantrag, um die Öffentlichkeit in Umweltverträglichkeitsprüfungs (UVP)-Verfahren gemäß EU-Recht frühzeitig einzubinden, können künftig Nachbarinnen und Nachbarn ab der online-Veröffentlichung eines Feststellungsbescheids, ob ein UVP erforderlich ist oder nicht, beim Bundesverwaltungsgericht innerhalb von vier Wochen Beschwerde gegen den Bescheid einlegen.
Den Oppositionsparteien schmeckt dieses Vorgehen der Koalitionsparteien gar nicht. Ungeachtet verschiedener inhaltlicher Kritikpunkte an der Gesetzesinitiative prangerten sie im Plenum unisono an, es entspreche nicht den parlamentarischen Gepflogenheiten, Abänderungen zu einem Gesetzesvorschlag abseits des Verhandlungstisches durchzusetzen.
Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner räumte ein, wünschenswert wäre eine breite Unterstützung für das Gesetzespaket gewesen, aus Zeitgründen sei dieses Bestreben aber hintangestellt worden. Er unterstrich ebenso wie die Redner von SPÖ und ÖVP, das Energie-Infrastrukturgesetz schaffe nun Rechtssicherheit für Projektverantwortliche und somit auch für Infrastrukturprojekte, die Österreich bei der Energiewende unterstützen. Damit trage man nicht zuletzt den energiepolitischen Vorgaben der UN-Klimaschutzkonferenz von Paris Rechnung.
Ein von den Regierungsfraktionen eingebrachter und mehrheitlich beschlossener Entschließungsantrag an den Umweltminister stößt eine weitere Novelle an, die ein Upgrade von Stromleitungen von 220 auf 380 Kilovolt ohne UVP-Verfahren ermöglichen soll. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf erwarten SPÖ und ÖVP bis Mitte dieses Jahres.

Donnerstag, 22. Oktober 2015

EuGH stürzt Präklusion

Der EuGH hat in einem jüngsten Urteil einen fundamentalen Grundsatz des Verwaltungsverfahrens gekippt. In UVP und IPPC-Verfahren gibt es künftig keine Präklusion mehr. Daher kann jeder Betroffene Beschwerde gegen Genehmigungen an das Verwaltungsgericht erheben, unabhängig von vorherigen rechtzeitigen Einwendungen.
 
Von Berthold Lindner/Wolfgang Berger
 
"Verabschieden Sie sich vom Institut der Präklusion" hat der deutsche Rechtsanwalt Dr. Remo Klinger den Teilnehmern an den 19. Österreichischen Umweltrechtstagen 2014 in Linz zugerufen. Dieses Institut wäre unionsrechtlich nicht länger haltbar, Österreich müsse sich hier auf geänderte juristische Rahmenbedingungen einstellen. Mit dem am 15.10.2015 ergangenen Urteil des EuGH in der Rechtssache C-137/14 (Kommission/Deutschland) wurde diese Ankündigung Wirklichkeit. Dieses Urteil hat massive Auswirkungen auf die Durchführung der unionsrechtlich geprägten Verfahren, wie UVP- und IPPC-Verfahren, voraussichtlich auch in Verfahren betreffend Natura-2000 Gebiete.
 
