Donnerstag, 20. Januar 2011

VwGH sagt, was Sache ist !

Mit einem aktuellen Erkenntnis vom 22.12.2010 klärte der Verwaltungsgerichtshof die seit Jahren umstrittene Frage der "Sache des Berufungsverfahrens" in UVP-Verfahren. Der Umweltsenat hatte in mehreren Entscheidungen die Auffassung vertreten, er sei berechtigt, aufgrund einer zulässigen Berufung erstinstanzliche Genehmigungsbescheide umfassend zu prüfen. Eine Abweisung von Genehmigungsanträgen im Berufungsverfahren konnte daher auch dann erfolgen, wenn die Genehmigung nur von Nachbarn bekämpft worden war, der Umweltsenat aber der Auffassung war, dass rein objektives Umweltrecht einer Genehmigung entgegenstehe. Dieser Rechtsauffassung ist der VwGH nun deutlich entgegen getreten.

Im Fall des geplanten Autotest- und Motorsportzentrums ATC Voitsberg hatte der Umweltsenat die von der steiermärkischen Landesregierung erteilte Genehmigung einer Test- und Autosportanlage aufgehoben, weil er im Gegensatz zur ersten Instanz zur Auffassung gekommen war, dass für die im Rahmen des Projekts durchzuführende Rodung kein überwiegendes öffentliches Interesse im Sinne des § 17 Forstgesetz bestehe. Das Fehlen eines solchen Interesses an der Projektverwirklichung führte zur Abweisung des Genehmigungsantrages, ohne dass sich der Umweltsenat mit den von den berufenden Nachbarn vorgebrachten Bedenken hinsichtlich des Immissionsschutzes auseinander setzte (US 11.6.2008, "Voitsberg").

Der Verwaltungsgerichtshof folgte nun der Rechtsauffassung des von HASLINGER/NAGELE & PARTNER vertretenen Projektwerbers und hielt fest, dass der Umweltsenat forstrechtliche Aspekte im Berufungsverfahren zu Unrecht geprüft und als Grund für die Abweisung des Genehmigungsantrages herangezogen hat. Wörtlich führt der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 22.12.2010, Zlen. 2010/06/0262, 0263 (vormals Zlen. 2008/10/0171, 0362) aus:

"Eine Befugnis der Berufungsbehörde, über die Rechtsrichtigkeit des erstbehördlichen Bescheides abzusprechen, ist … nur in jenem Umfang gegeben, in dem eine Partei eine Rechtsverletzung bei der Berufungsbehörde geltend machen kann. … Soweit sich die Nachbarn gegen die Annahme der Erstbehörde betreffend das Vorliegen eines öffentlichen Interesses an der beantragten Rodung wenden, gehen sie über jenen Bereich hinaus, in welchem ihnen ein Mitspracherecht eingeräumt ist."

Da der Umweltsenat verkannt hat, dass seine Prüfungsbefugnis insofern eingeschränkt ist, hat er somit zu Unrecht den Abweisungsgrund des mangelnden öffentlichen Interesses an der Rodung herangezogen. Der Verwaltungsgerichtshof hat sowohl die den Genehmigungsantrag abweisende Entscheidung als auch den Bescheid, mit dem dem Projektwerber die Gebühren für die Prüfung forstrechtlicher Fragen durch Sachverständige auferlegt worden waren (US 5.11.2008), wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Die bisher vom Umweltsenat vertretene Auffassung, er sei berechtigt, anlässlich einer zulässigen Berufung den Bescheid in jede Richtung zu überprüfen und Interessen unabhängig von den subjektiven Rechten der Berufungswerber wahrzunehmen (Nachweise etwa bei Altenburger/Berger, UVP-G, 2. Auflage, § 40 Rz 44), kann daher nicht mehr aufrechterhalten werden (kritisch dazu schon Altenburger/Berger aaO). Haben nicht der Umweltanwalt, eine Gemeinde, eine Umweltorganisation oder eine Bürgerinitiative Berufung erhoben - diese Parteien sind im Sinne des § 19 UVP-G berechtigt, die Einhaltung von Umweltschutzvorschriften "als subjektives Recht imVerfahren geltend zu machen" - sondern "nur" Nachbarn nach § 19 Abs 1 Z 1 oder 2 UVP-G, so hat der Umweltsenat den Umfang des Mitspracherechts des Berufungswerbers zu berücksichtigen und darf nicht ausschließlich wegen einer allfälligen Nichtbeachtung rein objektiven Umweltrechts durch die erste Instanz eine Abänderung des angefochtenen Bescheids vornehmen. Das folgert der VwGH eindeutig daraus, dass nach dem System des § 19 UVP-G das Recht, die Verletzung von Umweltschutzvorschriften geltend zu machen, eben nicht auch den Nachbarn zukommt, sondern nur den oben genannten Legalparteien.

Anders verhält es sich allerdings, wenn Berufungswerber (auch) der Projektwerber selbst ist: Da dieser "uneingeschränkt mitspracheberechtigt" ist, steht - auch wenn der Projektwerber sich nur gegen einzelne Auflagen wendet - stets der gesamte Genehmigungsbescheid auf dem Prüfstand. Deshalb konnte der VwGH auch in dem vom Umweltsenat zur Stützung seiner umfassenden Prüfungsbefugnis herangezogenen Fall "Mutterer Alm" die damalige, den Genehmigungsantrag aufgrund von Verstößen gegen objektives Umweltrecht abweisende Berufungsentscheidung des Umweltsenates bestätigen. In dieser Sache hatte nämlich neben einem Nachbarn auch der Projektwerber selbst eine Berufung eingebracht (vgl. VwGH 8.6.2005, Zl. 2004/03/0116).

Es ist erfreulich, dass der VwGH mit dieser aktuellen Entscheidung eine schon länger dauernde Rechtsunsicherheit in Verfahren beim Umweltsenat mit einem klaren Wort beendet hat. Dass das von einem Fünfer-Senat getroffene Erkenntnis im Einklang mit der - seit dem Erkenntnis des verstärkten Senats vom 3.12.1980, VwSlg 10317 A ständigen - Rechtsprechung des Höchstgerichts zu den im UVP-Verfahren konzentriert anzuwendenden Materiengesetzen steht, ist begrüßenswert. Ebenso erfreulich ist es, dass die klare Begründung dieser Entscheidung mE auch keine (Folge-) Fragen offen lässt.

UVP-Verfahren im (Auf-)Wind?

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