Donnerstag, 22. Oktober 2015

EuGH stürzt Präklusion

Der EuGH hat in einem jüngsten Urteil einen fundamentalen Grundsatz des Verwaltungsverfahrens gekippt. In UVP und IPPC-Verfahren gibt es künftig keine Präklusion mehr. Daher kann jeder Betroffene Beschwerde gegen Genehmigungen an das Verwaltungsgericht erheben, unabhängig von vorherigen rechtzeitigen Einwendungen.
 
Von Berthold Lindner/Wolfgang Berger
 
"Verabschieden Sie sich vom Institut der Präklusion" hat der deutsche Rechtsanwalt Dr. Remo Klinger den Teilnehmern an den 19. Österreichischen Umweltrechtstagen 2014 in Linz zugerufen. Dieses Institut wäre unionsrechtlich nicht länger haltbar, Österreich müsse sich hier auf geänderte juristische Rahmenbedingungen einstellen. Mit dem am 15.10.2015 ergangenen Urteil des EuGH in der Rechtssache C-137/14 (Kommission/Deutschland) wurde diese Ankündigung Wirklichkeit. Dieses Urteil hat massive Auswirkungen auf die Durchführung der unionsrechtlich geprägten Verfahren, wie UVP- und IPPC-Verfahren, voraussichtlich auch in Verfahren betreffend Natura-2000 Gebiete.
 
Präklusion nach §§ 42 und 44a AVG
 
Bislang galten in Österreich folgende verfahrensrechtliche Grundlagen: Wurde eine mündliche Verhandlung ordnungsgemäß kundgemacht, so verloren Personen ihre Stellung als Partei, soweit sie nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung schriftlich oder während der Verhandlung mündlich Einwendungen erhoben haben (§ 42 Abs 1 AVG). Wurden von der Behörde die Großverfahrensbestimmungen (§§ 44a ff AVG) angewendet, so verloren Personen ihre Stellung als Partei, soweit sie nicht während der öffentlichen Auflage des Genehmigungsantrags bei der Behörde schriftlich Einwendungen erhoben haben.
Der Verlust der Parteistellung hat durchaus gravierende Folgen: Personen, die nicht rechtzeitig Einwendungen erhoben haben, verloren sämtliche Parteienrechte (etwa Akteneinsicht, Parteiengehör und Beschwerderecht), auch wenn sie grundsätzlich dem Verfahren beizuziehen wären. Diese Personen konnten selbst dann nicht mehr am Verfahren teilnehmen, wenn sie nachweislich in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt waren. Zwar sahen die verfahrensrechtlichen Regelungen eine "Quasi-Wiedereinsetzung" vor (vgl § 42 Abs 3 AVG) vor, wodurch die Parteistellung wieder erlangt werden konnte. Die Voraussetzungen für diese "Quasi-Wiedereinsetzung" waren jedoch sehr streng und führten selten zum Erfolg.
Für Projektwerber hatten diese Bestimmungen immense Vorteile, weil im Verfahren spätestens nach Durchführung der Verhandlung (im Großverfahren nach Ende der Auflagefrist) feststand, welche Parteien am Verfahren beteiligt sind und welche Einwendungen von diesen geltend gemacht wurden. Eine nachträgliche Ausdehnung der Einwendungen war nicht möglich, weil die Parteien hinsichtlich weiterer Einwendungen ebenfalls präkludiert waren, diese also nicht mehr zulässig vorbringen durften.
 
