Mittwoch, 8. April 2020

Rechtsprechung des VwGH zur Umweltverträglichkeitsprüfung 2020

Präklusion für Formalparteien im „Großverfahren“
VwGH 28.01.2020, Ra 2019/03/0162 (Dritte Piste, Flughafen Wien-Schwechat)
§ 44a Abs 3 AVG, wonach das Edikt im „Großverfahren“ im redaktionellen Teil zweier „im Bundesland“ weitverbreiteten Tageszeitungen zu verlautbaren ist, bezieht sich ausdrücklich nur auf jenes Bundesland, in dem sich der Projektstandort befindet.
Auch die in § 19 Abs 3 UVP-G genannten Formalparteien unterliegen den Präklusionsregelungen des „Großverfahrens“ gem § 44b AVG. Eine Gemeinde aus einem anderen Bundesland, die sich am Verfahren vor der UVP-Behörde und am Beschwerdeverfahren vor dem BVwG bislang nicht beteiligt hatte, konnte daher nicht nach Abschluss dieses Verfahrens Beschwerde an das BVwG erheben.

Zum Begriff der „Umweltschutzvorschrift“ und
zu den Grundlagen der Gesamtabwägung nach § 17 Abs 5
VwGH 28. 5. 2020, Ra 2019/07/0081
Der Begriff der "Umweltschutzvorschrift" iS des § 19 Abs 4 UVP-G ist weit zu verstehen und nicht auf Normenbereiche eingeschränkt, die in unmittelbarem Bezug zum Schutz der Umwelt stehen. Er umfasst vielmehr Rechtsvorschriften, die direkt oder indirekt dem Schutz des Menschen und der Umwelt vor schädlichen Aus- oder Einwirkungen dienen (VwGH 18. 10. 2001, 2000/07/0229). Die Qualifikation der einzelnen Rechtsnormen ist je für sich vorzunehmen, wobei eine Rechtsnorm als "Umweltschutzvorschrift" qualifiziert werden kann, wenn ihre Zielrichtung (zumindest auch) in einem Schutz der Umwelt - im Sinne einer Hintanhaltung von Gefahren für die menschliche Gesundheit oder die Natur - besteht.
Die naturschutzrechtliche Vorschrift, wonach dem Antrag auf Erteilung einer naturschutzrechtlichen Bewilligung eine Zustimmungserklärung des Grundeigentümers anzuschließen ist (§ 43 Abs 2 Tir NSchG 2005), die grunderwerbsrechtlichen Vorschriften, die dem öffentlichen Interesse "der Erhaltung und Stärkung eines lebensfähigen Bauernstandes" dienen (vgl § 6 Abs 1 Tir GVG 1996) und § 12 WRG, wonach einer wasserrechtlichen Bewilligung fremde Rechte wie das Grundeigentum entgegenstehen, soweit sie nicht durch Einräumung von Zwangsrechten beseitigt oder beschränkt werden können, sind keine "Umweltschutzvorschriften“ die geeignet wären, subjektive Rechte von UO oder Bürgerinitiativen zu begründen.
Die Gesamtabwägung nach § 17 Abs 5 UVP-G erfordert im Hinblick auf die Beurteilung, ob schwerwiegende Umweltbelastungen "zu erwarten" sind, eine Prognoseentscheidung, die aufgrund von ausreichenden Sachverhaltsermittlungen - etwa schlüssigen Sachverständigengutachten - zu treffen ist (vgl VwGH 20. 12. 2005, 2004/05/0138). Es ist eine Frage des Einzelfalls, auf Grund welcher Beweisergebnisse das VwG letztlich vom Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes überzeugt sein kann, wobei im Falle von Prognoseentscheidungen entsprechend darauf Bedacht zu nehmen ist, dass Aussagen über Zukünftiges naturgemäß mit einer gewissen (unterschiedlich starken) Unsicherheit behaftet sein müssen.
Die Wirkungen eines Überprüfungsbescheides nach § 121 Abs 1 WRG können erst mit Rechtskraft des Kollaudierungsbescheides eintreten. Solange ein solcher nicht ergangen ist, ist auch "das bereits genehmigte Vorhaben" iS des § 3a Abs 7 UVP-G auf Basis der bestehenden Bewilligung zu beurteilen.

