Montag, 16. Mai 2011

EuGH zu den Rechten von NGO's gemäß Art 10a UVP-Richtlinie

Mit einer Vorabentscheidung vom 12. Mai 2011 hat der EuGH in der Rs "Trianel Kohlekraftwerk Lünen", C-115/09) betreffend Deutschland die folgende Vorabentscheidung getroffen:
1. Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der durch die Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 geänderten Fassung steht Rechtsvorschriften entgegen, die einer Nichtregierungsorganisation im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 85/337 in der durch die Richtlinie 2003/35 geänderten Fassung, die sich für den Umweltschutz einsetzt, nicht die Möglichkeit zuerkennen, im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung, mit der Projekte, die im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 85/337 in der durch die Richtlinie 2003/35 geänderten Fassung „möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben“, genehmigt werden, vor Gericht die Verletzung einer Vorschrift geltend zu machen, die aus dem Unionsrecht hervorgegangen ist und den Umweltschutz bezweckt, weil diese Vorschrift nur die Interessen der Allgemeinheit und nicht die Rechtsgüter Einzelner schützt.
2. Eine solche Nichtregierungsorganisation kann aus Art. 10a Abs. 3 Satz 3 der Richtlinie 85/337 in der durch die Richtlinie 2003/35 geänderten Fassung das Recht herleiten, im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung, mit der Projekte, die im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 85/337 in der geänderten Fassung „möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben“, genehmigt werden, vor Gericht die Verletzung von aus Art. 6 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen in der durch die Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20. November 2006 geänderten Fassung hervorgegangenen nationalen Rechtsvorschriften geltend zu machen, obwohl das nationale Verfahrensrecht dies nicht zulässt, weil die angeführten Vorschriften nur die Interessen der Allgemeinheit und nicht die Rechtsgüter Einzelner schützen.

Deutschland: Ausweitung der Rechte von Umweltverbänden
Für Deutschland bedeuten diese Aussagen des Gerichtshofes zur unmittelbaren Anwendbarkeit der UVP-RL, dass das "Klagerecht" von Umweltverbänden ausgeweitet wird. Bisher durften diese nur dann Rechtsmittel erheben, wenn sie sich auf Vorschriften berufen konnten, die dem Umweltschutz dienen und zugleich Rechte Einzelner begründen, also drittschützend sind. Damit sollten Umweltverbände nicht besser gesetellt werden als betroffene Bürger. Diese können die Verletzung bloß "objektiven Umweltrechts" nicht rügen, sondern haben nur soweit ein "Mitspracherecht" in UVP-Genehmigungsverfahren als ihnen subjektiv-öffentliche Rechte zukommen.
Das OVG Münster hatte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Einschränkung des Klagerechts der Umweltverbände, welche damit nicht die Einahltung aller für die Genehmigung eines Vorhabens maßgeblichen Umweltvorschriften einwenden konnten, dem Art 10a UVP-RL widerspreche.

Österreich: Die geltende Rechtslage passt (weitgehend)!
Der EuGH hat nun ein umfassendes Klagerecht der Umweltorganisationen bejaht, welches dem § 19 des österreichischen UVP-G 2000 entspricht. In Österreich haben die NGOs Parteistellung hinsichtlich aller dem Schutz der Umwelt dienenden Rechtsvorschriften und sind insofern auch rechtsmittellegitimiert.
Für Österreich, dessen Rechtslage der RL jedenfalls im Bereich des zweiten Abschnittes des UVP-G entspricht, hat die Entscheidung des EuGH daher keine unmittelbaren Auswirkungen. In Bezug auf die vom VwGH judizierte Zuständigkeit des Umweltsenats als Berufungsbehörde auch für Vorhaben des 3. Abschnitts (Hochleistungsstrecken und Bundesstraßen) hat die Argumentation des VwGH insofern eine (teilweise) Bestätigung erfahren, als der EuGH die unmittelbare Anwendbarkeit des Art 10a UVP-RL in seinem Urteil ausdrücklich bejaht hat.

EuGH (implizit) zu den Rechten Einzelner aus Art 10a UVP-G und aus der Aarhus Konvention
Einige Aussagen des EuGH Urteils vom 12. Mai 2011 können aber für eine derzeit in Österreich und beim Aarhus Compliance Committee in Genf geführte Diskussion rund um Parteistellung und Präklusion von Bedeutung sein:
  • In Rn 41 sagt der EuGH, dass die Bestimmungen des Art 10a der UVP-RL im Lichte der Bestimmungen der Aarhus Konvention auszulegen sind.
  • In Rn 45 hält er es für unbedenklich, wenn die Anfechtungsbefugnis Einzelner an die Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte geknüpft wird (vgl. dazu auch Rn 47) und
  • in Rn 55 wird schließlich nochmals der "beträchtliche Spielraum" betont, der MS bei der Umsetzung des Art 10a eingeräumt ist.
Damit hat der EuGH klargestellt, dass die nach österreichischer Rechtslage bestehende Einschränkung des "Mitspracherechts" der Nachbarn im UVP-Verfahren auf jene Bereiche, in denen ihnen subjektiv-öffentliche Rechte zukommen, nicht dem Art 10a UVP-RL widerspricht. Die unterschiedliche Behandlung von Nachbarn und NGO's, wie sie der VwGH in seinem Erkenntnis "Voitsberg" aus § 19 UVP-G abgeleitet hat, hat auf dem Boden der UVP-RL somit Bestand.
Und im Hinblick auf den weiten Spielraum, der den Staaten bei der Umsetzung des "access to justice" nach Art 9 Aarhus Konvention eingeräumt ist, dürfte das österreichische System, das Parteistellung und Anfechtungsbefugnis von Nachbarn sowie die Kognitionsbefugnis des Umweltsenats bei Nachbarberufungen an die Verletzung echter subjektiver Rechte knüpft, auch nicht konventionswidrig sein.

UVP-Verfahren im (Auf-)Wind?

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