EuGH entscheidet über Vertragsverletzungsklage gegen Deutschland
 
Diese Grundsätze gelten in den unionsrechtlich geprägten Verfahren künftig nicht mehr. In dem, dem Urteil vom 15.10.2015 zu Grunde liegenden Verfahren wurde Deutschland von der Kommission Folgendes vorgeworfen:
a)    Es wäre unzulässig, dass die Aufhebung von Verwaltungsentscheidungen auf jene Fälle beschränkt ist, in denen nachweislich ein subjektives Recht verletzt wurde.
b)    Unzulässig sei es, die Aufhebung von Entscheidungen aufgrund von Verfahrensfehlern auf das Fehlen einer UVP oder deren Vorprüfung zu beschränken, in denen der Beschwerdeführer nachweist, dass der Verfahrensfehler für das Ergebnis der Entscheidung kausal war und seine Rechtsposition betroffen ist.
c)    Die Klagebefugnis (in Österreich: Beschwerdebefugnis) und der Umfang der gerichtlichen Prüfung dürfen nicht auf Einwendungen beschränkt werden, die bereits innerhalb der Einwendungsfrist im Verwaltungsverfahren eingebracht wurden.
d)    Die übrigen Klagegründe betreffen spezifisch deutsche Belange im Zusammenhang mit der Klagebefugnis von Umweltverbänden. Diese Ausführungen könnten aber Auswirkungen auf eine vom VwGH dem EuGH  zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage habe (vgl VwGH 25.06.2015, Ro 2014/07/0108). Dort ging es um die Frage, ob die Bewilligungsfiktion bei Altanlagen nach § 46 Abs 20 Z 4 UVP-G 2000 (betreffend Altanlagen, die am 19.08.2009 bestanden und nicht mehr der Nichtigkeitsdrohung des § 3 Abs 6 unterlagen) möglicherweise unionsrechtswidrig sei. Auf diese Frage soll hier jedoch nicht näher eingegangen werden.
 
Das "subjektive Recht" bleibt
 
Zur Frage der Beschränkung der Beschwerdemöglichkeit Privater auf subjektive Rechte (oben lit a) hat der EuGH in Fortsetzung seiner bisherigen Judikatur erfreulicherweise festgehalten, dass der nationale Gesetzgeber zulässigerweise die Rechtsbehelfe Einzelner derart einschränken kann, dass diese von der Verletzung eines subjektiven Rechts abhängig gemacht werden (Rn 32). Die Rüge der Kommission in diesem Punkt wurde daher abgewiesen. Dies bedeutet, dass es Privaten auch weiterhin nicht möglich ist, die Einhaltung allgemeiner Umweltschutzvorschriften geltend zu machen. Ausdrücklich wird jedoch festgestellt, dass den Umweltverbänden dieses Recht jedenfalls zukommt (Rn 33).
 
"Beweislastumkehr" bezüglich Wesentlichkeit von Verfahrensmängeln
 
Hinsichtlich der zweiten Rüge (oben lit b) wird jedoch unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 07.11.2013, Rs C-72/12, Altrip) festgehalten, dass Beschwerdeführer jede Art von Verfahrensfehlern geltend machen können, ohne dass dargelegt werden muss, dass dieser Verfahrensfehler Auswirkungen auf das Ergebnis der bekämpften Entscheidung hat (Rn 55). Inhaltlich begründet der EuGH dies im Wesentlichen damit, dass eine Einschränkung auf den Nachweis einer Relevanz von Verfahrensfehlern dazu führen würde, dass der unionsrechtlich eingeräumten Anfechtungsmöglichkeit sonst ihre praktische Wirksamkeit genommen würde (Rn 57).
Die Anfechtungsmöglichkeiten werden vom EuGH zwar sehr weitreichend gesehen, jedoch führt der EuGH aus, dass eine Rechtsverletzung durch einen Verfahrensfehler dann verneint werden kann, wenn "das Gericht... gegebenenfalls anhand der vom Bauherren oder von den zuständigen Behörden vorgelegten Beweise und allgemeine, der gesamtem dem Gericht oder der Stelle vorliegenden Akten zu der Feststellung in der Lage ist, dass die angegriffene Entscheidung ohne den vom Rechtsbehelfsführer geltend gemachten Verfahrensfehler nicht anders ausgefallen wäre" (Rn 60). Dies bedeutet im Ergebnis, dass ein geltend gemachter Verfahrensfehler nicht zwingend zu einer Behebung der bekämpften Entscheidung führen muss. Allerdings besteht künftig eine Beweislastumkehr dahingehend, dass nicht der Beschwerdeführer die Relevanz des Verfahrensfehlers aufzeigen muss. Vielmehr obliegt es dem Gericht, dem Projektwerber und der belangten Behörde, die mangelnde Relevanz des Verfahrensfehlers darzustellen. Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass diese Aussagen vom EuGH auch auf jene Bedingungen ausgedehnt werden, die eine vom nationalen Gesetzgeber festgelegte Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle in der Sache bewirken (Rn 61). Dies bedeutet, dass den Gerichten damit eine umfassende Überprüfungsbefugnis des Genehmigungsbescheides eingeräumt wurde. Das Gericht ist damit bei seiner Beurteilung der Sache nicht auf die Beschwerdegründe beschränkt.
 
