Freitag, 22. Mai 2015

Vor dem Ende der Präklusion?

Es ist noch gar nicht lange her, dass der VwGH entschieden hat, dass der Umweltanwalt ebenso wie die anderen Parteien des UVP-Verfahrens den Präklusionsregelungen unterliegt und dass die Präklusion als Teil des österreichischen Verfahrensrechts nicht im Widerspruch zu dem durch Art 11 (ex-Art 10a) der UVP-RL vorgesehenen Überprüfungsrecht der betroffenen Öffentlichkeit stehe (21. 10.2014, 2012/03/0112; 27.9.2013, 2010/05/0202). Geht es nach den Schlussanträgen des Generalanwalts Melchior Wathelet vom 21.5.2015 in der Rs C137/14, Kommission gegen Bundesrepublik Deutschland, muss diesbezüglich umgedacht werden: Der Generalanwalt hält eine Regelung, die die Klagebefugnis und den gerichtlichen Prüfumfang auf Einwendungen beschränkt, die bereits innerhalb der Einwendungsfrist im Verwaltungsverfahren vorgebracht wurden, für nicht im Einklang mit der Richtlinie.

Das deutsche BVerwG hatte – ebenso wie der VwGH - bisher die Präklusionsvorschriften für europarechtskonform gehalten (Beschluss vom 14.07.2011, Az. 9 A 12/10; Urteil vom 29.09.2011, Az. 7 C 21.09; siehe dazu auch Berger, RdU-U&T 2012/12). Die gegenteilige Ansicht der Kommission, die u.a. deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland führt, teilt nun der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen.

Der wesentliche Begründungsteil der Schlussanträge, die sich außerdem u.a. mit der Frage der Relevanzprüfung bei Mängeln der UVP befassen (Rn 78 ff; auch insofern wird die der österreichischen Rechtslage ähnliche deutsche Relevanzprüfung als unionsrechtswidrig angesehen; siehe auch schon das Urteil des EuGH in der Rs C‑72/12, Altrip), lautet wie folgt:

„113. Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen im Sinne der Richtlinie 2011/92 über die Öffentlichkeitsbeteiligung bzw. im Sinne von Art. 24 der Richtlinie 2010/75 zum Gegenstand eines Überprüfungsverfahrens vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle zu machen, um ihre materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit anzufechten, ohne dass in irgendeiner Weise die Gründe beschränkt wären, die zur Stützung eines entsprechenden Rechtsbehelfs vorgebracht werden können.

114. § 2 Abs. 3 UmwRG und § 73 Abs. 4 VwVfG beschränken jedoch eindeutig die Gründe, die ein Rechtsbehelfsführer zur Stützung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs vorbringen kann.

115. Zwar schließen Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2011/92 und Art. 25 Abs. 4 der Richtlinie 2010/75 die Möglichkeit eines vorausgehenden Überprüfungsverfahrens bei einer Verwaltungsbehörde nicht aus und lassen das Erfordernis einer Ausschöpfung der verwaltungsbehördlichen Überprüfungsverfahren vor der Einleitung gerichtlicher Überprüfungsverfahren unberührt, sofern ein derartiges Erfordernis nach innerstaatlichem Recht besteht, doch erlauben sie keineswegs, die Gründe zu beschränken, die ein Rechtsbehelfsführer zur Stützung eines später eingelegten gerichtlichen Rechtsbehelfs vorbringen kann.

116. Im Einklang mit der Stellungnahme der Kommission ist festzustellen, dass gerichtliche Rechtsbehelfe eigenständig und vom Verwaltungsverfahren und verwaltungsverfahrensrechtlichen Rechtsbehelfen unabhängig sind.

117. Dementsprechend bin ich der Meinung, dass die in Rede stehenden nationalen Vorschriften für den Zugang zu den Gerichten eine zusätzliche, in Art. 11 der Richtlinie 2011/92 und Art. 25 der Richtlinie 2010/75 nicht vorgesehene Hürde errichten.

