Montag, 9. Mai 2022

Lehrveranstaltung Umweltverträglichkeitsprüfung (Sommersemester 2022)

 Am Mittwoch, 11. Mai 2022, 16:45 Uhr, SEM 31, beginnt die Lehrveranstaltung

030776 KU Umweltverträglichkeitsprüfung (2022S)

An/Abmeldung

Die Anmeldung ist grundsätzlich bereits abgeschlossen. Da noch Plätze verfügbar sind, ist eine persönliche Anmeldung auch noch beim ersten Termin am 11. Mai 2022, 16:45 Uhr möglich.
  • Anmeldung von Fr 01.04.2022 00:01 bis Sa 30.04.2022 23:59
  • Abmeldung bis Mi 11.05.2022 23:59

Details

max. 40 Teilnehmer*innen
Sprache: Deutsch

Lehrende

Termine (iCal) - nächster Termin ist mit N markiert

Mi18.05.16:45 - 19:15Seminarraum SEM51 Schottenbastei 10-16, Juridicum 5.OG
Mi25.05.16:45 - 19:15Seminarraum SEM31 Schottenbastei 10-16, Juridicum, 3.OG
Mi08.06.16:45 - 19:15Seminarraum SEM31 Schottenbastei 10-16, Juridicum, 3.OG
Mi15.06.16:45 - 19:15Seminarraum SEM63 Schottenbastei 10-16, Juridicum 6.OG

Information

Ziele, Inhalte und Methode der Lehrveranstaltung

Ziel der Lehrveranstaltung ist das Erlernen der wesentlichen rechtlichen Aspekte sowohl des Unionsrechtes als auch des österreichischen Rechts für die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren. Dabei wird neben dem Unionsrecht und dem österreichischen Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz samt dazugehörigem Verfahrensrecht auch die Aarhus Konvention und deren Bedeutung für das UVP-Verfahren behandelt.
Anhand der Lernunterlage des Vortragenden und den maßgeblichen Gesetzestexten werden die Rechtsvorschriften und die Rechtsprechung zum UVP-Verfahren dargestellt und mit den Studierenden erörtert.
In einer schriftlichen Klausur sollen die Studierenden das erlernte Wissen und Können wiedergeben.

Art der Leistungskontrolle und erlaubte Hilfsmittel

eine schriftliche Klausur
Hilfsmittel: unkommentierte Gesetzesausgaben (ohne Anmerkungen oder Verweisen)

Mindestanforderungen und Beurteilungsmaßstab

positive Beurteilung der Klausur; in Zweifelsfällen kann auch die mündliche Mitarbeit (ausschließlich im positiven Sinne) herangezogen werden

Prüfungsstoff

Vortrag, Diskussion

Literatur

Rechtsprechung des VwGH zur Umweltverträglichkeitsprüfung 2021

Inhalt und Umfang der Umweltverträglichkeitserklärung (UVE); Bestätigung der „Kühtai-Rsp“

VwGH 25.01.2021, Ra 2018/04/0179 8 ("Windpark Ebreichsdorf")

Es ist unzulässig, die inhaltliche Gestaltung eines entscheidungswesentlichen Teils eines Bewilligungsbescheides (artenschutzrechtliche Maßnahmen) in ein abgesondertes behördliches Verfahren ohne erkennbare Mitwirkung von Verfahrensparteien zu verlagern, welches dem UVP-Verfahren nachgelagert und nur zwischen dem Konsenswerber und der Behörde zu führen ist. Konkrete artenschutzrechtlich erforderliche Maßnahmen sind nach ausreichender Erhebung des Ist-Zustandes im Bewilligungsbescheid vorzuschreiben; nur so steht den anderen Verfahrensparteien auch die Möglichkeit zur Mitsprache und allenfalls zur Erhebung von Rechtsmitteln einerseits sowie zur Überprüfung der Einhaltung des Konsenses andererseits offen (vgl. VwGH 22.11.2018, Ro 2017/07/0033 bis 0036, Wasserkraftwerk „Kühtai“, Rn. 171 - Rn 173, mwN, betreffend eine Auflage, vor Beginn von Bauarbeiten für ein Speicherkraftwerk der UVP-Behörde für den Verlust von Feuchtlebensräumen ein inhaltlich näher definiertes Maßnahmenkonzept für Ersatzmaßnahmen zwecks behördlicher Freigabe des Konzepts vorzulegen). Mit der Auflage zur Vornahme ergänzender Untersuchungen und Vorlage eines Berichts darüber an die Behörde würde dieser Teil des Ermittlungsverfahrens, dessen positives Ergebnis erst Voraussetzung für die Erteilung der Bewilligung selbst ist, unzulässiger Weise in ein gesondertes Verfahren verlagert.

In einem Verfahren nach dem UVP-G 2000 (ua.) ist die voraussichtlich beeinträchtigte Umwelt durch eine Erhebung und Darstellung der derzeitigen Umweltsituation jeweils im Untersuchungsraum geordnet nach Schutzgütern darzustellen (siehe VwGH 24.5.2016, 2013/07/0147, Rn. 37, mwN). Als Grundlage für die Beurteilung der Auswirkungen eines Vorhabens ist somit der Ist-Zustand darzustellen. Aus dem UVP-G 2000 bzw. der dazu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergeben sich keine konkreten Vorgaben hinsichtlich des Umfangs der in räumlicher Hinsicht durchzuführenden Erhebungen - etwa dahingehend, dass eine Darstellung des Ist-Zustandes bzw. eine dafür erstellte Kartierung eine vollständige Erhebung in allen betroffenen Teilgebieten voraussetzt.

Sofern dies erforderlich ist, ist es zulässig, die Angaben in der UVE während des UVP-Verfahrens zu ergänzen (vgl. VwGH 15.10.2020, Ro 2019/04/0021, u.a., Rn. 388, mwN).

Die in der UVE enthaltenen Daten, allenfalls ergänzt durch erforderliche zusätzliche Erhebungen während des UVP-Verfahrens, sind grundsätzlich dann ausreichend, wenn eine Beurteilung des Projekts auf seine Umweltverträglichkeit möglich ist (vgl. VwGH 15.10.2020, Ro 2019/04/0021, Rn. 389).

 

Ermessensspielraum des Gesetzgebers bei Festlegung der UVP-Pflicht; Definition eines „Siedlungsgebietes“ iS der Kategorie E des Anhangs 2 des UVP-G

VwGH 29.03.2021, Ro 2020/03/0023 (Hubschrauberlandeplatz in Oö)

Der Bau von Flugplätzen mit - wie hier - einer Start- und Landebahngrundlänge von weniger als 2100 m ist als Projekt des Anhangs II (Z 10 lit. d) zur UVP-RL zu qualifizieren. Gemäß Art. 4 Abs. 2 UVP-RL bestimmen bei Projekten des Anhangs II die Mitgliedstaaten, ob das Projekt einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen werden muss. Die Mitgliedstaaten treffen diese Entscheidung anhand einer Einzelfalluntersuchung und/oder der von den Mitgliedstaaten festgelegten Schwellenwerte bzw. Kriterien. Mit dieser Bestimmung wird den Mitgliedstaaten ein Ermessensspielraum eingeräumt (vgl. VwGH 11.12.2019, Ra 2019/05/0013, mwN; EuGH 14.1.2016, Rs C-141/14, Kommission/Bulgarien, Rz. 92). Dieser Spielraum wird jedoch durch die in Art. 2 Abs. 1 der UVP-RL festgelegte Pflicht begrenzt, die Projekte, bei denen u.a. aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standorts mit erheblichen Auswirkungen zu rechnen ist, einer Untersuchung ihrer Auswirkungen auf die Umwelt zu unterziehen (vgl. EuGH 21.3.2013, Rs C-244/12, Salzburger Flughafen GmbH, Rz. 29). Die Mitgliedstaaten haben gemäß Art. 4 Abs. 3 UVP-RL bei der Einzelfalluntersuchung oder der Festlegung von Schwellenwerten bzw. Kriterien die relevanten Auswahlkriterien des Anhangs III zur UVP-RL zu berücksichtigen. Zudem würde ein Mitgliedstaat, der diese Schwellenwerte bzw. Kriterien so festlegte, dass in der Praxis alle Projekte einer bestimmten Art von vornherein von der Pflicht zur Untersuchung ihrer Auswirkungen ausgenommen wären, seinen Wertungsspielraum überschreiten, es sei denn, aufgrund einer Gesamtbeurteilung aller ausgenommenen Projekte wäre davon auszugehen, dass bei ihnen nicht mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist (vgl. etwa EuGH 28.2.2018, Rs C-117/17, Comune di Castelbellino, Rz. 38f, mwN).

