Mittwoch, 14. Mai 2014

Neuere EuGH-Rechtsprechung zur UVP

Mit Spannung wird das Ergebnis des Vorabentscheidungsverfahrens zur Bindungswirkung von und zum Beschwerderecht gegen UVP-Feststellungsentscheidungen erwartet. Über dieses aktuelle Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes wird an anderer Stelle berichtet. Aus den in den vergangenen Jahren ergangenen EuGH - Entscheidungen sind in diesem Zusammenhang vor allem folgende Aussagen wesentlich:

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 30. April 2009 (“Mellor”), festgehalten, “dass Dritte, sich vergewissern können müssen, dass die zuständige Behörde nach den im nationalen Recht vorgesehenen Bestimmungen geprüft hat, ob eine UVP erforderlich ist. Betroffene Einzelpersonen müssen in der Lage sein, die Einhaltung dieser Prüfungspflicht, gegebenenfalls gerichtlich nachprüfen zu lassen. Diese Auffassung hat der EuGH im Urteil vom 16. Februar 2012 (“Solvay”) bestätigt. In einem weiteren Urteil vom 11. April 2013 “Edwards und Pallikaropoulos” verwies der EuGH auf das in Art. 10a Abs. 3 der Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (jetzt Art. 11 der Richtlinie 2011/92) vom Unionsgesetzgeber verfolgte Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit “einen weiten Zugang zu den Gerichten” zu gewähren.
 
An weiterer EuGH - Rechtsprechung zur UVP in jüngerer Zeit ist zu nennen:


Begriff der ‚nicht übermäßig teuren‘ gerichtlichen Verfahren nach UVP-RL

Anlässlich eines vom englischen Supreme Court eingereichten Vorabentscheidungsersuchen gem Art. 267 AEUV hatte sich der Gerichtshof mit der Frage der Auslegung des Begriffs der „nicht übermäßig teuren“ gerichtlichen Verfahren auseinanderzusetzen und kam zu folgenden Ergebnissen:

1. „Das in Art. 10a Abs. 5 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten und in Art. 15a Abs. 5 der Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung in der jeweils durch die Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 geänderten Fassung vorgesehene Erfordernis, wonach das gerichtliche Verfahren nicht übermäßig teuer sein darf, verlangt, dass die in diesen Bestimmungen genannten Personen nicht aufgrund der daraus möglicherweise resultierenden finanziellen Belastung daran gehindert werden, einen gerichtlichen Rechtsbehelf, der in den Anwendungsbereich dieser Artikel fällt, einzulegen oder weiterzuverfolgen. Hat ein nationales Gericht über die Verurteilung eines Einzelnen zur Tragung der Kosten zu befinden, der als Kläger in einem Rechtsstreit in einer Umweltangelegenheit unterlegen ist, oder hat es, wie dies bei den Gerichten des Vereinigten Königreichs der Fall sein kann, allgemein in einem früheren Abschnitt des Verfahrens zu einer möglichen Begrenzung der Kosten, zu denen die unterlegene Partei verurteilt werden kann, Stellung zu nehmen, so muss es dafür Sorge tragen, dass dieses Erfordernis eingehalten wird, wobei es sowohl das Interesse der Person, die ihre Rechte verteidigen möchte, berücksichtigen muss als auch das mit dem Umweltschutz verbundene Allgemeininteresse.

2.) Im Rahmen dieser Beurteilung darf sich der nationale Richter nicht allein auf die wirtschaftliche Lage des Betroffenen stützen, sondern muss auch eine objektive Analyse der Höhe der Kosten vornehmen. Darüber hinaus kann er die Lage der betroffenen Parteien, die begründeten Erfolgsaussichten des Klägers, die Bedeutung des Rechtsstreits für diesen sowie für den Umweltschutz, die Komplexität des geltenden Rechts und des anwendbaren Verfahrens, den möglicherweise mutwilligen Charakter des Rechtsbehelfs in seinen verschiedenen Verfahrensabschnitten sowie das Vorhandensein eines nationalen Prozesskostenhilfesystems oder einer Kostenschutzregelung berücksichtigen.

3.) Dagegen reicht der Umstand, dass der Betroffene sich tatsächlich nicht von seiner Klage hat abschrecken lassen, für sich allein nicht für die Annahme aus, dass das Verfahren für ihn nicht übermäßig teuer ist.

4.) Schließlich darf diese Beurteilung nicht in Abhängigkeit davon, ob sie im Anschluss an ein erstinstanzliches Verfahren, an eine Rechtsmittelinstanz oder an eine weitere Rechtsmittelinstanz erfolgt, nach unterschiedlichen Kriterien vorgenommen werden.“
 


EuGH 07.11.2013, C-72/12 (Gemeinde Altrip ua)
Wesentlichkeitsprüfung bei UVP-Verfahrensmängeln

Im Vorabentscheidungsersuchen betreffend die ÖB-RL (RL 2003/35/EG, ABl L 156, S. 17) sowie des Art 10a der UVP-RL (RL 85/337/EWG, ABl. L 175, S. 40) nunmehr Art 11 UVP-RL (idF RL 2011/92/EU) sowie Art 9 der Aarhus-Konvention hatte sich der Gerichthof mit der zeitlichen Geltung der RL, den Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage, mit der Art des Verfahrensfehlers, der geltend gemacht werden kann und den Umfang der Nachprüfung auseinanderzusetzen und kam zu folgendem Schluss:
„1.      Die in der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, mit der Art. 10a in die Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten eingefügt wurde, vorgesehene Umsetzungsfrist bis zum 25. Juni 2005 ist dahin auszulegen, dass die zur Umsetzung des genannten Artikels ergangenen Vorschriften des nationalen Rechts auch für behördliche Genehmigungsverfahren gelten müssen, die vor dem 25. Juni 2005 eingeleitet worden waren, in denen aber erst nach diesem Zeitpunkt eine Genehmigung erteilt wurde.