Präklusion nach §§ 42 und 44a AVG
 
Bislang galten in Österreich folgende verfahrensrechtliche Grundlagen: Wurde eine mündliche Verhandlung ordnungsgemäß kundgemacht, so verloren Personen ihre Stellung als Partei, soweit sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung schriftlich oder während der Verhandlung mündlich Einwendungen erhoben haben (§ 42 Abs 1 AVG). Wurden von der Behörde die Großverfahrensbestimmungen (§§ 44a ff AVG) angewendet, so verloren Personen ihre Stellung als Partei, soweit sie nicht während der öffentlichen Auflage des Genehmigungsantrags bei der Behörde schriftlich Einwendungen erhoben haben.
Der Verlust der Parteistellung hat durchaus gravierende Folgen: Personen, die nicht rechtzeitig Einwendungen erhoben haben, verloren sämtliche Parteienrechte (etwa Akteneinsicht, Parteiengehör und Beschwerderecht), auch wenn sie grundsätzlich dem Verfahren beizuziehen wären. Diese Personen konnten selbst dann nicht mehr am Verfahren teilnehmen, wenn sie nachweislich in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt waren. Zwar sahen die verfahrensrechtlichen Regelungen eine "Quasi-Wiedereinsetzung" vor (vgl § 42 Abs 3 AVG) vor, wodurch die Parteistellung wieder erlangt werden konnte. Die Voraussetzungen für diese "Quasi-Wiedereinsetzung" waren jedoch sehr streng und führten selten zum Erfolg.
Für Projektwerber hatten diese Bestimmungen immense Vorteile, weil im Verfahren spätestens nach Durchführung der Verhandlung (im Großverfahren nach Ende der Auflagefrist) feststand, welche Parteien am Verfahren beteiligt sind und welche Einwendungen von diesen geltend gemacht wurden. Eine nachträgliche Ausdehnung der Einwendungen war nicht möglich, weil die Parteien hinsichtlich weiterer Einwendungen ebenfalls präkludiert waren, diese also nicht mehr zulässig vorbringen durften.
 
EuGH entscheidet über Vertragsverletzungsklage gegen Deutschland
 
Diese Grundsätze gelten in den unionsrechtlich geprägten Verfahren künftig nicht mehr. In dem, dem Urteil vom 15.10.2015 zu Grunde liegenden Verfahren wurde Deutschland von der Kommission Folgendes vorgeworfen:
a)    Es wäre unzulässig, dass die Aufhebung von Verwaltungsentscheidungen auf jene Fälle beschränkt ist, in denen nachweislich ein subjektives Recht verletzt wurde.
b)    Unzulässig sei es, die Aufhebung von Entscheidungen aufgrund von Verfahrensfehlern auf das Fehlen einer UVP oder deren Vorprüfung zu beschränken, in denen der Beschwerdeführer nachweist, dass der Verfahrensfehler für das Ergebnis der Entscheidung kausal war und seine Rechtsposition betroffen ist.
c)    Die Klagebefugnis (in Österreich: Beschwerdebefugnis) und der Umfang der gerichtlichen Prüfung dürfen nicht auf Einwendungen beschränkt werden, die bereits innerhalb der Einwendungsfrist im Verwaltungsverfahren eingebracht wurden.
d)    Die übrigen Klagegründe betreffen spezifisch deutsche Belange im Zusammenhang mit der Klagebefugnis von Umweltverbänden. Diese Ausführungen könnten aber Auswirkungen auf eine vom VwGH dem EuGH  zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage habe (vgl VwGH 25.06.2015, Ro 2014/07/0108). Dort ging es um die Frage, ob die Bewilligungsfiktion bei Altanlagen nach § 46 Abs 20 Z 4 UVP-G 2000 (betreffend Altanlagen, die am 19.08.2009 bestanden und nicht mehr der Nichtigkeitsdrohung des § 3 Abs 6 unterlagen) möglicherweise unionsrechtswidrig sei. Auf diese Frage soll hier jedoch nicht näher eingegangen werden.
 
Das "subjektive Recht" bleibt
 
Zur Frage der Beschränkung der Beschwerdemöglichkeit Privater auf subjektive Rechte (oben lit a) hat der EuGH in Fortsetzung seiner bisherigen Judikatur erfreulicherweise festgehalten, dass der nationale Gesetzgeber zulässigerweise die Rechtsbehelfe Einzelner derart einschränken kann, dass diese von der Verletzung eines subjektiven Rechts abhängig gemacht werden (Rn 32). Die Rüge der Kommission in diesem Punkt wurde daher abgewiesen. Dies bedeutet, dass es Privaten auch weiterhin nicht möglich ist, die Einhaltung allgemeiner Umweltschutzvorschriften geltend zu machen. Ausdrücklich wird jedoch festgestellt, dass den Umweltverbänden dieses Recht jedenfalls zukommt (Rn 33).
 
