Freitag, 9. Mai 2014

Neuere Judikatur des VwGH zur Umweltverträglichkeitsprüfung

VwGH 27. 4. 2012, 2009/02/0239

Keine unmittelbare Anwendbarkeit der Aarhus-Konvention im innerstaatlichen Recht

Ein Verein beantragte die Zuerkennung der Parteistellung in einem Verfahren zur "7,5-Tonnage-Beschränkung auf der LB 320" Ennstalstraße. Er berief sich auf seine "Anerkennung als Umweltorganisation gemäß § 19 Abs. 7 UVP-G 2000". Die Parteistellung in einem Verfahren nach § 43 StVO 1960, womit eine Gewichtsbeschränkung (Tonnagen-Limit) auf der Ennstalstraße verfügt werden sollte, begründete der Beschwerdeführer mit seinen besonderen Kenntnissen in Umweltfragen, insbesondere die sensible Alpenregion des Ennstales betreffend.
Der Antrag wurde von der BH ebenso zurückgewiesen, die nachfolgende Berufung und die Beschwerde an den VwGH waren nicht erfolgreich.
Begründung des VwGH: In den Erläuterungen zur Genehmigung des Abschlusses des Übereinkommens von Aarhus  durch den Nationalrat (BGBl. III Nr. 88/2005) wird angemerkt, dass das Übereinkommen einer unmittelbaren Anwendbarkeit im innerstaatlichen Rechtsbereich nicht zugänglich ist (von einem Beschluss des Nationalrates gemäß Art. 50 Abs. 2 B-VG wurde allerdings abgesehen, da das Übereinkommen als gemischtes Abkommen teilweise in die Zuständigkeit der Europäischen Union fällt; vgl. 654 Blg. NR XXII. GP 2). Subjektive Rechte können daher aus dem Übereinkommen von  Aarhus nicht abgeleitet werden (zur fehlenden unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 9 Abs. 3 des Übereinkommens von Aarhus im innerstaatlichen Recht vgl. den Bescheid des Umweltsenates vom 22. Juni 2011, Zl. US 3C/2011/5-8; zur fehlenden unmittelbaren Wirkung dieser Bestimmung im Unionsrecht vgl. Urteil EuGH 8. März 2011, C 240/09, Lesoochraraske zoskupenie = „Slowakischer Braunbär“).
Ein Verordnungserlassungsverfahren nach § 43 Abs. 2 StVO 1960 fällt nicht in den Anwendungsbereich der UVP-RL, sodass deren Bestimmungen auf das Verfahren nach § 43 Abs. 2 StVO 1960 nicht anzuwenden sind.


 
VwGH 21. 3. 2013, AW 2013/05/0011


Voraussetzungen der Zuerkennung aufschiebender Wirkung bei Bundesstraßenprojekten

Ob ein durch ein genehmigtes Bundesstraßenprojekt verursachter (behaupteter)  Eingriff in die von den in § 19 Abs 4 UVP-G genannten Umweltschutzvorschriften geschützten Interessen einen „unverhältnismäßigen Nachteil“ iSd § 30 Abs 2 VwGG darstellt, ist ua daran zu beurteilen, inwieweit die Folgen des Eingriffs im Fall der Aufhebung des angefochtenen Bescheides beseitigt werden können, wobei den Antragsteller eine Konkretisierungspflicht trifft. Die Beurteilung, ob die geltend gemachten Nachteile die Schwelle der Unverhältnismäßigkeit erreichen, hängt von den im Aufschiebungsantrag vorgebrachten konkreten Angaben über die Wiederherstellung des vorigen Zustandes ab. Zur Frage, ob die Aarhus-Konvention verlange, dass aufschiebende Wirkung zuerkannt werde, siehe unten VwGH 09.10.2013, AW 2013/10/0036 .





 


VwGH 20. 6. 2013, Zlen. 2012/06/0092, 0093


Parteistellung der Nachbarn im Abnahmeverfahren nach § 20 UVP-G
Der VwGH hob die nachträgliche Genehmigung für eine Projektänderung des Vorhabens “Spielberg NEU” auf und traf wichtige Aussagen zum Anwendungsbereich des § 20 Abs 4 UVP-G (idF BGBl I 2009/87).