2.      Art. 10a der Richtlinie 85/337 in der durch die Richtlinie 2003/35 geänderten Fassung (nunmehr Art 11 RL 2011/92/EU) ist dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten daran hindert, die Anwendbarkeit der zur Umsetzung dieses Artikels ergangenen Vorschriften auf den Fall zu beschränken, dass die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung aufgrund des Unterbleibens einer Umweltverträglichkeitsprüfung angefochten wird, und nicht auf den Fall zu erstrecken, dass eine solche Prüfung zwar durchgeführt wurde, aber fehlerhaft war.
3.      Art. 10a Buchst. b der Richtlinie 85/337 in der durch die Richtlinie 2003/35 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsprechung nicht entgegensteht, nach der keine Rechtsverletzung im Sinne dieses Artikels vorliegt, wenn nach den Umständen des konkreten Falls nachweislich die Möglichkeit besteht, dass die angegriffene Entscheidung ohne den vom Rechtsbehelfsführer geltend gemachten Verfahrensfehler nicht anders ausgefallen wäre. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht oder die mit ihm befasste Stelle dem Rechtsbehelfsführer insoweit in keiner Form die Beweislast aufbürdet und gegebenenfalls anhand der vom Bauherrn oder von den zuständigen Behörden vorgelegten Beweise und allgemeiner der gesamten dem Gericht oder der Stelle vorliegenden Akte entscheidet. Dabei ist u. a. der Schweregrad des geltend gemachten Fehlers zu berücksichtigen und insbesondere zu prüfen, ob dieser Fehler der betroffenen Öffentlichkeit eine der Garantien genommen hat, die geschaffen wurden, um ihr im Einklang mit den Zielen der Richtlinie 85/337 Zugang zu Informationen und die Beteiligung am Entscheidungsprozess zu ermöglichen.“
 

SCHLUSSANTRÄGE des Generalanwalts vom 27.02. 2014 betreffend NATURA 2000 / Beurteilung von Ausgleichsmaßnahmen
Rechtssache C‑521/12 T. C. Briels u. a. gegen Minister van Infrastructuur en Milieu

1.      Wird ein vorhandenes Areal eines geschützten natürlichen Lebensraumtyps in einem Natura-2000-Gebiet durch ein Projekt beeinträchtigt, das die Schaffung einer neuen (gleich großen oder größeren) Fläche dieses Lebensraumtyps an einer anderen Stelle in dem Gebiet vorsieht, ist davon auszugehen, dass das Gebiet als solches im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen beeinträchtigt ist. Folglich darf das Projekt nicht nach Maßgabe dieser Bestimmung genehmigt werden.
2.      Unter diesen Umständen kann die Schaffung der neuen Fläche als Ausgleichsmaßnahme im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie angesehen werden, sofern sie in spezifischem Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Projekt steht und sonst nicht im Rahmen der üblichen nach Art. 6 Abs. 1 oder 2 vorgeschriebenen Bewirtschaftung des Gebiets durchgeführt worden wäre. In diesem Fall darf das Projekt durchgeführt werden, sofern alle Voraussetzungen und Erfordernisse des Art. 6 Abs. 4 erfüllt sind.
 
EuGH 27. 03. 2014, C-300/13 (Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Superior de Justicia de la Comunidad Valenciana - Spanien) – Ayuntamiento de Benferri / Consejería de Infraestructuras y Transporte, Iberdrola Distribución Eléctrica SAU
Erweiterung einer Umspannanlage ist nicht UVP-pflichtig
Diee Bestimmungen von Anhang I Nr. 20 und Anhang II Nr. 3 Buchst. b der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der durch die Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass ein Vorhaben wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, das nur die Erweiterung einer Umspannanlage betrifft, nicht als solches unter die von diesen Bestimmungen erfassten Vorhaben fällt, sofern diese Erweiterung nicht in Zusammenhang mit der Errichtung von Freileitungen zur Übertragung elektrischer Energie steht, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.
 
EuGH 3. 4. 2014, C-301/12
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Italien) mit Entscheidung vom 29. Mai 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Juni 2012, in dem Verfahren
Cascina Tre Pini Ss   (NATURA 2000) / Anflutung eines Europaschutzgebietes
1.      Art. 4 Abs. 1, Art. 9 und Art. 11 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen sind dahin auszulegen, dass die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten verpflichtet sind, der Europäischen Kommission die Aufhebung der Klassifizierung eines in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommenen Gebiets vorzuschlagen, wenn sie mit einem Antrag des Eigentümers eines in diesem Gebiet gelegenen Grundstücks befasst worden sind, mit dem die ökologische Schädigung des Gebiets geltend gemacht wird, sofern dieser Antrag damit begründet wird, dass das genannte Gebiet trotz der Beachtung von Art. 6 Abs. 2 bis 4 der Richtlinie endgültig nicht mehr zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen oder zur Errichtung des Netzes Natura 2000 beitragen kann.
2.      Art. 4 Abs. 1, Art. 9 und Art. 11 der Richtlinie 92/43/EWG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die die Befugnis, die Anpassung der Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung vorzuschlagen, allein den Gebietskörperschaften überträgt und nicht – zumindest ersatzweise im Fall ihrer Untätigkeit – dem Staat, soweit diese Zuständigkeitsverteilung die ordnungsgemäße Anwendung der Vorschriften der Richtlinie gewährleistet.

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