Mit der in Anhang 2 zum UVPG 2000 genannten Kategorie E ("Siedlungsgebiet") sollte dem in Anhang III zur UVP-RL normierten Auswahlkriterium "Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte" Rechnung getragen werden (IA 168/A 21. GP, S. 31f). Der EuGH wies in Bezug auf dieses Kriterium darauf hin, dass Städte wegen der Bevölkerungsdichte und bestehender Umweltbelastungen, aber auch hinsichtlich etwaiger Stätten von historischer, kultureller oder archäologischer Bedeutung insoweit besonders sensibel sind (vgl. EuGH 25.7.2008, Rs C-142/07, Ecologistas en Acción-CODA, Rz. 43). Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH sind gesetzliche Bestimmungen, die in Umsetzung einer unionsrechtlichen Richtlinie erlassen wurden, so weit wie möglich im Lichte des Wortlauts und des Zweckes dieser Richtlinie auszulegen und anzuwenden, um das mit ihr angestrebte Ziel zu erreichen (vgl. VwGH 19.6.2018, Ra 2017/03/0104, mwN). Gegebenenfalls - etwa bei einer mit den Anforderungen der UVP-RL unvereinbaren Festlegung nationaler Schwellenwerte bzw. Kriterien - wäre zudem aufgrund unmittelbarer Wirkung von Bestimmungen der UVP-RL die erforderliche Einzelfallprüfung auch unabhängig von den Regelungen des nationalen Rechts vorzunehmen (vgl. EuGH 21.3.2013, Rs C-244/12, Salzburger Flughafen GmbH, Rz 48). Der Revision ist daher insofern zuzustimmen, als der Begriff "Siedlungsgebiet" iSv Anhang 2 Kategorie E UVPG 2000 richtlinienkonform auszulegen ist (vgl. in diesem Sinn auch VwGH 11.12.2019, Ra 2019/05/0013, mwN).

Es ist nicht ersichtlich, dass mit der vom nationalen Gesetzgeber vorgenommenen Festlegung des schützenswerten Gebietes "Siedlungsgebiet" in Anhang 2 zum UVPG 2000, wonach als Grünland ausgewiesene Flächen bei der Beurteilung des Vorliegens eines Siedlungsgebietes außer Betracht zu bleiben haben, der unionsrechtlich eingeräumte Ermessensspielraum überschritten wurde. Bei Wohnbauten im Grünland handelt es sich weder um „Siedlungsgebiet“ iS der Kategorie E des Anhangs 2 zum UVP-G noch um „Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte". Der nationale Gesetzgeber hat durch die Festlegung ökologisch besonders sensibler Gebiete in Anhang 2 zum UVPG 2000 dem Erfordernis entsprochen, auf die Belastbarkeit der Natur Rücksicht zu nehmen (vgl. VwGH 9.10.2014, 2013/05/0078). Bei der Umsetzung der Anforderung, "Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte" iSv Anhang III Z 2 lit. c sublit. vii UVP-RL besonders zu berücksichtigen, hat er sich - mit der Einführung der Kategorie E in Anhang 2 ("Siedlungsgebiet") - dafür entschieden, als Kriterium für das Erfordernis einer Einzelfallprüfung darauf abzustellen, ob das Vorhaben - hier: der Neubau eines Flugplatzes für Hubschrauber - in einem Siedlungsgebiet oder im Nahebereich eines solchen erfolgen soll. Wenn der Bundesgesetzgeber nun zur Definition dieses Begriffes darauf abstellt, ob die in einem bestimmten Umkreis um das Vorhaben gelegenen Grundstücke nach den jeweils geltenden Raumordnungsgesetzen der Länder als Bauland, in dem Wohnbauten errichtet werden dürfen, ausgenommen reine Gewerbe-, Betriebs- oder Industriegebiete, Einzelgehöfte oder Einzelbauten (Z 1), oder als Sondergebiete für spezielle schützenswerte Einrichtungen (Z 2) gewidmet sind, ist nicht ersichtlich, dass Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte in Verfahren nach dem UVPG 2000 nicht hinreichend Berücksichtigung finden.

In Abweichung von § 82 Abs. 1 Z 1 MinroG 1999 sind Einzelbauten und Einzelgehöfte von der Definition des "Siedlungsgebietes" in Anh 2 Kategorie E des UVP-G ausgenommen. Daher sind Einzelbauten oder Einzelgehöfte, auch wenn sie im Bauland liegen, keine „Siedlungsgebiete“. Festzuhalten ist aber, dass die Materialien zur Novelle BGBl. I Nr. 89/2000, mit der die Lage "in oder nahe Siedlungsgebieten" als relevantes Kriterium für eine UVP-Pflicht nach Spalte 3 des Anhangs 2 - samt Definition des Nahebereichs mit Anknüpfung an die Widmung und der in Rede stehenden Ausnahme für "Einzelgehöfte oder Einzelbauten" - festgelegt wurde, mehrfach auf das Erfordernis einer Umsetzung der UVP-RL verweisen. Der Gesetzgeber macht also deutlich, dass auch diese Festlegung in Umsetzung der in Anhang III zur UVP-RL normierten Kriterien (konkret: der Berücksichtigung von Gebieten mit hoher Bevölkerungsdichte) erfolgte. Es ist daher davon auszugehen, dass der Bundesgesetzgeber mit der die erwähnte Ausnahme beinhaltenden Definition den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechen wollte, wonach von den Mitgliedstaaten Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte besonders zu berücksichtigen sind. Dieser Umstand (Wille zur Umsetzung der UVP-RL) ist daher entscheidender Parameter bei der Auslegung des Begriffs "Siedlungsgebiets" wie auch der damit einhergehenden Ausnahmeregelung für "Einzelgehöfte oder Einzelbauten", nicht aber ein "enzyklopädisches Verständnis" oder gar ein lokaler Sprachgebrauch. Die Ausnahme von „Einzelgehöften oder Einzelbauten“ vom „Siedlungsgebiet“ ist daher nicht unionsrechtswidrig.

Als Nahebereich eines Siedlungsgebietes gilt nach der Legaldefinition des Anhang 2 Kategorie E Z 1 UVPG 2000 grundsätzlich (ausgenommen reine Gewerbe-, Betriebs- und Industriegebiete, Einzelgehöfte oder Einzelbauten) ein Umkreis von 300 m um das Vorhaben, in dem Grundstücke als "Bauland, in dem Wohnbauten errichtet werden dürfen", "festgelegt oder ausgewiesen" sind.

 

Vorhabensbegriff bei Stellplätzen eines Wohn- und Bürohauses, wenn diese in einer gemeinsamen Tiefgarage mit einem Einkaufszentrum liegen; keine Bagatellgrenze bei Umgehungsprojekten; keine unionsrechtlichen Bedenken gegen Bagatellschwelle von 25 %

VwGH 28.04.2021, Ra 2019/04/0027 (EKZ in Wien)

Für die Kumulierung der Auswirkungen nach § 3 Abs. 2 UVP-G 2000 zu berücksichtigen sind andere gleichartige und in einem räumlichen Zusammenhang stehende Vorhaben, die bestehen oder genehmigt sind, oder Vorhaben, die mit vollständigem Antrag auf Genehmigung bei einer Behörde früher eingereicht oder nach §§ 4 oder 5 früher beantragt wurden. Wenn das Vorhaben eine Kapazität von weniger als 25 % des Schwellenwertes aufweist, ist eine Einzelfallprüfung nicht durchzuführen (vgl. VwGH 17.12.2019, Ro 2018/04/0012, Rn. 30). Dabei handelt es sich um eine Mindestschwelle für Kleinvorhaben, unter der keine Kumulierung mit anderen Vorhaben iSd § 3 Abs. 2 erster Satz UVP-G 2000 und keine Einzelfallprüfung durchzuführen sind (vgl. VwGH 31.7.2007, 2006/05/0221). Anderes gilt nur, wenn eine Umgehung der UVP-Pflicht, etwa durch eine Aufsplitterung von Maßnahmen, erfolgen soll: In diesem Fall ist eine Einzelfallprüfung durchzuführen (vgl. VwGH 29.9.2015, 2013/05/0077, mwN).

Wenn die einer Wohnhausanlage sowie Beschäftigten eines Bürohauses ausschließlich zugeordneten Stellplätze nur von diesen Nutzern benützt werden können, so liegt auch dann, wenn diese Stellplätze über die gleichen Zu- und Abfahrten einer Tiefgarage erreicht werden können, wie die zu einem geplanten Einkaufszentrum gehörigen Stellplätze, sonst jedoch insbesondere durch die projektgemäße Schrankenanlage baulich und räumlich getrennt sind und auch nicht einem einheitlichen Betriebszweck dienen, so sind diese räumlich und baulich getrennten Stellplätze nicht dem Vorhaben des Einkaufszentrums zuzuordnen.