"Beweislastumkehr" bezüglich Wesentlichkeit von Verfahrensmängeln
 
Hinsichtlich der zweiten Rüge (oben lit b) wird jedoch unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 07.11.2013, Rs C-72/12, Altrip) festgehalten, dass Beschwerdeführer jede Art von Verfahrensfehlern geltend machen können, ohne dass dargelegt werden muss, dass dieser Verfahrensfehler Auswirkungen auf das Ergebnis der bekämpften Entscheidung hat (Rn 55). Inhaltlich begründet der EuGH dies im Wesentlichen damit, dass eine Einschränkung auf den Nachweis einer Relevanz von Verfahrensfehlern dazu führen würde, dass der unionsrechtlich eingeräumten Anfechtungsmöglichkeit sonst ihre praktische Wirksamkeit genommen würde (Rn 57).
Die Anfechtungsmöglichkeiten werden vom EuGH zwar sehr weitreichend gesehen, jedoch führt der EuGH aus, dass eine Rechtsverletzung durch einen Verfahrensfehler dann verneint werden kann, wenn "das Gericht... gegebenenfalls anhand der vom Bauherren oder von den zuständigen Behörden vorgelegten Beweise und allgemeine, der gesamtem dem Gericht oder der Stelle vorliegenden Akten zu der Feststellung in der Lage ist, dass die angegriffene Entscheidung ohne den vom Rechtsbehelfsführer geltend gemachten Verfahrensfehler nicht anders ausgefallen wäre" (Rn 60). Dies bedeutet im Ergebnis, dass ein geltend gemachter Verfahrensfehler nicht zwingend zu einer Behebung der bekämpften Entscheidung führen muss. Allerdings besteht künftig eine Beweislastumkehr dahingehend, dass nicht der Beschwerdeführer die Relevanz des Verfahrensfehlers aufzeigen muss. Vielmehr obliegt es dem Gericht, dem Projektwerber und der belangten Behörde, die mangelnde Relevanz des Verfahrensfehlers darzustellen. Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass diese Aussagen vom EuGH auch auf jene Bedingungen ausgedehnt werden, die eine vom nationalen Gesetzgeber festgelegte Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle in der Sache bewirken (Rn 61). Dies bedeutet, dass den Gerichten damit eine umfassende Überprüfungsbefugnis des Genehmigungsbescheides eingeräumt wurde. Das Gericht ist damit bei seiner Beurteilung der Sache nicht auf die Beschwerdegründe beschränkt.
 
Die (Teil-)Präklusion fällt: Beschränkung der Gründe,
auf die sich gerichtlicher Rechtsbehelf stützen kann, ist unzulässig
 