Die (Teil-)Präklusion fällt: Beschränkung der Gründe,
auf die sich gerichtlicher Rechtsbehelf stützen kann, ist unzulässig
 
Die für Österreich herausragendste Bedeutung des Urteils ist die Beurteilung der dritten Rüge der Kommission (vgl oben lit c; Beschränkung der Klagebefugnis und des Umfangs der gerichtlichen Kontrolle auf Einwendungen, die im Verwaltungsverfahren erhoben wurden).
Die Kommission hatte die Auffassung vertreten, dass die Beschränkung in § 2 Abs. 3 UmwRG und in § 73 Abs. 4 VwVfG, wonach im Rahmen eines gerichtlichen Rechtsbehelfs lediglich solche Einwendungen geltend gemacht werden können, die vorher im Verwaltungsverfahren erhoben wurden, gegen Art. 11 der Richtlinie 2011/92 und Art. 25 der Richtlinie 2010/75 verstoße.
Unter Hinweis auf die umfassende gerichtliche Kontrolle der sachlichen Richtigkeit der zu überprüfenden Entscheidung nach Art 11 UVP-RL sah der EuGH die umfassende Möglichkeit des Vorbringens von Einwendungen - unabhängig davon, wann diese vorgebracht werden - als geboten an. Das von der Republik Österreich, die als Streithelferin am Verfahren beteiligt war, vorgebrachte Argument, wonach die unionsrechtlichen Vorschriften auf das nationale Verwaltungsverfahrensrecht verweisen würde, wurde vom EuGH nicht aufgegriffen.
Es ist nach den Ausführungen des EuGH unzulässig, die Überprüfungsmöglichkeit des Gerichts auf jene Gründe zu beschränken, die als Einwendungen vorgebracht wurden. Künftig besteht damit keine Notwendigkeit mehr, innerhalb einer öffentlichen Auflagefrist oder bis zur mündlichen Verhandlung sämtliche Einwendungen vorzubringen. Einwendungen können in der Beschwerde nach Belieben ausgedehnt werden. Dies führt dazu, dass Verwaltungsverfahren enorm verzögert werden können, indem die für die Erörterung der Themen vorgesehene mündliche Verhandlung ignoriert wird und die Bedenken erst zu einem späteren Zeitpunkt im Gerichtsverfahren vorgebracht werden.

Was bleibt von der Präklusion übrig?