118. Diese zusätzliche Hürde lässt sich meines Erachtens nicht aus Gründen der Rechtssicherheit rechtfertigen, da die Ausschlussfristen für die gerichtliche Anfechtung von Entscheidungen der Verwaltungsbehörden hierfür ausreichend sind.

119. Was das die Effizienz der Verwaltungsverfahren betreffende Vorbringen angeht, trifft zwar zu, dass sich die Möglichkeit, „Einwendungen“ erstmals im Zuge eines gerichtlichen Rechtsbehelfs zu erheben, als „problematisch“ erweisen kann, doch genügt der Hinweis, dass das eigentliche von Art. 11 der Richtlinie 2011/92 und Art. 25 der Richtlinie 2010/75 verfolgte Ziel darin besteht, einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Der Unionsgesetzgeber hat diesem Ziel gegenüber der Effizienz der Verwaltungsverfahren eindeutig den Vorrang gegeben, um zur Erhaltung, zum Schutz und zur Verbesserung der Umweltqualität sowie zum Schutz der menschlichen Gesundheit beizutragen.“

Wie in meinem Beitrag über die Präklusion in Rdu-UT 2012/12 ausgeführt, erschienen die Präklusionsregelungen der §§ 42, 44b AVG und § 19 Abs 10 UVP-G als innerstaatliches Verfahrensrecht bisher durchaus als im Einklang mit dem Unionsrecht stehend. Ein Widerspruch der Präklusionsregeln zum unionsrechtlichen Effizienz- und Äquivalenzgrundsatz war nicht zu erkennen.

Nunmehr soll – so im Ergebnis der Generalanwalt - die auch durch die Präklusion sichergestellte Durchführung von Genehmigungsverfahren in effizienter Weise nachrangig gegenüber den Umweltinteressen sein. Das klingt auf den ersten Blick gut, ignoriert aber, dass Umweltinteressen auch - oder sogar besser - geschützt werden können, wenn Bedenken gegen ein Projekt frühzeitig konkret geäußert und daher schon im Verwaltungsverfahren noch umfassender geprüft werden, als es ohne diese Einwände möglicherweise der Fall gewese wäre. Durch die Präklusion gewinnt auch der Projektwerber früher die gerade für Großprojekte notwendige Rechtssicherheit für seine Investition.

Ob es damit nun vorbei ist, wird sich nun in den nächsten Monaten beim EuGH im Fall C-137/14 entscheiden.

Zukünftig könnte damit gerechnet werden, dass schon vor dem Ergehen dieser Entscheidung in UVP-Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht die Präklusionsregelungen vorsorglich nicht mehr angewendet werden, um eine mögliche Aufhebung des gefällten Erkenntnisses durch den VwGH nach dem Vorliegen des EuGH-Urteils zu vermeiden. Die inhaltliche Prüfung von an sich präkludierten Beschwerdegründen wäre im Interesse der Projektwerber, die an einem baldigen Verfahrensabschluss interessiert sind, immerhin jenem Vorgehen vorzuziehen, das das deutsche BVerwG in seiner Entscheidung vom 5.1. 2015 gewählt hat: in der Sache Az. 7 C 1/15 wurde eine Aussetzung eines Verfahrens vorgenommen, bis die Entscheidung des EuGH vorliegt.