Das mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 12. September 2007 nach dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 (UVP-G 2000) genehmigte “Vorhaben Spielberg NEU” beinhaltete auch die Errichtung des sogenannten „Partnergebäudes". Während der Ausführung änderte die Projektwerberin ihr Vorhaben insofern, als anstelle des ursprünglich geplanten und genehmigten Partnergebäudes mit Flügel und Tribünen für insgesamt 6.832 Personen eine Überlastschüttung (Erdwall) errichtet wurde, die bis zur Realisierung des ursprünglich geplanten Partnergebäudes erhalten bleiben soll. Im Zuge eines sog. Abnahmeverfahrens wurde die Überlastschüttung mit Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 25. Februar 2011 als geringfügige Abweichung genehmigt. Diesem Abnahmeverfahren wurden zwei betroffene Nachbarn nicht beigezogen. Ihre Anträge auf Zuerkennung ihrer Parteistellung wies die Steiermärkische Landesregierung ab; die Berufungen an den Umweltsenat blieben erfolglos (Bescheide vom 30. April 2012).
Dagegen wandten sich die Nachbarn an den Verwaltungsgerichtshof, der die Frage zu prüfen hatte, ob Nachbarn/Nachbarinnen, die grundsätzlich von den Auswirkungen des UVP-pflichtigen Vorhabens gefährdet oder belästigt werden können, im Verfahren zur Abnahmeprüfung gemäß § 20 UVP-G 2000 Parteistellung haben, wenn gemäß dessen Abs. 4 im Rahmen des Abnahmebescheides Abweichungen vom ursprünglich genehmigten Vorhaben nachträglich genehmigt werden sollen. Nach § 20 UVP-G 2000 muss die Projektwerberin vor Inbetriebnahme die Fertigstellung anzeigen, worauf die Behörde eine Abnahmeprüfung durchführt. Entspricht die Ausführung der Genehmigung, ergeht ein Abnahmebescheid. Werden hingegen Abweichungen von der Genehmigung festgestellt, muss die Behörde deren Beseitigung auftragen; allerdings besteht die Möglichkeit, dass geringfügiger Abweichungen gemäß § 20 Abs. 4 UVP-G 2000 nachträglich genehmigt werden, wenn sie den Ergebnissen der Umweltverträglichkeitsprüfung nicht widersprechen und den betroffenen Parteien Gelegenheit zur Wahrung ihrer Interessen gegeben wurde. Nachbarn/Nachbarinnen, die durch Abweichungen gefährdet oder belästigt werden könnten, müssen somit im Verfahren zur nachträglichen Genehmigung geringfügiger Abweichungen gehört werden; ob eine Beeinträchtigung tatsächlich stattfindet, ist Gegenstand des weiteren Verfahrens. Im vorliegenden Fall ist gerade strittig, ob die Nachbarn durch den Erdwall anders betroffen sein können als bei Errichtung des Vorhabens in der genehmigten Form. Es war ihnen mangels Parteistellung nicht möglich, zu überprüfen, ob sich etwa die Schallauswirkungen bei Verwirklichung der Überlastschüttung innerhalb des genehmigten Immissionskontingentes bewegen oder dieses allenfalls übersteigen. Sie rügen daher zu Recht, dass es ihnen mangels Zuerkennung der Parteistellung nicht möglich war, von den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens Kenntnis zu erlangen, dazu Stellung zu nehmen und somit ihre Interessen wahrzunehmen.

Ob, wie die Behörden meinen, die Nachbarn nicht anders als bisher betroffen bzw. teilweise sogar besser vor den Lärmimmissionen geschützt seien als bei Errichtung des genehmigten Partnergebäudes, kann erst beurteilt werden, wenn den Nachbarn im Rahmen des Abnahmeprüfungsverfahrens Parteiengehör eingeräumt wurde. Da die Behörden in Verkennung der Voraussetzungen des § 20 Abs. 4 zweiter Satz UVP-G 2000 die Anträge der Nachbarn auf Zuerkennung der Parteistellung im Abnahmeprüfungsverfahren abwies, belastete sie ihre Bescheide mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb diese vom Verwaltungsgerichtshof aufgehoben wurden.
 