Die für Österreich herausragendste Bedeutung des Urteils ist die Beurteilung der dritten Rüge der Kommission (vgl oben lit c; Beschränkung der Klagebefugnis und des Umfangs der gerichtlichen Kontrolle auf Einwendungen, die im Verwaltungsverfahren erhoben wurden).
Die Kommission hatte die Auffassung vertreten, dass die Beschränkung in § 2 Abs. 3 UmwRG und in § 73 Abs. 4 VwVfG, wonach im Rahmen eines gerichtlichen Rechtsbehelfs lediglich solche Einwendungen geltend gemacht werden können, die vorher im Verwaltungsverfahren erhoben wurden, gegen Art. 11 der Richtlinie 2011/92 und Art. 25 der Richtlinie 2010/75 verstoße.
Unter Hinweis auf die umfassende gerichtliche Kontrolle der sachlichen Richtigkeit der zu überprüfenden Entscheidung nach Art 11 UVP-RL sah der EuGH die umfassende Möglichkeit des Vorbringens von Einwendungen - unabhängig davon, wann diese vorgebracht werden - als geboten an. Das von der Republik Österreich, die als Streithelferin am Verfahren beteiligt war, vorgebrachte Argument, wonach die unionsrechtlichen Vorschriften auf das nationale Verwaltungsverfahrensrecht verweisen würde, wurde vom EuGH nicht aufgegriffen.
Es ist nach den Ausführungen des EuGH unzulässig, die Überprüfungsmöglichkeit des Gerichts auf jene Gründe zu beschränken, die als Einwendungen vorgebracht wurden. Künftig besteht damit keine Notwendigkeit mehr, innerhalb einer öffentlichen Auflagefrist oder bis zur mündlichen Verhandlung sämtliche Einwendungen vorzubringen. Einwendungen können in der Beschwerde nach Belieben ausgedehnt werden. Dies führt dazu, dass Verwaltungsverfahren enorm verzögert werden können, indem die für die Erörterung der Themen vorgesehene mündliche Verhandlung ignoriert wird und die Bedenken erst zu einem späteren Zeitpunkt im Gerichtsverfahren vorgebracht werden.

Was bleibt von der Präklusion übrig?

Das Urteil des EuGH könnte sogar die Einbringung von Beschwerden durch Personen, die bislang überhaupt nicht im Genehmigungsverfahren aufgetreten sind, ermöglichen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der von der Kommission beanstandete § 2 Abs. 3 UmwRG (nur) anordnet, dass Umweltverbände im Verfahren über den gerichtlichen Rechtsbehelf mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die sie im Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 nicht oder nach den geltenden Rechtsvorschriften nicht rechtzeitig geltend gemacht haben, aber hätten geltend machen können. Eigentlich regelt diese Gesetzesbestimmung daher nur die Teilpräklusion. Hingegen ist in dem von der Kommission nicht bekämpften § 2 Abs. 1 Z 3 des UmwRG geregelt, dass ein Umweltvereinigung einen gerichtlichen Rechtsbehelf einlegen kann, wenn "sie sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist". Diese Norm bindet die Beschwerdelegitimation also an die Erhebung von Einwendungen im Verwaltungsverfahren.
In der in der bisherigen Diskussion in Österreich nur von Kerstin Holzinger, ZVG 2016 Heft 1, beachteten Rn 76 hat der EuGH Folgendes ausgeführt:
"Zwar ist weder nach Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2011/92 noch nach Art. 25 Abs. 4 der Richtlinie 2010/75 ausgeschlossen, dass einem gerichtlichen Rechtsbehelf ein verwaltungsbehördliches Überprüfungsverfahren vorausgeht, und beide Vorschriften stehen dem nicht entgegen, dass das nationale Recht für den Rechtsbehelfsführer die Verpflichtung vorsieht, sämtliche verwaltungsbehördlichen Rechtsbehelfe auszuschöpfen, bevor er einen gerichtlichen Rechtsbehelf einlegen kann, doch lassen es diese unionsrechtlichen Vorschriften nicht zu, die Gründe, auf die er einen gerichtlichen Rechtsbehelf stützen kann, zu beschränken."
Beachtet man, dass die Kommission ausschließlich den § 2 Abs. 3 UmwRG in das Vertragsverletzungsverfahren einbezogen hat, und sieht man die Erhebung von Einwendungen im Verwaltungsverfahren als notwendige Ausschöpfung der "verwaltungsbehördlichen Rechtsbehelfe" an, so könnte die "Totalpräklusion" - der Ausschluss vom gerichtlichen Rechtsbehelf für jene, die sich am Verwaltungsverfahren trotz gegebener  Möglichkeit nicht beteiligt haben - überleben. Nur die Beschränkung der Beschwerdegründe auf jene Aspekte, die in den Einwendungen geltend gemacht wurden, wäre unionsrechtswidrig.
Noch einen weiteren kleinen (kryptisch formulierten) Ausweg ermöglicht der EuGH den nationalen Gesetzgebern, indem er ihnen die Möglichkeit einräumt, "spezifische Verfahrensvorschriften vor[zu]sehen, nach denen z.B. ein missbräuchliches oder unredliches Vorbringen unzulässig ist, die geeignete Maßnahmen darstellen um die Wirksamkeit des gerichtlichen Verfahrens zu gewährleisten" (Rn 81). Angesichts der strengen Judikatur zum Rechtsmissbrauch, wird jedoch auch diese Möglichkeit wohl kaum zu einer zufriedenstellenden Lösung der Problematik des Wegfalls der (Teil-)Präklusionsbestimmung führen.
Im Ergebnis wird der nationale Gesetzgeber wohl eine umfassende Novellierung des Verfahrensrechts – zumindest im Hinblick auf unionsrechtlich determinierte Verfahren – andenken müssen, um die gebotene effiziente Durchführung von Genehmigungsverfahren sicherzustellen. Anderenfalls wäre auf Unionsebene eine Initiative zu setzen, die dem nationalen Gesetzgeber die – an sich anerkannte – Möglichkeit einräumt, sein Verfahrensrecht samt allen damit in Verbindung stehenden Konsequenzen autonom zu regeln.