Das Urteil des EuGH könnte sogar die Einbringung von Beschwerden durch Personen, die bislang überhaupt nicht im Genehmigungsverfahren aufgetreten sind, ermöglichen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der von der Kommission beanstandete § 2 Abs. 3 UmwRG (nur) anordnet, dass Umweltverbände im Verfahren über den gerichtlichen Rechtsbehelf mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die sie im Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 nicht oder nach den geltenden Rechtsvorschriften nicht rechtzeitig geltend gemacht haben, aber hätten geltend machen können. Eigentlich regelt diese Gesetzesbestimmung daher nur die Teilpräklusion. Hingegen ist in dem von der Kommission nicht bekämpften § 2 Abs. 1 Z 3 des UmwRG geregelt, dass ein Umweltvereinigung einen gerichtlichen Rechtsbehelf einlegen kann, wenn "sie sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist". Diese Norm bindet die Beschwerdelegitimation also an die Erhebung von Einwendungen im Verwaltungsverfahren.
In der in der bisherigen Diskussion in Österreich nur von Kerstin Holzinger, ZVG 2016 Heft 1, beachteten Rn 76 hat der EuGH Folgendes ausgeführt:
"Zwar ist weder nach Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2011/92 noch nach Art. 25 Abs. 4 der Richtlinie 2010/75 ausgeschlossen, dass einem gerichtlichen Rechtsbehelf ein verwaltungsbehördliches Überprüfungsverfahren vorausgeht, und beide Vorschriften stehen dem nicht entgegen, dass das nationale Recht für den Rechtsbehelfsführer die Verpflichtung vorsieht, sämtliche verwaltungsbehördlichen Rechtsbehelfe auszuschöpfen, bevor er einen gerichtlichen Rechtsbehelf einlegen kann, doch lassen es diese unionsrechtlichen Vorschriften nicht zu, die Gründe, auf die er einen gerichtlichen Rechtsbehelf stützen kann, zu beschränken."
Beachtet man, dass die Kommission ausschließlich den § 2 Abs. 3 UmwRG in das Vertragsverletzungsverfahren einbezogen hat, und sieht man die Erhebung von Einwendungen im Verwaltungsverfahren als notwendige Ausschöpfung der "verwaltungsbehördlichen Rechtsbehelfe" an, so könnte die "Totalpräklusion" - der Ausschluss vom gerichtlichen Rechtsbehelf für jene, die sich am Verwaltungsverfahren trotz gegebener  Möglichkeit nicht beteiligt haben - überleben. Nur die Beschränkung der Beschwerdegründe auf jene Aspekte, die in den Einwendungen geltend gemacht wurden, wäre unionsrechtswidrig.
Noch einen weiteren kleinen (kryptisch formulierten) Ausweg ermöglicht der EuGH den nationalen Gesetzgebern, indem er ihnen die Möglichkeit einräumt, "spezifische Verfahrensvorschriften vor[zu]sehen, nach denen z.B. ein missbräuchliches oder unredliches Vorbringen unzulässig ist, die geeignete Maßnahmen darstellen um die Wirksamkeit des gerichtlichen Verfahrens zu gewährleisten" (Rn 81). Angesichts der strengen Judikatur zum Rechtsmissbrauch, wird jedoch auch diese Möglichkeit wohl kaum zu einer zufriedenstellenden Lösung der Problematik des Wegfalls der (Teil-)Präklusionsbestimmung führen.
Im Ergebnis wird der nationale Gesetzgeber wohl eine umfassende Novellierung des Verfahrensrechts – zumindest im Hinblick auf unionsrechtlich determinierte Verfahren – andenken müssen, um die gebotene effiziente Durchführung von Genehmigungsverfahren sicherzustellen. Anderenfalls wäre auf Unionsebene eine Initiative zu setzen, die dem nationalen Gesetzgeber die – an sich anerkannte – Möglichkeit einräumt, sein Verfahrensrecht samt allen damit in Verbindung stehenden Konsequenzen autonom zu regeln.

Donnerstag, 13. August 2015

Derzeit weder Parteistellung noch Antragsrecht für Nachbarn im UVP-Feststellungsverfahren

In seiner Entscheidung zum Biomasse-Heizkraftwerk Klagenfurt hat das BVwG jüngst ausgesprochen, dass Nachbarn eines möglicherweise UVP-pflichtigen Vorhabens auch nach den Entscheidungen des EuGH und des VwGH in der Rechtssache "Karoline Gruber" keine Berechtigung zur Einleitung oder Teilnahme an einem UVP-Feststellungsverfahren nach § 3 Abs 7 UVP-G zukommt (BVwG 24.7.2015, W104 2016940-2/12E):

"Somit  sieht  das  Bundesverwaltungsgericht  aber  keinen  Grund anzunehmen, die  Rechtslage habe   sich in   der   Weise geändert,   dass   Nachbarn   nun unmittelbar   auf   Grund   des Unionsrechtes     ein     Antragsrecht     auf     Einleitung     eines     UVP-Feststellungsverfahrens zuzugestehen  sei.
Die Unionsrechtswidrigkeit  der  Bindungswirkung  kann  Nachbarn  nicht mehr  entgegengehalten  werden.  Im  Umkehrschluss  führt  dies  aber auf  Basis  der  zitierten
Entscheidung     des     VwGH nicht     automatisch     dazu,     dass     Nachbarn     im     UVP-Feststellungsverfahren entgegen  des  eindeutigen  Wortlautes des  §  3  Abs.  7  UVP-G  2000 Parteistellung einzuräumen ist.
Vielmehr kann dem Unionsrecht auch dadurch Genüge getan werden,  dass  dem  Nachbarn  das  Recht  auf  Klärung  der  Frage  der  UVP-Pflicht  in  einem (materienrechtlichen) Genehmigungsverfahren zusteht.
Im    Rahmen    eines    derartigen Verfahrens kann  die  dort  zuständige Behörde etwa als  mitwirkende  Behörde  bei  der  UVP-Behörde   einen   Feststellungsantrag   nach   §   3   Abs.   7   UVP-G   2000   stellen und   unter Auseinandersetzung   mit   dem   daraufhin   ergehenden   oder   mit   einem   bereits   früher erlassenen Feststellungsbescheid eine Entscheidung treffen.
Dies  gilt  jedenfalls  bis  zur  Verankerung  einer  unionsrechtskonformen  Lösung  durch  den Gesetzgeber im UVP-G 2000."