Wird die 25 % Grenze des gemäß Anhang 1 Z 21 lit b UVP-G für öffentlich zugängliche Stellplätze maßgeblichen Schwellenwerts von 750 Stellplätzen (188 Stellplätze) nicht erreicht, ist gemäß § 3 Abs. 2 dritter Satz UVP-G 2000 keine Kumulierung mit anderen Vorhaben und keine Einzelfallprüfung durchzuführen. Gegen die Bagatellgrenze von 25 % bestehen keine unionsrechtlichen Bedenken, zumal bei Umgehungsprojekten die 25 % Grenze nicht gilt (vgl. wiederum VwGH 2013/05/0077).

 

Unterschreitung der Grenzwerte der Schienenverkehrslärm-Immissionsschutzverordnung (SchIV); kein generelles Minimierungsgebot und keine Bedarfsprüfung im UVP-Verfahren; Befangenheit nur bei sachlichen Bedenken gegen Ergebnis der Entscheidung aufzugreifen

VwGH 06.05.2021, Ra 2019/03/0040 („Nahverkehrsgerechter Ausbau und Attraktivierung des Streckenabschnitts Lustenau-Lauterach“)

Bei den Grenzwerten der SchIV 1993 handelt es sich auf dem Boden der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts um Mindeststandards, deren Unterschreitung im Einzelfall geboten sein kann. Die Unterschreitung der in der SchIV 1993 normierten Grenzwerte setzt voraus, dass im Rahmen des dem angefochtenen Bescheid vorangegangenen Verwaltungsverfahrens Anhaltspunkte hervorkommen, die eine derartige Unterschreitung der Grenzwerte indizieren und rechtfertigen, wobei davon insbesondere dann auszugehen ist, wenn die im Verwaltungsverfahren beigezogenen UVP-Sachverständigen eine derartige Unterschreitung für zwingend notwendig erachten. In einem derartigen Fall kann den Ergebnissen der UVP nicht durch einen bloßen Hinweis auf die Grenzwerte der SchIV 1993 begegnet werden, würde dadurch das vorangegangene UVP-Verfahren doch seinen Zweck verfehlen (Hinweis E vom 22. Oktober 2012, 2010/03/0014, und E vom 28. November 2013, 2012/03/0045).

§ 24f Abs 1 Z 2 UVP-G 2000 und § 17 Abs 2 Z 2 UVP-G 2000 enthalten kein generelles, absolutes Schadstoffminimierungsgebot, sondern ein Gebot, die Immissionsbelastung zu schützender Güter möglichst gering zu halten. Ein absolutes Gebot enthält diese Bestimmung nur hinsichtlich der Vermeidung der in lit a bis c genannten Immissionen. Werden aber keine Schutzgüter beeinträchtigt und entspricht das Vorhaben dem Stand der Technik, so kann mit der bloßen Behauptung, es hätten noch strengere Grenzwerte vorgeschrieben werden können, keine Rechtswidrigkeit eines Bescheides iSd § 17 UVP-G 2000 dargetan werden (Hinweis E vom 6. Juli 2010, 2008/05/0115 (VwSlg 17.939 A/2010); E vom 24. Juni 2009, 2007/05/0096; E vom 31. März 2005, 2004/07/0199,0202 (VwSlg 16.588 A/2005)).

In einem Verfahren nach dem dritten Abschnitt des UVP-G 2000 geht es nicht darum, die Notwendigkeit der Errichtung eines Vorhabens zu prüfen, wobei dies sowohl für die nach den Regelungen des dritten Abschnittes zu bewilligenden Bundesstraßen als auch für Hochleistungsstrecken gilt (VwGH 17.11.2015, Ra 2015/03/0058; VwGH 19.12.2013, 2011/03/0160). Die Darlegung der Vor- und Nachteile des Unterbleibens des Vorhabens bei der Prüfung der Nullvariante dient nicht der Prüfung der Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit des Vorhabens, sondern es stellt sich die Frage, ob auf ein Projekt gänzlich verzichtet werden muss, vielmehr im Rahmen einer nach den anzuwendenden materiengesetzlichen Bestimmungen vorgesehenen Interessenabwägung (vgl. idS VwGH 28.11.2013, 2011/03/0219). Die Vorschrift des § 17 Abs. 2 Z 2 lit. b UVP-G 2000 sieht hingegen eine Interessenabwägung dieser Art nicht vor. Auch die Prüfung der Wirtschaftlichkeit oder des Bedarfes ist nach dieser Bestimmung kein Kriterium (vgl. VwGH 22.11.2018, Ro 2017/07/0033).

Das Einschreiten eines befangenen Amtsorganes oder Sachverständigen begründet nicht schlechthin die Rechtsungültigkeit oder Nichtigkeit der Amtshandlung, sondern stellt eine Verletzung von Verfahrensvorschriften dar, die nach der Bestimmung des § 43 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses durch den VwGH führt, wenn nicht auszuschließen ist, dass im Einzelfall bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels das VwG zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, wenn sich also sachliche Bedenken gegen den Bescheid ergeben (vgl. VwGH 27.4.2015, Ra 2015/11/0011; VwGH 18.2.2015, 2013/10/0113; VwGH 20.10.1994, 93/06/0115). Der Revisionswerber hat daher die Relevanz des Mangels durch ein konkretes tatsächliches Vorbringen aufzuzeigen (vgl. beispielsweise VwGH 21.6.2019, Ra 2019/02/0119, mwN)

 

Projektänderungen im UVP-Verfahren und im Beschwerdeverfahren beim BVwG

VwGH 26.05.2021, Ra 2019/04/0071 ("Windpark Gnadendorf - Stronsdorf")

Es ist nach § 13 Abs. 8 AVG zulässig, dass ein verfahrenseinleitender Antrag in jedem Stadium des Verfahrens geändert werden kann, sofern diese Änderung nicht wesentlich ist. Liegt hingegen eine wesentliche Änderung vor, ist dies als Zurückziehung des ursprünglichen Anbringens und Stellung eines neuen Anbringens zu qualifizieren. Wo die Grenze zwischen wesentlichen und unwesentlichen Änderungen verläuft, ist letztlich eine Wertungsfrage; abgesehen von dem im Gesetz ausdrücklich genannten Fall einer dadurch bewirkten Änderung der Zuständigkeiten stellt die hg. Rechtsprechung darauf ab, dass dadurch das Vorhaben in einer für andere Beteiligte nachteiligen Weise oder so geändert wird, dass zusätzliche und neue Gefährdungen entstehen (Hinweis Erkenntnisse vom 9. Dezember 2010, 2007/09/0122, und vom 16. September 2015, Ro 2015/22/0026, und Beschluss vom 14. Oktober 2015, Ra 2015/04/0055).

Projektsänderungen sind grundsätzlich auch im Berufungsverfahren zulässig (Hinweis Erkenntnisse vom 29. April 2015, 2013/05/0004, und vom 5. März 2014, 2011/05/0135). In Hinblick auf § 17 VwGVG 2014 in Verbindung mit § 13 Abs. 8 AVG und die vergleichbare Funktion der Bescheidbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG gilt dies auch für Änderungen während des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. August 2014, Ro 2014/05/0062). Modifikationen des Projektes sind allerdings nur so weit möglich, als nicht der Prozessgegenstand, der den Inhalt des Spruches des verwaltungsbehördlichen Bescheids dargestellt hat, ausgewechselt wird. Das Verwaltungsgericht hat also über die Angelegenheit abzusprechen, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war.

Änderungen des Projektes im Zuge des Genehmigungsverfahrens, die nicht geeignet sind, gegenüber dem ursprünglichen Projekt neue oder größere Gefährdungen, Belästigungen usw. im Sinn des § 74 Abs. 2 GewO 1994 herbeizuführen, sind als gemäß § 13 Abs. 8 AVG nicht wesentliche Antragsänderung zulässig (Hinweis zu - im Gegensatz dazu - unzulässigen Änderungen des Projektes auf die bei Grabler/Stolzlechner/Wendl, Gewerbeordnung2 (2003), 557 wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Im Mehrparteienverfahren darf die Änderung keine zusätzlichen subjektiven Rechte mitbeteiligter Parteien berühren und darüber hinaus auch bisher geltend gemachte Rechte nicht anders tangieren (vgl. VwGH 18.8.2017, Ro 2015/04/0006, Rn. 14, mwN).