Voraussetzungen für die Bestellung und Auferlegung
der Kosten eines nichtamtlichen Sachverständigen

VwGH 29. 7. 2020, Ra 2020/07/0029

§ 3b Abs 1 UVP-G idF BGBl I 2016/4 erklärt die Beiziehung von nichtamtlichen Sachverständigen zwar auch ohne das Vorliegen der Voraussetzungen des § 52 Abs 2 und 3 AVG für zulässig. Jedoch ist (auch) in einem Verfahren nach dem UVP-G zunächst zu beurteilen, ob die Beweisaufnahme durch einen nichtamtlichen Sachverständigen überhaupt "notwendig" iS des § 52 Abs 1 AVG ist. Ein Sachverständigenbeweis ist demnach dann aufzunehmen, wenn dies in den Verwaltungsvorschriften vorgesehen ist oder wenn zur Erforschung der materiellen Wahrheit besondere Fachkenntnisse nötig sind.

Die Überwälzung von Gebühren eines nichtamtlichen Sachverständigen auf den Projektwerber ist gem § 3b Abs 2 UVP-G idF BGBl I 2016/4 nur dann zulässig, wenn der Beweis durch Sachverständige iS des § 52 Abs 1 AVG notwendig war. Ist dies nicht der Fall, kann iS des § 76 Abs 1 AVG nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Behörde bzw dem VwG Barauslagen - worunter auch die Gebühren eines nichtamtlichen Sachverständigen fallen - "erwachsen" sind, für die der Projektwerber/die Projektwerberin aufzukommen hat.

Daraus, dass keine Einwendung gegen die Bestellung erhoben wurden, kann nicht abgeleitet werden, es sei ein Einverständnis der Partei mit deren Bestellung vorgelegen und es sei diese für "notwendig erachtet" worden.

Die Partei kann ihre Rechte in dem Verfahren betreffend die Vorschreibung von Barauslagen gemäß § 76 AVG geltend machen. Dieser Grundsatz gilt - unabhängig von einem an den Projektwerber gerichteten Auftrag zur direkten Bezahlung an den Sachverständigen - auch in einem Verfahren nach § 3b Abs 2 UVP-G.


Keine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung trotz begonnener Rodungen

VwGH 3. 8. 2020, Ro 2019/04/0034 (380 kV-Salzburgleitung)

Nach der stRsp des VwGH ist im Verfahren über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht zu beurteilen und es ist selbst die mögliche Rechtswidrigkeit des Erk des VwG kein Grund für die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (vgl VwGH Ro 2019/04/0034 ua).

Aus der Rsp des EuGH ergibt sich zwar, dass ein nationales Gericht in der Lage sein muss, vorläufige Maßnahmen zu treffen, wenn der Erlass solcher Maßnahmen erforderlich ist, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Unionsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen (vgl EuGH 13. 3. 2007, C-432/05, Unibet, Rn 67, 77). Eine derartige Erforderlichkeit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zur Sicherstellung der vollen Wirksamkeit ist aber trotz Rodungen und anhängigen Enteignungsverfahren nicht ersichtlich, zumal nach dem U des EuGH in der Rs C-24/19 die Aufhebung der Projektgenehmigung auch dann erfolgen müsste, wenn mit der Durchführung des Projekts bereits begonnen oder diese schon beendet wurde (Rn 89). 

Mangelnde Beschwerdelegitimation aufgrund
örtlicher Beschränkung des Tätigkeitsbereiches einer UO
VwGH 30. 9. 2020, 2019/10/0070

Bei der Beurteilung der Antragslegitimation einer Umweltorganisation im Rahmen des Art 9 Abs 3 Aarhus Konvention ist nicht nur auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 19 Abs 6 UVP-G, sondern gerade auch auf die bescheidmäßige Anerkennung gemäß § 19 Abs 7 UVP-G und den sich daraus ergebenden räumlichen Tätigkeitsbereich abzustellen.

Ist der räumliche Tätigkeitsbereich einer Umweltorganisation zum Zeitpunkt der Erlassung eines naturschutzrechtlichen Bewilligungsbescheids auf bestimmte Bundesländer [ohne Kärnten] festgelegt, so kommt dieser UO – mangels eines mit Anerkennungsbescheid gem § 19 Abs 7 UVP-G für das Bundesland Kärnten festgelegten Tätigkeitsbereichs - keine aus einer Parteistellung in den naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren resultierende Legitimation zur Beschwerdeerhebung an das VwG zu.