Mittwoch, 29. Juli 2015

UVP-Übergangsbestimmung für den 3. Abschnitt nicht verfassungswidrig

Der Verfassungsgerichtshof hat mit einem Beschluss vom 30. Juni 2015, E 788/2015, eine Beschwerde abgelehnt, die die Verfassungswidrigkeit der Übergangsbestimmung des § 46 Abs 24 Z 5 UVP-G geltend machte.

Gleichzeitig mit ihrer Beschwerde gegen die vom BMVIT erteilte Genehmigung für den Bau der A 26 - Linzer Autobahn hatten die Beschwerdeführer beantragt, dieser Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Das Bundesverwaltungsgericht wies den Antrag mit Beschluss vom 17. März 2015 ab (ZVG-Slg 2015/59, 279).

In der dagegen an den VfGH erhobenen Beschwerde wurde vorgebracht, dass der gesetzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung für Projekte, die bis Ende 2012 eingereicht wurden (§ 46 Abs 24 Z 5 UVP-G) verfassungsrechtlich bedenklich sei.

Diese Bedenken hat der VfGH nicht geteilt. Die Behandlung der Beschwerde wurde vom Höchstgericht abgelehnt.
Aus der Begründung:

Soweit die Beschwerde insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als die Rechtswidrigkeit der die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtsvorschriften (konkret die Verfassungswidrigkeit des § 46 Abs. 24 Z 5 UVP-G 2000) behauptet wird, lässt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden in § 56 Abs. 1 OÖ BauO 1994 vgl. VfGH 12.3.2015, E 58/2015) die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat:

Im Falle von (UVP-pflichtigen Bundesstraßen-)Vorhaben, deren behördliches Genehmigungsverfahren bis Ende 2012 eingeleitet worden und mit Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz noch nicht abgeschlossen ist, kann von einer Schlechterstellung schon deshalb keine Rede sein, weil für solche Verfahren nach alter Rechtslage (dh. vor Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz) gemäß § 5 USG 2000 die Möglichkeit der Erhebung eines Rechtsmittels an den Umweltsenat nicht gegeben war (und sich die Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sohin nicht stellte).

Überdies steht dem Gesetzgeber bei der Festsetzung von Stichtagsregelungen, die notwendig ein gewisses Maß an Beliebigkeit aufweisen, unter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten ein rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu (vgl. VfSlg 16.370/2001, 17.238/2004, 19.308/2011).

Dienstag, 28. Juli 2015

Neue Verordnung über belastete Gebiete Luft nach Anhang 2 UVP-G

Die wichtige Verordnung über die Festsetzung der Schutzgebiete der Kategorie D im Sinne des Anhanges 2 des UVP-G 2000 wurde nach sieben Jahren neu erlassen. Die mit BGBl II Nr 166/2015 kundgemachte neue Verordnung ersetzt die VO BGBl II Nr 483/2008 und ist am 25. Juni 2015 in Kraft getreten.