Änderungen des Antrages im Rahmen des § 13 Abs. 8 AVG sind grundsätzlich auch im Verfahren vor dem VwG zulässig (vgl. etwa VwGH 16.2.2017, Ra 2016/05/0026, mwN). Soweit sich eine Änderung des Antrags im Rahmen des § 13 Abs. 8 AVG hält (also das Wesen der Sache nicht verändert wird) und zudem die Grenze des Beschwerdegegenstandes nicht überschritten ist, hat das VwG über den geänderten Antrag in der Sache zu entscheiden (vgl. dazu auch Köhler, § 28 VwGVG, in: Köhler/Brandtner/Schmelz [Hrsg.], VwGVG Kommentar [2021] Rz. 41). Seit der Novellierung des § 13 Abs. 8 AVG durch BGBl. I Nr. 57/2018 kommt hinzu, dass der verfahrenseinleitende Antrag nur mehr "bis zu einer allfälligen Schließung des Ermittlungsverfahrens" geändert werden darf. Bis zu dieser Novellierung blieb der Schluss des Ermittlungsverfahrens ohne Auswirkungen auf die in § 13 Abs. 8 AVG vorgesehene Möglichkeit der Änderung des verfahrenseinleitenden Antrages (vgl. dazu weiterführend Leeb, Schluss des Ermittlungsverfahrens neu, ZVG 2019, 106 [116] sowie kritisch zu dieser Änderung des § 13 Abs. 8 AVG Niederhuber, "Stiefkind" AVG? Reformbedarf im Verfahrensrecht, in: Furherr [Hrsg.], Umweltverfahren und Standortpolitik [2020] 103 [112] mwN).

In jenen Fällen, in denen die Verwaltungsbehörde oder das VwG das Ermittlungsverfahren gemäß § 39 Abs. 3 AVG geschlossen hat, kann keine Antragsänderung mehr im jeweiligen Verfahren erfolgen (vgl. Köhler, Änderungen des Verfahrensrechts durch die AVG-Novelle BGBl I 57/2018, in: Baumgartner [Hrsg.], Jahrbuch Öffentliches Recht 2019 [2019] 133 [162]). Auch die Gesetzesmaterialien zur AVG-Novelle BGBl. I Nr. 57/2018 verweisen darauf, dass die neuen Regelungen in § 39 Abs. 3 bis 5 AVG und in § 13 Abs. 8 AVG (gemäß § 17 VwGVG 2014) auch "im Verfahren der VwG sinngemäß anzuwenden" sind (vgl. RV 193 BlgNR 26. GP 4). Damit ist aber lediglich klargestellt, dass erstens auch VwG das von ihnen durchzuführende Ermittlungsverfahren schließen können und zweitens in diesen Fällen danach keine Antragsänderungen mehr erfolgen dürfen. Für die Frage, ob eine auf Behördenebene erfolgte Schließung des Ermittlungsverfahrens und damit die in § 13 Abs. 8 AVG normierte Begrenzung der Möglichkeit, den Antrag zu ändern, auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren "fortwirkt", lässt sich daraus hingegen nichts gewinnen. Während gegen ein solches "Fortwirken" in Zusammenhang mit der Zulässigkeit weiterer Vorbringen im Schrifttum vor allem das fehlende Neuerungsverbot und die besondere Bedeutung der mündlichen Verhandlung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowie die umfassende Kognitionsbefugnis der VwG ins Treffen geführt werden (vgl. Köhler in Baumgartner, aaO, 162 f; gegen eine Auswirkung auf das Neuerungsverbot insbesondere auch Leeb, ZVG 2019, 115, und Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht11 [2019] Rz. 833), sind es in Bezug auf die Frage der Zulässigkeit einer Antragsänderung im Sinn des § 13 Abs. 8 AVG in erster Linie gewichtige teleologische Erwägungen, die gegen ein derartiges "Fortwirken" über das verwaltungsbehördliche Verfahren hinaus sprechen. nsoweit ist auch kein Grund ersichtlich, warum die Schließung des Ermittlungsverfahrens (um ihr Ziel zu erreichen) über die jeweilige Verfahrensebene hinauswirken sollte. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Schließung des Ermittlungsverfahrens über die jeweilige Verfahrensebene hinauswirken sollte.

 

Zur Formulierung des Revisionspunktes und der Zulässigkeitsbegründung bei Bekämpfung einer UVP-Genehmigung

VwGH 01.06.2021, Ro 2020/06/0011 („Stadtstraße Aspern“ und „Anschlussstelle Seestadt Ost“)

Die Parteien können als Nachbarn/Nachbarinnen gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 als subjektiv-öffentliches Recht eine Gefährdung ihrer Gesundheit oder eine Belästigung sowie eine Gefährdung ihrer dinglichen Rechte im In- oder Ausland durch den Betrieb oder den Bestand des Vorhabens geltend machen. Mit der behaupteten Verletzung im "Recht auf Versagung der Genehmigung aufgrund der vorliegenden Voraussetzungen hierfür" legen die Parteien nicht dar, in welchem konkreten subjektiv-öffentlichen Recht gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 sie sich als verletzt erachten (vgl. in diesem Sinn VwGH 12.8.2020, Ra 2020/05/0084, mwN; 29.5.2020, Ra 2020/05/0047, Rn. 6, mwN; betreffend den Umfang der Parteienrechte gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 etwa VwGH 27.9.2018, Ro 2018/06/0006, Rn. 7 f; 19.12.2013, 2011/03/0160, Pkt. 2.2.).

Die Abgrenzung eines Vorhabens im Sinne des § 2 UVP-G 2000 ist jeweils im Einzelfall zu beurteilen. Die Zulässigkeit der Revision könnte sich daher diesbezüglich nur ergeben, wenn in der Zulässigkeitsbegründung substantiiert aufgezeigt wird, dass die Beurteilung des BVwG grob fehlerhaft erfolgt wäre oder zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis führen würde (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2019/05/0117, Rn. 9, mwN, zur Auslegung des Tatbestandes des Städtebauvorhabens gemäß Anhang 1 Z 18 lit. b UVP-G 2000). (ebenso VwGH 15.11.2021, Ra 2021/06/0122)

 

Zurückziehung eines UVP-Feststellungsantrages – Unzulässigkeit der amtswegigen Einleitung eines Feststellungsverfahrens (erst) durch das BVwG („Heumarkt“)

VwGH 25.06.2021, Ro 2019/05/0018

Das Feststellungsverfahren nach § 3 Abs. 7 UVPG 2000 ist fakultativ. Eine Verpflichtung der UVP-Behörde auf Einleitung eines amtswegigen Feststellungsverfahrens besteht dem eindeutigen Wortlaut der genannten Bestimmung nach nicht ("Diese Feststellung kann auch von Amts wegen erfolgen."). Die Einleitung eines amtswegigen Verfahrens setzt jedenfalls einen entsprechenden Willensakt der UVP-Behörde voraus, welcher dieser zuzurechnen ist und seinem Inhalt nach - objektiv betrachtet - darauf abzielt, den Sachverhalt bezüglich der Voraussetzungen für den beabsichtigten Verwaltungsakt zu klären (vgl. etwa VwGH 26.6.2019, Ro 2019/21/0006, oder auch bereits 21.6.2007, 2006/07/0096, jeweils mwN).

Dass das Feststellungsverfahren nach § 3 Abs. 7 UVPG 2000 auch von Amts wegen - durch die zuständige Behörde - hätte geführt werden können, ist in einer Sachverhaltskonstellation wie der vorliegenden, in der der verfahrenseinleitende Antrag durch die Antragstellerin zurückgezogen wurde und der Bescheid der Verwaltungsbehörde daher ersatzlos zu beheben ist, für die weitere Zuständigkeit des BVwG zur Entscheidung über die Beschwerden in der Sache nicht ausreichend. Schon angesichts der strikt einzuhaltenden gesetzlichen Zuständigkeitsbestimmungen geht die Begründung des BVwG unter Hinweis auf die Verfahrensökonomie fehl, die Behörde hätte im Fall der Aufhebung des Bescheides durch das BVwG "u.U. auch die Verpflichtung", einen neuen Feststellungsbescheid von Amts wegen zu erlassen, zumal das Feststellungsverfahren auch von Amts wegen nach § 3 Abs. 7 UVP-G 2000 nicht zwingend ist.