Auswirkungen einer unterbliebenen SUP auf das UVP-Verfahren;
„Aussetzung“ von Plänen und Programmen im Genehmigungsverfahren; 
unionsrechtliche Unbedenklichkeit der unterschiedlichen Regelung von Rodungen und Trassenaufhieben, keine Verdrängung der Rodungsbestimmungen des ForstG durch UVP-RL; Inhalt, Umfang und maßgeblicher Zeitpunkt für die Erstellung der UVE;
Behördenzuständigkeit bei Bundesländergrenzen überschreitenden Vorhaben

VwGH 15. 10. 2020, Ro 2019/04/0021 (380 kV-Salzburgleitung)

Nach der Rsp des VwGH Erk v 19. 12. 2013, 2011/03/0160 mwN zur Rsp des EuGH zur SUP-RL) kann von einem Plan oder einem Programm iS der SUP-RL nur dann ausgegangen werden, wenn es sich dabei um einen Rechtsakt handelt, der die Grundlage für die Durchführung zumindest eines weiteren auf diesem Rechtsakt aufbauenden Vorhabens bildet. Da die SUP-RL selbst zwischen Plänen und Programmen iS ihres Art 2 lit a und Vorhaben iS der UVP-RL differenziert, handelt es sich bei einem konkreten Vorhaben, das aufgrund der UVP-RL einer UVP zu unterziehen ist und keinen Rechtsakt zur Durchführung für weitere darauf aufbauende Vorhaben bildet, um keinen Plan und um kein Programm iS der SUP-RL.

Weder die SUP-RL noch das ElWOG 2010 enthalten Regelungen zur Bestimmung der Zuständigkeit einer nationalen Beh zur Durchführung einer gebotenen SUP, sodass bei Bestimmung der Zuständigkeit von der sachnächsten Zuständigkeit auszugehen (vgl allgemein VwGH 29. 10. 2014, Ro 2014/04/0069). Da der Netzentwicklungsplan (NEP) nach § 38 Abs 1 ElWOG 2010 von der Regulierungsbehörde durch Bescheid zu genehmigen ist, wäre - die Erforderlichkeit der Durchführung einer SUP vorausgesetzt - die Regulierungsbehörde als insoweit sachnächste Behörde betreffend die Durchführung einer SUP anzusehen, nicht jedoch das BVwG im Verfahren über die Beschwerde gegen eine Genehmigung nach dem UVP-G.

Eine nach der UVP-RL durchgeführte UVP entbindet nicht von der Verpflichtung, eine SUP nach der SUP-RL durchzuführen (vgl EuGH 22. 9. 2011, C-295/10, Rn 60 ff; 7. 6. 2018, C-671/16, Rn 65 f). Ausdrückliche Regelungen über Auswirkungen der (Nicht)Durchführung einer SUP auf ein UVP-Verfahren enthält die SUP-RL nicht; es ist deshalb Sache der Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Zuständigkeiten, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit sämtliche Pläne und Programme, die erhebliche Umweltauswirkungen iS der SUP-RL haben, Gegenstand einer SUP gemäß den vorgesehenen Verfahrensmodalitäten und Kriterien sind (vgl EuGH 28. 2. 2012, C-41/11, Rn 42; 28. 7. 2016, C-379/15, Rn 30). Nach dem U v 25. 6. 2020, C-24/19 (insb Rn 80, 83 und 88) kann eine zu Unrecht unterbliebene Durchführung einer SUP betreffend einen Plan nicht nur die Unionsrechtswidrigkeit des Plans nach sich ziehen, sondern - jedenfalls dem Grunde nach - auch diejenige einer Projektgenehmigung.

Die Möglichkeit, den unionsrechtlichen Vorgaben durch eine Aufhebung des NEP zu entsprechen, steht in einem UVP-Genehmigungsverfahren nicht offen, weil der NEP nicht Verfahrensgegenstand im zugrundeliegenden Genehmigungsverfahren (hier: einer Starkstromfreileitung) ist. Den unionsrechtlichen Vorgaben kann dadurch Rechnung getragen werden, dass die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Genehmigung unter Aussetzung des NEP geprüft wird, da die angerufenen Gerichte auf der Grundlage ihres nationalen Rechts Maßnahmen zur Aussetzung oder Aufhebung eines unter Verstoß gegen die Pflicht zur Durchführung einer Umweltprüfung erlassenen Plans oder Programms zu ergreifen haben (vgl EuGH aaO; in der englischen bzw der französischen Sprachfassung lautet es diesbezüglich "suspend or annul" bzw "à la suspension ou à l'annulation"; in gleicher Weise hat sich der EuGH im U vom 29. 7. 2019, C-411/17, Inter-Environnement Wallonie ASBL, Rn 172, im Zusammenhang mit der gebotenen Abhilfe eines Verstoßes gegen die UVP-RL geäußert).