Donnerstag, 13. August 2015

Derzeit weder Parteistellung noch Antragsrecht für Nachbarn im UVP-Feststellungsverfahren

In seiner Entscheidung zum Biomasse-Heizkraftwerk Klagenfurt hat das BVwG jüngst ausgesprochen, dass Nachbarn eines möglicherweise UVP-pflichtigen Vorhabens auch nach den Entscheidungen des EuGH und des VwGH in der Rechtssache "Karoline Gruber" keine Berechtigung zur Einleitung oder Teilnahme an einem UVP-Feststellungsverfahren nach § 3 Abs 7 UVP-G zukommt (BVwG 24.7.2015, W104 2016940-2/12E):

"Somit  sieht  das  Bundesverwaltungsgericht  aber  keinen  Grund anzunehmen, die  Rechtslage habe   sich in   der   Weise geändert,   dass   Nachbarn   nun unmittelbar   auf   Grund   des Unionsrechtes     ein     Antragsrecht     auf     Einleitung     eines     UVP-Feststellungsverfahrens zuzugestehen  sei.
Die Unionsrechtswidrigkeit  der  Bindungswirkung  kann  Nachbarn  nicht mehr  entgegengehalten  werden.  Im  Umkehrschluss  führt  dies  aber auf  Basis  der  zitierten
Entscheidung     des     VwGH nicht     automatisch     dazu,     dass     Nachbarn     im     UVP-Feststellungsverfahren entgegen  des  eindeutigen  Wortlautes des  §  3  Abs.  7  UVP-G  2000 Parteistellung einzuräumen ist.
Vielmehr kann dem Unionsrecht auch dadurch Genüge getan werden,  dass  dem  Nachbarn  das  Recht  auf  Klärung  der  Frage  der  UVP-Pflicht  in  einem (materienrechtlichen) Genehmigungsverfahren zusteht.
Im    Rahmen    eines    derartigen Verfahrens kann  die  dort  zuständige Behörde etwa als  mitwirkende  Behörde  bei  der  UVP-Behörde   einen   Feststellungsantrag   nach   §   3   Abs.   7   UVP-G   2000   stellen und   unter Auseinandersetzung   mit   dem   daraufhin   ergehenden   oder   mit   einem   bereits   früher erlassenen Feststellungsbescheid eine Entscheidung treffen.
Dies  gilt  jedenfalls  bis  zur  Verankerung  einer  unionsrechtskonformen  Lösung  durch  den Gesetzgeber im UVP-G 2000."

Grenzen und (Fehl)Interpretationen bei der Kumulation

Die Ausführungen des VwGH zur  Baurestmassendeponie Fisching (VwGH 29.08.2024, Ra 2022/07/0025)  und die darin zitierte Vorjudikatur (insb V...