Zuständige UVP-Behörde ist gemäß § 39 Abs. 1 UVPG 2000 die Landesregierung. Dieser, und nur dieser, steht gemäß § 3 Abs. 7 UVPG 2000 die Möglichkeit der amtswegigen Einleitung eines Feststellungsverfahrens nach der genannten Gesetzesbestimmung offen; dem BVwG kommt hingegen eine Behördenzuständigkeit zur amtswegigen Einleitung eines Feststellungsverfahrens nach § 3 Abs. 7 UVPG 2000 weder auf Grund der für das BVwG maßgebenden Zuständigkeitsbestimmungen noch nach seiner Stellung im Rechtsschutzgefüge zu. Während die Verwaltungsbehörde in jenen Fällen, in denen auch eine amtswegige Verfahrensführung in Frage kommt, im Fall der Zurückziehung des verfahrenseinleitenden Antrages vor Erlassung des Bescheides allenfalls auf ein amtswegiges Verfahren "umsteigen" könnte, ist dies dem VwG, das (soweit vorliegend relevant) zur Entscheidung über Beschwerden (Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG), sohin zur Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Verwaltung, nicht aber zur Führung der Verwaltung, zuständig ist, jedenfalls verwehrt (vgl. die Gesetzesmaterialien zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, EBRV 1618 BlgNR XXIV. GP S. 4 und 12f; AB 1771 BlgNR XXIV. GP, S. 2; vgl. auch VwGH 22.6.2016, Ra 2016/03/0027, jeweils mwN).

Gemäß § 13 Abs. 7 AVG können Anbringen in jeder Lage des Verfahrens zurückgezogen werden. Darunter sind gemäß § 13 Abs. 1 AVG alle Arten von Verfahrenshandlungen zu verstehen, mit denen Beteiligte an eine Behörde herantreten können (vgl. etwa VwGH 6.7.2016, Ra 2016/08/0041); dies gilt also auch für den Antrag auf Erlassung eines Feststellungsbescheides gemäß § 3 Abs. 7 UVPG 2000.

Die Zurückziehung eines Antrages ist so lange zulässig, als dieser noch unerledigt ist und daher noch zurückgezogen werden kann (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das hg. Erkenntnis vom 25. Juli 2013, Zl. 2013/07/0099). Dies bedeutet für jene Fälle, in denen der verfahrenseinleitende Antrag auf die Einleitung eines mit Bescheid abzuschließenden Verfahrens gerichtet ist, dass eine Antragszurückziehung bis zur Bescheiderlassung, im Fall einer Berufung auch bis zur Erlassung des Berufungsbescheides, möglich ist. Eine ausdrückliche Zurückziehung eines Antrages wird als prozessuale Willenserklärung mit dem Einlangen bei der zuständigen Behörde wirksam und damit unwiderruflich.

Die Zurückziehung des ursprünglichen verfahrenseinleitenden Antrages während des anhängigen Beschwerdeverfahrens bewirkt den Wegfall der Zuständigkeit der Behörde zur Erlassung des Bescheides und damit nachträglich die Rechtswidrigkeit des Bescheides. Das VwG hat in einem solchen Fall den erstinstanzlichen Bescheid ersatzlos zu beheben; tut es dies nicht, belastet es seine Entscheidung mit Rechtswidrigkeit (vgl. etwa VwGH 26.2.2020, Ra 2019/05/0065, 27.1.2020, Ra 2019/04/0005, 0006, 17.6.2019, Ra 2019/22/0021, 0022, 25.9.2018, Ra 2017/01/0210, 25.10.2017, Ra 2017/07/0073, 21.12.2016, Ra 2016/04/0127, 5.3.2015, Ra 2014/02/0159, oder auch 19.11.2014, Ra 2014/22/0016, jeweils mwN); eine inhaltliche Erledigung des verfahrenseinleitenden Antrages ist mit dessen rechtzeitiger und zulässiger Zurückziehung ausgeschlossen.

Eine Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung, bei Zurückziehung des Feststellungsantrages gemäß § 3 Abs. 7 UVPG 2000 zu deren Wirksamkeit auch den Nachweis der Zurückziehung allfälliger materienrechtlicher Genehmigungsanträge bzw. entsprechende eidesstattliche Erklärungen vorzulegen, ist nicht ersichtlich; dass weiters bei Zurückziehung eines nach § 3 Abs. 7 UVPG 2000 gestellten Feststellungsantrages § 13 Abs. 7 AVG und das damit verbundene Recht des Antragstellers, in jeder Lage des Verfahrens über seinen Antrag zu disponieren, nicht oder nur unter Bedingungen anwendbar sein sollte, lässt sich dem UVPG 2000 weder entnehmen, noch wäre eine solche Bestimmung ohne Darstellung, dass sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich ist, mit Art. 11 Abs. 2 B-VG vereinbar.

Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, ein Projekt vor der Materienbehörde derart abzuändern (vgl. § 13 Abs. 8 AVG und für viele etwa VwGH 29.3.2007, 2006/07/0108), dass es hinsichtlich der für die Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung maßgeblichen Punkte nicht mehr mit dem ursprünglichen Vorhaben übereinstimmt (vgl. dazu sinngemäß etwa VwGH 24.9.2014, 2012/03/0165). Auch bei Nichtzurückziehung des materienrechtlichen Genehmigungsantrages (hier: des Baubewilligungsantrages) nach Zurückziehung eines Feststellungsantrages nach § 3 Abs. 7 UVPG 2000 muss daher nicht zwingend vom Weiterbestehen des Verwirklichungswillens hinsichtlich des der UVP-Behörde zum Zeitpunkt der Antragstellung bei ihr vorliegenden Projektes in seiner konkreten, eventuell UVP-pflichtigen Ausgestaltung ausgegangen werden.

Mit der Möglichkeit eines Mitgliedes der betroffenen Öffentlichkeit im Sinne des Art. 1 Abs. 2 UVP-Richtlinie, gemäß den Bestimmungen dieser UVP-Richtlinie in einem über das konkrete Vorhaben nach einem Materiengesetz abzuführenden Verfahren vorbringen zu können, dass das gegenständliche Vorhaben einer UVP zu unterziehen wäre, ist den Anforderungen des EuGH in Auslegung der UVP-Richtlinie, dass nämlich die betroffene Öffentlichkeit eine auf der Grundlage einer nationalen Regelung getroffene Verwaltungsentscheidung, keine UVP durchzuführen, im Rahmen eines gegen diese Entscheidung oder gegen einen späteren Genehmigungsbescheid eingelegten Rechtsbehelfes anfechten können muss (vgl. Rz 44 des Urteil des EuGH in der Rechtssache C-570/13, Karoline Gruber), Genüge getan.

Anmerkung: Im Baubewilligungsverfahren hat das VwG Wien mit Beschluss vom 14.09.2021, VGW-111/055/4533/2021-14, dem EuGH folgende Fragen im Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art 267 AEUV vorgelegt:

I. Steht die Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. L 26/2012, S. 1, in der durch die Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014, ABl. L 124/2014, S. 1, geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2011/92/EU) einer nationalen Regelung entgegen, welche die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung für „Städtebauvorhaben“ sowohl von der Erreichung von Schwellenwerten im Ausmaß einer Flächeninanspruchnahme von mindestens 15 ha sowie einer Bruttogeschoßfläche von mehr als 150.000 m2 als auch davon abhängig macht, dass es sich um ein Erschließungsvorhaben zur gesamthaften multifunktionalen Bebauung, jedenfalls mit Wohn- und Geschäftsbauten einschließlich der hierfür vorgesehenen Erschließungsstraßen und Versorgungseinrichtungen mit einem über das Gebiet des Vorhabens hinaus reichenden Einzugsbereich, handelt? Spielt es dabei eine Rolle, dass im nationalen Recht besondere Tatbestände für

- - Freizeit- oder Vergnügungsparks, Sportstadien oder Golfplätze (ab einer gewissen Flächeninanspruchnahme bzw. ab einer gewissen Anzahl von Stellplätzen),

-    - Industrie- oder Gewerbeparks (ab einer gewissen Flächeninanspruchnahme),

-    - Einkaufszentren (ab einer gewissen Flächeninanspruchnahme bzw. ab einer gewissen Anzahl von Stellplätzen),

-    - Beherbergungsbetriebe, wie Hotels oder Feriendörfer, samt Nebeneinrichtungen (ab einer gewissen Bettenanzahl bzw. ab einer gewissen Flächeninanspruchnahme, beschränkt auf den Bereich außerhalb geschlossener Siedlungsgebiete) und

-    - öffentlich zugängliche Parkplätze oder Parkgaragen (ab einer gewissen Anzahl von Stellplätzen)

festgelegt sind?