Montag, 4. Mai 2015

Neue Vorschläge des ÖKOBÜROs zur Umsetzung von Art 9 Abs 3 der Aarhus Konvention

Das ÖKOBÜRO hat im April 2015 ein Papier mit Lösungsvorschlägen zur Umsetzung von Artikel 9 Abs 3 der Aarhus Konvention veröffentlicht (RECHTSSCHUTZ IM UMWELTRECHT - Rechtsbehelfe zur Umsetzung von Art 9 Abs 3 der Aarhus Konvention).
Art 9 Aarhus Konvention regelt den Zugang zu Gerichten für Umweltorganisationen und Einzelpersonen im Umweltbereich. Während die Umsetzung in Hinblick auf UVP- und IPPC-Verfahren in Österreich konventionskonform erfolgt ist, wobei auch keine grundsätzlichen Einwände gegen das System des subjektiven Rechts erhoben wurden, ist Österreich wegen fehlender Rechte von Umweltorganisationen und betroffenen Einzelpersonen außerhalb der zuvor genannten Bereiche vom Aarhus Convention Compliance Committee (ACCC) gerügt worden (ECE/MP.PP/2014/2/Add.1 Decision V/9b on compliance by Austria with its obligations under the Convention 2014).
Das ÖKOBÜRO geht bei seinen Vorschlägen auch schon auf die Vorabentscheidung des EuGH im Fall "Karoline Gruber" ein (EuGH 16.4.2015, Rs C 570/13; dazu in diesem Blog -> hier) und fordert im wesentlichen eine Beteiligung mit Parteistellung in umweltrelevanten Verfahren mit Einschluss des Zuganges zu den Höchstgerichten.
Wesentlich für den effektiven und gleichwertigen Rechtsschutz im Sinne von Artikel 9 Abs 4 der Aarhus Konvention und des europarechtlichen Äquivalenzgrundsatzes sei auch der Zugang zu den Höchstgerichten, wie das explizit in § 19 Abs 10 des UVP-G vorgesehen ist, so das ÖKOBÜRO. Eine Regelung, welche die Umweltorganisationen im Gegensatz zu anderen Verfahrensparteien von den Höchstgerichten ausschließe, würde den oben genannten Regelungen widersprechen.

Die Umsetzung kann aus Sicht von ÖKOBÜRO – Allianz der Umweltbewegung entweder zentral in einem NGO-Gesetz, oder aber aufgeteilt auf die einzelnen Materiengesetze wie der GewO, dem WRG, dem IG-L oder den Naturschutzgesetzen etc. erfolgen und müsste den NGOs die Stellung einer Legalpartei in den Verfahren einräumen.
Allerdings sieht die Aarhus Konvention ebenso wenig wie Art 11 UVP-RL einen Instanzenzug verpflichtend vor. Ob eine echte Parteistellung in allen Umweltverfahren notwendig ist oder ein Überprüfungsrecht ausreicht, wie es derzeit § 3 Abs 7a UVP-G im Feststellungsverfahren nach dem UVP-Gesetz vorsieht, ist vom Wortlaut der Konvention eigentlich entschieden: Art 9 Abs 2 spricht nämlich von einem
- Zugang zu einem Überprüfungsverfahren und Art 9 Abs 3 vom Recht,
- Handlungen und Unterlassungen anzufechten.
Beide Formulierungen verlangen demnach nicht, eine Parteistellung schon in den verwaltungsbehördlichen Genehmigungsverfahren einzuräumen. Im Hinblick darauf, dass vor den Verwaltungsgerichten kein Neuerungsverbot besteht und diese grundsätzlich in der Sache zu entscheiden haben (vgl §§ 9, 10 und 28 Abs 2 VwGVG), kann ein effektiver Rechtsschutz für Umweltorganisationen wohl auch dann gegeben sein, wenn diese nicht schon vor der Verwaltungsbehörde als Parteien beteiligt waren.
Es ist keinesfalls so, dass ohne Einräumung von Parteistellung die Ausübung der durch die Konvention oder die ÖffentlichkeitsbeteiligungsRL verliehenen Rechte praktisch unmöglich wären oder übermäßig erschwert würden. Auch ein Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz kann nicht ohne Weiteres angenommen werden, müssen doch Nachbarn und Umweltorganisationen nicht notwendigerweise gleich behandelt werden; ebensowenig wie ihnen in allen umweltrelevanten Verfahren exakt dieselben Rechte eingeräumt werden müssen wie in UVP- und IPPC-Genehmigungsverfahren.