Für Vorhaben, die in den in der Verordnung genannten Gebieten liegen, sind für die Frage der UVP-Pflicht die niedrigeren Schwellenwerte der Spalte 3 des UVP-G 2000 maßgeblich. Die Schwellenwerte der Spalte 3 betreffen Vorhaben in besonders geschützten Gebieten - darunter die "belasteten Gebiete (Luft)" der Kategorie D und sind in der Regel um 50 %  niedriger als die in Spalte 1 und 2 festgesetzten Schwellenwerte. Werden nur die Schwellenwerte der Spalte 3 erreicht, so führt dies zu einer Einzelfallprüfung durch die UVP-Behörde nach § 3 Abs 4 und Abs 4a UVP-G, während die Schwellenwerte der Spalten 1 und 2 sogleich die Notwendigkeit einer UVP nach sich ziehen.
Eine UVP-Pflicht tritt bei Vorhaben, die nach ihrer Kapazität der Spalte 3 unterliegen, ein, wenn festgestellt wird, dass durch das Vorhaben mit erheblichen schädlichen oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt im Sinn des § 1 Abs 1 Z 1 UVP-G zu rechnen ist. Die Einzelfallprüfung bezieht sich, wenn sich die UVP-Prüfpflicht aus der Verordnung über die Festsetzung der belasteten Gebiete (Luft) ergibt, auf jene(n) Schadestoff(e), die in der Verordnung als Begründung für deren Aufnahme in die VO angegeben sind.
Die Verordnung enthält jene Gebiete, in denen die Immissionsgrenzwerte des Immissionsschutzgesetzes – Luft (BGBl. I Nr. 115/1997 idF BGBl. I Nr. 77/2010, wiederholt oder auf längere Zeit überschritten werden, und jene Luftschadstoffe, hinsichtlich deren diese Überschreitungen gemessen wurden.
Bei den durch die Verordnung festgesetzten Gebieten handelt es sich entweder um vollständig erfasste Katastralgemeinden bzw im Fall des Burgenlandes ein vollständig erfasstes Landesgebiet oder Gebiete, die durch Lagepläne näher beschrieben werden. Die Lagepläne sind als
Anlagen der Verordnung angeschlossen.  

Donnerstag, 23. Juli 2015

VwGH-Erkenntnis zur Bindungswirkung von UVP-Feststellungsbescheiden ergangen

Der VwGH hat nun den vom EuGH in einer Vorabentscheidung behandelten Fall „Karoline Gruber" entschieden. Die Entscheidung lässt allerdings weitgehend offen, wie von Verwaltungsgerichten und Behörden weiter vorzugehen ist.