II. Verlangt die Richtlinie 2011/92/EU – insbesondere unter Beachtung der Anordnung in Anhang III Z 2 lit. c sublit. viii, wonach bei der Entscheidung, ob für die in Anhang II angeführten Projekte eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden soll, auch „historisch, kulturell oder archäologisch bedeutende Landschaften und Stätten“ zu berücksichtigen sind –, für Gebiete von besonderer historischer, kultureller, stadtgestalterischer oder architektonischer Bedeutung, wie zum Beispiel UNESCO-Welterbestätten, niedrigere Schwellenwerte oder niederschwelligere Kriterien (als in der ersten Frage genannt) festzulegen?

III. Steht die Richtlinie 2011/92/EU einer nationalen Regelung entgegen, welche bei Beurteilung eines „Städtebauvorhabens“ im Sinn der ersten Frage die Zusammenrechnung (Kumulierung) mit anderen gleichartigen und in einem räumlichen Zusammenhang stehenden Vorhaben darauf beschränkt, dass hierbei lediglich die Summe der Kapazitäten, die innerhalb der letzten fünf Jahre genehmigt wurden, einschließlich der beantragten Kapazität bzw. Kapazitätsausweitung heranzuziehen ist, wobei Städtebauvorhaben bzw. deren Teile nach ihrer Ausführung begrifflich nicht mehr als Städtebauvorhaben anzusehen sind und die im Einzelfall vorzunehmende Feststellung, ob auf Grund einer Kumulierung der Auswirkungen mit erheblichen schädlichen, belästigenden oder belastenden Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen und daher eine Umweltverträglichkeitsprüfung für das geplante Vorhaben durchzuführen ist, unterleibt, wenn das geplante Vorhaben eine Kapazität von weniger als 25 Prozent des Schwellenwertes aufweist?

IV. Bei Bejahung der Fragen I und / oder II: Darf sich die im Fall einer Überschreitung des mitgliedstaatlichen Wertungsspielraumes von den nationalen Stellen (in Einklang mit den – in diesem Fall unmittelbar anwendbaren – Bestimmungen in Art. 2 Abs. 1 sowie Art. 4 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2011/92/EU) im Einzelfall vorzunehmende Prüfung, ob das Vorhaben möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt hat und deshalb einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist, auf bestimmte Schutzaspekte, wie etwa den Schutzzweck eines bestimmten Gebietes, beschränken oder sind in diesem Fall sämtliche in Anhang III der Richtlinie 2011/92/EU genannten Kriterien und Aspekte zu berücksichtigen?

V. Erlaubt es die Richtlinie 2011/92/EU, insbesondere unter Beachtung der Rechtsschutzvorgaben in Art. 11, dass die in Frage IV bezeichnete Prüfung erstmals durch das vorlegende Gericht (in einem Baubewilligungsverfahren und im Rahmen der Prüfung der eigenen Zuständigkeit) erfolgt, in dessen Verfahren die „Öffentlichkeit“ nach den Vorgaben des nationalen Rechts nur in einem äußerst eingeschränkten Rahmen Parteistellung genießt und gegen dessen Entscheidung den Mitgliedern der „betroffenen Öffentlichkeit“ im Sinn von Art. 1 Abs. 2 lit. d und e der Richtlinie 2011/92/EU nur ein äußerst eingeschränkter Rechtsschutz zur Verfügung steht? Spielt es für die Beantwortung dieser Frage eine Rolle, dass nach der nationalen Rechtslage – abseits der Möglichkeit einer amtswegigen Feststellung – nur der Projektwerber, eine mitwirkende Behörde oder der Umweltanwalt eine gesonderte Feststellung beantragen können, ob das Vorhaben der Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt?

VI. Erlaubt es die Richtlinie 2011/92/EU im Fall von „Städtebauprojekten“ gemäß Anhang II Z 10 lit. b dieser Richtlinie, vor oder neben der Durchführung einer notwendigen Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. vor Abschluss einer Einzelfallprüfung der Umweltauswirkungen, mit der die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung geklärt werden soll, Baubewilligungen für einzelne Baumaßnahmen zu erteilen, die einen Teil des Städtebauprojektes in seiner Gesamtheit bilden, wobei im Rahmen des Bauverfahrens keine umfassende Beurteilung der Umweltauswirkungen im Sinn der Richtlinie 2011/92/EU stattfindet und die Öffentlichkeit nur eine eingeschränkte Parteistellung genießt?

 

Einheitlichkeit eines Vorhabens iSd § 2 Abs 2 UVP-G 2000

VwGH 08.09.2021, Ra 2018/04/0191 (Gewinnungsbetriebsplan für Abbaufelder in der Gemeinde B, Bezirk Hartberg-Fürstenfeld)

Die Beurteilung, ob ein einheitliches Vorhaben iSd § 2 Abs 2 UVP-G 2000 vorliegt, hat in Form einer Gesamtbetrachtung zu erfolgen, wobei eine entsprechende Verdichtung der Indizienlage vorliegen muss, um von einem - für die Annahme eines einheitlichen Vorhabens notwendigen - funktionellen (sachlichen) Zusammenhang ausgehen zu können.

Der weite Vorhabensbegriff des § 2 Abs 2 UVP-G 2000 ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Verkleinerung eines UVP-pflichtigen Vorhabens mit dem Ziel, mit dem Vorhaben in einem sachlichen und räumlichen Zusammenhang stehende Vorhabensteile vorweg realisieren zu können, verhindert werden soll. In gleicher Weise sollen Vorhabensteile nicht durch Einschränkung des Antrags der UVP entzogen werden, um sie später ohne Anwendung des UVP-Regimes umsetzen zu können. Der dafür unter anderem notwendige funktionelle (sachliche) Zusammenhang zwischen den betroffenen Vorhaben ist nach der Rechtsprechung des VwGH etwa bei Vorliegen eines einheitlichen Betriebszwecks gegeben. Ein solcher wurde etwa im Fall eines Hotels mit Wassererlebniswelt und einen Themenpark/Kinderwelt unter anderem auf Grund von Synergieeffekten, einem wirtschaftlichen Gesamtkonzept und einheitlicher Vermarktung angenommen (vgl VwGH 7.9.2004, 2003/05/0218 und 0219). Im Fall einer Schigebietserweiterung und der Zurechnung von Maßnahmen, die dem Lawinenschutz dienen, wurde der funktionelle Zusammenhang nicht nur mit dem gemeinsamen Betriebszweck begründet, sondern auch damit, dass die Verwirklichung des einen Vorhabensteils die Verwirklichung des anderen erfordert (vgl VwGH 17.12.2014, Ro 2014/03/0066).

Wie der VwGH bereits ausgesprochen hat, kann die Frage, ob der von § 2 Abs 2 UVP-G 2000 geforderte sachliche (funktionelle) Zusammenhang vorliegt, nicht allgemein, sondern nur individuell von Fall zu Fall beurteilt werden, weswegen auch stets auf die Umstände des Einzelfalles Bedacht zu nehmen ist (vgl VwGH Ra 2015/07/0175). Bei den dabei anzustellenden Sachlichkeitsüberlegungen gilt es darauf Bedacht zu nehmen, ob das Vorhaben in technischer und betrieblicher Hinsicht für sich bestehen kann bzw. ob das Vorhaben für sich allein "verkehrswirksam" ist (vgl etwa in Zusammenhang mit der Stückelung eines Straßenbauvorhabens VwGH 25.11.2008, 2008/06/0026, oder eines Eisenbahnprojektes VwGH 25.8.2010, 2007/03/0027). Ein funktioneller Zusammenhang zwischen den betroffenen Vorhaben wird etwa dann angenommen, wenn ein einheitlicher Betriebszweck vorliegt oder die Verwirklichung des einen Vorhabensteils die Verwirklichung des anderen erfordert (vgl dazu die in VwGH 8.10.2020, Ra 2018/07/0447, genannten Beispiele). Hingegen bildet ein für sich nicht UVP-pflichtiges Vorhaben dann keine Einheit mit einem anderen Projekt, wenn es (auch) einen mit jenem nicht zusammenhängenden Zweck verfolgt und keinen engeren Zusammenhang mit jenem aufweist, als er bei bloßen, nicht UVP-pflichtigen Vorarbeiten zu sehen ist (vgl nochmals VwGH Ra 2018/07/0447, mwN).

Der Umfang des Vorhabens wird prinzipiell durch den Antragsteller im Genehmigungsantrag definiert. In einem Projektgenehmigungsverfahren ist Gegenstand des Verfahrens die Beurteilung des in den Einreichplänen und sonstigen Projektunterlagen dargestellten Projekts (vgl zum Bauverfahren zuletzt VwGH 15.3.2021, Ra 2020/05/0011, mwN). Allerdings steht das Vorliegen mehrerer selbständiger Anträge der Annahme eines einheitlichen Vorhabens im Sinn des § 2 Abs 2 UVP-G 2000 nicht hindernd entgegen.