Das Papier des ÖKOBÜROs stellt eine interessante Grundlage für die nicht zuletzt nach dem EuGH-Urteil "Karoline Gruber" notwendigen gesetzlichen Regelungen zur Umsetzung der Rechte von Umweltorganisationen dar und wird die Diskussion sicherlich weiterbringen. Was dabei schlussendlich herauskommt, ist eine der aktuell spannendsten Fragen des Umweltrechts!

Samstag, 2. Mai 2015

Zeitliche Grenze bei der Kumulation - ja oder nein?

Im Vorjahr sprach der VwGH aus, dass der Kumulationstatbestand, der gebietet, die Kapazitäten von in einem räumlichen Zusammenhang stehenden Vorhaben zusammenzurechnen und eine UVP-Einzelfallprüfung vorzunehmen, restriktiv auszulegen sei (VwGH 2011/07/0214 vom 24.7.2014; siehe dazu auch schon in diesem Blog). Und besonders einschränkend legte im Frühjahr 2014 ein Senat des Bundesverwaltungsgerichtes die Kumulationsbestimmung aus: in der Entscheidung vom 27.3.2014 (W143 2000181-1/8E, Windpark Koralpe) schob man der Kumulation einen zeitlichen Riegel vor und argumentierte, dass die 5-Jahres-Zusammenrechnungsregel des § 3a Abs 5 UVP-G (gilt für Erweiterungen desselben Vorhabens) analog auf die Kumulation  mit anderen Vorhaben anzuwenden sei. Nun rudert aber  ein anderer Senat des BVwG zurück: Die Kumulationsbestimmung des § 3 Abs 2 und § 3a Abs 6 UVP-G stelle nicht auf die "5-Jahres-Regel" ab, heißt es im neuesten Erkenntnis des BVwG vom 20.4.2015, "Hatric IV".

In diesem steiermärkischen Fall, bei dem es um die Errichtung eines Fachmarktzentrums in räumlicher Nähe zu bestehenden Einkaufszentren ging, hatte die Behörde aufgrund zweier Feststellungsanträge - des Projektwerbers und der Umweltanwältin - über die UVP-Pflicht zu entscheiden. Sie legte bei ihrer Entscheidung, ob eine Kumulation mit den benachbarten Einkaufszentren zu erfolgen habe, die Rechtsprechung des BVwG im Fall "Windpark Koralpe" zugrunde und bezog nur Projekte in die Kumulationsprüfung ein, die in  den letzten fünf Jahren genehmigt worden waren. Da damit nur mehr ein Bruchteil der bestehenden Vorhaben zu kumulieren war, wurde auf dieser Basis eine UVP-Pflicht verneint.
Die Berufung der Umweltanwältin stellte die einschränkende Sichtweise des BVwG im "Koralpe"-Fall in Frage und der in diesem Fall zuständige UVP-Senat des BVwG sagte nun, es könne diese Rechtsauffassung nicht aufrecht erhalten werden. Bei der Prüfung der kumulativen Effekte sei die bestehende Bebauung unabhängig von einer zeitlichen Komponente zu berücksichtigen (BVwG 20.4.2015, W104 2101995-1/11E). Die Begründung dieses Erkenntnisses schließt sich damit der bisherigen Rsp des Umweltsenates an.
Aufgehoben wurde der angefochtene Bescheid vom BVwG allerdings deswegen, weil der Projektwerber erklärte, dass das Vorhaben nicht mehr in der dem Feststellungsverfahren zugrunde liegenden Form verwirklicht werde. Aufgrund dieser Abstandnahme vom gegenständlichen Projekt war dem Verfahren die Grundlage entzogen und über die Beschwerde der Umweltanwaltschaft nicht mehr zu entscheiden.
Die sich in der Begründung findende Aussage, dass das BVwG nun die "Koralpe"-Entscheidung  zur Kumulationspflicht nicht mehr aufrecht erhalten wolle, ist daher derzeit noch ein "obiter dictum".

UVP-Verfahren im (Auf-)Wind?

  Als Teil des von der Bundesregierung beschlossenen   „Energiepakets“   ist am 23. März 2023 die novellierte Fassung des   Umweltverträglic...