Der VwGH hat mit seinem Erkenntnis vom 22. Juni 2015, 2015/04/0002, die angefochtene Betriebsanlagengenehmigung für ein Fachmarktzentrum in Klagenfurt wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben, weil die Gewerbebehörde unter Hinweis auf einen – die Behörde bindenden – UVP-Feststellungsbescheid auf den Einwand einer Nachbarin, dass das Vorhaben UVP-pflichtig sei, nicht näher eingegangen war.
Begründung des VwGH
Begründend verweist der Gerichtshof darauf, dass die Nachbarin der geplanten Betriebsanlage an den UVP-Feststellungsbescheid, nach dem für das Projekt keine UVP durchgeführt werden müsse, nicht gebunden ist. Dem Urteil des EuGH vom 16. April 2015, C-570/13 sei zu entnehmen, dass die Entscheidung, keine UVP durchzuführen, als Entscheidung im Sinne des Art 11 UVP-RL anzusehen ist. Daher steht dem Nachbarn als Mitglied der betroffenen Öffentlichkeit dagegen eine Rechtsbehelfsmöglichkeit zu, die von der bisherigen österreichischen Judikatur aber im Falle eines UVP-Feststellungsbescheides aufgrund der angenommenen Bindungswirkung solcher Bescheide verneint worden war.
Weiter führt der VwGH aus, dass dem Nachbarn (konkret auch einer Grundstückseigentümerin, die das Nachbargrundstück in ihrer Freizeit und zur Erholung nur vorübergehend nutzt) schon nach der bisherigen Rechtsprechung im gewerbebehördlichen Betriebsanlagenverfahren ein subjektives Recht auf Einhaltung der gesetzlich normierten Zuständigkeiten zusteht und man daher schon bisher einwenden habe können, es sei keine UVP durchgeführt worden. Nach der Rsp des VwGH habe die (Fach-)Behörde ihre Zuständigkeit außerdem schon von Amts wegen zu prüfen und „auf Grund nachvollziehbarer Feststellungen im angefochtenen Bescheid darzulegen, warum sie vom Fehlen einer UVP-Pflicht und damit von ihrer Zuständigkeit ausgeht".
Neu ist jedoch nun, dass die Behörde bei dieser Prüfung sich nicht mit dem Verweis auf eine vorliegende rechtskräftige UVP-Negativ-Feststellung begnügen kann. Denn der EuGH hat im Urteil „Gruber" ausgesprochen, dass die Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit haben müssen, die Feststellungsentscheidung „im Rahmen eines gegen sie oder gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfs anzufechten". Im vorliegenden Fall sei der Nachbarin der UVP-Feststellungsbescheid erst nachträglich zur Kenntnis gelangt, ihr aber (mangels Parteistellung gemäß § 3 Abs 7 UVP-G) nicht zugestellt worden. Nach der Rechtsprechung des EuGH müsse in diesem Fall festgestellt werden, dass der Feststellungsbescheid „gegenüber diesen Nachbarn keine Bindungswirkung hat (Tenor des Urteils ‚Gruber‘)".
Fazit des VwGH: „Somit ist entgegen der bisherigen […] Rechtsprechung davon auszugehen, dass der UVP-Feststellungsbescheid gegenüber diesen Nachbarn keine Bindungswirkung hat. […] Vor diesem Hintergrund war der angefochtene Bescheid", der auf den Einwand der UVP-Pflicht wegen der Negativfeststellung nicht eingegangen war, „wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben".
Wie ist nun mit dem Einwand einer UVP-Pflicht umzugehen?
Das Erkenntnis lässt offen, wie von dem nach Bescheidaufhebung nun zuständigen Verwaltungsgericht bzw der Gewerbebehörde weiter vorzugehen ist. Die spärlichen Hinweise im Erkenntnis können in zwei Richtungen gedeutet werden: Einerseits wird – wie oben referiert – ausgeführt, dass die Gewerbebehörde im Rahmen ihrer Zuständigkeitsprüfung „nachvollziehbare Feststellungen" zur Frage einer UVP-Pflicht zu treffen hat.
Das kann darauf hindeuten, dass durch die Materienbehörde oder das für diese Materie zuständige Verwaltungsgericht nun ein Beweisverfahren über die UVP-Pflicht durchzuführen ist (wobei sämtliche Beweismittel aus dem bereits abgeführten UVP-Feststellungsverfahren herangezogen werden können). In diesem Sinne habe ich mich in meiner Besprechung des EuGH-Urteils in der Zeitschrift RdU vom Juni 2015/84 geäußert. Dagegen spricht auch nicht der nunmehrige Hinweis des VwGH, dass eine „Durchführung der UVP durch die belangte Behörde als UVP-Behörde […] nach der Rechtsprechung des EuGH im Urteil ‚Gruber‘ unionsrechtlich unzulässig [ist], da der EuGH festhielt, dass ‚ein Verfahren wie das u.a. durch die §§ 74 Abs. 2 und 77 Abs. 1 der Gewerbeordnung geregelte nicht den Erfordernissen der Unionsregelung über die Umweltverträglichkeitsprüfung entsprechen" kann (vgl. Rn. 47), und damit die Möglichkeit einer de facto-UVP (zumindest) im Rahmen des gewerberechtlichen Betriebsanlagenverfahrens ausschloss […]." Diese Aussage zur Unzulässigkeit einer de facto-Prüfung in einem materienrechtlichen Genehmigungsverfahren bezieht sich nämlich nicht auf die Prüfung der UVP-Pflicht im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung.
Andererseits erwähnt der VwGH im Zusammenhang mit der fehlenden Bindungswirkung der UVP-Feststellung ausdrücklich, dass der Nachbarin der UVP-Feststellungsbescheid nicht zugestellt worden sei. Aus diesem Hinweis könnte man folgern, dass für den Fall einer Zustellung des Feststellungsbescheids durch die UVP-Behörde an die Nachbarin von dieser ein Rechtsmittel gegen diesen Bescheid hätte erhoben werden können, wodurch die unionsrechtlich gebotene Überprüfung gegeben wäre. Sind Nachbarn daher nun als „übergangene Parteien" in schon durchgeführten UVP-Feststellungsverfahren zu behandeln, können sie Bescheidzustellung beantragen und Beschwerde gegen den Bescheid an das BVwG erheben? 
Meines Erachtens ist bis zum Ergehen einer gesetzlichen Neuregelung jene Variante vorzuziehen, die die Prüfung der UVP-Pflicht der Materienbehörde im Rahmen ihrer Zuständigkeitsprüfung überantwortet. Dass der Gesetzgeber die Nachbarn am UVP-Feststellungsverfahren nicht beteiligen wollte, ist eindeutig, und nach dem EuGH ist eine unmittelbare Anfechtungsmöglichkeit von UVP-Feststellungsbescheiden nicht zwingend. Vielmehr hat der EuGH das Unionsrecht im Urteil vom 16. April 2015 ausdrücklich dahin ausgelegt, dass eine UVP-Feststellung entweder „im Rahmen eines gegen sie oder gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfs" angefochten werden kann (Rn 44). In diesem Sinne hat nun auch das BVwG im Fall "Biomasse-HKW Klagenfurt" entschieden und dort ausgeführt:


"Vielmehr kann dem Unionsrecht auch dadurch Genüge getan werden,  dass  dem  Nachbarn  das  Recht  auf  Klärung  der  Frage  der  UVP-Pflicht  in  einem (materienrechtlichen) Genehmigungsverfahren zusteht. Im    Rahmen    eines    derartigen Verfahrens kann  die  dort  zuständige Behörde etwa als  mitwirkende  Behörde  bei  der  UVP-Behörde   einen   Feststellungsantrag   nach   §   3   Abs.   7   UVP-G   2000   stellen und   unter Auseinandersetzung   mit   dem   daraufhin   ergehenden   oder   mit   einem   bereits   früher erlassenen Feststellungsbescheid eine Entscheidung treffen.

Dies  gilt  jedenfalls  bis  zur  Verankerung  einer  unionsrechtskonformen  Lösung  durch  den Gesetzgeber im UVP-G 2000."
Eine gesetzliche Neuregelung könnte mE so aussehen, dass Nachbarn dasselbe Beschwerderecht eingeräumt wird, welches schon derzeit den Umweltorganisationen nach § 3 Abs 7a UVP-G zukommt. Die Einräumung einer Parteistellung oder eine Antragsrechtes im UVP-Feststellungsverfahren erscheint nicht erforderlich (vgl dazu im Einzelnen meine Entscheidungsanmerkung im RdU 2015/84).
Anhängige Fälle
In den anhängigen Fällen wäre auf die von Nachbarn in den Genehmigungsverfahren erhobenen Einwendungen nun ungeachtet des Vorliegens einer UVP-Negativfeststellung von der Materienbehörde oder dem Verwaltungsgericht einzugehen, und es sind im Sinne des Erkenntnisses des VwGH „nachvollziehbare Feststellungen" zur Beurteilung der UVP-Pflicht zu treffen (durchaus unter Heranziehung der Ergebnisse eines abgeführten oder durch die Materienbehörde als "mitwirkende Behörde" iS des § 3 Abs 7 UVP-G erst eingeleiteten Einzelfallprüfungs- oder Feststellungsverfahren, zu denen dem Nachbarn gegebenenfalls Parteiengehör zu gewähren wäre). In speziellen Konstellationen, in denen keine ergänzenden Beweise notwendig sind, könnte diese Prüfung mE sogar in Verfahren, die beim VwGH anhängig sind, vom Verwaltungsgerichtshof selbst vorgenommen werden – etwa dann, wenn im Wesentlichen nur rechtliche Einwände gegen einen vorliegenden Feststellungsbescheid zu beurteilen sind.
Mit dem Erkenntnis vom 22. Juni 2015 hat der VwGH erste Hinweise zu diesen Fragen gegeben. Doch das Match um UVP und Nachbarbeteiligung bleibt spannend. Fortsetzung folgt ...

UVP-Verfahren im (Auf-)Wind?

  Als Teil des von der Bundesregierung beschlossenen   „Energiepakets“   ist am 23. März 2023 die novellierte Fassung des   Umweltverträglic...