Durch die Rechtsprechung ist geklärt, dass sich das Vorhaben nicht auf die jeweilige technische Anlage beschränkt, sondern auch alle mit dieser in ihrem räumlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden Maßnahmen umfasst (vgl VwGH 17.12.2019, Ro 2018/04/0012, mwN) bzw. ein Vorhaben auch mehrere Anlagen oder Eingriffe umfassen kann, wenn diese als räumlich zusammenhängende Projekte in einem engen funktionellen Zusammenhang stehen (vgl VwGH 28.4.2016, Ra 2015/07/0175, mwN). Auf eine Personenidentität der Projektwerber kommt es dabei nicht an (vgl VwGH 11.5.2017, Ra 2017/04/0006), zumal auch Projekte verschiedener Projektwerber ein einheitliches Vorhaben bilden können; dies vor allem in Hinblick darauf, dass Projekte verschiedener Projektwerber bei der Beurteilung der UVP-Pflicht unter Umständen gemeinsam zu betrachten sind, um den unionsrechtlich determinierten Zielen der UVP gerecht zu werden. Ein zeitlicher Zusammenhang mehrerer Vorhabensteile muss zwar nicht zwingend vorliegen, damit diese als einheitliches Gesamtprojekt anzusehen sind, doch kann der sachliche Zusammenhang sehr wohl die zeitliche Komponente einschließen.

 

Rechtsstellung von Umweltorganisation in wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren

VwGH 14.09.2021, Ra 2020/07/0056  (Schwarze Sulm / „Trinkwasserkraftwerk S - Kraftwerk S, Ausbaustufe Teil A“)

Im Fall der Vorschreibung von Anpassungszielen nach § 21a WRG 1959 als erstem Schritt und einem nachfolgenden wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren als zweitem Schritt besteht kein Grund, Umweltorganisationen schon im Verfahren zur Erlassung eines Projektsvorlagebescheids nach § 21a WRG 1959 Parteistellung zuzuerkennen, zumal sie ihre Rechte im nachfolgenden wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren in gesetzmäßiger Weise wahrnehmen können (vgl dazu VwGH 21.6.2018, Ra 2016/07/0071 bis 0072).

Dass das über die vorgelegten Projektsunterlagen nachfolgend abgeführte Bewilligungsverfahren zwar seinerseits einen Teil des § 21a WRG 1959-Verfahrens darstellt (vgl VwGH 26.3.2015, Ro 2014/07/0095) ändert nichts daran, dass es sich dabei um ein wasserrechtliches Bewilligungsverfahren handelt, in dem (auch) die Frage zu klären ist, ob durch das auf der Grundlage der Projektsunterlagen anzupassende Vorhaben ein möglicher Verstoß gegen aus dem Unionsumweltrecht hervorgegangene Rechtsvorschriften vorliegt (vgl VwGH 25.4.2019, Ra 2018/07/0380 bis 0382). In diesem Umfang kommt Umweltorganisationen in einem solchen wasserrechtlichen Bewilligungsverfahren ein Recht auf Überprüfung zu.

Umweltorganisationen sind darauf beschränkt, im Verfahren die Beachtung der aus dem Unionsumweltrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften überprüfen zu lassen (vgl EuGH 20.12.2017, C-664/15, Rs Protect). Allerdings ist die Frage, ob durch ein Vorhaben ein möglicher Verstoß gegen die Verpflichtung des § 104a WRG 1959 bzw negative Auswirkungen auf den Gewässerzustand hervorgerufen werden könnten, im Bewilligungsverfahren zu klären (so im Übrigen auch die Erläuternden Bemerkungen RV 270 der Beilagen XXVI. GP zu § 102 Abs. 2 WRG 1959 idF BGBl I Nr 73/2018 (Aarhus-Beteiligungsgesetz 2018)). Können solche negativen Auswirkungen durch ein Vorhaben nicht von vornherein ausgeschlossen werden, berührt dies nicht die Parteistellung im Verfahren (vgl VwGH 24.1.2013, 2012/07/0208; 23.4.1998, 97/07/0005).

Wenn eine anerkannte Umweltorganisation nach § 19 Abs 7 UVP-G 2000 berechtigt ist, im Verfahren die Beachtung der aus dem Unionsumweltrecht hervorgegangenen Rechtsvorschriften überprüfen zu lassen, so macht es einen ganz entscheidenden Unterschied, ob Gegenstand der Prüfung lediglich technische Änderungen oder Anpassungen iSd § 21 Abs. 5 WRG 1959 sind oder solche, die darüber hinausgehen. In letzterem Fall wäre ein Neuverleihungsverfahren für die gesamte Anlage notwendig, an dessen Ende eine Bewilligung stünde, die zur gänzlichen Derogation der ursprünglichen Stammbewilligung führte (VwGH 24.3.2011, 2008/07/0227). Es versteht sich von selbst, dass der Umfang der aus dem Unionsrecht abgeleiteten Partizipationsrechte für Umweltorganisationen in einem Neuverleihungsverfahren des Wasserbenutzungsrechts wesentlich weiter als bei einer bloßen Anlagenänderung ist. Deshalb muss es diesen Umweltorganisationen zur effektiven Ausübung ihrer aus dem Unionsrecht abgeleiteten Rechte auch zustehen, zur Frage, ob lediglich eine bloße Änderung der Anlage oder bereits eine bewilligungspflichtige Änderung der Wasserbenutzung selbst vorliege, ein vom VwG zu berücksichtigendes Vorbringen zu erstatten.

Im Zusammenhang mit der Frage, ob anerkannte Umweltorganisationen in einem wasserrechtlichen Verfahren die Frage des Vorliegens eines "aliud" rechtswirksam geltend machen können, ist auf die ständige Rechtsprechung des EuGH (vgl EuGH 6.10.2015, Orizzonte Salute, C-61/14; EuGH 30.6.2016, Toma, C-205/15) zu verweisen, nach welcher es mangels einer einschlägigen Unionsregelung gemäß dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der einzelnen Mitgliedstaaten ist, die Modalitäten für das Verwaltungsverfahren und das Gerichtsverfahren zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Diese Verfahrensmodalitäten dürfen jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein als jene für entsprechende innerstaatliche Rechtsbehelfe (Grundsatz der Äquivalenz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität, vgl VwGH 20.9.2018, Ra 2018/11/0107 bis 0108). Dieser Effektivitätsgrundsatz (EuGH 14.12.1995, Peterbroeck, C-312/93; sowie für Umweltverbände EuGH 12.5.2011, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V., C-115/09) stellt eine ganz wesentliche Ausformung der Grundsätze der Einheitlichkeit und größten Wirksamkeit des Unionsrechts dar, gewährleistet er doch in entscheidender Weise, dass die Wirkungen des Unionsrechts durch den indirekten Vollzug der Mitgliedstaaten nicht unterlaufen werden (VwGH 5.11.2015, Ro 2014/06/0078).

 

Formulierung des Revisionspunktes iS des § 28 Abs. 1 Z 4 VwGG bei Beschwerden von Nachbarn gegen UVP-Genehmigungen

VwGH 30.09.2021, Ro 2021/06/0009
(„Stadtstraße Aspern“ und „Anschlussstelle Seestadt Ost“)

Die Parteien können als Nachbarn/Nachbarinnen gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 UVPG 2000 als subjektiv-öffentliches Recht eine Gefährdung oder Belästigung oder eine Gefährdung ihrer dinglichen Rechte im In- oder Ausland durch den Betrieb oder den Bestand des Vorhabens geltend machen.

Mit der behaupteten Verletzung im „Recht auf Versagung der Genehmigung aufgrund der vorliegenden Voraussetzungen hierfür“ legt der Revisionswerber nicht dar, in welchem konkreten subjektiv-öffentlichen Recht gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 UVP-G 2000 er sich als verletzt erachtet (vgl. in diesem Sinn VwGH 12.8.2020, Ra 2020/05/0084, mwN; 29.5.2020, Ra 2020/05/0047, Rn. 6, mwN; betreffend den Umfang der Parteienrechte gemäß § 19 Abs. 1 Z 1 UVPG 2000 etwa VwGH 27.9.2018, Ro 2018/06/0006, Rn. 7 f; 19.12.2013, 2011/03/0160, Pkt. 2.2.; 1.6.2021, Ro 2020/06/0011).