Für eine Aussetzung bedarf es - anders als bei einer Aufhebung - keines ausdrücklich darauf gerichteten Ausspruchs; sie hat in der Form zu erfolgen, dass der - allenfalls unionsrechtswidrige - NEP bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen E durch den VwGH unangewendet und somit außer Betracht zu bleiben hat bzw nicht als Grundlage heranzuziehen ist. Eine solche Aussetzung des NEP käme nicht in Betracht, wenn dem NEP (bzw allenfalls dem ihn genehmigenden Bescheid der Regulierungsbehörde) verbindliche Rechtswirkungen für Dritte bzw für die im Bereich der Genehmigungserteilung zuständigen Beh beizumessen wären (vgl U des EuGH Rs C-24/19, Rn 76 ff) und er nicht nur Richtwertcharakter hätte (vgl EuGH Rs C-321/18, Rn 44).

Erweist sich die Genehmigung in der vorliegenden Form auch ohne Anwendung bzw Heranziehung des NEP als rechtmäßig, so kann sie Bestand haben. Ist dies zu verneinen, dann ist den unionsrechtlichen Vorgaben durch eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung Genüge zu tun.

Die Aufnahme eines Vorhabens in den NEP ist wieder eine Genehmigungsvoraussetzung noch wäre eine nicht erfolgte Aufnahme eines Vorhabens in den NEP ein Erteilungshindernis im UVP-Verfahren. Auch der Umstand, dass der NEP Parameter betreffend die Ausführung des vorliegenden Projekts in technischer und räumlicher Hinsicht enthält, zieht keine Bindungswirkung im vorliegenden Fall nach sich und steht somit einer Aussetzung des NEP nicht entgegen. Das BVwG ist zutreffend davon ausgegangen, dass für das bei ihm zur UVP-Genehmigung anhängige Projekt einer 380 kV-Starkstromfreileitung selbst keine SUP durchzuführen war. 

Mit der UVP-G-Novelle 2018 wurde der unionsrechtliche Begriff der Abholzung vom innerstaatlichen Begriff der Rodung abgekoppelt, weil auch Trassenaufhiebe als Abholzungen angesehen werden. Zwar definiert FN 14a zu Z 46 lit a und b Anh 1 den Begriff der Rodung gleichlautend wie § 17 Abs 1 ForstG 1975. Der Begriff der Rodung kann nicht mehr mit dem unionsrechtlichen Begriff der Abholzung gleichgesetzt werden. Es ist aus unionsrechtlicher Sicht nicht geboten, Trassenaufhiebe forstrechtlich als Rodungen einzustufen.

Die UVP-RL enthält zwar allgemeine Vorgaben hinsichtlich der einzubeziehenden Schutzgüter (Art 3) sowie zur Berücksichtigung des UVP-Berichts, der Ergebnisse der durchzuführenden Konsultationen und der eingelangten Stellungnahmen (Art 8) und hinsichtlich der Mindestinhalte der Genehmigungsentscheidung (Art 8a). Darüber hinausgehende materiell-rechtliche Anforderungen - etwa in Form konkreter Voraussetzungen für die Erteilung oder Versagung einer Genehmigung - normiert die UVP-RL aber nicht. Eine unionsrechtlich gebotene Verdrängung der Bestimmungen über die Interessenabwägung für die Erteilung einer Rodungsgenehmigung nach § 17 Abs 3 ForstG kommt in Ermangelung darauf gerichteter inhaltlicher Vorgaben in der UVP-RL nicht in Betracht.