 
VwGH 27. 9. 2013, 2010/05/0202 (UVP-G 2000; AVG)
Präklusionsbestimmungen iSd § 44a iVm § 44b Abs 1 AVG entspricht im Rahmen des UVP-Genehmigungsverfahrens unionsrechtlichen Anforderungen
Bürgerinitiative kann Parteistellung mangels rechtzeitige Erhebung von Einwendungen bzw nicht rechtzeitiger Bildung einer Bürgerinitiative im Genehmigungsverfahren nicht erlangen; der Hinweis auf die Präklusionsfolgen war in der Projektkundmachung enthalten; Behörde muss auf die Möglichkeit der „Quasi-Wiedereinsetzung“ nicht aufmerksam machen; die Nichtbeachtung der im Widerspruch zur irrtümlichen Annahme der Bf stehenden Beschreibungen im Edikt und Informationen in den Antragsunterlagen stellt ein Verschulden der BI (ihrer Proponenten) dar, das den eines minderen Grades des Versehens übersteigt; für die Entstehung der Parteistellung einer BI im Genehmigungsverfahren ist die ordnungsgemäße Einbringung der Stellungnahme und der Unterschriftenliste maßgeblich.
Im Hinblick auf die Grenzen der verfahrensrechtlichen Gestaltungsautonomie des nationalen Gesetzgebers bei der Umsetzung des Art  10a UVP-RL (nunmehr Art 11 der RL 2011/92/EU) und sohin auf den unionsrechtlich vorgegebenen Effektivitätsgrundsatz hat der EuGH in seinem Urteil vom 12. Mai 2011, in der Rechtsache C-115/09, Trianel, dargelegt, dass die innerstaatlichen Regelungen den Umweltorganisationen nicht die Möglichkeit nehmen dürfen, die Rolle zu spielen, die ihnen sowohl die RL 85/337 als auch das Übereinkommen von  Aarhus  zuerkennen (Rn. 44). Eine Unionswidrigkeit nationaler Präklusionsbestimmungen wurde darin aber ebenfalls nicht ausgesprochen. Für die Anwendung des Effektivitätsgebots ist jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Gemeinschaftsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens zu prüfen. Dabei sind gegebenenfalls die Grundsätze zur berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie z.B. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens (Hinweis Urteil des EuGH vom 14. Dezember 1995, C-312/93, Peterbroek, Rn. 14, und das zur Zulässigkeit von Präklusionsfristen in einer - insofern dem UVP-Genehmigungsverfahren vergleichbaren - vergaberechtlichen Sache ergangene Urteil des EuGH vom 27. Februar 2003 in der Rechtssache C-327/00, Santex, Rn. 56).
 

VwGH 9. 10. 2013, AW 2013/10/0036


Beschwerde gegen naturschutzbehördliche Bewilligung muss nicht jedenfalls aufschiebende Wirkung gemäß §30 Abs 2 VwGG zuerkannt werden; kein Verstoß gegen Aarhus-Konvention

Art 9 Abs  4 Aarhus  Konvention kann nicht dahin gedeutet werden kann, dass im Anwendungsbereich der Konvention der vom Verwaltungsgerichtshof gewährte Rechtsschutz nur dann angemessen und effektiv ist, wenn einer Beschwerde jedenfalls aufschiebende Wirkung zuerkannt werde. Wenn die innerstaatliche Regelung betreffend die Gewährung einer aufschiebenden Wirkung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 30 Abs. 2 VwGG einerseits auf das Nichtvorliegen zwingender öffentlicher Interessen, die der Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung entgegenstehen, bzw. auf die Vornahme einer Interessenabwägung zwischen den in Frage kommenden öffentlichen Interessen und der auf Seiten der Beschwerdeführer und Mitbeteiligter gegebenen Interessenlage abstellt, steht dies mit Art 9 Abs  4  Aarhus -Konvention nicht im Widerspruch (vg. den Beschluss des VwGH vom 08.06.2010, AW 2010/06/0001).







 
 

 
VwGH 24. 10. 2013, 2013/07/0081

Stellungnahmen Dritter im Rahmen eines UVP-Vorverfahrens sind Umweltinformationen

Die  Stellungnahmen der zuständigen Behörde bzw Dritter im Rahmen eines UVP-Vorverfahrens nach § 4 UVP-G ("Scoping") können Umweltinformation sein.  
Ein Vorprüfungsverfahren nach § 4 UVP-G 2000 befasst sich von seiner Zielsetzung her mit Informationen über die Umwelt.


 


VwGH 5. 3. 2014, 2012/05/0105

Umweltverträglichkeitsprüfung: Nebel als Immission
Der VwGH hat die umstrittene Entscheidung des US im Fall GDKK Klagenfurt bestätigt. Aus dem Erkenntnis des VwGH geht hervor, dass Nebel als “belästigende Immission” von Anrainern im Genehmigungsverfahren geltend gemacht werden kann.

Der Ausstoß von Wasserdampf durch eine Betriebsanlage, der zu Nebelbildung führen kann, ist als potentielle Belästigung der Nachbarn iSd § 74 Abs 2 GewO 1994 zu qualifizieren. Nur der Umstand, dass es (noch) kein wissenschaftlich erprobtes und erwiesenes Verfahren zur näheren Berechnung der Nebelereignisse gibt, bedeutet nicht, dass diese Nebelereignisse als irrelevant im Lichte der hier maßgebenden Rechtslage hinzunehmen sind.

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