 

Voraussetzungen für die Zuerkennung aufschiebender Wirkung bei Revision gegen naturschutzrechtliche Bewilligung

VwGH 15.12.2021, Ra 2021/10/0178 (Repowering Windpark im Waldviertel: Änderung des Windparks durch Änderung der Anlagentype unter Reduktion der Anlagenanzahl von vier auf drei Anlagen mit nunmehr größeren Rotoren und höherer Leistung und geringfügigen Standortverschiebungen)

Als "unverhältnismäßiger Nachteil für den Revisionswerber" ist im vorliegenden Fall eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der von den revisionswerbenden Umweltorganisationen zu vertretenden, sich aus unionsrechtlich bedingten Umweltschutzvorschriften ergebenden Interessen als Folge einer Umsetzung der angefochtenen Entscheidung in die Wirklichkeit zu verstehen (vgl etwa VwGH 5.6.2020, Ra 2020/10/0035, mwN).

Nichtstattgebung - Bei der Beurteilung des Vorliegens eines unverhältnismäßigen Nachteils gemäß § 30 Abs 2 VwGG ist im Falle der Tötung von Wildtieren, die durch die FFH-Richtlinie und die Vogelschutz-Richtlinie bzw. durch die diese umsetzenden nationalen Bestimmungen geschützt werden, vordergründig der Zweck der durch die nationalen Schutzbestimmungen umgesetzten Richtlinien, nämlich der Artenschutz und die Arterhaltung zu berücksichtigen (vgl etwa VwGH 10.8.2018, Ra 2018/03/0066 bis 0068). Davon ausgehend wird mit dem bloßen Verweis auf die "Tötung eines Individuums und des daraus wahrscheinlich resultierenden Verlustes einer Brut" ohne nähere Darlegungen zu den diesbezüglichen konkreten Auswirkungen auf die lokale Population unter dem Gesichtspunkt des Artenschutzes und der Arterhaltung ein unverhältnismäßiger Nachteil im genannten Sinne nicht aufgezeigt.

 

Begriff der „Umweltschutzvorschriften“; Formulierung des Revisionspunktes

VwGH 17.12.2021, Ra 2021/06/0101 („S1 Wiener Außenring Schnellstraße Schwechat – Süßenbrunn,1. Verwirklichungsabschnitt Groß-Enzersdorf bis Süßenbrunn“)

Umweltorganisationen und Bürgerinitiativen sind gemäß § 19 Abs 4 bzw § 19 Abs 10 UVP-G 2000 zwar berechtigt, die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften (als subjektives Recht im Verfahren) geltend zu machen. Unter den Begriff einer "Umweltschutzvorschrift" im Sinne des § 19 Abs 4 bzw 10 UVP-G 2000 fallen jedoch nicht ganze Rechtsbereiche, wie etwa das Naturschutzrecht, sondern die Qualifikation der einzelnen Rechtsnormen ist jeweils für sich vorzunehmen; eine Rechtsnorm kann dann als "Umweltschutzvorschrift" im Sinne der genannten Gesetzesbestimmungen qualifiziert werden, wenn ihre Zielrichtung (zumindest auch) in einem Schutz der Umwelt - im Sinne einer Hintanhaltung von Gefahren für die menschliche Gesundheit oder die Natur - besteht (vgl etwa VwGH 28.5.2020, Ra 2019/07/0081 bis 0083, Ra 2019/07/0130, mwN).

In diesem Sinn ist es nicht ausreichend, als Revisionspunkt pauschal das NÖ NSchG 2000 bzw das Wr NSchG anzuführen, sondern es wäre erforderlich, zumindest thematisch jene in den Naturschutzgesetzen enthaltenen Umweltschutzvorschriften zu benennen, die nach Ansicht der revisionswerbenden Parteien im vorliegenden Verfahren verletzt wurden. Darüber hinaus reicht es im Zusammenhang mit der Darlegung des Revisionspunktes auch nicht aus, sich pauschal auf ein "Recht auf Nichterteilung" einer bestimmten Bewilligung zu berufen (vgl etwa VwGH 26.4.2021, Ro 2021/05/0015, mwN).

 

Unbedingte UVP-Pflicht bei Vorhaben des Anhangs I der UVP-RL; UVP-Feststellungsverfahren und Verhandlungspflicht des BVwG

VwGH 20.12.2021, Ra 2021/06/0110 („A 22 Donauufer Autobahn, Fahrstreifenzulegung im Abschnitt zwischen Ast. Stockerau Ost und Knoten Stockerau“)

Das BVwG hatte mit dem beim VwGH angefochtenen Erkenntnis den Beschwerden gegen einen UVP-Feststellungsbescheid des BMK (§ 24 Abs 5 UVP-G) stattgegeben und festgestellt: Für das Vorhaben „A 22 Donauufer Autobahn, Fahrstreifenzulegung im Abschnitt zwischen Ast. Stockerau Ost und Knoten Stockerau“ ist aufgrund einer unmittelbaren Anwendung von Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Anhang I Z 7 lit. b der UVP-Richtlinie 2011/92/EG eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen. 

Der VwGH hob das Erkenntnis wegen Verletzung der Verhandlungspflicht des BVwG auf:

Der EGMR hielt in seiner Judikatur unter anderem fest, dass der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung in Fällen gerechtfertigt sein könne, in welchen lediglich Rechtsfragen beschränkter Natur oder von keiner besonderen Komplexität aufgeworfen würden (vgl EGMR 18.12.2008, Saccoccia/Österreich, 69917/01, Z 76, unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung; 13.3.2012, Efferl/Österreich, 13556/07; und 7.3.2017, Tusnovics/Österreich, 24719/12, Z 21). In diesem Zusammenhang gelangte der EGMR etwa in Bezug auf die von einem Beschwerdeführer aufgeworfene Frage, ob es sich bei einem bestimmten Bauernhof um einen Erbhof handle, zu dem Schluss, dass dessen Beschwerde komplexe Rechts- und Tatfragen aufwerfe, weshalb das Gericht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht hätte verzichten dürfen (vgl EGMR 26.6.2003, Osinger/Österreich, 54645/00; vgl zum Ganzen auch VwGH 12.12.2017, Ra 2015/05/0063). Bei der Frage, ob Anhang I Z 7 lit b UVP-Richtlinie (Bau von Autobahnen und Schnellstraßen) vollständig in nationales Recht umgesetzt wurde, ob das UVP-G 2000 diesbezüglich einer unionsrechtskonformen Auslegung zugänglich ist oder das innerstaatliche Recht verdrängt wird und die relevanten Bestimmungen der UVP-Richtlinie unmittelbar anzuwenden sind, handelt es sich um eine komplexe Rechtsfrage im Sinn der oben dargestellten Judikatur des EGMR. Die Verdrängung nationalen Rechts kann nicht als Rechtsfrage "allgemeiner Natur" oder von keiner besonderen Komplexität angesehen werden, sodass auf eine mündliche Verhandlung beim Verwaltungsgericht nicht verzichtet werden kann.

Inhaltlich führte der VwGH aus: 

Die Zuordnung eines Vorhabens zu einem Tatbestand des Anhanges I der UVP-Richtlinie hat zur Folge, dass keine Prüfung im Sinn des Anhanges II Z 13 lit a iVm Art 4 Abs 2 UVP-Richtlinie (die im nationalen Recht durch § 3 Abs 7 bzw § 24 Abs 5 UVP-G 2000 umgesetzt wurden), sondern jedenfalls ein UVP-Genehmigungsverfahren durchzuführen ist. Wird für ein solches Vorhaben nur ein UVP-Feststellungsverfahren statt eines Genehmigungsverfahrens durchgeführt, so entspricht dies nicht "den Zielen der UVP-Richtlinie". Es mag zutreffen, dass das eine oder andere dem Anhang I UVP-Richtlinie zuzuordnende Projekt keine erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt (im Sinn des Anhanges II Z 13 lit. a UVP-Richtlinie) haben kann. Dies ändert jedoch nichts daran, dass aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Art. 4 Abs. 1 UVP-Richtlinie auch für dieses Projekt ein UVP-Genehmigungsverfahren durchzuführen ist.

Anmerkung: Mit dem nachfolgenden Erkenntnis vom 28.01.2022, W104 2240490-1/135E, wurde vom BVwG (nach mündlicher Verhandlung) neuerlich festgestellt, dass für das Vorhaben „A 22 Donauufer Autobahn, Fahrstreifenzulegung im Abschnitt zwischen Ast. Stockerau Ost und Knoten Stockerau“ aufgrund einer unmittelbaren Anwendung von Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Anhang I Z 7 lit. b der UVP-Richtlinie 2011/92/EG eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Ein Rechtsmittelverfahren ist anhängig.

UVP-Verfahren im (Auf-)Wind?

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