Bei der - auf entsprechendem fachlichen Niveau abzugebenden - UVE handelt es sich (neben dem UVGA) um eine der beiden Säulen der Umweltverträglichkeitsprüfung (s VwGH 20. 12. 2016, Ro 2014/03/0035, Rn 66). Im UVP-Verfahren ist die voraussichtlich beeinträchtigte Umwelt durch eine Erhebung und Darstellung der derzeitigen Umweltsituation jeweils im Untersuchungsraum geordnet nach Schutzgütern darzustellen ist („Ist-Zustand“; s VwGH 24. 5. 2016, 2013/07/0147, Rn 37). Aus der Rsp des VwGH ergeben sich keine konkreten Vorgaben hinsichtlich des Umfangs der in räumlicher Hinsicht durchzuführenden Erhebungen - etwa dahingehend, dass eine Darstellung des Ist-Zustandes bzw eine dafür erstellte Kartierung eine vollständige Erhebung in allen betroffenen Teilgebieten voraussetzt. Im Zusammenhang mit der Frage des Referenzzeitpunktes zur Beurteilung des Zustands einer lokalen Population ist als Referenzzeitpunkt für die Ermittlung des Zustandes der Population auf den Ist-Zustand im Zeitpunkt der Einreichung des Projektes abzustellen (vgl VwGH 24. 7. 2014, 2013/07/0215, Pkt 8.4.2.). Die in der UVE enthaltenen Daten müssen umfassend und aktuell genug sein. um der Erstellung eines UVGA und der Beurteilung eines Projektes auf seine Umweltverträglichkeit zugrunde gelegt werden zu können. Eine konkrete Vorgabe in zeitlicher Hinsicht bezüglich der Aktualität der zugrunde gelegten Erhebungsergebnisse (etwa im Sinn einer strikten "Jahresgrenze") lässt sich daraus allerdings nicht ableiten.

Die Vorgangsweise des UVP-Sachverständigen, die zuvor auf ihre Plausibilität hin geprüften Ausführungen in der Umweltverträglichkeitserklärung seinem eigenen Gutachten zu Grunde zu legen, stößt auf keine Bedenken, zumal die UVE (auch wenn auf Grundlage der UVP-RL vom Projektwerber die Vorlage von wissenschaftlichen Gutachten grundsätzlich nicht verlangt werden darf) geeignet sein muss, im weiteren Genehmigungsverfahren berücksichtigt zu werden (vgl VwGH 30. 6. 2006, 2002/03/0213; 19. 12. 2013, 2011/03/0160).

Die Zuständigkeit nur "einer" Landesregierung ist beim UVP-Genehmigungsverfahren nicht erforderlich. Der Umstand, dass es im UVP-G 2000 hinsichtlich der anzuwendenden materiell-rechtlichen Bestimmungen zu einer Genehmigungskonzentration kommt, steht der Annahme, dass bei einem Bundesländergrenzen überschreitenden Vorhaben mehrere Behörden örtlich zuständig sind, nicht entgegen. Die Zuständigkeitsregelungen des § 4 Abs 1 und 2 AVG sind nur anwendbar, wenn Beh aus demselben (verfassungsgesetzlich festgelegten) Vollzugsbereich betroffen sind, weil eine Devolution auf die Oberbehörde im Falle fehlenden Einvernehmens der Beh nur in Betracht kommt, wenn diese Beh eine gemeinsame sachlich in Betracht kommende Oberbehörde haben, was im Hinblick auf die Zuständigkeit zweier LReg nicht der Fall ist.

Die räumliche Trennung der Genehmigungszuständigkeit hindert die jeweils zuständigen Beh nicht daran, eine integrative Gesamtbewertung aller vorhabensbedingten Umweltauswirkungen gem § 17 Abs 5 UVP-G vorzunehmen. Diese Gesamtbewertung hat vor der Entscheidung über den Genehmigungsantrag unter möglichst vollständiger Einbeziehung aller vorhabensbedingten Umweltauswirkungen zu erfolgen, die in einen Gesamtkontext zu stellen (also in Summe und im Verhältnis zueinander zu beurteilen) sind.

Eine LReg kann zwar ein Vorhaben nur hinsichtlich des Gebietes des jeweiligen Bundeslandes genehmigen, die Genehmigungsfähigkeit ist aber - wenn auch nur für einen Teil des Vorhabens - anhand der Auswirkungen des Gesamtvorhabens zu beurteilen.


Umfang der Kumulationsprüfung

VwGH 8. 10. 2020, Ra 2018/07/0447 (Wasserkaftwerk Schwarze Sulm)

Es bestehen keine unionsrechtlichen Bedenken gegen die mit BGBl I 2017/ 58 eingeführte zeitliche Begrenzung des Anwendungsbereichs für die Kumulationsprüfung, da mit der Richtlinie 2014/52 v 16. 4. 2014 zur Änderung der UVP-RL 2011/92 das Auswahlkriterium nach Anhang III Z 1 Buchst b dahingehend einschränkend novelliert wurde, als es nunmehr die "Kumulierung mit anderen bestehenden und/oder genehmigten Projekten und Tätigkeiten", nicht jedoch auch die Kumulierung mit solchen Vorhaben, die bloß beantragt, aber für die Verwirklichung noch nicht vollständig genehmigt sind, umfasst.

Im Rahmen des UVP-Verfahrens für eine Wasserkraftanlage sind Umweltbelastungen durch additive und kumulative Effekte mit anderen Vorhaben zu berücksichtigen und können allenfalls dessen Genehmigung (etwa nach § 17 Abs 5 UVP-G) entgegenstehen. In diesem Sinn sind auch die Erläuterungen (RV 1456 BlgNR 25. GP 3 f) zu verstehen, wonach "bei einer Prüfung für das Zweitvorhaben (...) alle kumulativ-additiven und umwelterheblichen Auswirkungen im unionsrechtlichen Sinne geprüft" werden.

Zwar hat der VwGH im Erk v 16. 12. 2019, Ra 2018/03/0066 bis 0068, ausgesprochen, dass die Kumulation eines Vorhabens, das für sich bereits UVP-pflichtig ist, mit anderen Vorhaben nicht vorgesehen ist. Diese Ausführungen beziehen sich jedoch lediglich auf die Kumulierungsprüfung gemäß § 3 Abs 2 bzw § 3a Abs 6 (also die Frage der UVP-Pflicht selbst) und nicht die Beurteilung von Umweltauswirkungen im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens. Nur für die Frage der UVP-Pflicht selbst kann eine Umgehungsabsicht durch Vorhabensstückelung schon aus dem Grund ausgeschlossen werden, dass das zu prüfende Vorhaben an sich schon UVP-pflichtig ist.

Feststellungsverfahren nach § 3 Abs 7 UVP-G sind bei der Kumulationsprüfung nach § 3 Abs 2 oder § 3a Abs 6 nicht zu berücksichtigen, weil diesbezüglich noch nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass das Vorhaben überhaupt oder in der dort dargestellten Form verwirklicht werden wird.

Keine Parteistellung einer UO im Naturschutzverfahren,
um UVP-Pflicht einwenden zu können

VwGH 10. 12. 2020, Ra 2020/10/0161

Umweltorganisationen ist auf Grundlage des U des EuGH v 16. 4. 2015, Gruber, Rs C‑570/13, nur in Fällen, in denen kein UVP-Feststellungsverfahren durchgeführt wurde, Parteistellung im jeweiligen Genehmigungsverfahren einzuräumen, um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, vorzubringen, dass das jeweilige Projekt einer UVP zu unterziehen sei. Wird dagegen über das gegenständliche Projekt ein UVP-Feststellungsverfahren durchgeführt, in dem die UO Beschwerde an das BVwG erheben konnte (und erhoben hat),*)besteht kein Anlass, der UO auch in einem naturschutzrechtlichen Bewilligungsverfahren – und so gleichsam „doppelt“ – Parteistellung einzuräumen.


*) Das Recht zur Überprüfung negativer Feststellungsbescheide kommt den gemäß § 19 Abs 7 UVP-G anerkannten UO bereits seit der Novelle des UVP-G, BGBl I 2012/77 zu. Den Nachbarn iS des § 19 Abs 1 Z 1 UVP-G wurde dieses Beschwerderecht mit der Novelle BGBl I 2016/4 (ab 24. 2. 2016) eingeräumt. 


Überprüfung der UVP-Pflicht im Materienverfahren

VwGH 17. 12. 2020, Ra 2018/06/0139

In jenen Fällen, in denen (mangels Antragslegitimation der Nachbarn iS des § 19 Abs 1 Z 1 UVP-G) kein UVP-Feststellungsverfahren eingeleitet wurde, steht nach der Rsp des VwGH Nachbarn die Möglichkeit offen, in einem materienrechtlichen Verfahren - zB im straßenrechtlichen Bewilligungsverfahren - den Einwand der UVP-Pflicht sowie der sich daraus allenfalls ergebenden Unzuständigkeit der Beh zu erheben. Die (Fach-)Behörde ist verpflichtet, ihre Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen und in ihrer E aufgrund nachvollziehbarer Feststellungen darzulegen, warum sie etwa vom Fehlen einer UVP-Pflicht und damit von ihrer Zuständigkeit ausgeht (vgl VwGH 24. 4. 2018, Ra 2016/05/0112 und 0113, und zu den verfahrensrechtlichen Möglichkeiten der Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit selbst in einem Materienverfahren, in dem ihnen nach innerstaatlichem Recht keine Parteistellung zukommt, VwGH 5. 11. 2015, Ro 2014/06/0078; 29. 11. 2016, Ro 2016/06/0013; 27. 6. 2017, Ro 2015/05/0025).


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